E-Book, Deutsch, 146 Seiten
Schumacher Die Verfolgung der laufenden Ereignisse
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7578-9837-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 146 Seiten
ISBN: 978-3-7578-9837-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die verfolgung der laufenden ereignisse beschreibt facettenartig das klima der rebellion in berlin am anfang der 80er jahre: wohnungsnot, spekulation mit leerstehenden häusern, instandbesetzungen, bürgerkriegsähnliche kämpfe im abschreibungsdschungel.
Thomas Schumacher, geb. 21.7.52 in Duisburg-Hamborn, abgebrochenes Studium Literatur, Pädagogik, Psychologie, Philosophie, Reisen Verschiedene Berufe, Journalist, Redakteur, Künstler Roman, Kinderbuch, Satire, Reisebücher, Gedichtbände, Holz- und Linolschnitte
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die leute
marianne stand am fenster und schaute in den hinterhof. so kurz vor weihnachten eine geburt, eigentlich ganz romantisch, glücklicherweise regnete es, und der hinterhof strahlte mit seiner brandmauer die gemütlichkeit einer tiefgarage aus. mensch, kinder sollten es schön haben, so schön wie autos: genügend platz zum spielen, so schön wie hunde: von allen geliebt, so schön wie sonderangebote: von allen gewollt. ob sich die beiden das gut überlegt haben? marianne war hebamme und würde in den nächsten stunden bei der hausgeburt helfen. HAUSGEBURT-der arzt: — ja, wollen sie ihr kind vorsätzlich umbringen? was sie mit sich selbst anstellen, mag ja ihre sache sein, aber nehmen sie gefälligst zur kenntnis, daß sie verantwortung für das kind haben, angesichts des technischen standards ist es unverantwortlich, sich einer hausgeburt auszusetzen. ich lehne es ab, bei so was zu helfen. in der klinik habe ich alle apparate, um eine geburt durchzuführen, wenn sie das akzeptieren, können wir zusammenarbeiten. die freundin: — habt ihr denn keine angst? ich mein, da kann doch was passieren, oder war das mit dem kind ein Unfall? die nachbarin: — schön, endlich wieder kinder im haus! tapfer, ihre kleine frau. früher hat man ja wert darauf gelegt, kinder zu bekommen, und die frauen wollten das ja wirklich, und als anerkennung haben sie den mutterorden bekommen. das fehlt den jungen frauen heute, die anerkennung. der beamte: — unter uns, sie sind ganz schön dumm, wenn sie sich jetzt als vater anerkennen lassen wollen. dann müssen sie nämlich später zahlen. die brandmauer wurde nicht gemütlicher. die wärme in dem kleinen zimmer war ungewohnt. von nebenan hörte marianne geschirrklappern. wasserrauschen. der hahn wurde unter pfeifen zugedreht. bald werde ich helfen, hier ein kind zur weit zu bringen. eigentlich hatte marianne ja lehrerin werden wollen. dem hatte der schulsenator einen riegel vorgeschoben. geographie und physik, von ihr gelehrt, erschienen ihm staatsgefährdend, jetzt durfte marianne zwar keine gymnasiasten von den revolutionären klimazonen im subtropischen urwald überzeugen, dafür half sie, viele kleine ches ans licht der weit zu zerren. cornelia wollte so lange wie möglich herumlaufen. betten sind für kranke und sterbende, nicht für gebärende, am besten sollte das kind unterwegs kommen. am besten einfach so, ohne viel aufhebens. am besten nicht so viel tamtam. am besten einfach mal gucken und sich gut vorbereiten. anders als in den vielen büchern überm bett passierts allemal. cornelia hatte sich zwischen dem bullig heißen kachelofen und dem riesigen eichentisch vom sperrmüll (der war so groß, daß er in der kleinen wohnung nicht ganz ausgezogen werden konnte) einen pfad getrampelt. VORSICHT WILDWECHSEL! marianne beobachtete die frau. frauen sind schon toll! wie lächerlich wirkte dagegen der mann. unentschlossen zwischen currywurst und boulette, bis die nette verkäuferin sagt: unsere bouletten sind heute ganz frisch, wir haben hier nur frischware — erst dann kann er sich entscheiden. ist das gut, wenn cornelia die ganze zeit herumrennt? — ach, junge. wer soll denn entscheiden, von höherer warte sozusagen, was gut ist? laß die frau mal machen, mann. der stand da, als wolle er einen einmal begangenen fehler wiedergutmachen. marianne hätte gern eine zigarette geraucht, aber sie hatte keine lust, in den kalten flur zu gehen. cornelia hatte wieder eine wehe. sie duldete dann nur lutz in ihrer nähe. von wegen sanfter geburt. stöhnend warf cornelia lutz die arme um den nacken und ließ sich hängen. ich bin da. der schmerz ist da. wie soll daraus nur ein kind werden? vielleicht ist das gar kein kind, das da so weh tut? atmen. einatmen - auspusten. beide zogen sie die luft mit der wehe ein und stießen sie