Buch, Deutsch, 286 Seiten, Format (B × H): 140 mm x 213 mm, Gewicht: 360 g
Eine historische Soziologie des Konsums
Buch, Deutsch, 286 Seiten, Format (B × H): 140 mm x 213 mm, Gewicht: 360 g
ISBN: 978-3-593-39047-5
Verlag: Campus
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Geschichtliche Themen Mentalitäts- und Sozialgeschichte
- Sozialwissenschaften Soziologie | Soziale Arbeit Spezielle Soziologie Freizeitsoziologie, Konsumsoziologie, Alltagssoziologie, Populärkultur
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Geschichtliche Themen Kultur- und Ideengeschichte
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Inhalt
Einführung: Die Verfügbarkeit der Dinge
1. Perspektive und Fragestellung
2. Zwei Leitunterscheidungen
3. Zur Konsumsoziologie in Deutschland und Großbritannien
4. Vorgehensweise und Ausblick
Erster Teil: Konsum in der europäischen Moderne
I Der Konsumbegriff im Wirtschaftsprozess
1. Begriffsgeschichte und Soziologie
2. Wortgeschichte: c?ns?mere und c?nsummare
3. Die Generalisierung des Konsums im Absolutismus
4. Konsum im Wirtschaftskreislauf
II Konsum und Gesellschaftswandel
1. Von der ständischen zur modernen Gesellschaft
2. Marktvergesellschaftung
3. Subjektivierung durch Konsum
Zwischenbetrachtung
Zweiter Teil: Moderner Massenkonsum
I Objektwelten des Massenkonsums
1. Mode und Konsum im ›Hochkapitalismus‹
2. Zweierlei Massenkonsum
3. Kulturelle Kontexte des amerikanischen Konsummodells
4. Industrielle Infrastrukturen - Ford und die Folgen
5. Ausblick
II Kritik und Theorie des Massenkonsums
1. Amerikanische Sozialtheorien des Konsums
2. Soziologie und Massenkonsum in der Bundesrepublik
Fazit: Modernität und Massenkonsum
Literatur
Einführung: Die Verfügbarkeit der Dinge
Die Rolle des Konsums in der modernen Gesellschaft wird noch immer vor allem im Horizont seiner normativen Implikationen diskutiert - obwohl der Massenkonsum, wie wir ihn heute kennen, in seinen Grundzügen bereits in den 1920er Jahren in den USA entstand und nach der Großen Depression dort vollends kulturprägend wurde, und obwohl er schon in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg in Westeuropa Fuß fasste und sich inzwischen auch in anderen Teilen Europas und der Welt als eine nicht wegzudenkende Realität hochmoderner Gesellschaften etabliert hat. In der deutschen Soziologie hat die bei diesem Gegenstand offenbar schwer durchzuhaltende Trennung von Analyse und Wertung seit geraumer Zeit dazu geführt, dass eigens dem Konsum gewidmete gesellschaftstheoretische Überlegungen unterblieben, obwohl er im Rahmen der Ungleichheits- und Lebensstilforschung durchaus in den Blick der Soziologie geriet. Außerhalb des Faches jedoch werden häufig weitreichende Annahmen zur Rolle des Konsums in der modernen Gesellschaft geäußert, wenn auch meist mit gegensätzlichen Argumenten und in Form grundsätzlicher Kritik oder Affirmation. So brandmarken ihn kritische Stimmen als Ausdruck des sozialen Konformismus, als Gefährdung der Kultur, als rücksichtslose Verschwendung gesellschaftlicher und ökologischer Ressourcen oder als Bühne einer erbarmungslosen Zurschaustellung sozialer Unterschiede, oder sie heben die Verführung von Konsumenten durch die Werbung hervor. Positiver gestimmte Beobachter sehen in ihm - zumindest was die breiten Mittelschichten der Industrieländer angeht - den Ausweis für den großen wirtschaftlichen Einfluss der Endverbraucher und die unhintergehbare Grundlage ihres im historischen und globalen Vergleich hohen Lebensstandards; sie billigen dem Konsum überdies zu, über die Güterversorgung hinaus auch Mittel für eine zeitgemäße Identitätsbildung zur Verfügung zu stellen. Diese Ansichten beruhen zwar oft auf durchaus schlüssigen Einzelbeobachtungen, die jedoch, unter normativen Vorzeichen hypostasiert, ihren analytischen Wert rasch verlieren.
Die Frage nach der Rolle des Konsums in der modernen Gesellschaft ist also nach wie vor ein "heißes" Thema, dem die deutsche Soziologie bislang aus dem Weg gegangen ist - wenn man mit der Metapher die affektive Energie fassen kann, welche diese Frage regelmäßig freisetzt, wenn sie sich im Alltag des Konsumierens oder bei der Beobachtung anderer Konsumenten stellt. Die vorliegende Studie verfolgt das Ziel, diese Frage soweit "abzukühlen ", dass sie soziologisch verhandelbar und die wichtige Rolle kenntlich wird, die der Konsum für die moderne Vergesellschaftung spielt.
Die erkenntnisleitende Perspektive dieser Studie ist mit der titelgebenden Formulierung Verfügbarkeit der Dinge benannt, die eine besonders im historischen Vergleich hervortretende Eigenschaft einer vom Warenkonsum geprägten Gesellschaft betont. Dahinter steht die Überlegung, dass der moderne Konsum nicht allein als Ausdruck der sozialen Verhältnisse Handelnder oder als ein bloßer Spiegel sozialer Strukturen angesehen, sondern als ein an die Nutzung und Aneignung von Dingen gebundenes Medium der Vergesellschaftung betrachtet werden sollte: Die jeweilige Art der Verfügbarkeit dieser Dinge bestimmt dabei die gesellschaftliche Rolle des Konsums mit, und auch die sich wandelnden Weisen ihres Gebrauchs bleiben den Sozialbeziehungen nicht äußerlich. Vielmehr werden sie durch den Konsum vermittelt, das heißt durch den Gebrauch handelbarer Objekte überhaupt erst ermöglicht und können sich somit auch durch ihn verändern. Dies schließt soziale Asymmetrien in diesen Beziehungen keineswegs aus, sondern kann sie geradezu in Geltung setzen - dies erfordert aber auch, dass die zu diesem Zweck verwendeten Objekte auf Märkten zur Verfügung stehen. Und es macht zugleich denkbar, dass ein veränderter Objektfundus der Gesellschaft - etwa durch neue Produktionstechniken und Distributionsformen oder den Zugang neuer Konsumentengruppen - die durch ihn vermittelten Sozialbeziehungen wiederum selbst verändern kann.
In dieser Sichtweise drückt sich zum einen die Distanz zu einer Reihe von populären konsumkritischen Begrifflichkeiten wie Manipulation oder Konformismus aus, mit denen Ursachen und Folgen des Konsums oft charakterisiert werden, die aus der in dieser Studie eingenommenen Perspektive jedoch als normativ zu stark aufgeladen erscheinen und zudem simplifizierende Annahmen über verursachende Instanzen transportieren. Die Charakterisierung des modernen Konsums als Verfügbarkeit der Dinge setzt die hier eingenommene Perspektive aber auch von anderen, in der Soziologie und der interdisziplinären Konsumforschung verfolgten Fragestellungen ab, was im Folgenden zu erläutern ist.