Schönberger / Stolz Betreutes Leben in Familien - Psychiatrische Familienpflege, E-Book (PDF)

Ein Handbuch für die Praxis
1. Auflage 2003
ISBN: 978-3-88414-355-1
Verlag: Psychiatrie-Verlag
Format: PDF
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)

Ein Handbuch für die Praxis

E-Book, Deutsch, Band 22, 177 Seiten

Reihe: Psychosoziale Arbeitshilfen

ISBN: 978-3-88414-355-1
Verlag: Psychiatrie-Verlag
Format: PDF
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Ein Weg, Teilhabe und Integration für Menschen mit Behinderungen im Netzwerk normaler Alltagsbezüge zu fördern, ist das 'Betreute Leben in Familien'. Genutzt wird das bürgerschaftliche Engagement und die Integrationsfähigkeiten von Familien, um Menschen mit intensiver Unterstützungsbedürftigkeit gegen Aufwandsentschädigung und Betreuungsgeld ein weitgehend selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.

Das Handbuch bietet praktische Arbeitshilfen und Lernmodelle für den Aufbau dieses aus der traditionellen Psychiatrischen Familienpflege hervorgegangenen Betreuungsbausteins.

Erfolge und Misserfolge bei der Implementierung des Konzeptes werden zu einem komplexen Bild von Möglichkeiten und Grenzen dieses besonderen Versorgungsnetzwerkes zusammengefügt, das im Unterschied zu Formen des betreuten Wohnens von Laien erbracht wird. Gefordert ist weder die Anleitung der Familie nach dem Ko-Therapeuten-Modell noch das von Fachkräften aus der Arbeit in Institutionen gewohnte, stellvertretende Expertenhandeln. Es gilt die sehr persönlichen, nicht selten ungewöhnlichen Fähigkeiten und Ressourcen von Familienmilieus zu akzeptieren und zu stärken. Denn gerade diese schaffen beschützende Lebensnischen oder bahnen unerwartete Entwicklungen bei den Gastbewohnern.

Dem Handbuch liegen Erfahrungen aus Betreuungs- und Familiensituationen im Brandenburger Landkreis Dahme-Spreewald zugrunde. Dynamik und Verlauf realer Problemsituationen beim Aufbau des 'Betreuten Lebens in Familien' werden an Hand der dargestellten Fehler, blinden Flecken, Verführungen und Fallen diskutiert. Der Vergleich der eigenen Praxis mit der im Handbuch reflektierten Fallarbeit sensibilisiert für die sozialen und seelischen Konfliktentwicklungen in schwierigen Familienkonstellationen mit oft schwer zugänglichen Bewohnern. Die Texte sind in praktischen Entwicklungsphasen dargestellt, die als Folien für ein Modelllernen genutzt werden können. Der individuelle Hilfe- und Betreuungsbedarf fällt sehr unterschiedlich aus und wird anhand von typischen Szenarien aus der Alltagspraxis vorgestellt:

Hilfeplangespräch

erste Kontaktaufnahme

Kennenlernen und Beziehung knüpfen

gemeinsame Sprache finden

Probewohnen

Einzug

Verwöhnen und Gewöhnen

Grenzen testen und Grenzen Setzen

Alltagsanpassung (z. B. Sauberkeit, Kleidung, Hygiene, Rauchen)

Beschäftigung

selbstdestruktive, aggressive und psychotische Krisen.

Das Handbuch lädt zur Biographiearbeit mit Bewohnern ein. Aus Krankheits- und Behinderungsgeschichte wird Lebensgeschichte und lebensgeschichtlicher Sinn entziffert. Es geht um Standards für die personenzentrierte Begleitung, um Kriterien für die Auswahl von Familien und Bewohnern und um Wege, wie der häufig misstrauisch beäugte Baustein im Verbund mit den übrigen Betreuungseinheiten gefestigt werden kann. Auch werden Vor- und Nachteile unterschiedlicher Praxismodelle – freie Trägerschaft oder institutionelle Verankerung – anhand der Bedürfnisse von Nutzern und Leistungserbringern abgewogen.

