Schmidt | Der Begriff der Natur in der Lehre von Marx | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 244 Seiten

Reihe: eva taschenbuch

Schmidt Der Begriff der Natur in der Lehre von Marx

Mit einem Nachwort zur 5. Auflage von Michael Jeske
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-86393-536-8
Verlag: CEP Europäische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Mit einem Nachwort zur 5. Auflage von Michael Jeske

E-Book, Deutsch, 244 Seiten

Reihe: eva taschenbuch

ISBN: 978-3-86393-536-8
Verlag: CEP Europäische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Alfred Schmidts in viele Sprachen übersetzte Untersuchung gehört zu den wichtigsten und folgenreichsten theoretischen Quellen der

philosophischen Marx-Interpretation. Schmidt selbst bezeichnet seine Arbeit als den 'Versuch, die wechselseitige Durchdringung

von Natur und Gesellschaft, wie sie innerhalb der Natur als der beide Momente umfassenden Realität sich abspielt, in ihren Hauptaspekten darzustellen.' 1993 erweitert er seine Interpretation des Marx'schen Werks, die von dem geschichtsmaterialistisch unterbauten Begriff der Natur ausgeht, um die Dimension des 'ökologischen Materialismus'. Der Alfred Schmidt-Schüler Michael Jeske

gibt dieser letzten Fassung ein Nachwort bei, welches u.a. Aspekte der Wirkungsgeschichte dieser für den westlichen Marxismus der

Nachkriegszeit so bedeutenden Schrift beleuchtet.

