Buch, Deutsch, Band 2, 382 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 214 mm, Gewicht: 480 g
Reihe: Eigene und fremde Welten
Zur Globalisierung von Bildungsdiskursen
Buch, Deutsch, Band 2, 382 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 214 mm, Gewicht: 480 g
Reihe: Eigene und fremde Welten
ISBN: 978-3-593-38031-5
Verlag: Campus
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
Weltkultur und kulturelle Bedeutungswelten - zum Thema des Bandes 7
Jürgen Schriewer
Teil I
Begegnung - Rezeption - Interpretation
Mehr als Reiseberichte? Britische Beobachter des deutschen Bildungswesens im 19. Jahrhundert 23
David Phillips
Gouvernementaler Internationalismus und Bildung: Deutschland und die USA am Anfang des 20. Jahrhunderts 45
Eckhardt Fuchs
John Dewey und Jean Piaget: Weltklassiker im lateinamerikanischen Kontext 75
Marcelo Caruso
Zur Transformation von "Reformpädagogik" und utopischem Sozialismus im jüdischen Gemeinwesen Palästinas 117
Ludwig Liegle
Teil II
Transfer - Transformation - Appropriation
Wenn Wissen auf Reisen geht: Rezeption und Aneignung westlichen Wissens in China 151
Barbara Schulte
Afrikanischer Bildungsimport aus den USA: Achimota im Umfeld lokaler Bildungspolitik 187
Gita Steiner-Khamsi & Hubert O. Quist
Die Weltbank und ihr Einfluss auf die Bildungsreformen postsozialistischer Transitionsländer 227
François Orivel
Globale Bildungsdiskurse und ihre Indigenisierung in Südasien 251
Markus Maurer
Teil III
Weltsystem - Weltbildungsprogrammatik - Pädagogische Semantik
The World Institutionalization of Education 279
John W. Meyer & Francisco O. Ramirez
An Exploration of Effects of Participation in Global Educational Comparisons 299
Elizabeth H. McEneaney
Erneuerung aus dem Geist der eigenen Tradition? Über Kontinuität und Wandel nationaler Denkstile in der Erziehungswissenschaft 321
Edwin Keiner & Jürgen Schriewer
Von den Sozialwissenschaften in Europa zu europäischen Sozialwissenschaften? 349
Jan Spurk
Autorinnen und Autoren 365
Personenregister 369
Weltkultur ist, zumal im Titel eines Buches, weder ein bescheidener Begriff; noch ist dieser Begriff theoretisch unbelastet. Ganz im Gegenteil bezeichnet "Weltkultur" (neben dem nur schwer adäquat übersetzbaren "world polity") das überwölbende Rahmenkonzept für einen zunehmend prominenten Strang sozialwissenschaftlicher Forschung und Theoriebildung. Gemeint ist der soziologische Neo-Institutionalismus in seiner von John W. Meyer theoretisch fundierten und in Zusammenarbeit mit Francisco O. Ramirez und wechselnden Gruppen von Mitarbeitern entfalteten Variante. Diese umschreibt ein mittlerweile breit angelegtes Forschungsprogramm, das darauf abzielt, die Dynamik der Herausbildung einer globalisierten Weltgesellschaft und ihrer charakteristischen Strukturen theoretisch zu fassen und die so entwickelten Thesen durch eine Fülle vergleichend-historischer Forschungen empirisch zu untermauern.
In Konsequenz seiner organisations- und wissenssoziologischen Ausgangsprämissen versteht der neo-institutionalistische "world polity"-Ansatz moderne Gesellschaft als eine primär kulturelle, d.h. über kognitive Regeln, kollektiv geteilte Annahmen und entsprechende Orientierungsmuster und Erwartungsstrukturen hergestellte Ordnung. Sie konstituiert sich als Zusammenhang von nicht mehr hinterfragten, vielmehr als selbstverständlich und legitim unterstellten - in diesem Sinne "institutionalisierten" - Wirklichkeitsdeutungen (accounts), regulativen Leitideen (rules) und daran anknüpfenden Handlungsprogrammen (ideologies). Diese stehen einerseits in der Tradition der durch Renaissance und Reformation dynamisierten Prozesse okzidentaler Rationalisierung und Säkularisierung. Andererseits haben sich diese Deutungen, Leitideen und Handlungsprogramme in universalistischem Sinne fortentwickelt und haben in erstaunlichem Maße weltweite Geltung erlangt. Zu den in diesem Sinne "rationalisierten Mythen", wie es bei Meyer und Co-Autoren in Anflügen ironischer Brechung heißt, zählen an prominenter Stelle etwa die Leitideen von individueller Persönlichkeitsentfaltung und Staatsbürgerschaft, von gesellschaftlichem Fortschritt und wirtschaftlicher Entwicklung sowie das Modell des Nationalstaats, der als Garant und legitimer Ordnungsrahmen für die Aktivitäten gesellschaftlicher Gruppen und Akteure angesehen wird. "Globalisierung" im neo-institutionalistischen Verständnis bezeichnet dann im Kern die Prozesse der weltumgreifenden Diffusion solcher Wirklichkeitsdeutungen und handlungsorientierenden Leitideen. Solche Prozesse werden immer erneut dynamisiert durch eine Vielzahl zwischen-gesellschaftlicher Interaktionen, Verweisungen und Imitationen sowie durch daran anschließende abstrahierende Modellbildungen. Vornehmlich seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verdichten sich diese Diffusionsformen und -wege zu einem kommunikativen Geflecht, in dem regionale und interregionale Netzwerke von Wissenschaftlern und Experten sowie internationale Regierungs- und Nicht-Regierungsorganisationen mit zuvor nie gekannter Intensität - über Kongresse, Journale, Deklarationen und Entwicklungsprogramme - zusammenwirken und einen selbsttragenden Prozess der welt-"gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit" nicht nur in Gang halten, sondern zunehmend verstärken. "Weltkultur" oder "world polity" wird insofern als die Gesamtheit global akzeptierter Erwartungsstrukturen und rationalisierter Bedeutungssysteme begriffen, die aufgrund ihrer Legitimität mit verhaltensstrukturierendem Gestaltungsanspruch ausgestattet sind. Sie stellt, im Unterschied zur Wallersteinschen "world economy", die sich aus der expansiven Inkorporierungsdynamik eines Systems kapitalistischer Weltwirtschaft ergibt, ein "transnational cultural environment" dar, das in einer Vielzahl gesellschaftlicher Handlungsfelder - von politischer Organisation und Staatsbürgerschaft über Rechtsgrundsätze und Menschenrechtsregime bis hin zu Umweltschutz, Wissenschaft oder Erziehung - zu weltweit "isomorphen" Strukturen geführt hat.