E-Book, Deutsch, 488 Seiten
Schmid Reise zum Unmöglichen
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-906318-28-8
Verlag: Fragment Eight Media
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine Chronik der Bewegung
E-Book, Deutsch, 488 Seiten
ISBN: 978-3-906318-28-8
Verlag: Fragment Eight Media
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Reise zum Unmöglichen ist das Ergebnis von mehr als 30 Jahren intensiver Beschäftigung mit körper- und bewegungsbasierten Weisheitspraktiken. Im Zentrum dieses Buches stehen die Korsika-Kurse. Sie werden das Gefühl haben, direkt dabei zu sein.
Martin Schmid entwirft ein Bild von Bewegung, Bewusstsein und Menschsein, das den ganzen Menschen umfasst und alle westlichen und östlichen Zugänge nicht nur integriert, sondern transzendiert.
Ganz gleich, ob Sie in einer Tradition (Yoga, Taiji, Qigong, Kampfkunst, Zen-Meditation, Vipassana) oder in einer neueren westlichen Bewegungsform praktizieren: Dieses Buch wird Ihnen Türen öffnen, von denen Sie wahrscheinlich nicht wussten, dass sie existieren.
Was dieses Buch bietet, ist keine objektive, streng strukturierte wissenschaftliche Abhandlung, sondern Martin Schmids einfühlsame Subjektivität, die uns alle für unsere eigene Bewegung und deren Schönheit, Tiefe und Einfachheit öffnet.
Autoren/Hrsg.
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Zum Unmöglichen
Einen Moment lang streifte es mein Bewusstsein, ob ich die ersten vier Bücher der Korsika-Reihe in der Versenkung versinken lasse, weil sie ausgedient hätten. Ein nicht sehr integrativer Gedanke. Er verfloss mit dem Lesen des Untertitel des ersten Buches: Strandsichten aus Korsika. Und der Ausführung dazu im Vorwort, dass Strandsichten temporäre Ansichten sind, welche umgeschichtet werden, denn ein Strand wird fortdauernd umgewälzt und umgestaltet. Ein Strand ist in Bewegung. Und so sind diese Bücher – und das fünfte, sie umrahmende und darüber hinausweisende „Buch“ – Spuren im Sand, die auf etwas hinweisen, das einmal war, und das uns hierher gebracht hat. Hier zu sein wäre unmöglich, ohne diese Spuren hinterlassen zu haben. Alle vier Bücher und der in der Gesamtausgabe gegebene Rahmen sind also Zeichen, sanft in den Sanft gemalt, ganz nah am Wasser, um sie wieder dem Meer zu übergeben, wenn es sie holen möchte. Doch in welchem Kontext streifte mich der Gedanke der Versenkung? Wir bewegen uns immer in einem Dreier-Fluss. Darauf hatte ich die letzten vier Jahre in Korsika hingearbeitet. Einfach gesagt, ist da die sich bewegende Person und die Bewegung. Und da bin ich als Vermittler, als einende Kraft. Solche Dreiheiten sind immer Kräfte. Die dritte Kraft ist die vermittelnde, einende und transformierende Kraft, mit derer Hilfe eine ganz neue, vierte Qualität entsteht. Die erste Kraft ist die bejahende Kraft. Die sich bewegende Person sagt ja zu sich, zum Bewegen. Sie möchte sich öffnen, das Bewegungsspektrum weiten, den Körper integrieren, neue Bewegungen entdecken und kultivieren, Bewegungsfreude vertiefen. Die zweite Kraft ist eine Form von Reibung, von Widerstand. Sie ist das «Ja aber», das «Halt mal, nicht so schnell». Sie könnte ganz oberflächlich – und darum falsch – als Problem betrachtet werden. Sie ist diejenige Kraft, welche die Potenzial-Entfaltung erst anfacht. Eine komplexe Bewegung ist kein Problem, sondern ein Potenzial. Der/die Bewegende kann eine Bewegung nicht ausführen, sei dies physiologisch, sei dies von der Koordination her, sei dies von der Komplexität eines Ablaufs