E-Book, Deutsch, 432 Seiten
Sanss / Haberland Nebelmelodie
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-95765-986-6
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Inspiration PelleK
E-Book, Deutsch, 432 Seiten
ISBN: 978-3-95765-986-6
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Vier Oktaven, Rockmusik mit orchestraler Ausrichtung, mythische Texte: Das sind die Grundlagen für sechsundzwanzig sehr verschiedene Geschichten. PelleK, mit bürgerlichem Namen Per Fredrik Åsly, inspirierte die Autoren dieser Anthologie. Das Ergebnis ist bezaubernd, traurig, verstörend und märchenhaft schön. Freunde tiefgründiger Texte werden auf ihre Kosten kommen. Jeder einzelne Autor hat eine Nachricht zu vermitteln und wer genau hinhört, erkennt: In diesem Buch steckt Musik.
Tedine Sanss war ein Pseudonym und kam zwischen den Seiten der 'Steampunk-Chroniken' zur Welt. 2013 erreichte sie den 1. Platz des renommierten Marburg-Awards, 2014 war ihre Kurzgeschichte 'Agnes' auf der Shortlist des Deutschen Science-Fiction-Preises. Ihr erster Roman 'Ein Pfau im Park' erschien 2015 bei O'Connell Press; weitere Abenteuer mit dem skurrilen Detektiv Cristobàl O'Leary sollten folgen. Doch 2016 verstarb die Autorin. Ihre Tochter Marie Haberland trat als Mitherausgeberin auf.
Weitere Infos & Material
Arndt Waßmann: Die Magie des Meeres
(Restless Butterfly) »Wieso führt er uns in den Tod?« Die Stimme des jungen Matrosen hallte verzweifelt durch den Sturm, als eine mächtige Welle über das Schiff schlug und ihn gegen die hölzerne Reling schleuderte. Warum nur hatte er sich von dem alten Mann anheuern lassen, der sich jetzt im Zucken gleißender Blitze herankämpfte, und ihm ein Tau um den Leib schlang? »Das tut er nicht«, brüllte ihm der Maat entgegen, dem der tosende Wind die Worte entriss. In Todesangst umklammerte der junge Mann das nasse Tau, das ihn am Hauptmast sicherte. Der Alte setzte sich neben ihn. »Ganz ruhig, keiner stirbt hier, wenn der Kapitän es nicht will.« »Greiser Narr!«, mischte sich ein weiterer Seemann in das Gespräch. Selbst in der Finsternis des Sturms erkannte der Junge den Hünen aus der Hafenkneipe wieder, dem jeder zugetraut hätte, ein Fass mit bloßer Hand zu zertrümmern. Er hielt ein gewaltiges Entermesser in seiner Rechten. »Greiser Narr!«, schrie er erneut. »Du hast uns Schätze versprochen, nicht das Kommando eines Wahnsinnigen!« »Pass auf, was du sagst. Das ist Meuterei!« Der junge Matrose blickte unschlüssig zwischen beiden hin und her. Es war seine erste Fahrt auf hoher See. Was sollte er tun? Konnte er überhaupt etwas tun als sich am Mast festzuklammern und die Götter um Hilfe anzuflehen? »Meuterei? Nein, ich rette unser aller Leben, wenn ich einem Kapitän den Wanst aufschlitze, der uns absichtlich mitten in ein Unwetter steuert.« Ein Blitz ließ das Entermesser in seiner Hand erglänzen. Dann wandte er sich ab. »Und jetzt schau genau zu, Kendrik!