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Vorwort zur Neuauflage 1993
Für einen ökologischen Materialismus
Marx sagt, die Revolutionen sind die Lokomotiven der Weltgeschichte. Aber vielleicht ist dem gänzlich anders. Vielleicht sind die Revolutionen der Griff des in diesem Zuge reisenden Menschengeschlechts nach der Notbremse.1 Walter Benjamin, Anmerkungen zu den Thesen über den Begriff der Geschichte I
Als der Autor während der späten fünfziger Jahre über der Endfassung seiner Doktorarbeit saß, waren Begriffe wie »Umweltbewußtsein«, »Grenzen des Wachstums«, »alternative Zivilisation«, »sanfte Technik« oder »ökologische Krise«, die heute wissenschaftliche wie tagespolitische Debatten beherrschen, noch unbekannt. Diskreditiert freilich war schon damals ein naiver Progressismus. Horkheimers und Adornos Dialektik der Aufklärung hatte (unter anderem) belehrt über die naturzerstörerischen Implikationen technischen Fortschritts. Wer sich zudem, wie der Verfasser, näher mit Marx und Engels beschäftigte, konnte auch in ihren Schriften auf Zweifel an den Segnungen des Industriesystems stoßen. Unterdessen hat jedoch die ökologische Problematik Ausmaße angenommen, die jeder bloß akademischen Erörterung spotten. Die Frage nach dem Fortschritt ist längst zur Überlebensfrage der Menschheit geworden. Die im Postscriptum 1971 zur zweiten Auflage des Buches bereits als Signatur der Gegenwart pointierte »Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen der Gesellschaft« läßt sich nach dem Scheitern des sowjetischen Experiments nicht mehr ausschließlich auf die kapitalistische Produktionsweise zurückführen. Der Industrialismus hat sich in seiner staatssozialistischen Version als ebenso unzulänglich erwiesen wie in seiner marktwirtschaftlichen. Die materiellen und sozialen Grenzen des Wachstums haben den Optimismus bürgerlicher Theoretiker nicht weniger erschüttert als den der ­Marxisten. Gegen Marx und seine Anhänger werden heute die nämlichen Vorwürfe erhoben wie gegen Anwälte unbegrenzten Wirtschaftswachstums auf kapitalistischer Basis. Ihnen wird vorgehalten, sie hätten sich über die Begrenztheit der Erde, die limitierte Belastbarkeit der Ökosphäre und die Knappheit der Ressourcen hinweggesetzt und seien deshalb mitschuldig an den weltweit beobachtbaren Umweltschäden.2 Diese Kritik ist in dem Maße berechtigt, wie der klassische Marxismus dem Wachstum der Produktivkräfte – als geschichtsbildendem Faktor – eine geradezu metaphysische Rolle zuerkennt. Oft genug gewinnt man den Eindruck, daß seine Begründer ein unbegrenztes Potential weiteren Fortschritts schlicht voraussetzen und sich so jener unheilvollen Dynamik der Naturbeherrschung ausliefern, die – von Bacon und Descartes methodologisch gerechtfertigt – stets auch Herrschaft über Menschen gewesen ist.3 Andererseits finden sich bei Marx und Engels, seltener zwar und häufig an entlegenem Ort, Ansätze einer »ökologischen« Kritik des destruktiven Aspekts der modern­industriellen Entwicklung. Daß menschliche Eingriffe geeignet sind, den Naturhaushalt empfindlich zu stören, wird ihnen eher zum Problem als dem Jenenser Biologen Ernst Haeckel, dessen Generelle Morphologie (1866) den Terminus »Ökologie« in die wissenschaftliche Diskussion eingeführt hat. Allerdings vermochten jene kritischen, kaum beachteten Ansätze das eingeschliffene Klischee vom blind fortschrittsgläubigen Marxismus nicht zu entkräften. Dabei läßt sich zeigen, daß Marx und Engels ein keineswegs ungebrochenes Verhältnis zur Idee des Fortschritts hatten. So heißt es in einem Engelsschen Brief an Marx, der Historiker Maurer huldige »dem aufgeklärten Vorurteil, es müsse doch seit dem dunklen Mittelalter ein stetiger Fortschritt zum Besseren stattgefunden haben; das verhindert ihn nicht nur, den antagonistischen Charakter des wirklichen Fortschritts zu sehn, sondern auch die einzelnen Rückschläge«4. Marx pflichtet Engels in der Sache bei und geht zugleich insofern über ihn hinaus, als er die Frage unter dem umfassenderen Gesichtspunkt der noch ausstehenden sozialen Revolution betrachtet. Erst nachdem diese die materiellen und intellektuellen Ergebnisse der bürgerlichen Epoche »gemeistert und ... der gemeinsamen Kontrolle der am weitesten fortgeschrittenen Völker unterworfen hat, ... wird« – so die Marxsche Prognose – »der menschliche Fortschritt nicht mehr jenem scheußlichen heidnischen Götzen gleichen, der den Nektar nur aus den Schädeln Erschlagener trinken wollte«5. II
