Schuh / Kraller | Blendung als Lebensform | Buch | 978-3-85449-620-5 | sack.de

Buch, Deutsch, 478 Seiten, Broschur, Format (B × H): 133 mm x 208 mm, Gewicht: 576 g

Schuh / Kraller

Blendung als Lebensform

Zur Aktualität von Elias Canetti
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-85449-620-5
Verlag: Sonderzahl Verlagsges.

Zur Aktualität von Elias Canetti

Buch, Deutsch, 478 Seiten, Broschur, Format (B × H): 133 mm x 208 mm, Gewicht: 576 g

ISBN: 978-3-85449-620-5
Verlag: Sonderzahl Verlagsges.


Seit fast einem halben Jahrhundert setzt sich Franz Schuh intensiv mit dem Werk Elias Canettis auseinander. Das Ergebnis dieses Studiums ist nachzulesen in 25 Essays, die Canettis Literatur auf die ihr zugrundeliegende Lebensform hin untersuchen. Entsprechend formuliert Schuh: »Ich schreibe mir das Recht zu, zu wissen, wissen zu können, wer Elias Canetti wirklich, wer er eigentlich gewesen ist. Meine Rechtsgrundlage besteht daraus, dass ich nicht wenige Stunden meines Lebens damit verbracht habe, die Schriften dieses Autors zu studieren und zu propagieren, dass auch andere diese Schriften studieren mögen, um diese merkwu¨rdige geistige Welt Canettis verstehen zu lernen, eine geistige Merkwu¨rdigkeit, die ein Licht auf das Leben wirft, das wir gemeinhin fu¨hren mu¨ssen.«Canetti selbst, der Franz Schuh nie persönlich getroffen hat, fu¨hlte sich 1985 ausdru¨cklich von diesem verstanden, wie er an Cilli Wang schrieb: »Übrigens hat man mir vom Verlag aus die einleitenden Worte von Franz Schuh zur Lesung im Rundfunk geschickt. Das ist heute der weitaus gescheiteste Kritiker in Wien, eigentlich der, den ich auch seines Ernstes und seiner Haltung wegen am liebsten habe. Aus seinen Worten sehe ich, wie genau er meine Absichten mit dem Buch erfasst hat: das war eine grosse Freude, …«Schuhs Essays, die in diesem Band erstmalig gesammelt publiziert werden, begeben sich mit Canetti auf die Suche nach dem guten Menschen, befragen das Unglu¨ck des Erfolgs und den Größenwahn von Kritikern und Interpreten, handeln von Schauspielern und denkenden Dichtern, das Schreiben gegen den Tod, die Unsterblichkeit heute, Geschlecht und Verkehr und u¨ber die Theorie und Praxis von Canettis Hauptwerk

Masse und Macht.

Flankiert wird das Korpus von zwei großen Essays u¨ber Karl Kraus, das fru¨here Vorbild des späteren Nobelpreisträgers.

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Weitere Infos & Material


»Die
Komödie der Eitelkeit
ist wie Thomas Bernhards
Heldenplatz
– wenngleich auf ganz andere Weise – ein Stu¨ck u¨ber Faschismus und Nationalsozialismus, u¨ber die untergru¨ndigen emotionalen und gedanklichen Strömungen, auf denen autoritäre Gesellschaften in alle Fugen und Ritzen des privaten und öffentlichen Lebens eindringen. In der dritten Vorstellung des Stu¨cks kam es im Burgtheater zu einem Eklat. Canetti berichtet in einem Brief davon, er war selbst im Theater. Der Eklat begann mit einem schrillen weiblichen Aufschrei aus dem Publikum, der da lautete: ›Schweinerei.‹ Von da an bis zur Pause ging es ununterbrochen: ›Aufhören! Vorhang! Unverschämtheit! Schweinerei!‹ Ganze Reihen verließen das Parkett. Canetti berichtet von einer Frau, die sich vor die Tu¨re seiner Loge stellte und den Dichter anschrie: ›Können Sie keine Zeitkritik ohne Schweinerei betreiben!‹ Einige Frauen im Theater riefen: ›Wir brauchen eine deutsche Ordnung!‹Canetti kommentierte das Ereignis in einem Brief vom 22. Mai 1979 mit den Worten: ›Ich bin noch heute davon u¨berzeugt, dass es sich um eine organisierte Nazi-Affäre gehandelt hat, während viele Wien-Kenner der Meinung waren, es handle sich um einen Protest des alt-idiotischen Abonnement-Publikums.‹ Jedenfalls zeigen die Reaktionen auf die Premieren von
Heldenplatz
und der
Komödie der Eitelkeit,
wo die Schmerzpunkte eines Teils des österreichischen Establishments liegen, und es zeigt sich auch, dass dieser Teil zumindest im kulturellen Leben ausgespielt hat. Nicht nur Bernhards
Heldenplatz
wurde ein Erfolg, auch Canettis
Komödie
ging nach dieser dritten Auffu¨hrung erfolgreich, jedenfalls ungestört weiter.

Gerald Stieg, an den Canettis oben zitierter Brief gerichtet war, kommentierte den Vorfall im Burgtheater ganz in Canettis Sinn: ›Die
Komödie der Eitelkeit
hatte also ihre Wirkung am richtigen Ort und zur rechten Zeit getan, im Bildungstempel der Österreicher, die sich mit der Wahl des Juden Kreisky einen endgu¨ltigen Persilschein ausgestellt zu haben meinten. Ein Blick aus österreichischem Himmel. Kein Medienskandal wie bei im Voraus kolportierten Übertreibungssätzen Thomas Bernhards war dem vorausgegangen. Premierenpublikum und Kritik hatte sich im Großen und Ganzen verständnisvoll und gastfreundlich verhalten. Doch das authentische Publikum der ehrwu¨rdigen Institution hat eben – bewusst oder instinktiv – genau verstanden, was da auf der Bu¨hne vor sich ging. Es hat sich diese Vivisektion seiner selbst aus dem Jahre 1934 nicht gefallen lassen.‹«


Kraller, Bernhard
Bernhard Kraller, Studium der Geschichte und Philosophie, Foto-Text-Monografien zu Ernst Jandl, Friederike Mayröcker, Franz Koglmann/ Ezra Pound (alle Wespennest); Die Sänger von Wien. Über den Historismus der österreichischen Popmusik (kursiv); Hg. v. Adorno/Tobisch: Der private Briefwechsel (Droschl) und Atypical Jazz (Wiener Musik Galerie).

Schuh, Franz
Franz Schuh, geb. 1947, Philosoph, Essayist, Schriftsteller und Literaturkritiker, lebt und arbeitet in Wien. Studium der Philosophie, Geschichte und Germanistik, Promotion 1975 mit einer Dissertation über »Hegel und die Logik der Praxis«. Er war und ist darüber hinaus auch als freier Mitarbeiter bei diversen Rundfunkanstalten (ORF, auch WDR 5 in Köln) tätig, seine Essays gelten als paradigmatische Stücke ihrer Gattung.



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