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Weitere Infos & Material


5 Vorwort von Michael Konrad
6 Einleitung
8 Eine Entwicklungsgeschichte: Das Ehepaar Rauch bei Familie Grothe
11 Betreutes Leben in Familien – Chancen und Risiken der Familienpflege
11 Psychiatrische Familienpflege in Deutschland – ein kurzer historischer Abriss
16 Psychiatrie und Familie zwischen Abwertung und Idealisierung
20 Von den Schwierigkeiten einer angemessenen Sprache in der Familienpflege
24 Über die Zukunft familialer Strukturen
24 Gelassene und pessimistische Zukunftseinschätzungen
27 Rahmenbedingungen für den Aufbau des Betreuten Lebens in Familien
27 Gesundheits- und sozialpolitische Zielvorstellungen
30 Hilfeplanung für Menschen mit Behinderungen
31 Sozialrechtlicher und finanzieller Rahmen
35 Beteiligte Akteure: Interessen, Motive, Haltungen
36 Vermittlung des Konzepts in der Region
39 Organisation des Bausteins und betriebswirtschaftliche Perspektive
41 Zusammenfassung der Rahmenbedingungen
43 Das Gesundheits- und Krankheitsverständnis in der Familienpflege
43 Die Hartnäckigkeit der pathogenetischen Perspektive
45 Die Integrationskraft der salutogenetischen Perspektive
46 Subjektive Gesundheits- und Krankheitstheorien in Familien
48 Salutogenese in der Familienpflege
49 Normaler Alltag, Integration und Partizipation – Konzepte der Familienpflege
49 Der Alltag in Familien als Entwicklungschance
51 Entwicklungen und Veränderungen bei den Bewohnern
53 Normalität und Normalisierung
53 Integration: Chancen und Begrenzungen
54 Erfolge und 'Gewinne' der Gastfamilien
56 Familienpflege als Laienhilfe
57 Emotionale und soziale Kompetenzen der Gastfamilien
58 Familien als Lernort
59 Die Gastfamilien
59 Was zeichnet geeignete Gastfamilien aus?
59 Wie findet man die Gastfamilien?
60 Das Vorgehen bei der Auswahl von Gastfamilien
61 Die Auswahl von Gastfamilien: worauf muss man achten?
62 Voraussetzungen bei Gastfamilien
66 Motive und Erwartungen der Gastfamilien Inhalt
69 Die Bewohner
69 Welche Bewohner sind für die Familienpflege geeignet?
70 Motive der Bewohner
71 Unterschiedliche Zielgruppen
75 Die Aufgaben des Teams
75 Öffentlichkeitsarbeit
75 Aufbau von Kooperationsstrukturen
77 Klientenbezogene Aufgaben
85 Gastfamilien und Bewohner
85 Die Begleitung der Gastfamilien
87 Stärkung der Beziehungsfähigkeit und Beziehungsbalancierung
88 Empowerment und Vernetzung
89 Nutzung von Entlastungsmöglichkeiten
89 Sicherung einer angemessenen Selbstsorge
91 Typische Phasen im Zusammenleben und die Aufgaben des Teams
91 Probewohnen
92 Eingewöhnungszeit
93 Krankheitsepisoden und Krisensituationen
94 Fremdes und unverständliches Verhalten
96 Den Alltag im Zusammenleben begleiten
99 Die Begleitung der Bewohner
99 Integration und Entwicklung
100 Festigung der Identität durch Biografiearbeit
101 Advokatorisches Engagement
103 Fachlichkeit in der Familienpflege
106 Persönliche und fachliche Qualifikationen
111 Kollegiale Beratung, Supervision und Fallbesprechung
112 Qualifikation und Weiterbildung
115 Fachliche Kompetenzen der Sozialen Arbeit in der Familienpflege
117 Leben in Familien
117 Die Begleitung von Frau Hoffmann in der Familie Bender
122 Die Begleitung von Herrn Berg in der Familie Dachs
128 Literaturverzeichnis
133 Verzeichnis der Webseiten
134 Abkürzungsverzeichnis
Anlagen A bis J
135 Anlage A
141 Anlage B
146 Anlage C
150 Anlage D
151 Anlage E
155 Anlage F
161 Anlage G
163 Anlage H
170 Anlage I
171 Anlage J


