Schmatz Portierisch
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-7099-7423-0
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Nachrichten aus dem Berge in Courier New
E-Book, Deutsch, 184 Seiten
ISBN: 978-3-7099-7423-0
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
'Portierisch', das heißt 'gewöhnlich'. Der Erzähler ist aus diesem gewöhnlichen Umfeld in die inneren Kreise altösterreichischer Adelsreste aufgestiegen. Dort verfolgt er die Beziehungen und Hierarchien zwischen den Einheimischen mit genauen und ironischen Beobachtungen. Immer an seiner Seite: der Amerikaner Courier, der durch seine Verständnisschwierigkeiten Gesprächen oft eine sprachspielerische Wendung gibt. Nachrichten aus dem Berge nennt Ferdinand Schmatz seine Aufzeichnungen, die einen klar umrissenen Raum zum Thema haben: ein abgeschiedenes Tal in den steirischen Bergen samt seiner Bewohner.
Ferdinand Schmatz, lebt als freier Schriftsteller in Wien und unterrichtet dort an der Universität für angewandte Kunst. Zahlreiche Auszeichnungen, u.a. H.C.-Artmann-Preis (2006), Ernst-Jandl-Preis (2009). Bei Haymon u.a.: Tokyo, Echo oder wir bauen den Schacht zu Babel, weiter. Gedichte (2004), Durchleuchtung. Ein wilder Roman aus Danja und Franz (2007).
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
2
Das Symposion,
Zeitlupe
– Fronleichnam ist ein schöner Tag, meist ein Donnerstag, flüstert mir Courier ins Ohr, und ich bringe ein wenig die Zeiten durcheinander, es schüttet wieder einmal in Strömen, nach einem donnernden Gewitter dreht sich nicht nur in Fustritzwald der Himmel ein und wird grauer und schwärzer denn je, auch hier in der Hauptstadt handelt sich in meinem Kopf so manches Wort einen Gedankenwickel ein und verknotet sich wild mit meinem Selbst- und so manchem anderen Bild, macht, was es will, und ich spüre, ja sehe, dass ich weder der Herr im eigenen Haus noch sonst wo bin, wenn ich mich auch noch so anstrenge und ganz rot und blau zugleich werde oder es mir einbilde, so zu werden, wie es mir dieser Name da einflüstert, Blauenhofer Max, den ich nicht loswerde, wie ich da beim Brennofen des Keramikkünstlers stehe, meine enduristische Aprilia davor, als der Blauenhofer Max seinen Aushilfsdienst für diesen Tag beim Grafen unter der Führung von Herrn Winder beendet hat und als der freundlichste Untertan aller Untertanen an mir vorbeistapft, der die Forstwege behaut, damit im Gewitterregen das Wasser nicht brutal hinunterschiessen kann, der kleine Abfluss-Stellen herausschlägt den ganzen Berg hinauf, der Blauenhofer Max in der Mitte des Weges mit dem Krampen und einem kleinen Hütchen auf dem Kopf im blauen Schlossergewand, der auf Belindas und meine gescheiten Fragen nach seiner Tätigkeit, dem Wetter und der Landschaft – als wir den steilen Kleberweg hochwanderten, benannt nach Kleber, dem Forstmeister des Zup, der eisernen Hand des Dorfes –, freundlich unbeholfen, aber stets die Form wahrend, klar und auf seine Weise genau, antwortete und von seiner Seite aus das Gespräch in Gang hielt und bestimmte, sodass ich mir denke, wenn die Heferln oder das sonstige künstlerische Tonzeug, das da aus dem Brennofen rauskommen wird, doch nur annähernd diesen Umfang, diesen in Form gegossenen und gebrannten Inhalt hätten wie die Antworten des blauen Max, dann könnte er mich auf der Stelle zu sich emporheben und wegtragen von diesem kühlen Ort, der nach dem Gewitter die Ofenhitze mehr als nötig hat, der uns frieren lässt trotz Fronleichnam und der damit verbundenen vorsommerlichen Maienstimmung, und grüsse auf den Max aufgrund dieser Erlösungserwartung freundlich hin, er zurück, und mir fetzt