Schuberth | Chronik einer fröhlichen Verschwörung | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 480 Seiten

Schuberth Chronik einer fröhlichen Verschwörung

Roman
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-552-05728-9
Verlag: Zsolnay, Paul
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 480 Seiten

ISBN: 978-3-552-05728-9
Verlag: Zsolnay, Paul
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Vor der Tür des siebzigjährigen Philosophen Ernst Katz steht die Schülerin Biggy. Sie kennen einander von einer Bahnfahrt: Katz, dem verschrobenen letzten Mohikaner der Kritischen Theorie, war das Mädchen wegen seines scharfzüngigen Mundwerks aufgefallen. Mit einem Wiedersehen hatte er nicht gerechnet. Er nimmt Biggy bei sich auf und weiht sie ein in seinen Plan, den „Holocaustroman“ eines Jungschriftstellers zu verhindern – einen Roman über eine außergewöhnliche Frau, mit der Katz ein Geheimnis verbindet. Doch ihre kühnen Methoden drohen zu scheitern. Richard Schuberths Debüt ist ein moderner Schelmenroman und eine rasante Außenseiterballade zweier ungleicher Zeitgenossen.
Schuberth Chronik einer fröhlichen Verschwörung jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


1. Kapitel Begegnung im Zug   »Ist Ihnen nicht gut?«, fragte der Schaffner. Ernst Katz sah zu ihm hoch. »Dieser Schmierfink wird Klara nicht bekleckern!« »Nein, das wird er bestimmt nicht«, sagte der Schaffner, entwertete das Ticket, gab es Ernst Katz zurück und setzte seinen Gang durch den Waggon fort. Hält er mich halt für einen Trottel. So unrecht hat er ja nicht. Ernst Katz schlug mit dem Hinterkopf gegen die Lehne und atmete schwer. Vor seinen Füßen lag ein zerknüllter Zeitungsteil. Passagieren, denen dies auffiel, bot sich ein befremdliches Bild. Der ältere Mann rieb sich so fest und schnell mit den Fingerkuppen die Kopfhaut, als wollte er sie vom Schädel schmirgeln. Diese neuen Hochgeschwindigkeitszüge, sanft schweben sie durch die Landschaft: Selbst die Schaffner sind so freundlich, als wurden sie gecastet, um Touristen an der kolportierten Geschichte dieses Landes zweifeln zu lassen. Früher, da ratterten die Garnituren in monotonem Rhythmus, da konnte man sich noch vor den Mitreisenden, vor den eigenen Sorgen in beruhigenden Steadybeat flüchten. Doch nichts, nichts, woran der Verzweifelte Halt findet in dieser vollklimatisierten Servicekabine, die ihn bloß duldet. In a few minutes we arrive in Wels. Was wollen die Juden noch? Wir haben unsere Lektion gelernt. Jetzt sind sie es, die beweisen müssen, ob nicht doch ein Fünkchen Wahrheit daran ist. Woran? Na, Sie wissen schon! Schauen Sie doch nach Israel oder sehen Sie sich bloß diesen alten Neurotiker mit dem schlecht unterdrückten Wutanfall an. Spinner gibt es überall, aber so einer wird nie zu uns gehören. Und uns ist’s grad recht. Ernst Katz presste seine rechte Wange an die Scheibe. Stupide starrte er die vorbeischwebenden Eigenheime des Traunviertels an, nicht minder stumpfsinnig glotzten sie zurück. Es darf einfach nicht wahr sein! Einer dieser Quader, eine dieser Einfamilienbatterien, eines dieser baumarktbarocken Spukschlösser also hat den jungen Autor in die Welt gespuckt, der sich nun sechzig Jahre später an den Gedemütigten vergreift. Warum gerade Klara? Hast du nicht genug Nazifilme gesehen, um dir fiktive Juden zu basteln? Ernst Katz’ Hände ballten sich wieder. Und wenn es das Letzte ist, was ich tue, ich werde dich daran hindern. Das schwöre ich. Er griff nach dem Zeitungsknäuel und versuchte die Falten zu glätten. Er hatte es nicht geträumt. Noch immer stand dort: Erfolgsautor schreibt KZ-Roman. Der vielprämierte oberösterreichische Schriftsteller René Mackensen – diesjähriger Adalbert-Stifter-Stipendiat – versucht sich an einem heiklen Sujet: der Holocaustprosa. In seinem nächsten Roman will er das Schicksal der jüdischen Psychologin Klara Sonnenschein aufarbeiten, die ihre Jugend in Mauthausen verbringen musste. »Eine irrsinnig interessante Frau. Und viel zu wenig bekannt.