E-Book, Deutsch, 200 Seiten, Format (B × H): 155 mm x 223 mm
Scarpaleggia Die andere Hälfte
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-03810-457-5
Verlag: NZZ Libro
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Frauen fördern für eine starke Wirtschaft
E-Book, Deutsch, 200 Seiten, Format (B × H): 155 mm x 223 mm
ISBN: 978-3-03810-457-5
Verlag: NZZ Libro
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Frauen machen die Hälfte der Weltbevölkerung aus, ihr Zugang zu Ausbildung und zur globalen Arbeitswelt ist eine der Revolutionen unserer Zeit. Das Potenzial der Frauen nutzen, gemischte Arbeitsteams bilden und die Fähigkeiten beider Geschlechter fördern – Simona Scarpaleggia, Geschäftsführerin von IKEA Schweiz, zeigt, wie das geht. Entscheidend sind ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis, gleicher Lohn und gleiche Chancen auf sämtlichen Unternehmensstufen und das Wichtigste: eine integrative Unternehmenskultur. Nur so lässt sich die Erkenntnis, dass die Wirtschaft starke Frauen braucht, in nachhaltigen unternehmerischen Erfolg ummünzen. Und deshalb auch in einen bleibenden Gewinn für die Gesellschaft. Für ihr praxisorientiertes Buch schöpft die Autorin aus ihrer eigenen Erfahrung. Sie schildert Fallbeispiele, zieht aktuellste Forschungsergebnisse bei und lässt sechs Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik zu Wort kommen.
Interviews mit:
– Gudrun Sander, Universität St. Gallen
– Guido Schilling, Executive Searcher
– Sergio Ermotti, UBS
– Jeanette Söderberg, Coach
– Luis Guillermo Solis, Präsident von Costa Rica 2014–2018
– Natascha Schill, Vizepräsidentin Project and Alliance Management, Neurimmune
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DER AKTUELLE STAND:
ES IST NOCH VIEL ZU TUN
Wir leben in einer Welt, deren Natur von Unterschieden bestimmt ist. Man könnte sogar sagen, dass Diversität für das Überleben der Welt unverzichtbar ist. Und doch ist die Ungleichheit zwischen den Menschen eines der grössten gesellschaftlichen Probleme. Das Problem der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern toppt sie noch, da diese ganze 50 Prozent der Weltbevölkerung betrifft – die Frauen. Werfen wir doch einen kurzen Blick darauf, wie deren aktuelle Situation aussieht. Die Hälfte der Weltbevölkerung ist weiblich, und über ein Drittel der Frauen ist täglich mit Gewalt, Unterdrückung und Ungerechtigkeit konfrontiert. Nur eine von zwei Frauen, die über 15 Jahre alt sind, hat Zugang zur Arbeitswelt.1 Diese Frauen wiederum erhalten für die gleiche Arbeit bis zu 30 Prozent weniger Lohn als Männer.2 Und von allen arbeitenden Frauen haben nur 4 Prozent eine Führungsposition inne.3 Dazu kommt, dass über 75 Prozent der unbezahlten Arbeit auf dieser Welt von Frauen geleistet werden. Mehr als 1,1 Milliarden Frauen haben nicht einmal ein eigenes Bankkonto. Und über 40 Prozent der Frauen und Mädchen weltweit sind vom Finanzsystem ausgeschlossen.4 Wohin wir auch schauen, bleiben Frauen hinter ihren Möglichkeiten zurück. Sicher ist, dass sich die Welt in einem Tempo wandelt wie nie zuvor in der Geschichte. Doch was die Stärkung von Frauen angeht, vollzieht sich der Wandel immer noch nicht schnell genug. Trotz der zahlreichen Verbesserungen, die in vielen Bereichen erzielt wurden, fällt der Fortschritt einfach zu langsam aus. Als das Weltwirtschaftsforum (WEF) 2017 seinen Global Gender Gap Report5 veröffentlichte, sandte dies Schockwellen durch die Gesellschaft. Statt weiter auf dem Pfad der allmählichen Verbesserung voranzuschreiten, die seit 2006 weltweit beobachtet wird, hatte sich der Gendergap seit dem letzten Bericht von 2016 vergrössert: von 31,7 auf 32 Prozent. Und dies betraf alle vier Bereiche der Studie: Zugang zu Bildung, Gesundheit und