Erinnern wir zunächst an die markanten Belege für den Marx-Engelsschen Optimismus hinsichtlich der mit dem Aufstieg des Bürgertums einhergehenden Entfesselung der Produktivkräfte. »Die Bourgeoisie«, heißt es im Kommunistischen Manifest, »hat in ihrer kaum hundertjährigen Klassenherrschaft massenhaftere und kolossalere Produktionskräfte geschaffen als alle vergangenen Generationen zusammen. Unterjochung der Naturkräfte, Maschinerie, Anwendung der Chemie auf Industrie und Ackerbau, Dampfschiffahrt, Eisenbahnen, elektrische Telegraphen, Urbarmachung ganzer Weltteile, Schiffbarmachung der Flüsse, ganze aus dem Boden gestampfte Bevölkerungen – welches frühere Jahrhundert ahnte, das solche Produktionskräfte im Schoß der gesellschaftlichen Arbeit schlummern.«6 Marx und Engels feiern die mit dem Entstehen eines kapitalistischen Weltmarkts verbundene kosmopolitische Tendenz: »An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander. Und wie in der materiellen Produktion, so auch in der geistigen ... Die nationale Einseitigkeit wird mehr und mehr unmöglich und aus den vielen nationalen und lokalen Literaturen bildet sich eine Weltliteratur.«7 Dieser so triumphalen geschichtlichen Dynamik entspricht, wie Marx im »Rohentwurf« seines Hauptwerks ausführt, »die universelle Aneignung der Natur wie des gesellschaftlichen Zusammenhangs ... durch die Glieder der Gesellschaft. Hence the great civilising influence of capital; seine Produktion einer Gesellschaftsstufe, gegen die alle frühren nur als lokale Entwicklungen der Menschheit und als Naturidolatrie erscheinen. Die Natur wird ... rein Gegenstand für den Menschen, rein Sache der Nützlichkeit; hört auf als Macht für sich anerkannt zu werden; und die theoretische Erkenntnis ihrer selbständigen Gesetze erscheint ... nur als List, um sie den menschlichen Bedürfnissen ... zu unterwerfen.«8 Außer dem »System der allgemeinen Nützlichkeit«, als dessen »Träger« auch die Wissenschaft fungiert, gilt nichts als »An-sich-Höheres, Für-sich-selbst-Berechtigtes«9. Marx’ Darlegungen nehmen sich einigermaßen befremdlich aus: bald nüchtern-realistisch, bald apologetisch. Er ist wie Hegel davon durchdrungen, daß Geschichte nicht geradlinig, sondern dialektisch verläuft. Dem Widerspruch, daß sich das Wohl des (gattungsmäßigen) Ganzen auf Kosten der Individuen durchsetzt, kann die Menschheit nicht entrinnen. Solange die »assoziierten Produzenten«10 ihre Geschichte nicht bewußt gestalten, ist ein dem einzelnen unmittelbar zugute kommender Fortschritt unmöglich. Wenn Marx die durch die bürgerliche Emanzipation entfesselte Dynamik (nahezu) vorbehaltlos begrüßt, so deshalb, weil sie – davon ist er überzeugt – nicht nur die materielle Unterlage des Übergangs zum Sozialismus liefert, sondern auch gewährleistet, daß dieser die Arbeitsproduktivität der kapitalistischen Welt erheblich überbieten wird.11 Vorerst freilich müssen die Menschen durch härteste Entbehrungen hindurchgehen. Wohl befindet sich die moderne Gesellschaft, verglichen mit Antike und Mittelalter, »in der absoluten Bewegung des Werdens«12. Aber die damit verbundene »Herausarbeitung« der »schöpferischen Anlagen« des Menschen geschieht unter negativem Vorzeichen: die »universelle Vergegenständlichung als totale Entfremdung, und die Niederreißung aller ... einseitigen Zwecke als Aufopferung des Selbstzwecks unter einen ganz äußren Zweck«13. Deshalb erscheint, nostalgisch verklärt, die »kindische alte Welt als das Höhere«; sie steht für »geschloßne Gestalt, Form und gegebne Begrenzung«14, das heißt für eine Unmittelbarkeit menschlicher Beziehungen, die mit dem aufkommenden Weltmarkt verschwindet. Dieser tritt den Individuen immer gebieterischer als ein sachlicher Zusammenhang entgegen, der sich unabhängig von ihrem Wissen und Wollen durchsetzt.15 Gleichwohl, betont Marx, ist die moderne Gesellschaft jenen Gemeinwesen vorzuziehen, die sich auf »bluturenge Natur und Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnisse«16 gründeten. Sosehr die Menschen jetzt genötigt sind, sich einem weltweiten, objektiven Zusammenhang einzugliedern, so unbestreitbar bleibt letzterer ihr eigenes Produkt: »Er gehört einer bestimmten Phase ihrer Entwicklung an. Die Fremdartigkeit und Selbständigkeit, worin er noch gegen sie existiert, beweist nur, daß sie noch in der Schöpfung der Bedingungen ihres sozialen Lebens begriffen sind, statt von diesen Bedingungen aus es begonnen zu haben.«17 Marx nimmt an, daß erst die sozialistische Gesellschaft imstande sein wird, jene »Fremdartigkeit« und »Selbständigkeit« der Verhältnisse gegenüber ihren Herstellern aufzuheben....


Alfred Schmidt (1931 – 2012), war Professor für Philosophie an der J. W. Goethe-Universität in Frankfurt a. M. Veröffentlichungen u.a.: 'Die Kritische Theorie als Geschichtsphilosophie' (1976), 'Kritische Theorie, Humanismus, Aufklärung' (1981),'Tugend und Weltlauf. Vorträge und Aufsätze über die Philosophie Schopenhauers (1960 – 2003)' (2004).
Michael Jeske war bis 2009 Assistent von Alfred Schmidt, danach Lehrbeauftragter der J. W. Goethe-Universität; bis 2013 wiss. Mitarbeiter an der Schopenhauer-Forschungsstelle an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz.



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