E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Schmidt Die Kraft der Verantwortung
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-89684-582-5
Verlag: Edition Einwurf GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Über eine Haltung mit Zukunft
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
ISBN: 978-3-89684-582-5
Verlag: Edition Einwurf GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ob es um das Klima geht, um Politik, die Arbeit oder die Beziehung: In all unseren Lebenszusammenhängen ist verantwortungsvolles Handeln gefordert. Doch was bedeutet das, wie ist ein solches Handeln motiviert und warum stehen wir überhaupt in der Verantwortung? Und was ist zu tun, wenn unsere Verantwortlichkeiten uns überfordern oder miteinander in Konflikt geraten?
Die Philosophin Ina Schmidt setzt diesen Verunsicherungen den Versuch einer Klärung entgegen. Sie begreift Verantwortung als ein uns innewohnendes Streben, das Gute zu wollen und zu tun, als eine soziale Praxis. Ihre Voraussetzung ist Freiheit – und ein zugeneigtes Verhältnis zur Welt und zu den Menschen. Damit wird Verantwortung zur Kraftquelle für das Individuum und die Gesellschaft.
Wie wir im Zusammenspiel von kritischem Denken, guten Gründen und emotionalem Spürsinn die Kraft der Verantwortung nutzen können, um für eine gelingende Gegenwart und Zukunft Sorge zu tragen, zeigt Ina Schmidt in diesem so klugen wie lebensnahen Buch.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1. KAPITEL Was heißt Verantwortung? »Wir waren jene, die wussten, aber nicht verstanden, voller Informationen, aber ohne Erkenntnis, randvoll mit Wissen, aber mager an Erfahrung. So gingen wir, von uns selbst nicht aufgehalten.« ROGER WILLEMSEN, »WER WIR WAREN. ZUKUNFTSREDE« Wie aber fangen wir an? Warum fällt es uns so schwer, das Richtige im Möglichen zu erkennen, und selbst wenn wir es erkennen, warum tun wir es dann nicht einfach? Manche Dinge sind leichter richtig zu machen als andere. Wir übernehmen Verantwortung, wenn wir unsere Kinder pünktlich zur Schule bringen, unsere Arbeit gewissenhaft erledigen und das Billigfleisch im Supermarkt liegen lassen. Aber vielleicht könnten unsere Kinder auch ganz allein zur Schule gehen, unsere Arbeit könnte sich noch viel wichtigeren Fragen des Lebens widmen und den Supermarkt sollten wir eigentlich ganz links liegen lassen und auf den Bioladen eine Querstraße weiter umsteigen. Was ist wie verantwortungsvoll, was ist genug und was eigentlich nur eine bequeme Ausrede? Verantwortung kommt irgendwie immer darauf an – aber worauf eigentlich? Das Richtige ergibt sich oftmals aus dem Zusammenhang, sodass man nicht auf eine einfache Handlungsanweisung hoffen kann. Also brauchen wir als Individuen die Fähigkeit herauszufinden, worauf es ankommt, um verantwortlich zu handeln. Erkenntnis ist in vielen Fällen nicht das Problem: Die Einsicht, dass es im Hinblick auf eine ganze Reihe von Herausforderungen dringend an der Zeit ist, verantwortlich zu handeln, ist wahrlich nicht neu und alles andere als überraschend. Seit Jahrzehnten mahnen Forscher und Wissenschaftlerinnen unterschiedlichster Disziplinen, dass wir auf begrenztem Raum mit begrenzten Ressourcen leben, und dieses Wissen hat mittlerweile jeden von uns erreicht. Kohle wächst nicht nach und Bienen fressen keine Steine.1 Manche Dinge sind sehr einfach. Daten und Fakten sprechen eine eindeutige Sprache, und wir können uns kaum mit dem Hinweis auf die Komplexität eines Zusammenhangs herausreden. Denn so komplex die Antworten sein mögen, die wir finden müssen, um Lösungen zu entwickeln, die die globalen