her. Wer nur Wellness sucht, sucht und schätzt nicht diese Art der Bewegung. Wer jedoch etwas entfalten und sich entwickeln möchte, begrüßt diese Reibung. Ich als dritte Kraft bin der Vermittler. Ich gebe Hinweise, Tipps und Impulse. Ich bin Mediator. So weit so gut. In jenen letzten Jahren hatte sich in der Wahrnehmung von immer wiederkehrenden Teilnehmern eine Verschiebung in diesem Kräfte-Verhältnis ergeben, und ich war daran natürlich nicht unbeteiligt, auch wenn ich keinerlei solche Absicht hegte. (Siehe dazu S. 148.) Was passierte, war, dass die Bewegung als eigentlicher Bezugspunkt und als eigentlicher Fokus in den Hintergrund geriet. In der Dreiheit gesprochen, verlagerte sich die Bewegung von Platz 2 auf Platz 3. Sie wechselte mit mir den Platz. Das Physische wechselte mit meinen Worten Platz, und, so sehr es mich schmerzt, dies zu sagen (denn es ist mir ein großes Anliegen, das Physische von der Last des überalterten Metaphysischen zu befreien), das Physische wechselte den Platz mit dem Metaphysischen. Ich hielt jeweils zuerst eine Rede, die, so verwurzelt sie doch in meinem physischen Erleben war, ohne dieses Erleben philosophisch war. Danach benutzten wir die Bewegung als Vermittlerin, um dieses Philosophische zu inkorporieren, zu verkörpern. Diese Umstellung der Kräfte war enorm. Was wir dadurch praktizierten, war ein Download von Philosophie in die Materie, also eine klassische platonisch orientierte Praxis, die sich grundsätzlich in keiner Weise etwa von einem kirchlichen Ritual unterschied, dessen Sinn sich nicht selbst erschließt, sondern das erklärt werden muss. Was ich eigentlich immer anzustreben versuchte, war, dass Einsichten aus dem Material selbst entstehen, also aus der Bewegung selbst, aus dem Materiellen. Dann wären die Einsichten das Vierte, die Dreiheit übersteigend. Eine neue Qualität, organisch aus Bejahung, Verneinung und Vermittlung gewachsen. Denn dies ist auch mein persönlicher Prozess. So war es aber mehr eine Übermittlung denn eine Vermittlung. Ich verletzte meinen Grundsatz, nicht Dinge zu erklären, sondern Erfahrungen zu klären. Und es führte zu der unweigerlichen Folge, dass ich an die zweite Stelle rückte. Somit wurde ich zum Lehrer, der sich letztendlich zwischen die Bewegung und die sich bewegende Person stellt. Man konnte sich nur noch bewegen, wenn ich dazu anleitete. Und es führte noch einen Schritt weiter, sicherlich durch meine Persönlichkeit und Taten unterstützt: Es erschien die Illusion von Freundschaft. Aus dem Vermittler im Stillen wurde ein ganz neuer Bezugspunkt, der, in Bezug auf Bewegung, keine transformative Kraft besitzt, im Gegenteil. Diese Konstellation hemmt die Bewegung eher, da sie eher eine binäre denn eine tertiäre Konstellation ist, und damit eher Gleichgewicht als fortdauernde Evolution anstrebt. Nun, meine Funktion ist nicht, Freund zu sein. Das hatte ich erkannt und im letzten Jahr geändert. Ich stellte radikal die Bewegung ins Zentrum und mich in den Hintergrund. Denn dies war die einzige Möglichkeit zur Integration. Hätte ich zuerst einen langen Vortrag dazu halten sollen? Vielleicht schon. Vielleicht hätte ich damit Reibung mindern können. Gleichzeitig hätte ich damit gemacht, was ich nicht mehr machen wollte. Mensch, hätte ich ausholen müssen. Und gleichzeitig war Reibung nun mal meine Aufgabe auf Platz 2. Und wer mich dort verankern wollte, rieb sich entsprechend. Die zweite Kraft ist die Kraft der Reibung und des Widerstands. Und so rieb man sich in dieser Woche an mir. Das