Schmatz Durchleuchtung
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-7099-7494-0
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein wilder Roman aus Danja und Franz
E-Book, Deutsch, 304 Seiten
ISBN: 978-3-7099-7494-0
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Künstlerroman - aber was für einer: die poetische Reise in die fragile Innenwelt einer Künstlerseele, die sich in einem kühnen Strom aus Beobachtung und Beschreibung, Träumen und inneren Dialogen verankert.
Da wird einer in die Röhre geschoben, bildlich und tatsächlich durchleuchtet und hinterfragt, und stellt sich selbst in Frage. Er, das ist Franz, der Künstler. Kontrapunkte setzen Professor Pokisa, der Arzt, und Danja, die Frau an Franz' Seite. Aber vielleicht ist sie ja auch nur ein Spiegelbild von Franz, eines, das ihm über die Brüche in seinem Dasein und Sosein hinweghilft, oder ist er eines von ihr?
Ferdinand Schmatz entwickelt in seinem "wilden Roman" ein schelmisches und hintergründiges Spiel um Bild und Idee, Beschreibung und Identität, umkreist grundlegende Fragen von menschlichem Sein und Schein, von Sprache und Kunst. Wie das alles ausgeleuchtet wird und in Franz gespiegelt, ergründet und ironisiert, wie das vielschichtig durcheinanderwirbelt in einem Sog aus Gegenwärtigem und Erinnertem, aus Essay und Erzählung, das macht den Reiz und die große Kunst dieses Romans aus.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Aufnahme
War da einer. Machte einer da was. Warum. Nämlich, warum meldete er sich zu Wort. Warum machte er das überhaupt, das, ja was. Er sagte was. Er sagte: Franz, ich heiße Franz – wie mein Vater, das sagte er aber nicht. Franz Soundso, ergänzte er, als er das Anmeldeformular im Spital ausfüllte. Die junge Frau hinter dem Schalter wartete weder geduldig noch ungeduldig. Sie blickte Franz an, fixierte ihn nicht, fragte ihn nichts und fragte sich nichts. Zunächst nichts. Er vermutete aber, sie dachte sich – etwa das: Wieder einer! Wie lange der wohl dableiben wird? Ob er überhaupt wieder rauskommt? Ob er überhaupt etwas hat, so wie der aussieht? Aber das glaubte nur Franz, dass sie glaubte, und wenn, dann an das vielleicht: an die Freiheit, vielleicht an die Unterdrückung, die hinter dem Glas eine unbemerkt sich einschleichende sein musste und es auch war, und so schlich ihr Blick auf ihn zu und wurde zu dem von Franz. Er, Blindschleiche Franz, kroch zurück, in ihren Blick hinein, und er fragte sich aus ihm heraus, ob der da vor dem Schalter, also er selbst, vielleicht Schiller las, und begann ein Bild über die Figur des Rebellen zu entwickeln. Als Franz vom Schalter wegtrat, dachte er sich – oder sie –, der da ist kein Rebell, aber vielleicht könnte er einer werden: Karl, Ferdinand, Posa. Franz Soundso. – Ohne dass wir behaupten wollen, es übertrüge sich der Name der Schiller’schen Helden von der Aufnahmefrau auf ihn. Weder er, der ja aus ihr sprach, noch sie hatte den Namen auch nur gehaucht oder lautlos die Lippen bewegt. – Aber in Pose gehen, das konnte Franz Soundso gut. Von Posa zu Pose ist der Weg der Bedeutung weit, aber der des Buchstabens kurz. A oder E, das den Unterschied macht. Name A, der sich findet, Name E, der ihn bindet. A oder E, im Öffnen und Schließen draußen und drinnen im Mund findet sich der Grund. Seine Posen hatten ihren Grund, sie hatten einen Zweck. Er war süchtig, und sein Begehren, ungestillt, konnte er durch sie erfüllen, durch