Probleme unserer Gegenwart in den Blick nehmen, so einfach ist die Erkenntnis, dass wir nicht so weitermachen können wie bisher. Also was ist zu tun und wer entscheidet darüber? Eben hier beginnt die Uneinigkeit. Verantwortungen werden willig übernommen oder hin- und hergeschoben, europäische Lösungen sollen gefunden werden, während andere nationale Alleingänge anstreben, und globale Einigungen sind oftmals in weiter Ferne oder unmöglich. Daran lässt sich wunderbar verzweifeln, und wir alle kennen die Gespräche unter Freunden oder Kollegen, bei denen die Köpfe über die Entscheidungen »der Politik« oder dieser oder jener Institution geschüttelt werden. Verantwortung scheint in solchen Situationen viel mit Ämtern, Rollen und Zuständigkeiten, mit gesetzlichen Vorgaben und Einzelinteressen zu tun zu haben. Wir, die wir vielleicht kein Amt bekleiden und keiner Institution angehören, glauben dann, uns darauf beschränken zu können, uns in solchen Gesprächen über den bedauerlichen bzw. bedrohlichen Zustand der Welt auszutauschen. Aber sofern wir die Idee ernst nehmen wollen, dass jede und jeder von uns ein zur Verantwortung begabtes Wesen ist, das Zusammenhänge herstellen und aus Alternativen wählen kann, gehen die Möglichkeiten, die wir haben, darüber hinaus. Der Philosoph Karl Jaspers, der im letzten Jahrhundert mahnende Worte beim Aufbau der jungen Bundesrepublik fand, war sicher, dass Verantwortung nur im Handeln, in ganz konkreten Momenten der Entscheidung sichtbar wird, dann also, wenn wir uns in einem bestimmten Moment, aus gutem Grund für etwas entscheiden, das wir für richtig halten. Und wir, das ist jeder von uns.2 Allerdings – und dieser Einwand ist so ebenso einfach wie richtig: Wir wissen nicht, ob das, was wir für richtig halten, uns auch an das Ziel führt, das wir für notwendig halten. Wenn wir also darüber sprechen, wer warum welcher Verantwortung nicht nachgekommen sein mag, sein Amt einfach niedergelegt hat oder unverantwortlich mit Steuergeldern umgegangen ist, fangen wir bereits im diskursiven Akt an, ganz konkret zu werden. Worum geht es, was verstehen wir im zur Diskussion stehenden Zusammenhang unter Verantwortung und welche Alternative wäre aus welchen Gründen die bessere gewesen? Wie können wir etwas beurteilen, welches Wissen ist vonnöten und wo liegen die Grenzen dessen, was wir verantwortungsvoll zu regeln versuchen? Verantwortung ist nur so lange eine Art Selbstverständlichkeit, solange wir nicht nachfragen. Aber erst dann wird es konkret, und wir können herausfinden, worauf es wirklich ankommt. Verantwortung ist die Suche nach guten Antworten Beginnen wir mit einer konkreten Situation, in der, wie wir von Karl Jaspers gehört haben, verantwortungsvolles Handeln erst zum Ausdruck kommen kann – hier vielleicht in einer besonders dramatischen Form: Die Kapitänin Carola Rackete, die im Juni 2019 mit dem Seenotrettungskreuzer Seawatch 3 nach wochenlangem Warten dreiundfünfzig libysche Flüchtlinge auf die italienische Insel Lampedusa brachte, entschied sich zu dieser Handlung entgegen der Auflagen der italienischen Behörden. Die Flüchtlinge hätten Italien nicht betreten dürfen. Carola Rackete machte sich strafbar, indem sie die Menschen ans sichere Land brachte, und übernahm dafür die persönliche Verantwortung. Was aber bedeutet das in diesem Fall genau? Rackete war als Kapitänin zuständig; sie war qua ihrer Führungsrolle diejenige, die eine Entscheidung treffen musste; zudem war sie kompetent und im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte und damit in der Lage, den Bruch gesetzlicher Vorgaben ins Verhältnis zu