E-Book, Deutsch, 102 Seiten, Format (B × H): 120 mm x 200 mm
Sauer Meine Berufung
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-429-06600-0
Verlag: Echter
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Priester über Gott und die Kirche
E-Book, Deutsch, 102 Seiten, Format (B × H): 120 mm x 200 mm
ISBN: 978-3-429-06600-0
Verlag: Echter
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie findet man den Weg in den priesterlichen Dienst? Ist man von Gott „berufen“? Besteht durch die übertragene Verantwortung eine Gefahr des Machtmissbrauchs? Wie sollten Gläubige zu anderen Religionen und Konfessionen stehen? Mit diesen und vielen weiteren Fragen hat sich Monsignore Wolfgang Sauer im Laufe seiner 50 Jahren priesterlichen Dienst auseinandergesetzt und Antworten gefunden. Mit einem offenen Einblick in die kirchliche Sphäre will er zum Nachdenken einladen und Impulse zu aktuellen innerkirchlichen und gesamtgesellschaftlichen Diskussionen geben.
Für wen die Kirche da sein sollte
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„Wenn das alles wahr ist“
Die missionarische Seele des Christentums
Bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes wurde im Jahr 1986 die „Goldene Palme“ dem Film „La misión – The mission“ verliehen. Mit hochkarätigen Schauspielern besetzt (u. a. Robert de Niro, Jeremy Irons), erzählt der Film die Geschichte der Jesuitenmission im Dreiländereck Paraguay, Brasilien und Argentinien. Im Gebiet oberhalb der Wasserfälle, der Cataratas de Iguazú, leben die Missionare mit den Guaraní, indem sie deren Familiensinn stärken, außerordentliche musikalische Begabungen fördern und den Fleiß der Indígenas in einem genossenschaftlichen System der Landwirtschaft zu einem beachtlichen Wirtschaftsfaktor reifen lassen. Ihre christliche Verkündigung geschieht auf eine Weise, die man heute in der modernen Missionstheologie unter den Begriff „Inkulturation“ einordnen würde: ein auf Generationen angelegtes Programm der Evangelisierung durch respektvolles Mitleben und Weiterentwicklung der überkommenen Traditionen. Der Film ist nicht fiktional, sondern gibt die tatsächlichen Begebenheiten des 18. Jahrhunderts wieder, bis hin zu deren dramatischem Ausgang: Weil die Wirtschaftsmacht der in den „Jesuitenreduktionen“ vor europäischen Sklavenhändlern geschützten Indios den Geschäftsinteressen Spaniens und Portugals zuwiderlief, erwirkten die betreffenden Königshäuser in Madrid und Lissabon beim Vatikan die Abberufung der Jesuiten und beendeten so auf brutale Weise das exemplarische Projekt einer glaubwürdigen Pastoral. „Mit einem Orchester hätten wir den ganzen Kontinent Lateinamerikas für Christus gewinnen können – stattdessen kamen wir mit unseren Waffen!“, resümiert der aus Rom entsandte Visitator die Katastrophe. Ich habe mir „La misión“ immer und immer wieder angeschaut, und jedes Mal treibt es mir die Tränen in die Augen. Welcher Konflikt zwischen der friedfertigen und geschwisterlichen Form des Zusammenlebens der Jesuitenmissionare mit den indigenen Guaraní und den waffenstrotzenden, auch noch durch einheimische Kollaborateure aufgerüsteten europäischen „Eroberern“! Bis heute blutet der Kontinent an diesem Drama, das sich in den Urwäldern des Amazonas ebenso wiederholt wie in den Favelas, Villas miserias und „pueblos jóvenes“, den Elendsvierteln am Rande der Metropolen. Seit ich die betreffenden Schauplätze selbst kennengelernt und erlebt habe – zuletzt auf einer ADVENIAT-Reise „Auf den Spuren von Papst Franziskus“ im Jahr 2014, habe ich besser verstehen gelernt, was bekannte Theologen wie Gustavo Gutiérrez in Peru, Leonardo Boff in Brasilien, Lucio Gera und Juan Luis Segundo in Argentinien mit ihren jeweiligen Konzepten einer „teología de la liberación“ intendierten. Zurückweisende Reaktionen aus der römischen Glaubenskongregation ließen mich an die Zeiten denken, da man in theologischen Hochburgen wie Burgos und Salamanca darüber stritt, ob die Indios des „neuen Indien“ wirklich beseelte menschliche Wesen waren oder doch nur Tiere mit schönen Stimmen. In diesem Zusammenhang muss man an große Gestalten wie Bartolomé de Las Casas denken, der zu einem unbeugsamen Vordenker der indigenen Menschenrechte wurde und wegen seiner Streitschriften als „Apostel der Indianer“ bezeichnet wird. Man wird nicht pauschal behaupten können, dass Europa einen ungebremsten Genozid an den Indígenas Lateinamerikas begangen hätte – aber es gibt lange, sehr lange und dunkle Schatten. Eine Szene in „La misión“ rührt mich besonders. Als die Jesuiten angesichts der drohenden Vernichtung ihrer Indio-Gemeinden darüber nachdenken, ob sie sich nicht besser ergeben und ihre Missionsgebiete freiwillig verlassen sollten, um ein drohendes Massaker zu verhindern, flüstert ein kleines Mädchen: „Padre Gabriel, Ihr dürft nicht gehen! Wenn Ihr geht, müssen wir wieder Angst haben vor den bösen Geistern im Wald!