E-Book, Deutsch, 217 Seiten
Schindler / Krog / Reiner Integrierte Versorgung bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-8444-2972-5
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein DBT-basierter Praxisleitfaden
E-Book, Deutsch, 217 Seiten
ISBN: 978-3-8444-2972-5
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) zeichnet sich durch ein komplexes, tiefgreifendes Muster von Instabilität in Selbstbild, Verhalten und Beziehungen der Betroffenen aus. Die Störung stellt eine massive Herausforderung für die Betroffenen, Angehörigen sowie Behandelnden dar. Vor allem für schwer kranke Patientinnen und Patienten fehlen ambulante Behandlungsmöglichkeiten, die der Komplexität der Störung gerecht werden und hinreichend „krisenfest“ sind. Obwohl die Behandlungsleitlinien explizit eine Komplexbehandlung im Sinne einer Integrierten Versorgung empfehlen, fehlten derartige Angebote bislang, so dass immer noch der größte Teil der in Deutschland für die BPS aufgewendeten Mittel in stationäre Kriseninterventionen fließt.
Die Integrierte Versorgung (IV) – Borderline setzt nun die Leitlinienempfehlung in ein auf der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT)-basierendes, multimodales, langfristig angelegtes und störungsspezifisches Behandlungskonzept um. Vordringliche Ziele sind die Förderung einer funktionalen Selbstregulation, die Verbesserung der Lebensqualität, der Abbau selbstschädigenden Verhaltens und die Reduktion stationärer Kriseninterventionen. Zentrales Element ist ein ambulantes, interdisziplinäres IV-Kernteam, das in einem psychiatrischen Krankenhaus mit regionalem Versorgungsauftrag arbeitet und dessen Strukturen nutzt. Inhaltlich arbeitet dieses Team als DBT-Team. Es bietet DBT-Einzel- und Gruppentherapie, Krisenintervention, Psychopharmakotherapie und sozialpädagogische Unterstützung aus einer Hand. Ersten Evaluationsdaten zufolge scheint das Konzept in der Lage zu sein, schwer kranke BPS-Patientinnen und -Patienten weitestgehend ambulant erfolgreich zu behandeln. Es soll dazu beitragen, die bisherige Fragmentierung der Behandlungsangebote zu überwinden. Dieser Praxisleitfaden beschreibt erstmals detailliert die Strukturen und das therapeutische Vorgehen der Integrierten Versorgung – Borderline.
Zielgruppe
Ärztliche und Psychologische Psychotherapeut_innen, Fachärzte_innen für Psychiatrie und Psychotherapie, Fachärzt_innen für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Klinische Psycholog_innen, Psychologische Berater_innen, Sozialpädagog_innen, Sozialarbeiter_innen, Pflegekräfte, Studierende und Lehrende in der psychotherapeutischen Aus-, Fort- und Weiterbildung.
Autoren/Hrsg.
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|14|2 Borderline-Persönlichkeitsstörungen: Erscheinungsbild und Behandlungsmöglichkeiten
Als Grundlage für die Einführung des Konzeptes der Integrierten Versorgung-Borderline sollen im nachfolgenden Kapitel zunächst das klinische Erscheinungsbild sowie die diagnostischen Kriterien für die BPS beschrieben werden. Im weiteren Verlauf wird ein Überblick über das Vorkommen, Komorbiditäten und wichtige Problembereiche gegeben. Abschließend werden in diesem Kapitel die aktuell evidenzbasierten Behandlungskonzepte sowie Rahmenstrukturen erläutert und ein Überblick über erste Erfahrungen mit Integrierten Versorgungskonzepten gegeben. 2.1 Klinisches Bild und diagnostische Kriterien
Die Borderline Persönlichkeitsstörung (BPS) zeichnet sich durch ein komplexes, tiefgreifendes Muster von Instabilität und Dysregulation in den drei Kerndimensionen Beziehungen, Verhalten sowie Emotionen aus (Andión et al., 2011; American Psychiatric Association, 2013; Sanislow et al., 2002). Neben den in den Diagnosekriterien festgelegten Symptomen prägen Zustände hoher Anspannung sowie ein negatives Selbstbild das klinische Erscheinungsbild (Stiglmayr, Grathwol & Linehan 2005; Vater, Schröder-Abé, Weißgerber, Roepke & Schütz, 2015). In der aktuellen Auflage des „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“ (DSM-5) wird die BPS mit folgenden Kriterien definiert (APA, 2013; APA/Falkai et al., 2018): |15|Diagnostische Kriterien der Borderline-Persönlichkeitsstörung nach DSM-52 Ein tiefgreifendes Muster von Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und in den Affekten sowie von deutlicher Impulsivität. Der Beginn liegt im frühen Erwachsenenalter und das Muster zeigt sich in verschiedenen Situationen. Mindestens fünf der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein: Verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden. (Beachte: Hier werden keine suizidalen oder selbstverletzenden Handlungen berücksichtigt, die in Kriterium 5 enthalten sind.) Ein