E-Book, Deutsch, 213 Seiten
Schelsky Systemüberwindung, Demokratisierung und Gewaltenteilung
Ungekürzte und kommentierte Wiederauflage der 1973 erschienen Erstausgabe
ISBN: 978-3-907347-42-3
Verlag: Weltbuch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Grundsatzkonflikte der Bundesrepublik Deutschland
E-Book, Deutsch, 213 Seiten
ISBN: 978-3-907347-42-3
Verlag: Weltbuch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Vor etwas mehr als fünfzig Jahren erschien das vorliegende Buch von Helmut Schelsky 'Systemüberwindung, Demokratisierung und Gewaltenteilung'. Es ist eine Sammlung von Aufsätzen eines der renommiertesten westdeutschen Soziologen in den ersten Jahrzehnten der alten Bundesrepublik. Dieses Werk ist einer der wenigen politischen Schriften, die zwar in ihrer jeweiligen Zeit für diese Zeit geschrieben wurden, aber die über ihre Zeit hinaus von Bedeutung sind oder bei denen die politische Bedeutung in einer späteren Zeit sogar noch größer ist als zuvor. Heute werden wir vor den vorläufigen Ergebnissen der von Professor Schelsky vorhergesehenen Systemüberwindung konfrontiert. Im Zentrum des Buches steht der Artikel 'Die Strategie der 'Systemüberwindung' - Der lange Marsch durch die Institutionen'. Dieser Beitrag war von Schelsky bereits zwei Jahre zuvor, nämlich 1971, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht worden. Schelsky muss von der enormen Wirkung seines Artikels überrascht gewesen sein, so dass er sich entschied, ihn in einem eigenen Buch zu veröffentlichen. Seine Schrift fand bereits vor seiner Veröffentlichung als Buch eine Verbreitung von über eine Million Exemplaren. Sie wurde Pflichtlektüre in Ministerien, im Bundesamt für Verfassungsschutz und bei Offizieren der Bundeswehr, etc. Die politische Linke versuchte Schelsky zu ignorieren und reagierte erwartungsgemäß diffamierend. Wir werden sehen, welche Wirkung die Wiederauflage dieser Schriften hat, nun erweitert mit einer Einführung des ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes (2012 - 2018) und Vorsitzenden der WerteUnion, Dr. Hans-Georg Maaßen.
Helmut Wilhelm Friedrich Schelsky (* 14.10.1912 in Chemnitz; ? 24.02.1984 in Münster) gilt als der erfolg- und einflussreichste Soziologe der frühen Bundesrepublik. Sozialisiert wurde er in der Weimarer Republik und später im Nationalsozialismus. Dem anfänglich starken Engagement in dieser Zeit und dem Erklimmen der ersten Stufen der akademischen Karriereleiter folgten Desillusionierung und die Teilnahme an den Kämpfen an der Ostfront. Nach 1945 verabschiedete sich Schelsky von jedwedem Idealismus und entwickelte sich als geläuterter Demokrat zum nüchternen, sachlichen Begleiter der jungen Bundesrepublik. Helmut Schelsky - mal als neokonservativ, mal als progressiv bezeichnet - wurde mit seinen Veröffentlichungen zu aktuellen Problemen der Bundesrepublik zum 'Stichwortgeber des Zeitgeistes' (Ludolf Hermann). Zu nennen sind insbesondere seine Werke: 'Wandlungen der deutschen Familie in der Gegenwart' (1953), 'Soziologie der Sexualität' (1955) und 'Die skeptische Generation. Eine Soziologie der deutschen Jugend' (1957). Mit der Berufung auf eine Soziologieprofessur an der Universität Münster wandte sich Schelsky verstärkt hochschul- und bildungspolitischen Themen zu. Seiner Antrittsvorlesung, dem 'Kirchenvater der deutschen Universität', Wilhelm von Humboldt, gewidmet, folgte mit dem FAZ-Artikel 'Wie gründet man Universitäten' im Oktober 1961 erstmals eine auch in die Zukunft gerichtete Analyse der Hochschulgründungen in