« Der Junge folgte dem Fingerzeig des betagten Maats. Unbeirrt hielt Kapitän Kogan das Steuer in Händen. In seinen Bart mischten sich die ersten weißen Strähnen, doch alles andere kündete von einem Mann in den besten Jahren. Langes, braunes Haar klebte durchnässt am Kopf und ließ ihn trotz seiner vielleicht vier Jahrzehnte wie einen abenteuerlustigen Burschen wirken. Kendrik sah, wie der Hüne zum Schlag ausholte – und zuckte zusammen, als der Kapitän herumwirbelte und den Hieb mit einem Säbel parierte. Schwungvoll drehte sich das Steuerrad wie von selbst, als die Waffen aufeinanderprallten. Nichts war zu hören, da der Sturm jedes Geräusch mit wütendem Brüllen erstickte. Wieder und wieder traf Klinge auf Klinge, doch dem jungen Matrosen schien, als ob Kogan über die Schläge seines Gegners nur lachte. Mit einem Mal jedoch streckte er den Säbel zur Seite und breitete die Arme aus. Nun war Kendrik sicher, dass der Kapitän lachte. Der Hüne, der mit ihm zusammen angeheuert hatte, stach zu. Aber Kogan fiel nicht. Immer noch hielt er die Arme weit von sich gestreckt, brüllte etwas, das der Wind verschlang, bevor es Kendriks Ohr erreichte. Ein weiterer Stich. Tief drang das Entermesser in Kogans Leib. In diesem Moment holte er aus, hieb seinen Säbel in den Hals des Gegners, der wie vom Blitz getroffen zu Boden sank. Kendrik starrte unverwandt auf den Ort des Kampfes. Hatte er all das tatsächlich gerade gesehen? Wasser schlug ihm ins Gesicht. Er rang nach Atem, den Mund erfüllt vom salzigen Geschmack des Meeres. Als sich die Sicht des jungen Matrosen wieder klärte, stand der Kapitän ungerührt am Steuerrad, so als sei nichts gewesen. Nur der tote Körper auf den Planken bezeugte das Gegenteil. Oh, wie hatte ich sie geliebt, wie sehr sie enttäuscht, wie endlos seitdem gelitten. Eine dunkle Gasse in Mandrigar, eine hilflose Frau, drei Männer mit klaren Absichten. Wie wenig sie meiner Hilfe bedurft hätte, erfuhr ich erst später, nach einem Abend in der Taverne, an dem sie mich unter den Tisch trank, mit einem Krug Wasser übergoss, auf ihr Zimmer zerrte und … Immer noch erfüllt ihr herrlicher Duft meine Nase, wenn ich an jene Nacht zurückdenke. Nie hätte ich geglaubt, dass jemand wie sie ausgerechnet den Geruch zarter Rosenblüten verströmte. Dies war das erste Mal, dass ich sie völlig falsch einschätzte, doch beileibe nicht das letzte. In jener Nacht jedoch war ich einfach nur glücklich, genoss, was immer es zu genießen gab – und dankte den Göttern, dass sie mich auch trunken kein Weib enttäuschen ließen. Am nächsten Morgen erwachte ich mit einem Schädel, der zu zerspringen drohte, einem Körper, der gänzlich ausgelaugt schien, und Augen, denen ich nichts von dem glaubte, was sie mir zeigten: Vor einem Spiegel saß eine wunderschöne Frau, deren Reflexion ebenmäßige Züge verriet, deren goldblondes Haar weit den Rücken hinabreichte, und deren Gewand im Glanze dunkelblauer Seide schimmerte. Meine erste Reaktion war, zu überlegen, welche Taverne Spiegel besaß. Aber rasch sann mein brummender Schädel über bedeutsamere Fragen nach. Sie wandte sich um. Augen so blau wie das Meer blickten mir entgegen. Sie kam auf mich zu. »Na, Seemann, ausgeruht?« Meine pelzige Zunge ließ keine Antwort zu. Wann hatte ich das letzte Mal solch einen Kater gehabt? Und wann hatte es das letzte Mal jemand geschafft, mich unter den Tisch zu trinken? Sie setzte sich zu mir ans Bett, gab mir einen Kuss auf die Stirn und fuhr mit ihren Fingern so zart über mein Gesicht, dass ich glaubte, den Hauch einer Sommerbrise zu spüren. Unverständliche Worte drangen aus ihrem Mund. Mit einem hellen Lachen erhob sie sich. »Danke für den Abend – und für jede Stunde der Nacht.