E-Book, Deutsch, 204 Seiten
Schütz Von Gartenzimmern und Zaubergärten
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-8412-2000-4
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 204 Seiten
ISBN: 978-3-8412-2000-4
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
»Pflanzen sind der Atem des Lebens, die Verbindung zwischen Himmel und Erde ...« Helga Schütz ist Gärtnerin mit Leib und Seele. Das hat sie mit Schriftstellerinnen wie Vita Sackville-West oder Eva Demski gemeinsam, sie aber ist obendrein gelernte Gärtnerin und hat als Landschaftsgärtnerin gearbeitet, lange bevor sie zu schreiben begann. So erzählt sie mit der Souveränität einer Naturliebhaberin, die seit ihrer Jugend weiß, dass ein Garten nicht von Natur aus hübsch und anmutig, sondern stets auch anstrengend und fordernd ist. Zwischen Sommer und Sommer wird Gärtnerglück und -frust offenbar, vor allem aber, wie sehr ein Garten, der Meister der Überraschungen, die Augen für den Gang des Lebens öffnet. Ein Buch für alle, die das Draußen lieben -- mit zauberhaften Illustrationen von Nils Hoff.
Helga Schütz wurde 1937 in Falkenhain/Schlesien geboren. 1944 Umsiedlung nach Dresden. Nach einer Gärtnerlehre Arbeit als Landschaftsgärtnerin. ABF. Nach dem Studium an der Hochschule für Filmkunst in Potsdam-Babelsberg wurde sie freie Autorin und schrieb Drehbücher und Szenarien zu Spiel- und Dokumentarfilmen, später auch Romane und Erzählungen. Em. Professorin an der Hochschule für Film und Fernsehen. Sie lebt in Potsdam. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Zuletzt erschienen: Grenze zum gestrigen Tag (Roman, 2000); Dahlien im Sand. Mein märkischer Garten (2002); Knietief im Paradies (Roman, 2005); Sepia (Roman, 2012); Die Kirschendiebin (Erzählung, 2017); Von Gartenzimmern und Zaubergärten (2020).
Weitere Infos & Material
Willkommen in Bornim
Zu den Meistern wandern, zu Kakteen-Haage oder zu Chrestensen nach Erfurt, zu Franz Weinreich in Wolmirstedt, das wünschte man sich in den frühen fünfziger Jahren, wenn die Gärtnerlehrzeit überstanden war. Weitbekannte Spezialbetriebe lockten. Moorbeetkulturen? Gehölze? Ich träumte von Karl Foersters Staudengärtnerei in Bornim bei Potsdam. Karl Foerster war Deutschlands berühmtester Gärtner, seinen legendären Senkgarten hatte der Züchter von vielen sagenhaft schönen Ritterspornsorten zum Treffpunkt für Künstler, Schriftsteller und Musiker gemacht. Ich hatte über die Jahre einige Bornimer Kataloge gehütet. Neben Rittersporn gibt es fast ebenso viele Phloxe, seine zweite Lieblingsstaude, in Leuchtfarben und zartem Pastell, frühblühende Sorten, niedrige, regenfeste. ›Landhochzeit‹, ›Firmament‹, ›Sommerkleid‹ und die nach seiner Frau benannte ›Eva Foerster‹, lachsrot mit weißer Blütenmitte. Auch Glockenblumensorten, Sonnenaugen und Sonnenbräute haben ihn zum Vater. Für all das, nicht zuletzt auch für seine Publikationen hatte ihn die Humboldt-Universität zu Berlin zum Ehrendoktor ernannt. 1952 war sein »Neuer Glanz des Gartenjahres« erschienen, das erste Fachbuch, das wir uns als Lehrlinge selbst kauften. Er schrieb in einer eigensinnig poetischen Sprache über seine Passion. Es war, als gewänne unser Beruf, der in diesen Zeiten ziemlich hart war, durch ihn einen höheren Sinn und etwas Würde. Wir trugen Holzschuhe, Fußlappen, umgearbeitete Militärklamotten, karrten Bombentrümmer, planierten Kriegsbrachen, bevor wir Blumen pflanzten. Den Sinn seiner Äußerung Tröste mich – ich bin so glücklich konnten wir als Junggärtner nur ahnen. Aber für diese Dimension verehrten wir ihn. Seine neuen Staudenzüchtungen stellte er in den Büchern wie Gefährten vor. So erzählt er in einem Brief, wie er den üppig blühenden ›Wassermann‹, eine