unvermittelt ein anderes Bild durch den Kopf, nämlich jenes, wie ich mit dem neuen Motorrad an ihm vorbeifahre, der unter seinem kleinen Hof über der hier wie überall im Lande sich sauber und gradlinig dahinstreckenden Neu-Siedlung von Fustritzwald die Wiesen mäht, um später das Heu einzubringen, und ihm zuhupe und winke, und er zurückgrüsst, ohne wissen zu können, dass ich es sei, der mit der roten Maschine durch das Tal rast, weil er ja vom Vorjahr noch genau wusste, dass diese Maschine blau sein müsste und dass er genau diese blaue Maschine, die ich in der zum Parkplatz umfunktionierten Sägehalle abstellte und mit einem Radschloss versah, wegschieben wollte und es auch konnte mit seinen Bärenkräften, erarbeitet an den Wegen und den Hängen des Zup, und er mir dabei das Schloss brach und dann so tat, als wäre nichts gewesen, worauf ich die Anhöhe zu ihm und seiner Mutter hinaufschoss, sichtbar von unten und vor allem von oben aus, und die Blauenhofers mucksmäuschenstill hinter den abgestellten Schuhen vor dem Haus und dem Stall verharrten, im Schatten dieser Schuhe, den Zeichen anwesender Abwesenheit abduckten, so wie sie es, ohne Schuld zu haben, Generation für Generation gelernt hatten, unauffindbar und immer weiter zurückgedrängt durch mein Rufen – Herr Blauenhofer, Herr Blauenhofer, ist jemand da, wobei ich wusste, so wie man es immer sofort weiss, ob da jetzt einer für dich da ist oder nicht, da nützt das lauteste Schreien nicht, und ich wieder hinunterrollen musste mit dem gebrochenen Radschloss im Kopf, an nichts anderes denkend in meinem Ordnungswahn, und sich der Blauenhofer Max nicht einmal in sein Fäustchen lachen konnte, da er dieses, nachdem es ihm beim Zerhacken drei Finger abgetrennt hatte, als er noch im Sägewerk arbeiten durfte, gar nicht richtig bilden kann und sich diese blaue blöde Maschine wohl in sein Unterwerfungsbewusstsein grub und er mich mit der roten vorbeifahrenden nicht erkennen konnte, er aber dennoch grüsst, weil er eben einer ist, der zurückgrüsst, wie jetzt, und gerade dadurch meine angelernte Ordnung der Dinge und Abmachungen ins Wanken bringt, und mir das alles vor dem Brennofen und den beiden davor arbeitenden Künstlern, dem erzherzogischen Neuenstein und dem Bildhauer Frenhofer einfällt, die von dieser Geschichte überhaupt nichts wissen und vom Blauenhofer Max schon gar nichts, als dieser etwas verlegen wie immer vorbeigeht mit der braunen alten Aktentasche und ich mit einem Schlag meinen Vater sehe, der auch eine solche trug, die er in seine Keramikwerkstätte mitnahm und in der am Freitag die neue Nummer der Micky Maus lag, meistens mit Tonpatzern versehen, und die ich aus dieser für mich so fremden und geheimnisvoll ferngereisten Tasche erwartungsfroh herausfischte am Freitag, am Lohntag, um dann mein Lesefest zu feiern mit dem von der Mutter bereitgeschmierten Schmalzbrot samt Zitronentee, mit dieser Aktentasche im Gemisch aus der Kühle des Tages und der Hitze des Brennofens stiehlt sich der Blauenhofer Max an uns vorbei, und ich, aufgeregt und erfreut, ihn zu sehen, rufe ihm noch einmal unvermittelt Grüss Gott zu und, Sie haben mich doch erkannt, und er sagt, wie sichs gehört, ja, ich habe Sie erkannt, dabei konnte er doch nur meinen, mich in diesem Augenblick erkannt zu haben, und die beiden Keramikkünstler, von denen nur der erzherzogische ein tatsächlicher ist, schauen mich erstaunt an, so, als ob sie das ganze Geschehen und den Wortwechsel verstünden, und ich nicke auch ihnen zu und meine, er hat mich erkannt, aber er kann mich doch nicht erkannt haben, und strahle die beiden in meiner Motorradmontur an, obwohl alle, einschliesslich