Westdeutschland. Mit 'Einsamkeit und Freiheit. Idee und Gestalt der deutschen Universität und ihrer Reformen' legte Schelsky 1963 ein grundlegendes Werk über die seiner Meinung nach noch immer gültigen Humboldt'schen Bildungsideale und die Notwendigkeit höchstrangiger interdisziplinärer Forschungsinstitutionen vor und entwarf das Bild einer 'theoretischen Universität', in der die Grundkonzeption der Bielefelder Reformuniversität schon zu erkennen war. Der Schritt zum 'Hochschulreformer auf eigene Faust' war nun nicht mehr weit. Am 9. März 1965 wurde Schelsky offiziell von Landeskultusminister Prof. Dr. Paul Mikat mit der Planung der ostwestfälischen Universität beauftragt. © Universitätsarchiv der Universität Bielefeld Diese Biografie sowie weitere Informationen und Dokumente über den Autor finden Sie unter: https://www.uni-bielefeld.de/uni/universitaetsarchiv/oeffentlichkeitsarbeit/ausstellungen/Kapitel-3_UABI_Schelsky.pdf
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Vorwort
Die hier im Buchzusammenhang vorgelegten Abhandlungen sind zumeist in Zeitungen als aktuelle politische Beiträge erschienen. Sie verbindet die Absicht des Verfassers, den politischen Zustand der Bundesrepublik Deutschland auf seine grundsätzlichen gegenwärtigen Konflikte hin zu untersuchen, die als schädlich erkannten und beurteilten Entwicklungen zu kritisieren und die nach dem so begründeten politischen Urteil notwendigen Gegenmaßnahmen und politischen Aufgaben zu verdeutlichen. Diese Beiträge sind also als politische Schriften in verschiedener Hinsicht anzusehen: Sie fällen politische Werturteile, versuchen allerdings deren Grundlagen durch sozialwissenschaftliche Analyse und durch Angabe der Wertmaßstäbe zu begründen, d. h., sie sind "wertrationale" Aussagen im Sinne Max Webers. Sie sind auf aktuelle politische Situationen in der Bundesrepublik Deutschland bezogen, aus ihnen heraus entstanden und leben zumindest in den politischen Beispielen von dieser Situationsgebundenheit. Allerdings versuche ich, jeweils grundsätzliche politische oder soziale Tatbestände und Normen zur Aufklärung und zum Beurteilungsmaßstab der vorgegebenen aktuellen Situation zu verwenden. Die Tatsache, dass einige dieser Abhandlungen eine von mir keineswegs beabsichtigte Wirkung auch in anderen westlichen Gesellschaften außerhalb der Bundesrepublik gefunden haben, scheint mir zu belegen, dass ich hier Grundsatzkonflikte verdeutlicht habe, die sich keineswegs auf die aktuelle politische Lage der Bundesrepublik allein beziehen. Die Texte versuchen schließlich, den Gedankengang allgemein verständlich und mit Rücksicht auf die an das soziologische Fach nicht gewöhnte Leserschaft, an die sie sich wenden, darzustellen. Dies führt nicht nur dazu, dass ich Tatbestände unter wissenschaftlichem Unterscheidungsanspruch vielleicht über die Gebühr vereinfache, es bedingt auch, dass ich gewisse soziologische Einsichten, die in Fachkreisen bekannt sind, zur Erläuterung für Nichtfachleute erklärend mitliefern will. Diese schriftstellerischen Ansprüche an mich selbst erzeugen unvermeidbar den Anschein sozialwissenschaftlicher Naivität in meinem Gedankengang, ein Vorwurf, der mich nicht schreckt, den ich aber einmal auf diejenigen zurückwenden möchte, die niemals den Versuch gemacht haben, sozialwissenschaftliche Einsichten ohne den Problemschutz und die Tiefsinnigkeitsvorgabe einer in ihrem verengten Bereich der Facherörterung gängigen Fachsprache und Begriffsherrschaft an fachfremde, an der Sache selbst aber geistig und existentiell in hohem