neue Ritterspornsorte, einmal gegen Abend besucht hatte, wie er dann am nächsten Morgen noch während der Dämmerung wieder zu ihm gegangen war. Berührt von der Magie des Lichts und der Farbe, beschrieb er eine zauberische Wandlung: Es ist, als ob man einem Mondsüchtigen begegnet, der nicht mehr weiß, welcher Macht er über Nacht ausgeliefert war. Das war seine Art, mit der Arbeit, mit dem Alltag und mit den Rätseln der Welt umzugehen. Seine stolze Behauptung Das Leben ohne Phlox ist ein Irrtum ließ sich wunderbar ironisch auf allerlei erweitern. Wir waren da ziemlich phantasievoll. Doch im Stillen wussten wir: Ein Phloxsommer ist wirklich die Wahrheit. Als ich nach der Gärtnerlehre und einem Jahr als Landschaftsgärtnerin Studentin in Potsdam geworden war, ging ich in den Ferien zum Geldverdienen nach Bornim zu Foerster in die Stauden. Einmal hörte ich beim Jäten durch das offene Fenster Klavierspiel. Wilhelm Kempff, der berühmte Pianist, war oft Gast des Hauses. Ich blieb in der Nähe, jätete, harkte, hatte lange zu tun. Manchmal half ich im Quartier gleich nebenan beim Jungpflanzenverkauf. Liebhaber suchten nach einer Züchtung von Foerster. Man kaufte von einer Sorte eine kräftige Pflanze, höchstens drei. Man kaufte, der Erfahrung und Phantasie des Züchters vertrauend, gleichsam die Zukunft. Die Staude sollte im Garten Wurzeln schlagen, später einmal Gestalt annehmen, blühen und größer werden, dann würde man den Ballen teilen, in frische Erde setzen. Was auf dem eigenen Beet keinen Platz mehr fände, würde man verschenken, so wanderten Foerster-Sorten durch das Land. Über fünfzig Jahre später pflanzte mich das Leben in einen Garten in Potsdam-Babelsberg. Von dem Garten hieß es, dass Karl Foerster bei der Gestaltung, vielleicht schon bei der Planung beratend mitgewirkt habe. Eines Offenen-Garten-Tages stand Marianne Foerster, die Tochter, ebenfalls Gärtnerin, mit einer Staudenkiste, Kaukasischen Geranien, Verbenen, Foerster-Phlox, unter meinen Kiefern. Seitdem sorgte sie sich um mein schattiges Terrain, und ich war manchmal Gast im Foerster-Haus in Bornim. Ich fuhr mit dem Fahrrad quer durch Potsdam. Adresse: Rauchfang 7. Wir saßen gern im Wohnzimmer am Fenster mit Blick in den Garten, schauten von oben auf die Blumen wie auf Kinder, denen man gerne zusieht beim Spielen und Wachsen. Dahlien, Sonnenhut, Herbstanemonen, Fächerahorn, Koniferen, violett, gelb, weiß, grün, tizianrot. So war das Bild. Genauso hatte es sich Karl Foerster vor hundert Jahren vorgestellt. Einen Garten, der so innig zum Haus gehörte, dass man das Gefühl haben konnte, das Haus hielte den Garten schützend in den Armen. Das nächste Mal war schon Spätherbst. Der Frauenmantel schimmerte silbern, in den braunen Blütenständen lag Raureif. Zwischen Hagebutten blühten die nun wirklich allerletzten Rosen. Eingemummelte Besucher spazierten auf den Wegen, verschwanden hinter Taxus, zwischen hohen trockenen Stauden, die als Schutz und Schmuck, auch als Futter für die Vögel über Winter stehen bleiben sollten. Auf dem Teetisch lag das Buch »Der Garten meines Vaters Karl Foerster«, durch das Fenster schauten wir auf das prächtige Original, das, noch während der Vater hier wohnte, zum Denkmal erklärt worden war. Ein Denkmal, das sich in seinen hundert Jahren erneuert und verjüngt hat, aber auch erwachsen und alt geworden war. Die Hüter und die Stiftung Denkmalschutz müssen entscheiden. Wollen sie die Idee, dazu zeitgebunden prägende Bilder bewahren oder das Andenken an die Schöpferhand? Der kleine Ahorn, den diese Hand einst gepflanzt hat, wirft heute mächtige Schatten. In der Krone eines Baumes, den Karl Foerster besonders liebte, haben sich Misteln angesiedelt. Jeder