Lebenserwartung, wirtschaftliche Chancen und politische Teilhabe. So kam der stetige Fortschritt des letzten Jahrzehnts zum Erliegen. Wir hatten also Terrain verloren, das von uns bereits hart erkämpft war. Dabei hatten sich schon die damaligen Fortschritte viel zu langsam eingestellt. Berechnungen zeigten, dass es jetzt nicht mehr 170 Jahre dauern würde, bis man von einer Schliessung des Gendergap ausgehen könnte, sondern 217 ! Der kürzlich veröffentlichte Global Gender Gap Report 2018 bestätigt, dass die Situation immer noch nicht als gut bezeichnet werden kann. Es kam nur zu marginalen Verbesserungen gegenüber 2017.6 Wir gehen immer noch von einem Gendergap von durchschnittlich 32 Prozent aus – was bedeutet, dass wir die ökonomische Kluft zwischen den Geschlechtern erst in 202 Jahren geschlossen hätten. Der Report zeigt allerdings auch einige interessante Verbesserungen in Ländern, in denen die nächste Generation von Frauen in ihren Bereichen Führungsrollen einnimmt. Sie sind bereit, für weitere Verbesserungen zu kämpfen, was bedeuten würde, dass die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern schneller beseitigt wäre. Der Bericht weist auch darauf hin, dass es «zum Auftreten neuer Gendergaps im Bereich höherer Technologie kommen könne, zum Beispiel im Bereich der Künstlichen Intelligenz. In einer Zeit, in der menschliche Fähigkeiten immer wichtiger werden und gleichberechtigt an die Seite der Technologie treten, kann sich die Welt nicht erlauben, auf Gebieten, in denen Talente Mangelware sind, auf die Begabung der Frauen zu verzichten.» Die folgende Statistik zeigt, warum das so ist. Wenn wir uns mit der Rolle der Frauen in Führungspositionen im Privatsektor befassen, stellen wir fest, dass 2018 weniger als ein Viertel der Positionen im Senior Management (24 Prozent) von Frauen besetzt waren, was im Vergleich zu 2017 ein Minus von 1 Prozent darstellt. Andererseits hatten 2018 75 Prozent der Unternehmen wenigstens eine Frau im höheren Management. 2017 lag diese Zahl noch bei 66 Prozent.7 Allerdings ist in mehr als einem Drittel (35 Prozent) der Unternehmen weltweit keine einzige Frau im höheren Management anzutreffen, in welcher Position auch immer. Und noch eine interessante Zahl: Die Statistiken zeigen, dass 2017 nur 28,9 Prozent der Minister weltweit weiblich waren.8 Die globalen Zahlen belegen also, wie weit die Kluft zwischen den Geschlechtern tatsächlich auseinanderklafft und wie viele Ressourcen dadurch verschwendet werden. Und doch haben Regierungen, Unternehmen und Einzelpersonen immer noch Probleme, das Potenzial zu erkennen, das in den Frauen schlummert. Immer wieder hören wir dazu überzeugende Stellungnahmen und exemplarische (wenn auch sehr allgemeine) Ansagen im Hinblick auf mögliche Veränderungen. Doch nur selten folgen ihnen konkrete Aktionen, die den Alltag der Betroffenen verbessern würden. Die Frage, die uns auf den Nägeln brennen sollte, lautet also: Warum ist das so ? Unsere Gesellschaft wird seit Menschengedenken von einem patriarchalischen System beherrscht, das sich in einigen Ecken der Welt bis heute gehalten hat. Greifen wir ein paar Beispiele aus der Geschichte heraus. 1500 Jahre v. Chr. kleidete sich Hatschepsut, eine der ersten Pharaoninnen Ägyptens und eine geniale Herrscherin, wie ein Mann. Sie glaubte, sie müsse das tun, um akzeptiert zu werden – und zwar nicht nur von ihrem eigenen Volk, sondern von künftigen Historikern. Auch in der Welt der griechischen Mythen und Heldensagen, die die Archetypen des westlichen Denkens auf Jahrhunderte hinaus beeinflussen sollten, findet sich das patriarchalische Prinzip. Ein Beispiel dafür ist die Geschichte der Kassandra, die die Täuschung durch das Trojanische Pferd und den Fall der Stadt vorhersagte. Leider