nahm und nehme ich auf mich, solange die Bewegung als Vermittlerin eingesetzt wird und sich dadurch eine neue Konstellation bilden kann. Der ganze Prozess dieser ersten Verschiebung der Kräfte verlief weitgehend unbemerkt. Mitmenschen bleiben, wie man sich selbst auch, immer auch ein Mysterium. Was sich bildet, bildet sich im Verborgenen. Dann zeigen sich Zeichen, die noch naiv gedeutet werden können, beziehungsweise für deren richtige Deutung der Kontext sich noch nicht manifestiert hat. Und erst im Aufbruch zeigt sich dann vielleicht, was sich im Verborgenen entwickelt hat. Im zweiten Buch besprechen wir, dass ein Prozess immer zwei scheinbar entgegengesetzte Kräfte hat. Scheinbar deshalb, weil noch eine dritte, vermittelnde Kraft wirkt. Während ich über die Jahre die Methodik RIVERS herauskristallisierte und persönlich immer diesen Fokus der Bewegungs-Entwicklung hatte und damit den Platz der Bewegung auf Platz 2 vertiefte, war dieser Fokus gegen außen nicht immer klar sichtbar, vermutlich gerade darum, weil er für mich so klar war. Wie gerne verweilt man doch in der Illusion, dass das, was persönlich klar ist, für alle anderen auch klar ist. Und so sind ich und einige Teilnehmer zwei ganz entgegengesetzte Wege gegangen, obwohl es lange so ausschaute, als wären wir zusammen unterwegs. Aufbrechen. Ein Wort des Bruchs, aber auch der Fortbewegung. Eines Neu-Anfangs. Integration kann genau das bedeuten: aufbrechen. In der Integrationsphase zeigt sich am deutlichsten, was nicht integrationsbereit ist. Das ist der Turbo für eine weitere Runde – sofern man integrativ ausgerichtet ist. Es braucht diese Aufbrüche, und nach meiner bisherigen Praxis-Erfahrung geschehen sie ungefähr alle fünf Jahre. Die Definition des Yoga ist, dass es ein Zustand ist, in welchem das Um-Sich-Selbst-Kreisende zur Ruhe kommt. Denn dies ist nicht die Bewegung, die wir suchen. Wir suchen die Ausrichtung. Diese entsteht in der Ruhe. Im Innehalten. So kann ein neuer, zarter Anfang entstehen. Nun brechen wir also wieder auf. In eine neue Konstellation, in welcher die Bewegung wieder und neu als zweite Kraft wirkt und wir Leiter als Vermittelnde. Ich freue mich auf Bewegungsbegeisterte, welche ihre Begeisterung für Bewegung vertiefen möchten und uns Leiter dafür dankend in Kauf nehmen, ohne uns zur Hauptsache zu machen. Das System, das sich in den letzten Jahren in Korsika herausgearbeitet hat, nennen wir RIVERS. Ich werde im Anhang noch etwas darauf eingehen. RIVERS will nichts zum Lärm der Welt beisteuern. Korsika wird immer eine kleine Insel sein. Die Bücher haben ihre Gültigkeit. Sie waren schon immer zur Reflexion und Integration gedacht, nicht zur Hinführung und Anleitung. Auch wenn sie Persönliches enthalten, das ich heute so nicht mehr darstellen würde – weder in Buchform, noch in meinen Kursen –, so sind es doch Spuren, die ich gerne betrachte. Ich betrachte meine Spuren und diejenigen meiner Weggefährten und erinnere mich gerne. Ich sehe Spuren, die nun einen anderen Weg gehen, und ich gebe diesen meine Wünsche für ein bewegtes Leben mit. Ich sehe Spuren, die bleiben, und ich freue mich. Und ich sehe Spuren, die neu hinzukommen und bin dankbar und motiviert, noch viele Spuren zu hinterlassen. Die Korsika-Kurse werden anders werden, wie sie immer anders wurden. Korsika ist eine Reise ohne Ende. Ein eigentliches fünftes Buch gibt es nicht, beziehungsweise ganz anders: Das Buch der Bewegung. Denn das ist meine Integration. Sie spannt einen großen Bogen, um einen Pfeil...