Muster instabiler und intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen, das durch einen Wechsel zwischen den Extremen der Idealisierung und Entwertung gekennzeichnet ist. Identitätsstörung: ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes oder der Selbstwahrnehmung. Impulsivität in mindestens zwei potenziell selbstschädigenden Bereichen (Geldausgaben, Sexualität, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, „Essanfälle“). (Beachte: Hier werden keine suizidalen oder selbstverletzenden Handlungen berücksichtigt, die in Kriterium 5 enthalten sind.) Wiederholte suizidale Handlungen, Selbstmordandeutungen oder -drohungen oder Selbstverletzungsverhalten. Affektive Instabilität infolge einer ausgeprägten Reaktivität der Stimmung (z.?B. hochgradige episodische Dysphorie, Reizbarkeit oder Angst, wobei diese Verstimmungen gewöhnlich einige Stunden und nur selten mehr als einige Tage andauern). Chronische Gefühle von Leere. Unangemessene, heftige Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu kontrollieren (z.?B. häufige Wutausbrüche, andauernde Wut, wiederholte körperliche Auseinandersetzungen). Vorübergehende, durch Belastungen ausgelöste paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziative Symptome. Eine alternative, überarbeitete Konzeption von Persönlichkeitsstörungen wird in einem Zusatzkapitel des DSM-5 angeboten; im hier vorgeschlagenen „Hybridmodell“ wird auf die ursprüngliche kategoriale zugunsten einer kategorial-dimensionalen Klassifikation verzichtet. Das Modell bedarf vor der Ablösung des aktuellen Konzeptes noch weiterer Forschung (Herpertz, 2011; Morey, Benson, Busch & Skodol, 2015). |16|In der 10. „Auflage des International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems“ (Dilling, Mombour & Schmidt, 2015; World Health Organization, 1993) wird die BPS als Emotional-instabile Persönlichkeitsstörung – Borderline-Typus bezeichnet. Daneben wird noch eine weitere Variante des Krankheitsbildes aufgeführt – beim impulsiven Subtypus steht die Störung der Impulskontrolle mit Neigung zu gewalttätigem und bedrohlichem Verhalten im klinischen Vordergrund. Kriterienkatalog der Emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung gemäß ICD-10 (F60.3) Eine Persönlichkeitsstörung mit deutlicher Tendenz, impulsiv zu handeln ohne Berücksichtigung von Konsequenzen, und mit wechselnder, instabiler Stimmung. Die Fähigkeit, vorauszuplanen, ist gering, und Ausbrüche intensiven Ärgers können oft zu explosiblem Verhalten führen; dieses Verhalten wird leicht ausgelöst, wenn von Anderen impulsive Handlungen kritisiert oder behindert werden. Zwei Erscheinungsformen dieser Persönlichkeitsstörung können näher beschrieben werden, bei beiden findet sich Impulsivität und mangelnde Selbstkontrolle. Ausschluss: dissoziale Persönlichkeit(sstörung) F60.2 F60.30 impulsiver Typ Die wesentlichen Charakterzüge sind emotionale Instabilität und mangelnde Impulskontrolle. Ausbrüche von gewalttätigem und bedrohlichem Verhalten sind häufig, vor allem bei Kritik durch andere. Dazugehörige Begriffe: aggressive Persönlichkeit(sstörung) reizbare (explosible) Persönlichkeit(sstörung) F60.31 Borderline-Typ Einige Kennzeichen emotionaler Instabilität sind vorhanden, zusätzlich sind oft das eigene Selbstbild, Ziele und „innere Präferenzen“ (einschließlich der sexuellen) unklar und gestört. Meist besteht ein chronisches Gefühl innerer Leere. Die Neigung zu intensiven, aber unbeständigen Beziehungen kann zu wiederholten emotionalen Krisen führen mit übermäßigen Anstrengungen, nicht verlassen zu werden, und mit Suizidandrohungen oder selbstschädigenden Handlungen (diese können auch ohne deutliche Auslöser vorkommen). Dazugehöriger Begriff: Borderline Persönlichkeit(sstörung) |17|In der in Kürze auf Deutsch erscheinenden 11. Auflage der ICD wird, angepasst an das DSM-5, die aktuell rein kategoriale Diagnostik in ein vorwiegend dimensionales Modell überführt und das Zeitkriterium geändert werden. So kann zukünftig eine BPS diagnostiziert werden, wenn die Beschwerden seit mindestens zwei Jahren bestehen – nicht mehr wie ursprünglich angenommen bei spätestem Beginn im frühen Erwachsenenalter. Es ist zurzeit noch schwer absehbar, wie sich die Diagnostik der Persönlichkeitsstörungen entwickeln wird. 2.2 Prävalenz, Morbidität und Mortalität
Für die BPS wird eine Punkt-Prävalenz von 0,8 bis 2 % angegeben, die Lebenszeitprävalenz liegt deutlich höher bei 2,7 bis 5,9 % (Grant et al., 2008; Tomko, Trull, Wood & Sher, 2014). Aktuell leiden demnach konservativ geschätzt etwa 662.000 der knapp 83 Millionen Bundesbürgerinnen an einer Borderline-Störung. Ausgehend von Daten in Italien erfüllt ein Drittel dieser Betroffenen die...