« »Überhaupt«, meint der literarische Shootingstar im Interview, »könne man gar nicht genug schreiben über dieses problematische Kapitel unserer Vergangenheit.« Sie war Philosophin, Germanistin, alles, nur keine Psychologin! Wer den Mann hier im Waggon beobachtete, konnte schwer entscheiden, ob die Verzerrung seines Gesichts von Schmerz oder Spott herrührte. Einem Instinkt folgend, versuchte er seiner Grimasse den Anschein von Vergnüglichkeit zu geben. Holocaustprosa, murmelte er. Der Boulevard bezeichnet schon ein eigenes Genre damit. Wir benutzten das Wort spöttisch, aber zaudernd, aus Angst, die Geschmacklosigkeit des Spotts könne die Geschmacklosigkeit des Verspotteten übertreffen. Und was machen sie? Sie bedanken sich für die Anregung und küren ihn zu einem Slogan. Warum Klara, warum ausgerechnet Klara? Nein, man konnte nicht behaupten, der siebzigjährige Mann mit dem braunen Teint und dem dichten, weißen Haar, das ihm halblang in den Nacken fiel, sei mit sich und der Welt im Reinen. Alle Attribute besaß er, um als interessanter Greis zu gelten. Er wirkte vital, sportlich, und war auch so gekleidet: blaues Hemd, graubeiger Mantel, Hose aus braunem Cord. Man hätte ihm den Amazonasforscher abgenommen, den Adria-Kapitän mit Business-Vergangenheit, den Globetrotter, den Bonvivant, der charmant noch jüngere Frauen- und vielleicht auch Männerherzen zu erobern weiß. In exotischen Ländern hängt man einem wie ihm gerne Blumenketten um den Hals, mit gefalteten Händen verbeugt er sich vor heidnischen Schreinen und fährt mit dem Dalai Lama Wasserski. Doch was tat Ernst Katz, um einer dieser Vorstellungen zu entsprechen? Gar nichts tat er. Auch als Philosoph hätte er durchgehen können, jedoch nicht als einer dieser Besserwisser, sondern eher von der Marke Weisheit & Lebensphilosophie. Mehr asiatisch verbindlich als jüdisch zersetzend. Doch Ernst Katz fehlte jeglicher Ehrgeiz, sich in seinem ansprechenden Äußeren einzurichten. Er betrachtete die Mitreisenden. Längst hatten sie seine Wutspasmen bemerkt, längst starrten sie ihn aus Augenwinkeln an als das misslungene Leben, das behutsam aus dem Blick, aus dem Sinn geschaufelt gehört, damit ihres seinen gewohnten Lauf fortsetzen kann. In speckiger Jacke, mit strähnigem Haar und starker Ausdünstung hätte er sich einordnen lassen. Doch das Missverhältnis von würdevollem Aussehen und würdelosem Betragen verwirrte. Ernst Katz starrte zurück; was sie konnten, konnte er schon lange. Dort, der schlafende Pendler, die Jungmutter, die drei Weiber zwei Reihen weiter, die er zwar nicht sah, deren Gewäsch ihm aber seit Salzburg unerträglich war und die er sich allesamt mit Kunstpelzmützen auf dem Kopf und bordeauxroten Pullovern vorstellte; die Laptoparbeiter, die Studenten auf dem Weg nach Wien, die zwei angeheiterten Teeniegören, die in Wels zugestiegen waren und glaubten, mit ihrem Kichern den ganzen Raum beherrschen zu dürfen … Starrt mich ruhig an! Brütet euren Handlungsbedarf aus! Was wäre, wenn Ernst Katz wirklich so ausgesehen hätte, wie er war? Wäre er eines dieser vergeistigten Glatzenmännchen mit tausend Dioptrien gewesen, wie man sie aus dem vorigen Jahrhundert kannte, die Bewunderung und Lebensberechtigung einzig in ihren akademischen Karrieren und Suhrkamp-Büchern fanden, aber seit der Erfindung der Talkshow ausgestorben waren? Die als Mahner der Nation nicht taugten, weil sie zu keiner Nation gehörten. Weder sexy noch charismatisch, diese letzten