Schiepek / Strunk Therapeutisches Chaos
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8409-2497-2
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Realistische Einblicke in die Komplexität menschlichen Verhaltens
E-Book, Deutsch, 155 Seiten
Reihe: Systemische Praxis
ISBN: 978-3-8409-2497-2
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
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1;Therapeutisches Chaos;1
2;Inhaltsverzeichnis;7
3;1 Einleitung;9
4;2 Eine Landkarte fu¨r die Komplexität;11
5;3 Verstärken, Regulieren und Mischen;16
5.1;3.1 Was Systeme sind und wie man ihr Verhalten erfasst;16
5.2;3.2 Geschichten als lineale Ereignisabfolgen;21
5.3;3.3 Teuflische Explosivität in Verstärkungsschleifen;24
5.4;3.4 Regelkreise: Systeme, in denen sich die Kräfte von selbst ausgleichen;28
5.5;3.5 Wenn das Vorzeichen wechselt – Diskontinuität des Feedbacks;32
5.6;3.6 Von schnellen und langsamen Prozessen;34
5.7;3.7 Ist das Ganze die Summe seiner Teile?;35
5.8;3.8 Systemdenken – Denken in Zusammenhängen;36
5.9;3.9 Nun wird es komplex;52
6;4 Merkmale des Komplexen;66
6.1;4.1 Muster des Lebendigen;66
6.2;4.2 Musterhaftigkeit, Organisation und Ordnung;69
6.3;4.3 Komplexität, Schmetterlingseffekt und fehlende Periodik;80
6.4;4.4 Wie der Schmetterling die Therapie verändert;84
7;5 Psychotherapeutische Veränderung als Ordnungsu¨bergang;87
7.1;5.1 Synergetik – die Theorie der Ordnungsu¨bergänge;87
7.2;5.2 Kugelschieben versus Landschaftsgestaltung;94
7.3;5.3 Therapie vor, während und nach einem Ordnungsu¨bergang;102
8;6 Alles nur bunte Theorie?;110
8.1;6.1 Systemmodelle und Simulationsstudien;112
8.2;6.2 Organisierte Komplexität in der therapeutischen Beziehung;120
8.3;6.3 Die Inhomogenität von psychotherapeutischen Prozessen;137
9;7 Schon Schluss?;141
10;Literatur;143
11;Sachregister;153
3.2 Geschichten als lineale Ereignisabfolgen Mit Recht kann man behaupten, dass der Mensch erst durch seine „Geschichten“ zum Menschen wird . Nicht nur erzählen Menschen gerne, sie erfinden sich und ihre Umwelt in ihren Geschichten, ordnen sich selbst und ihr Tun in einen Kontext ein und verorten sich so in ihrem sozialen Raum . Daher haben in wohl allen Psychotherapieschulen Fallgeschichten eine große Bedeutung und nimmt die Arbeit mit den Geschichten der Klientinnen und Klienten einen breiten Raum ein – so etwa in den narrativen Ansätzen der Systemischen Therapie (Anderson & Goolishian, 1990; Grossmann, 2000) . Eine Fallgeschichte berichtet als komprimierte Erzählung über aktuelle Lebensumstände, Problemlagen, Vorgeschichten (Anamnese) und – falls die therapeutische Arbeit bereits abgeschlossen ist – auch über diese hinaus (Katamnese) . Aus der Perspektive qualitativ orientierter Systemtheorien der Kybernetik 2 . Ordnung sind solche Narrationen im sozialen Diskurs verhandelbare Konstruktionen, so dass Therapien oft alternative Deutungen anbieten und die vermeintliche Ausweglosigkeit von Problemgeschichten hinterfragen (de Shazer, 1992) .
Zentral erscheint uns in diesem Zusammenhang die Auflösung typisch linealer Erzählmuster . Meist beginnen Erzählungen in der Vergangenheit und der Erzählfluss wird durch die vergehende Zeit in eine Verlaufsrichtung kanalisiert . Wer kennt nicht die Aufgabe aus der Grundschulzeit, bei der es darum geht, eine durcheinander geratene Bildergeschichte „richtig“, das heißt zeitlich zu ordnen . Geschichten mit Zeitsprüngen und Rückblenden sind relativ neue Formen des Erzählens und nicht selten intellektuell und emotional weit anspruchsvoller als die normal-geradlinige Erzählung, die wir aus Märchen, der Bibel oder im Alltag kennen . Eine lineal-geradlinige Erzählung entwickelt einen starken Sog ins Faktische: Ereignisse, die zeitlich aufeinander folgen, entsprechen unserer Vorstellung von der natürlichen Ordnung der Dinge . Für viele Klientinnen und Klienten ist es evident und nicht diskutierbar, dass ihre Problemgeschichte bereits in früher Kindheit begann und die vermeintlichen Leiden der Kindheit sowohl Tatsachen darstellen als auch ursächlich für heutige Probleme sind . Man vergleiche dazu das idiografische Systemmodell der anorektischen Klientin, welches wir in Abbildung 4 in fünf Schritten vorgestellt haben . Eine andere Erzählreihenfolge wäre ebenso möglich gewesen und hätte eventuell zu einem ganz anderen Eindruck über die Rolle der Eltern geführt . Die häufig kreiskausalen Rekursionsschleifen und vielfältigen Rückkoppelungen in Systemdarstellungen machen deutlich, dass man die Erzählfolge auch anders durchlaufen und damit Zusammenhänge in unterschiedlicher Weise konstruieren könnte, was fast zwangsläufig zu alternativen Sichtweisen und „kognitiven Umstrukturierungen“ führt . Freud zum Beispiel hat mitunter hinterfragt, ob die Kindheitsberichte seiner Klientinnen und Klienten reale Erinnerungen seien . Es könnte sich ebenso gut um Projektionen heutiger Probleme in die Vergangenheit handeln, mit dem Ziel, die als natürlich erlebte zeitliche Ordnung des Ereignisstroms einzuhalten . Lineale, also geradlinige Ereignisfolgen (siehe das Beispiel in Abb . 5) orientieren sich am Lauf der Zeit und ordnen Ereignisse nach Ursache und Wirkung, so dass die Ursache immer vor der Wirkung geschieht .