« Kaum fiel die Tür hinter ihr ins Schloss, durchströmte neue Kraft meinen Körper, und mein Geist wurde von diamantener Klarheit erfüllt. Wer bei allen Meeren war sie nur gewesen? Der Sturm flaute ab. Statt finsterer Wolken breitete sich die goldene Morgenröte am Horizont aus. Kendriks Blick schweifte ungläubig über das Schiff: zwei gebrochene Masten, zerfetzte Segel, herabhängende Takelage. Doch er lebte! Und er war nicht der Einzige. Das Schiff erwachte zu neuem Leben. Überall liefen Matrosen an Deck entlang. Nur die Leiche des Meuterers war nirgends mehr zu sehen. Der alte Maat trat auf Kendrik zu. »Dein erstes Unwetter auf See?« Der Junge nickte. Er wollte nicht zugeben, dass es seine erste Fahrt überhaupt war, obwohl der Maat dies vermutlich längst bemerkt hatte. »Gewöhn dich besser dran!«, lachte der Alte. »Wann immer irgendwo ein gewaltiger Sturm tobt – Kapitän Kogan findet ihn.« Kendrik blickte ihn zweifelnd an. »Er sucht die Stürme? Aber … aber all die Zerstörungen, all die Toten.« »All die Toten? Schau dich um: wer fehlt?« Natürlich war der junge Matrose nicht sicher, aber auf den ersten Blick schien die Mannschaft vollständig zu sein – bis auf einen. »Und was die Schäden betrifft«, fuhr der alte Maat fort, »gerissene Taue, zwei Masten, nichts Ernsthaftes. Ein paar Wochen im nächsten Hafen, und die Seemöwe ist wie neu.« Der Alte schlug ihm lachend auf die Schulter. »In der Zwischenzeit kannst du dir von deinem Anteil der Beute die hübschesten Huren der Stadt leisten.« Kendrik spürte, wie sein Gesicht vor Scham zu glühen anfing. Nicht nur aus den offensichtlichen Gründen. Darum selbstverständlich auch, vor allem aber, weil ihm erst beim Feuern der Kanonen klar geworden war, auf was für einem Schiff er angeheuert hatte, einem Schiff, bei dem es Beute statt Gewinn gab. Gut, Kogan war kein Pirat, sondern Freibeuter im Dienste des gütigen Königs von Telarien, sagte er zumindest. Doch am Abend nach dem ersten Gefecht hatte ihm Sittja, der alte Maat, verraten, dass der Kapitän Kaperbriefe von nahezu jedem Königreich und Fürstentum an der Ostküste Egadorns besaß – und es dennoch schaffte, in den meisten Häfen empfangen statt beschossen zu werden. Aber all das ließ sich nun nicht mehr ändern. Er hatte auf einem Piratenschiff angeheuert, zwei Seegefechte und einen gewaltigen Sturm überstanden. Und er war noch am Leben. Damit dies auch so blieb, half er lieber, das Chaos aufzuräumen, welches an Deck herrschte, anstatt über richtige und falsche Entscheidungen nachzugrübeln. Nach jener Nacht, jenem Morgen, hatte ich keine ruhige Minute mehr gefunden. Überall fragte ich nach der geheimnisvollen Zauberin, denn nichts anderes konnte sie sein. Keiner kannte sie. Kaum einer hatte sie gesehen. Niemand wusste, wo sie zu finden war. Wie ein Narr lief ich von früh bis spät durch die Gassen und Straßen von Mandrigar, immer auf der Suche nach dem Duft von Rosenblüten. Wie ein Narr? Nein, wie ein frisch verliebter Junge, der das Geräusch eines Schmiedehammers für den Schlag seines Herzens und das Kreischen der Möwen für einen Seufzer der Angebeteten hielt. Hätte mir noch vor ein paar Tagen einer meiner Männer gesagt, dass ich wegen einer Frau nicht den Hafen verließ – ich hätte ihn kielholen lassen. Und nun? Jetzt wäre mir selbst reichlich kaltes Wasser gut bekommen. Nach einer Woche sinnlosen Herumirrens gab ich es auf. In jeder Kaschemme der Stadt hatte ich sie gesucht, hatte gar Schneider...