Maße beteiligte Leser zu vermitteln. Diese Argumentation rechtfertigt es, auf einige Einwände einzugehen, die mir gegen meine hier vorgelegten Veröffentlichungen publizistisch oder in anderer Form gemacht worden sind. Ich möchte sie in zwei Gruppen, in fachwissenschaftlich-soziologische und in politisch-psychologische Vorwürfe, aufteilen. Die erste Gruppe der Einwände zielt darauf, dass ich die erforderliche wissenschaftliche Unterscheidungsfähigkeit über die geschichtlichen Verschiedenheiten des Demokratieverständnisses oder anderer behandelter sozialer und politischer Tatbestände, wie z. B. in der Gruppenabgrenzung der "Systemüberwinder", vermissen lasse. Dazu ist zu sagen, dass der alte scholastische Erkenntnisgrundsatz, "man müsse unterscheiden", praktisch gegenüber jeder Aussage kritisch Recht hat. Er führt aber in seiner konsequenten Verfolgung dazu, dass immer wenigere über immer weniger etwas wissen, d. h. zu eben jener scholastischen Selbstbefriedigung der Wissenschaft mit Eigenproblemen, die dann die Rückübersetzung ihrer Einsichten in die Praxis jeder Art, insbesondere die politische, derart verliert und aufgibt, dass dieses Feld von den ideologischen "schrecklichen Vereinfachern" besetzt wird. Dies entspricht nicht meiner Auffassung von der gesellschaftlichen Rolle der Soziologie. Selbstverständlich hat dieses Fach die Aufgabe, theoretischbegriffliche Systeme der Gesellschaft in hohen Unerscheidungsgraden und damit fachgebundenen Detailproblematiken zu entwickeln, selbstverständlich gehört zu seinen Aufgaben als einer auch empirischen Wissenschaft die operational begrenzte Untersuchung von sozialen Tatbeständen des vorhandenen (und historischen) Gesellschaftssystems, aber damit scheint mir seine öffentliche Aufgabe nicht erschöpft zu sein: Seit ihrem geistesgeschichtlichen Ursprung hat sich die Soziologie als "Gegenwartswissenschaft" verstanden, d. h., sie hat die Aufgabe übernommen, über ihre wissenschaftsinternen Einsichten hinaus Orientierungsrahmen für das soziale und politische Handeln auch denen zu vermitteln, die in einer Gesellschaft die "Handelnden" und nicht nur die "Erkennenden" sind. Ohne diese Voraussetzung wären alle Klassiker der Soziologie des 19. und 20. Jahrhunderts unverständlich. Indem ich an dieser grundlegenden Aufgabe der Soziologie festhalte, kann ich auch Absicht und Stellung der hier vorgelegten Beiträge "wissenschaftsreflexionskritisch" orten. In diesen Abhandlungen ist keine Erweiterung oder gar Grundlegung der systematisch-begrifflichen Aufgabe der Soziologie beabsichtigt. Was an grundsätzlichen Erkenntnissen der Sozialwissenschaften, Soziologie oder Politikwissenschaft hier ins Spiel gebracht wird, ist den Fachleuten längst bekannt. Allerdings ist dieser Feststellung hinzuzufügen, dass grundsätzlich neue Gedanken in der Soziologie äußerst selten sind; im Grunde genommen lebt sie theoretisch von den Einfällen und den Erleuchtungen der philosophischen Denker der letzten zwei Jahrhunderte, eine Einsicht, die nur durch die tiefe geschichtliche Umbildung den modernen Soziologen versperrt wird. In den vier Jahrzehnten, die ich als Soziologe wissenschaftlich arbeite, würde ich im deutschen Sprachraum höchstens zwei bis drei Autoren nennen können, die als einigermaßen schöpferische Theoretiker der Soziologie anzuerkennen wären (obwohl gerade bei ihnen die geschichtliche Abkunft von ihnen selbst immer wieder betont wird); alles andere ist (mich eingeschlossen) Neuarrangement längst vorhandener theoretischphilosophischer Einsichten. Etwas