Entschluss braucht Herz und Verstand, es gibt bei der Pflege dieses Denkmals nicht nur eine Wahrheit. Der junge Staudenzüchter hatte beizeiten seinen Betrieb von Berlin nach Bornim umgesiedelt. Seine Ideen brauchten Raum: Gewächshäuser und Freiland. Neben dem Wohnhaus, das 1912 im Sinne des Architekten Hermann Muthesius gebaut worden war, hob er in östlicher Richtung eine 80 bis 160 Zentimeter tiefe Senke aus. 45 mal 25 Meter groß. Er nannte die Vertiefung im Gelände Senkgarten, Sunken Garden, nach englischem Vorbild. Seine Senkgarten-Architektur lockte Neugierige, machte Schule. Eine sanfte Mulde, wenn möglich an der tiefsten Stelle ein Teich, wenigstens ein Bassin oder vielleicht ein kleiner Brunnen. Wasser. Bewegte Stille. Niedrige Mauern, die Wärme und Feuchtigkeit in der Erde halten. Wege, die gliedern und führen, steinerne Bänke zum Verweilen, die wie Ofenkacheln die Sonne oder auch die Nachtkühle speichern. Fast nach Wunsch. Bornim, ein Pilgerziel. Das ganze Terrain ein Pläsier zwischen Bauern- und Renaissancegarten. Auf den Feldern westlich hinter dem Haus, in Gewächshäusern und auf etikettierten Beeten gediehen altbewährte und neue Staudensorten. Im Senkgarten konnte der Züchter die schönsten, manchmal auch heikle Neuheiten jeden Tag aus der Nähe beobachten und beurteilen. Er sah sie als ein Detail der Gartenarchitektur im Zusammenspiel von Formen und Farben rund um das Jahr. Begleitet von Regenwolken, Sonnenstrahlen, Schmetterlingen, Wühlmäusen, Wespen, Raureif, nicht zu vergessen Wind. Windstille. Charaktere mit erwünschten Eigenschaften. Sorten, die dem Regen, der Sonne, den Schädlingen widerstehen. Wichtige Eigenschaft des Züchters: Ausdauer, Geduld mit der Gemächlichkeit der Jahreszeiten. Es währt seine Zeit, ehe ein Staudensämling endlich selbst Samen trägt, dann wieder Jahre, ehe die nächste Generation blüht. Marianne Foerster erklärt, der Vater habe immer mehrere Lieblinge gleichzeitig gehabt. Im Gewächshaus, im Freiland. Zum Beispiel Rittersporn ›Klingsor‹, Notiz zu ›Klingsors‹ Charakter: Der luftige, geheimnisvolle Schönheitsbau mutet wirklich wie ein Gebilde aus einem Zaubergarten an. […] Das ätherische Gebilde trägt sich im Wind, auch wagt sich kein Mehltau heran. Eine sehr erfreuliche Erscheinung. Für Karl Foerster gab es sieben Jahreszeiten. Vor dem Frühling waltete der Vorfrühling, den Sommer teilte er in den Früh- und den Hochsommer auf. Nach dem Herbst startete ab Allerseelen der Spätherbst, bevor der Winter mit dem ersten Advent Einzug hielt. Den Winter hat er verehrt, den November regelrecht gefeiert, weil da die Tage so wundersam sanft beginnen. Er preist im Buch »Garten als Zauberschlüssel« diesen kahlhäuptigen Monat: wie in dieser Zeit die bisher dicht verhangene Landschaftsferne in alle Bilder der Nähe hereintritt. So ist es. Senkgarten, außerdem Frühlings-, Herbst- und Wohngarten rings um das Haus bilden heute das geschützte Kernstück in der schönen Bornimer Feldflur. Die Umgebung, das ist die gepriesene Landschaftsferne. Im Sommer finden im Wohngarten vielbesuchte Lesungen und Konzerte statt. Als Spätkommerin saß ich einmal oben auf der Terrassenmauer. Ein guter Platz, um mit offenen Augen zu träumen, drei Stunden Landschaftsferne. Abendnebel und rosa-violetter Sonnenuntergang. Und rechter Hand: Musikinstrumente, ein Mikrofon für einen Schauspieler, ich habe die vorgetragenen Gedichte vergessen. Aber ich spüre noch die Mauer, die Hauswand, sehe das Bild vor mir: den Garten von oben. Das Altbekannte trotz der Wandlungen. Unverkennbar das umrankte steingelbe Haus, die türkisfarbenen Fensterflügel, die Gartenpforte, der Weg zum Senkgarten. Freier Eintritt immer, bis zum Einbruch der...