Die Bewohner (S. 69-70)

Die Familienpflege hat auf veränderte Betreuungserfordernisse der Versorgungslandschaft reagiert. Die Beschränkung der Familienpflege auf psychisch kranke Menschen, wie dies im Namen »Psychiatrische Familienpflege« zum Ausdruck kommt, ist von der Praxis längst überholt. Aber psychisch kranke Menschen bilden noch immer die größte Bewohnergruppe, auch wenn dabei der Anteil von Patienten mit langen Hospitalisierungskarrieren nicht mehr dominiert.

Gegenwärtig werden Menschen mit sehr unterschiedlichen Behinderungen in Gastfamilien aufgenommen, ihr Kreis wird kontinuierlich erweitert. Zu den jüngsten Entwicklungen zählt die Betreuung von psychisch kranken Müttern oder Vätern und ihren Kindern in Gastfamilien, die nicht nur im LDS erfolgreich erprobt wurde (www.psychiatrische-familienpflege.de). Die bisher vorhandenen offenen Hilfeangebote, wie Einzelfallhilfe oder sozialpädagogische Familienhilfe, entsprechen oftmals nicht den besonderen Bedürfnissen und Erfordernissen von gesundem Kind und psychisch krankem Elternteil.

Ein notwendiger Heimaufenthalt führt zur Trennung von Mutter /Vater und Kind. Das Angebot des gemeinsamen Lebens in einer Gastfamilie erübrigt eine Heimunterbringung der Kinder und verhindert traumatische Trennungen von der primären Beziehungsperson. Mutter und Kind erhalten von den Mitgliedern der Gastfamilie Zuwendung und Unterstützung, die die Mutter / der Vater (zeitweise) nicht mehr gewähren kann. Das familiale Betreuungsfeld beugt sekundären Verhaltensauffälligkeiten vor und erschließt Hilfemöglichkeiten bei bereits vorhandenen Entwicklungsstörungen.

Heterogene Klientenstruktur

Die Familienpflege scheint sich für Menschen mit sehr unterschiedlichen Behinderungen zu eignen, deren spezieller Bedürfnislage das Leben in Familien mit einer sehr individuellen und persönlichen Assistenz am besten entspricht. Die heterogene Klientenstruktur bedeutet für die Familien und für die Arbeit des Teams, dass die Gewinnung und Ansprache der Bewohner, die Zahl der beteiligten und einzubeziehenden Fachkräfte, die Ziele und die Form der Begleitung in jedem einzelnen Fall abgestimmt und geplant werden müssen.

Bewohner nach langjährigem Aufenthalt in einer Institution stellen andere Anforderungen als diejenigen aus dem ambulanten Bereich.Menschen mit geistiger Behinderung haben teilweise andere Schwierigkeiten und andere Bedürfnisse als psychisch kranke Menschen. Sie sind häufig kontaktfreudiger und brauchen sozialen Rückzug nicht in dem Maß wie viele Menschen mit psychotischen Erkrankungen. Welche Bewohner sind für die Familienpflege geeignet? Für die Identifizierung geeigneter Bewohner spielen medizinisch-diagnostische Urteile eine untergeordnete Rolle.


Christine Schönberger, Jahrgang 1956, Diplompsychologin, arbeitet zzt. im DFG Projekt 'Familiale Tradierung von Gesundheitsvorstellungen' am Institut für Rehabilitationswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Gesundheits- und Versorgungsforschung im Bereich chronische Krankheit, Altenpflege und Angehörige von chronisch kranken und pflegebedürftigen Menschen.
Peter Stolz, Prof. Dr., Jahrgang 1944, Psychiater, Psychoanalytiker, Hochschullehrer am Fachbereich Sozialwesen der FH-Potsdam. Arbeitsschwerpunkt: Psycho- und Soziogenese von Krankheiten, Gesundheitsförderung. Er baute das Praxisprojekt "Betreuung chronisch psychisch kranker Menschen in Gastfamilien – Psychiatrische Familienpflege im Land Brandenburg" auf.



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