des Blauenhofer Max, nicht wissen können, dass da mein Vater vorbeischwebt, in zeitlupenartiger Dichte vorbeischwebt hier unter den Rauchschwaden des Keramikofens mit seiner Aktentasche samt Riemenverschluss, nach einem langen Arbeitstag so um vier Uhr nachmittag auf dem grossen Steinparkplatz unterhalb der ehemaligen Sägehalle, bis sich die durch kräftige Handwerksfinger verursachten Tonpatzer schliesslich auflösen, Finger, die an den Schnitter verlorengehen wie die vom Blauenhofer Max während dieser Prozession aus Tasche, Gruss und Ton am Fronleichnamstag – aber Fronleichnam hin oder her, jedenfalls am zweiten Donnerstag nach Pfingsten treffen sich einige, um sich das Flammenreden am Brennofen zu gestatten, indem sie still vor sich hinwerken und sich so ihre Gedanken machen, unterbrochen nur von Zugehern, wie ich es einer bin, der einen anderen Ton in die Runde bringt, die brav den Anweisungen der Zupherrin Corina folgt, pünktlich ab zehn Uhr, von der Langschläferin und Dichterfreundfrau Hana abgesehen, ihren Kunstdienst antritt wie der Max den seinen um sechs Uhr früh und ihren von Corina bereitgestellten Kaffee mit Brötchen tunkt, die ganze Runde Kunstschaffender, die mir jetzt alle zuwinken und danken, weil ich ihnen von Belinda geschickte Getränke anbiete, möglicherweise einen etwas abgestandenen Almdudler, sodass Courier mich anherrscht und droht, wenn das so ist, da ginge er wieder home, und ich meine, diese feine Art, die haben Sie aber nicht von den Grafen gelernt, so spreche eigentlich nur ich mit mir selbst, wenn ich den Symposionisten den alten Almdudler andrehen möchte, dabei bin ich gar nicht geizig, – aber vielleicht kleinlich, schnurrt Courier in seinem liebsten Deutsch zurück, und blickt mich wieder freundlich an, ich kann nichts erwidern, ich habe über meine sozialen Eigenschaften nicht wirklich nachgedacht bis jetzt und mich immer ein wenig als unberührbar verstanden, ja, ich habe geglaubt, die Frage nach dem Ich, das ich eigentlich sein soll, grundsätzlich, also wortwörtlich stellen zu müssen, und hoffte, damit die Erkenntnis überhaupt in Frage zu stellen und mit ihr gleich in einem Aufwaschen die sie benennende Sprache, ohne den damit hierzulande typischen angestammten Spracherkenntniszweifel und so weiter zu pflegen – der ja zu Pfingsten ganz gut dazupassen würde, wenn der Geist einschiesst und das Lallen ausfährt, lese ich Courier vor und mache gleich ein ganzes Gedicht daraus, der aber warnt sofort, Zweifel könnt ihr hier während des Symposions nicht gebrauchen, hier zählt die Hand und das Werk, sagt er zu Corina, der neuen Frau im Hause Zup, nach der ehemaligen Herrenhausherrin Cristina, der kühlen Engländerin, die nur Cola trank und vom Spieltisch aus die Grafschaft führte, bei den diversen Feuerwehrfesten aber unters Volk ging und allen die Hand schüttelte – was den Herrn Gunster immer noch freut und ihn, den Roten, darüber ins Schwärmen geraten lässt, über Cristina, die Blaublütige, auch – Cristina, die dem Zup drei Kinder austrug, denn auch das ist eine Form von austragen, erkläre ich Courier, und der hebt die Hände und sagt, alle Bedeutungen zu wissen, hälfe auch nicht immer weiter, und er glaubt, dass der Zup-Cristina-Nachwuchs nach der plötzlichen Trennung der beiden nicht mehr weiter wächst, besonders Timmy, der kleine Froschi, protestiere vornehm auf die seine, englisch-fustritzwalderische Art und warte einmal ab, was sich so ergeben wird in der neuen Grossfamilie, denn Corina bringt einiges an Hab aus dem Norden mit, Gut vielleicht weniger, auch sprachlich hat sie es an den Kaminabenden nicht immer leicht, wenn sie dem Dichterfreund sein...