anders steht es mit der Aufgabe der Soziologie als empirischer Wissenschaft: Obwohl heute leider die von der historischen Schule der Nationalökonomie und Max Weber begründete geschichtliche Empirie der Sozialwissenschaft weitgehend vernachlässigt und einer selektiven ideologischen Geschichtsdeutung und einer praktisch mit der Soziologie kaum noch Kontakt findenden Sozialgeschichte überlassen worden ist, hat gleichwohl eine gegenwartsgebundene empirische Soziologie, insbesondere unter dem Einfluss der US-amerikanischen soziologischen Forschung, zur empirischen Tatbestandsanalyse unserer gegenwärtigen Gesellschaft in hohem Maße beigetragen. Ihre praktischen Auswirkungen sind heute schwer zu beurteilen, werden aber wahrscheinlich zur Zeit unterschätzt. Ich selbst glaube meinen Beitrag zu dieser empirischen soziologischen Analyse der westdeutschen Gesellschaft geleistet zu haben, anerkenne aber das Veralten solcher immer momentanen empirischen Erhebungen und verstehe, dass der Reiz, den diese zeitgebundene Empirie nach 1948 hatte, als bei unbezweifelbar vorgegebenen politischen Zielen – Demokratisierung und Wiederaufbau einer freien westdeutschen Gesellschaft – die empirische Entdeckung ganzer seit Jahrzehnten ideologisch abgeschirmter und verfälschter Tatbestandsfelder zu einem intellektuellen Erlebnis wurde, heute unter außenpolitisch und parteipolitisch vorgegebenen, sozioökonomisch nur noch reproduzierenden Sachgesetzlichkeiten keinen jüngeren Soziologen mehr bewegt. Um so entschiedener beanspruche ich das Recht des Soziologen, ohne Rücksicht auf fachinterne theoretische oder empirische Perfektionskriterien politisch handlungsorientierende Überlegungen einer allgemeinen Leserschaft in einer Situation vortragen zu können, die offensichtlich ähnliche Grundsatzentscheidungen erforderlich macht, wie sie in den Jahren der politisch-sozialen Neuorientierung der Bundesrepublik zwischen 1945 und 1948 gefallen sind. Die zweite Gruppe der Einwände gegen diese Veröffentlichungen lässt sich als politisch-sozialpsychologische Kritiken zusammenfassen; sie beginnen mit dem Vorwurf, dass ich demagogisch argumentiere und wie Carl Schmitt einen "Gegensatz zwischen Demokratie und Gewaltenteilung konstruiere" (so Christian Graf von Krockow in der "Zeit" vom 23.2.1973), gewichtiger in den Einwänden, dass ich mit diesen Analysen eine kritische Situation schaffen helfe, die als solche noch gar nicht bestehe, also politische Angst und Krisenbewusstsein erzeuge und verstärke, so dass eine politisch vernünftige oder praktisch erfolgreiche Lösung der angesprochenen Spannungen eher erschwert als erleichtert würde. Der zuerst genannte Einwand ist leicht zu widerlegen: Die Grundabsicht aller dieser Beiträge ist eindeutig der Versuch, "Demagogie" abzuwehren und aufzudecken, auch in ihren modernen, wissenschaftsgetarnten Formen; ich habe sowohl dem Inhalt nach wie an entscheidenden Stellen wortwörtlich darauf hingewiesen, dass ich die parlamentarische Mehrparteiendemokratie, wie sie in der Bundesrepublik vorhanden ist, uneingeschränkt bejahe, ja mit meinen Beiträgen gerade vor der typischen Entartung durch Demokratie-Perfektionismus schützen will. Wenn ich herausarbeite, dass die funktionierende Demokratie darauf angewiesen ist, dass verfassungsrechtlich nicht kodifizierte Werte anerkannt und befolgt werden und ihre systematische "Umwertung" unter dem Kommando der "Systemüberwindung" die demokratische Ordnung mehr gefährdet als offene Gesetzesbrüche, die taktisch-formal vermieden werden, und wenn ich die...