glaubte man ihr nicht, weil sie eine Frau war. Aber wir müssen gar nicht so weit in die Geschichte zurückgehen: Zahlreiche begabte Autorinnen – wie George Sand (Geburtsname Amantine Aurore Lucile Dupin) und Emily Brontë (die ihre Bücher als «Ellis Bell» herausbrachte) – begannen ihre Karriere als Schriftstellerinnen unter einem männlichen Pseudonym. Denken wir nur an Florence Nightingale, die sich gegen ihre ganze Familie zur Wehr setzen musste, weil man sie lieber als gut verheiratete Dame der Gesellschaft sehen wollte. Stattdessen wurde sie zur Sozialreformerin, zur Begründerin der modernen Krankenpflege und zur Ikone des Viktorianischen Zeitalters. Diese Liste liesse sich endlos fortführen. Es gibt Millionen mutiger Frauen, deren unspektakuläres Leben von Diskriminierung, Verfolgung und Leid geprägt war. Dazu gehören zum Beispiel qualifizierte weibliche Angestellte, die in den meisten entwickelten Ländern deutlich weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen, obwohl sie dieselbe Arbeit tun; aber auch Hausfrauen aus der Mittelschicht, die in einigen Ländern zur Armut verdammt sind, wenn sie Witwe werden, weil das Gesetz ihnen kein Besitz- und kein Erbrecht zugesteht. Oder die Mädchen, die man zur Kinderehe zwingt und auf diese Weise von jeglicher Ausbildung abhält, die sich aber trotzdem gegenseitig unterstützen und sich dafür einsetzen, dass es wenigstens ihren Töchtern einmal besser geht. Patriarchalische, von Männern dominierte Prinzipien beeinflussen also seit Anbeginn der Zeit das Verhältnis zwischen Männern und Frauen. Ganze Zivilisationen – ihre Könige und Königinnen, Politiker und Unternehmensführer – haben zugelassen, dass diese inakzeptablen Bedingungen bestehen blieben. Und so blieben diese Prinzipien unangetastet bis vor etwa hundert Jahren (und selbst dies ist fraglich). Jetzt aber ist die Zeit für einen Paradigmenwechsel gekommen. Wenn wir die Probleme der Welt lösen wollen, dann ist es meiner Meinung nach unabdingbar, dass männliche Qualitäten wie Eroberung und Kontrolle unbedingt um Eigenschaften wie Solidarität und Fürsorge ergänzt werden müssen, die die Frauen verstärkt mit ins Spiel bringen. Leider gelten diese Eigenschaften wenig in den Augen von Regierungen, Institutionen, Unternehmen und Einzelpersonen, sodass Frauen sich gedrängt fühlen, sie zu unterdrücken. Wenn ehrgeizige Frauen am Arbeitsplatz Erfolg haben wollen, sehen sie häufig keine andere Möglichkeit, als männliches Verhalten nachzuahmen. Viele Menschen denken, dass derlei längst der Vergangenheit angehört. Doch ist uns diese Mimikry mittlerweile so zur Gewohnheit geworden, dass die jüngere Generation der Frauen nicht einmal mehr merkt, dass sie sich an diese Verhaltensmuster anpasst. FRAUEN SIND ANDERS – GERADE DESHALB BRAUCHEN WIR SIE IN DEN UNTERNEHMEN
In der Vergangenheit wurde es sogar eher akzeptiert, dass Frauen anders arbeiten, andere Prioritäten, Stärken, Schwächen und Führungsstile haben. In letzter Zeit allerdings begann man im männlich dominierten Arbeitsumfeld die Vorstellung, dass Frauen ergänzende Qualitäten haben könnten – also eher aufgeschlossen, integrativ, fürsorglich und intuitiv arbeiten –, zunehmend als Klischee zu betrachten. Das moderne Bildungssystem hat mehr und mehr Programme entwickelt, die bei beiden Geschlechtern nur die Schulung des Intellekts fördern. Und Frauen können da absolut mithalten, wie die Statistik beweist. Was aber wird aus den anderen Faktoren, die man als Soft Skills kennt ? Viele dieser Eigenschaften werden mittlerweile als Schwächen betrachtet. Heute aber ist es an der Zeit, dass Frauen Farbe bekennen und sich zu Weltbürgerinnen entwickeln. Eine jüngere Studie der privaten Wirtschaftshochschule INSEAD beschäftigt sich mit den Fähigkeiten, die nötig...