sie, die Posen: der Tonfall seiner Stimme, sanft und bestimmt, nicht zu tief, nicht zu hoch – horchte sie auf? Sein Schritt, regelmäßiges Vorschieben und sachtes, aber festes Aufsetzen des Fußes, links rechts – blickte sie auf? Der aufrechte Oberkörper, die lockere, aber kompakt federnde Schulter – sah sie hin? Das Innehalten, kein verkrampftes Verweilen, nie plump und tölpelhaft, immer eine Sohle gehoben, das eine Bein angewinkelt – stellte sie sich dazu? Der durchdringende Blick, suchend und erfassend zugleich, nicht kalt, nicht scharf, hinschweifend, verweilend – verfing sie sich darin? Ein Pupillenverlangen stieg hoch, in ihr und in ihm, und das war es, seines, sich im anderen Auge zu sehen und daraus auf sich selbst zurückzublicken. Dieses Entrücktsein, das von innen auszuschweben schien, war das erzeugt oder gegeben? Das Einsickern in die Haut der ihn Beobachtenden, in ihren Armen, in ihren Händen saß er dann, zurückgeholt und empfangen. Diese Verlorenheit, die seinen Mund und seine Augen umrandete, aufflatterte, um sich niederlassen zu können als atmender Hauch, der ihren Körper umfing, war das alles in die Wiege gelegt oder gesteuert? Anziehend roch das, einnehmend kam es daher, in Wellen schlank wie – er, also durchgehend elegant kam es daher, sein Posieren, das ihn, sein Verlangen in eine Form stanzte und zähmte. Damit diese abgelesen und eingelesen werden konnte und sich Franz selbst betrachten und sich selbst verlangen über das Verlangen der anderen, das nichts als das seine war: Gefühlkalkül? Jenes Begehren, das heute durch sie, die hinter dem Glas Sitzende, so wie vorher durch die Taxilenkerin und gestern durch die Serviererin und morgen durch die Ärztin und vorgestern durch die Schwester der Liese, wenn sie eine hätte, ausgelöst wurde und das für die Begehrten Folgen hatte, die folgenlos blieben – für den Begehrenden. Was er begehrte? Das, was sie an ihm begehrten, was er den Frauen zutrug und glaubte, in ihre geheimsten Plätze der sündigen Fantasie und ihrer überquellenden Wünsche, die nichts als die seinen waren, zu verpflanzen: sein Wollen also. Das war nicht kompliziert, es war einfach ein Liegenwollen, Streichelnwollen, Kusswollen, zart, gierig, hart, scheu, verrucht, heilig, ein sündiges und offenbarendes Rauschwollen. Diesen Sinnentaumel sprach er für jede Einzelne aus, so als hätte er nur den ihren allein in sich gespiegelt und erfasst. Das ging in Sekundenschnelle oder dauerte einige Gespräche hin, aber er vermittelte Nähe, ein sich darin Erkanntfühlen, ein Vertrautsein, das ihn und die Erwählte einzigartig erscheinen ließ, vom ersten Moment an. Und das auch erfüllt bekommen sollte, was im Trieb es aufblühen ließ, nicht immer sofort, aber immer irgendwann jetzt. Ja, so wie jene hier für ihn – für ihn – aufblühte, für die er Schiller las, was sie nicht wissen konnte, und die für ihn also eine unter vielen war, was sie noch weniger wissen sollte und durfte. Eine der vielen, die stets um ihn herumschwirrten, weil er sie selber um sich herumschwirren ließ. Um sich zu berauschen im Rhythmus ihres Flügelschlags, der nichts anderes als das Aufsetzen des ganzen Körpers ankündigte. Wo war dieser, wer trug ihn dann, erweitert, gebrochen, zerbrochen, nicht nur die Äderchen? Seine Lippen spürten jene der Frau hinter dem Glas auf. Es drängte ihn hin zu ihr, zu diesem Mund, prall. Ein klein wenig ermüdet, verbittert süß, kam er ihm nicht aus