Kathederjuden, die man sich hielt, damit sie einem auf Knopfdruck verziehen. Aber wehe, sie verbänden ihre Besserwisserei mit Unversöhnlichkeit, als Erstes zerstörten ihnen die Studenten ihre Hornbrillen, weil französisches Denken cooler wäre, und dann tappten sie verzweifelt, die Tränensäcke zusammengekniffen, aus dem Campus auf die Straßen, wo der Mob darauf wartete, dass sich solch ein Professorchen vor ihre rostigen Ketten und gelackten Stilettos verirrte. Ernst Katz meinte es ernst. Er machte sich keine Illusionen. Alle, alle, wie sie da im Waggon saßen, alle ohne Unterschied, würden ihn bespucken, verlöre er die Fassung. Wenn er Klartext redete mit ihnen. Und je klarer seine Sprache, desto unverständlicher wäre sie ihnen, und desto mehr würden sie ihn hassen, sie, die spürten, dass er nicht mit ihnen reden wollte, sondern bloß etwas zu sagen hatte. Nichts auf dieser Welt, wusste Ernst Katz, hassen sie so sehr wie den kritischen Gedanken, der es ihnen nicht erlaubt, sich’s mit der Welt zu richten. Die Rechten wie die Linken, Frauen und Männer, Skinheads wie deren Sozialarbeiter, Sinnsucher und Sinnverkäufer, Österreicher, Türken, Jugos, Deutsche, Ökos, Einzelhandelskaufmänner, Mechaniker und Lebensberaterinnen, alle ließen sie ihre Kämpfe ruhen, wenn einer wie er die Maske fallen ließe. Das Eigene und das Fremde merkten plötzlich, dass sie einander gar nicht so fremd seien in Anbetracht jenes störenden Fremden, das er, Ernst Katz, verkörperte und ihnen allen missfiel – dem Eigenen wie dem Fremden. Alle, wie sie da saßen, alle entlüden sie ihren Hass auf den Spaßverderber, der immer ein Haar in der Suppe findet. Mein Denken, das ist meine Cyranonase und meine Judennase zugleich, obwohl ich angeblich wie eine Mischung aus Heinrich Harrer, Franz Liszt und Rutger Hauer aussehe. Es ist jener rast- und wurzellose Geist, der den mit ihrer Unfreiheit Versöhnten lästige Freiheit verspricht. Einträchtig mit ihren Knechtern und Verdummern müssen sie diese Ratte jagen, was für ein Spaß. Ernst Katz’ Phantasie nahm den Schrecken immer öfter in drastischen Bildern vorweg, und dabei blieb unklar, ob der Maler solcher Gespinste als fiktives Opfer nicht auch die Freuden der Täter mitgenoss. Lasst ihn nicht entkommen! Vor Jahrzehnten hatte ihm eine alte Frau, mit der er aus Sympathie ein Gespräch anfing, eine Sympathie, die er bald bereute, erzählt, dass sich damals im Achtunddreißigerjahr die Juden plötzlich über Nacht aus Innsbruck davongeschlichen hätten. Von einem Tag auf den anderen seien sie verschwunden. Der Ausdruck ihrer Augen hatte ihm verraten, dass sie die Juden für Verräter hielt, die sie und ihresgleichen im Stich, allein mit Hitler gelassen und damit all die Gründe bestätigt hätten, warum man sie jagte. Doch in Ernst Katz’ Tagträumen gab es keine Flucht. Warum könnt ihr mich nicht leben lassen? So richtet er in seinen Tagträumen das Wort an die vermeintlichen Genossen im Mob. Reicht es denn nicht, meine Kritik und mich zu ignorieren? Es reicht eben nicht. Während wir den Mob mit dir beschäftigen, gewinnen Bessere als du – schöne Musliminnen und Juden mit echter jüdischer Identität – Zeit zur Flucht. Denn eines ist klar: So was wie du nützt niemandem! Das wirst du doch einsehen. Nicht zu einem konstruktiven Gedanken bist du fähig. Nicht einmal...


Schuberth, Richard
Richard Schuberth, Jahrgang 1968, schreibt Essays, Satiren, Theaterstücke, Drehbücher, Songs und wissenschaftliche Texte. Darüber hinaus ist er Cartoonist, war Intendant des Musikfestivals Balkan Fever und als Schauspieler und DJ tätig. 2014 erschien Das neue Wörterbuch des Teufels. Chronik einer fröhlichen Verschwörung  ist sein erster Roman.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.