dem zu setzen, was ihrer Vorstellung nach das Richtige war. In einem Interview mit der ARD am 5. Juli 2019,3 das aufgrund von Drohungen an einem geheimen Ort in Sizilien geführt werden musste, erklärte sie, dass sie diese Entscheidung auf Basis der Expertise der Crewmitglieder, die die Geflüchteten versorgten, abgewogen hätte, gemeinsam mit dem medizinischen Personal, das den Zustand der Geflüchteten als sehr besorgniserregend eingeschätzt hatte (es gab Androhungen von Hungerstreiks und Suizidgedanken). Gleichzeitig hätten offizielle Stellen wie die libysche Küstenwache erst spät und sehr zögerlich auf E-Mail-Anfragen reagiert, sodass sie ihrer Pflicht hätte nachkommen müssen, Menschen in Not zu helfen. Carola Rackete spricht von einer »Mauer des Schweigens«, auf die sie getroffen sei. Rackete hat also auf verschiedenen Ebenen Verantwortung übernommen: eine Rollen- und Handlungsverantwortung, die sie ihrer Eigenschaft als Kapitänin in der konkreten Situation ohnehin trug; aus ihrer Entscheidung resultierend eine rechtliche Verantwortung, die dazu führte, dass sie die Konsequenzen eines Gesetzesbruchs zu tragen hatte; und eine moralische Verantwortung, die sie offenbar dazu bewogen hat, eine solche Entscheidung zu treffen. Rackete hat auf eine problematische Aufgabenstellung eine Antwort gefunden, die auch hätte anders ausfallen können, aber für sie die einzig richtige gewesen ist.4 Während Carola Rackete also in einer Kaskade unterschiedlicher Verantwortungsanforderungen eine (für sie) richtige Entscheidung getroffen hat, können wir am Beispiel eines anderen Kapitäns sehen, dass selbst die grundlegende Handlungs- bzw. Rollenverantwortung nicht selbstverständlich erfüllt wird. Kapitän Francesco Schettino war 2012 der verantwortliche Schiffsführer bei der Havarie des Kreuzfahrtschiffs Costa Concordia vor der italienischen Insel Giglio, bei der er schnellstmöglich das eigene Schiff verließ, bevor für die Sicherheit der Passagiere und Mannschaften gesorgt war. Zweiunddreißig Menschen starben bei diesem Unglück, und ein italienisches Gericht zog Schettino zu der Verantwortung, die er nicht hatte tragen wollen: Er wurde zu sechzehn Jahren Haft wegen fahrlässiger Tötung verurteilt.5 Verantwortliches Handeln ist also keine Selbstverständlichkeit – es versteht sich nicht von selbst und bezieht sich auf verschiedene Ebenen des eigenen Tuns. Der Unterschied im Handeln von Carola Rackete und Francesco Schettino scheint offensichtlich: Die eine hat das Richtige getan, der andere nicht. So weit, so klar. Aber was genau bedeutet: das Richtige? Rein rechtlich hat Rackete etwas Verbotenes getan, dass es damit aber nicht notwendig auch das Falsche war, ist der Punkt, an dem die Sache interessant wird. Die Reaktionen auf die Entscheidung Racketes zeigen jedenfalls, dass es offenbar auch moralisch so einfach dann doch nicht ist, schließlich wurde sie sowohl verurteilt als auch bejubelt. Wie also finden wir heraus, was daran gut, was das Richtige ist und wer dieses Urteil fällen kann? Zunächst können wir festhalten: In Situationen, in denen wir verantwortlich sind, müssen wir – aufgrund von Rolle, Zuständigkeit oder Kompetenz – in der Lage sein, eine Entscheidung zu treffen (also hier: die Befehlsgewalt der Kapitänin), eine Antwort zu geben oder gegenüber Institutionen, der Öffentlichkeit, dem eigenen Umfeld Gründe anzuführen und uns zu rechtfertigen (die humanitäre Verpflichtung, die Flüchtlinge sicher an Land zu bringen). Wir sind also – das Beispiel des Flüchtlingsschiffes hat es in besonders dramatischer Weise gezeigt – in einer konkreten Situation immer...