Erlebtem entgegen, sondern schien auf Kommendes zu warten. Das Kommende hieß Franz. Für ihn, das genügte. Ihr Mund auf seinem Mund, das wurde zum Grund, zum Stoff seiner Venen und Adern, seinen Muskeln und Fasern eingeimpft. Dieses Verlangen reichte vom Zehenballen, wo es gründlich saß, bis in die Haarspitzen, sekündlich aufgeladenes Gras, und das ließ in ihn toben: Aufruhr in ihm, dem Franz außer sich. Schon stürzte er, Franz, ins Verlangen, vergangenes, zukünftiges. Da war sie wieder, die Lust. Taumelnd mit festem Schritt, ein klarer Nebel. Franz musste da eindringen, um sich greifen, und er fand. Was fand er? Gegenüberlust, die seine war und wieder wurde. Bis zur nächsten und so fort – zum Schnittpunkt des Parallelenverlangens der sich biegenden Geraden aus Empfindung und Gedanke, endlich unendlich. Mathematisch unklar, bildlich verdreht, gefiel ihm das Bild. Er verjüngte sich mit ihm in der Entfernung, wo Sinne und Sinn sich ineinanderdrehten. Er spürte die Wörter dafür – Vereinigung, Ficken, Verschmelzung – leibhaftig. Im Kinsey-Report hatte ein Mädchen zugegeben, an ihre Katze zu denken, nein, hatte sie sich verbessert: „Eigentlich denke ich ununterbrochen an meine Katze.“ Diese Aussage war ihm – wir wagen die Formulierung – aus dem Mund genommen, nicht dass er ständig an seinen Kater dachte, nein, er dachte nicht, er fühlte ihn, an den Hosenrand gerückt, leicht durchblutet, da war sie – die gekrümmte Gerade, und das war er, Franz? Er war es auch, aber nicht nur. – Wir wollen ihn nicht als absolut abhängig darstellen. – Er war süchtig, aber die Art, die er für sich gewann, sein, ja sein entschlossener Zug, nicht nur um den Mund, wenn auch manchmal zusammengepresst und verkniffen, half ihm, die Sucht zu beherrschen und ihr dennoch Lauf zu lassen, ob der frei war, sei dahingestellt. Er erfand sich dafür seinen Charme und eine dahinter sitzende Sicherheit im Umgang mit anderen. Der wirkte und die sprang über – auf jede, die glaubte, es läge an ihr, dass es nur sie war, was er da schaute, aber er es dabei selber war. Das war der Moment. Donnerschlag und heiliger Bimbam. Sein Moment. Aufregung, Erregung, Eifer, Feuer, Fluss, Hitze, Leidenschaft. Darum ging es. Das durfte nicht aufhören, das Eifern, Fiebern, Glühen, Pludern, Schwärmen, Toben, Tosen, Vergehen vor Gier – sonst wäre die Jetzt-Blase geplatzt, entleert, also Leben aus, Tod ein. Oder sogar: Tod aus, auch das noch, das Ende. Also war Wenden die Regel – hin und weg. Die Versuchung musste zur Verführung werden und die Verführung wieder zur Versuchung, es musste weitergehen, also immer wieder beginnen. Er konnte nicht anders, war nicht besessen, aber bereit: So in etwa stets. Er ahnte, wie sie reagieren würde bei der Berührung am Arm, am Herz, am Pelz, oder nur beim Augenkontakt, im Blick, ja, ja, er sah sie nachgeben, anschmiegen, sich zugreifen, entbrennen und packen, die Lust – ihre Lust? Es war die seine, aufgestaut, aufgebaut, gespeist vom Reiz-Verlangen der Sinne, wenn eingelöst, dann nur erfüllt bis zum nächsten Spiel. Franz konnte keine von denen, auf die er traf, übersehen, weil er sich sonst selbst übersehen hätte, das musste aus Überlebensgründen verhindert werden, also Gegenüber-Spiegel an. Aber es ging knapp her zwischen Glas, Bild und Widerschein: Abglanz oder Selbst, gegeben oder beobachtet, eigen oder fremd, also was und wo war er, vor, hinter oder in der Scheibe, führte sie zur Achtung...