“ – Aus Kindermund wird die befreiende Kraft des Evangeliums verkündet. Paulus hatte es so besungen: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit!“ (Gal 5,1). Vielleicht ist uns das Wissen um die befreiende Kraft unseres Glaubens verloren gegangen. Wir heißen Kinder Gottes und sind es, alle ausgestattet mit der gleichen Würde in Gottes Ebenbildlichkeit. Keine bösen Mächte im Wald müssen uns schrecken, auch nicht überirdische Mächte und Gewalten, die den Weg in den Dichtermund gefunden haben: „Mir grauet vor der Götter Neide. Des Lebens ungemischte Freude ward keinem Irdischen zuteil!“ lässt Friedrich Schiller in seinem „Ring des Polykrates“ den Gastfreund voll Entsetzen ausrufen. Menschen jedoch, die Gott mit „Abba, Vater!“ anreden, brauchen vor einem Neid der Götter keine Angst mehr zu haben. Diese innere Freiheit haben Märtyrer bewährt, als sie sich vor der Übermacht ihrer Verfolger und dem Geschrei ihrer Ankläger nicht einschüchtern ließen. Auch wenn sich die heutige Verkündigung sehr zurückhaltend benimmt, wenn es um das Böse oder gar „den Bösen“ in der Welt geht: beendet ist diese apokalyptische Auseinandersetzung nicht, indem man heute Lüge und Unrecht mit dem Allerweltsbegriff „fake news“ entschärft. Auch hier mag ein Hinweis der Heiligen Schrift Orientierung sein: „Kaufet die Zeit aus, denn diese Tage sind böse!“ (Eph 5,16) In befreiter Freiheit stellt der christliche Glaube fest: „Tod, wo ist Dein Sieg? Tod, wo ist Dein Stachel?“ (1 Kor 15,55) Szenenwechsel. Vor Jahren – ich war damals Spiritual im Freiburger Collegium Borromaeum – pflegten wir eine Partnerschaft mit dem Priesterseminar in Erfurt, der Ausbildungsstätte für die Priesterkandidaten in Ostdeutschland. Dort lernte ich meinen Kollegen kennen: Matthias Kühn, dessen Namen ich hier mit ehrendem Gedenken erwähne. Er war später Regens in Neuzelle an der deutsch-polnischen Grenze – leider erlag er viel zu früh seiner Zuckerkrankheit. In einem persönlichen Gespräch berichtete mir Matthias von seinen Pastoralreisen im Sommer. Während DDR-Bürger, die es sich leisten konnten, ihren Urlaub am Plattensee im sozialistischen Bruderland Ungarn verbrachten, fuhr der Spiritual aus Erfurt in jedem Jahr mit seinem „Trabi“ in Richtung Osten, weil er von kleinen christlichen Gemeinden wusste, die in den weiten Landschaften des russischen Uralgebirges auf den jährlichen Besuch eines Priesters warteten. Dort taufte Matthias, traute Paare, hielt das Totengedenken, feierte Gottesdienste. Bei einer dieser Reisen hielt er auf einer Passhöhe an einem Kiosk an, um sich eine Erfrischung zu kaufen. Von den beiden jungen Russen, die den Verkaufsstand unterhielten, war einer bereits nicht mehr in der Lage, seiner Aufgabe nachzukommen: Er hatte sich selbst an dem angebotenen Wodka bedient, und zwar reichlich. Während er seinen Rausch ausschlief, kam es zwischen Matthias und dem anderen Russen zu einem anfänglich unverbindlichen Smalltalk. Woher kommst Du, was machst Du beruflich, wo willst Du hin? Mit der Antwort, dass ein „Nemetskiy“, ein Deutscher vor ihm stand, konnte der Fragesteller noch etwas anfangen. Aber dem Begriff „Priester“ war der junge Russe noch nie begegnet: ganz ein Sohn seiner sozialistischen Erziehung. So entspann sich zwischen beiden ein Gespräch über jenen Mann aus Nazareth, der vom Frieden und der Versöhnung der Menschen redete, von einem Vater im Himmel, von seiner Hinrichtung durch die römische Besatzungsmacht und vom Heiligen Geist Gottes, den er den Menschen nach seiner Auferstehung geschenkt hatte, und dass sein Vermächtnis in der Kirche fortbestehe. Bei den Worten Frieden, Gerechtigkeit und Völkerverständigung wurde es zunehmend nachdenklich und still, bis der Russe seine Worte wiederfand und sagte: „Wenn das alles stimmt, was Du mir da erzählst – dann will ich auch ein Christ sein!“ Der Segen über das zum Verkauf vorgesehene Mineralwasser war schnell gesprochen. „Ich taufe Dich, im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Während der eine seinen Rausch ausschlief, wurde der andere ein weiteres Glied jener weltweiten Gemeinschaft derer, die Jesus Christus als den eigentlichen und wahren König der Welt bekennen. Ich brauche nicht eigens zu erwähnen, dass Matthias Kühn mir dieses Ereignis mit Tränen in den Augen erzählte. „Mission“ ist in den Ohren vieler Menschen ein fragwürdiger, wenn nicht verpönter Begriff geworden. Sie konnotieren ihn mit Zwang und Überfremdung, Freiheitsberaubung und Proselytenmacherei. Dies erinnert mich an eine Feststellung, die ich im Priesterseminar einmal in ein Thesenpapier zur Kindertaufe geschrieben habe: Das eigentliche Problem ist nicht die Taufe von Unmündigen, sondern die Unmündigkeit der Getauften. Wer sich im Blick auf sein eigenes Getauftsein nur bei den Skandalen aufhält, die sich im Lauf der Geschichte im Kontext des Christentums ereigneten – und die gab und gibt es ja! –, die oder der wird zunehmend blind für die befreiende und...