mit dem schmerz wieder aus. schön geübt, registrierte marianne. cornelia keuchte den letzten schmerz aus. die spannung blieb. vor lauter anstrengung, cornelia zu halten, bekam lutz unterlaufene augen. cornelia ließ ihn los und setzte ihren gang fort, die arme in die hüften gestemmt wie eine marktfrau. abgeschlossen, für sich. nur ab und an ein blick, ob an irgendeinem punkt ihrer route lutz auf sie wartete. diese gewaltige spannung im bauch. weitergehen! weitergehen! immer wieder die schleife zwischen stühlen, tisch und kachelofen. irgendwo dazwischen lutz. kann ein bauch platzen? wird es einen knall geben, wenn mein kind auf die weit kommt? nachdem cornelia ihn losgelassen hatte, spürte lutz einen stechenden schmerz in seinem rücken. unwillkürlich stemmte er seine hände in die hüften und bog sein kreuz durch wie cornelia. vielleicht habe ich auch wehen, und wir bekommen beide ein kind, dachte er. ein wenig beschämt schaute er zur hebamme, aber die hatte nichts bemerkt. sie war wie der ruhende pol einer fußballmannschaft, spielte unauffällig aber effektiv. ZUSCHAUER BEGEISTERT: FRANKFURTER ERSCHOSSEN DÜSSELDORFER VON HINTEN! lutz zwang sich, nicht mehr zu denken. er suchte cornelia. in einer ecke saßen zwei freundinnen am tisch und schlürften den für alle bereitgestellten tee. sie waren ausgeschlossen, beobachterinnen. manchmal fragten sie leise, ob sie helfen könnten. cornelia schüttelte jedesmal den kopf. sie war allein mit ihrem schmerz und mit dem ding, das darauf wartete, ausgestoßen zu werden, wartete und sich gehörig platz verschaffte, marianne gab ihr sicherheit, obwohl sie gelangweilt am fenster stand. es fehlt nur noch, daß sie auf die uhr schaut. aber sie war da, und das reichte. cornelia konnte sich ganz auf sich konzentrieren, auf ihren bauch, auf ihren atem, auf ihre muskeln. wenn nichts mehr ging, war lutz da wie ein laternenpfahl, an dem sie sich auskotzen konnte. die wehe kam. cornelia stöhnte. marianne schaute kurz über die schulter: da haben wir sie ja wieder, wird auch langsam zeit. lutz und cornelia versuchten, zusammen zu atmen. wie ein oberlehrer die deklination, verlangte lutz von seiner frau die lamazeschen atemzüge ab. marianne griff cornelia zwischen die beine, und als sie die hand wegnahm, konnte lutz einen teil der verklebten schädeldecke sehen. — da isset, da isset! — ihr lügt, ihr lügt, ich spür doch gar nichts, ihr lügt! — mensch, wenn ichs doch sage. die freundinnen: — ja, da, ich seh schon was! — ihr lügt, mensch, ihr lügt! — nein, nein! — doch, ihr lügt! cornelia standen die tränen in den augen. sie konnte nicht glauben, daß der gewaltige schmerz mit der geburt ihres kindes zusammenfiel. aber das kind kam. schon im stehen. wie bei sioux zuhause drückte sich der kopf durch die möse. cornelia wurde von vielen händen aufs bett gelegt. mit saugendem geräusch rutschte ein stück blutverschmiertes, bläuliches stück fleisch aus dem Unterleib. lutz war entsetzt: tot! es ist tot! der längliche kopf, das überlebt kein mensch. nichts sagen, ruhig bleiben. das glibbrige stück kind quäkt, ohne geschlagen worden zu sein. es ist behindert! es lebt und ist behindert, denkt lutz. marianne nimmt das kind und legt es auf cornelias bauch. keiner sagt etwas, bis cornelia leise koseworte flüstert und — ich glaubs nicht, ein kind! die nachgeburt in die plastiktüte; die quabblige masse wird unter dem wasserhahn in der küche untersucht, marianne erklärt lutz die gewebeschichten. lutz will nach der behinderung fragen, traut sich aber nicht. niemand scheint seine befürchtung zu teilen. er schöpft hoffnung. ins zimmer zurückgekehrt, schaukelt die hebamme das kind in einer wanne. niemand merkt, daß sie ihre Untersuchungen dem kleinen abstreichelt. cornelia, lutz und die freundinnen hocken um die wanne herum und kommentieren leise die ersten regungen des neugeborenen, alles ok, sagt marianne in dem moment, als dem kleinen ein schwarzer schiß abgeht. der raum ist warm, das licht spärlich, damit es nicht zu sehr auf den neuen eindrischt, im zimmer schwebt ein süßlicher geruch, der sich mit dem duft des tees vermischt. im grunde ist alles wie vorher, nur entspannter, ruhiger, gelöster. cornelia blutverschmiert und lutz mit vor schmerzen brennendem rücken. die freundinnen kümmern sich um den neuen, der schon kumpelig mit felix angeredet wird. obwohl noch nichts diese oder irgendeine andere identität anzeigt, ist allen klar: das ist felix! cornelia geht, von lutz begleitet, zum nachbarn, zwei treppen. der hat sich vor kurzem eine dusche eingebaut, sie klingeln, die tür wird geöffnet, zigarettenqualm ohrfeigt sie. — isser schon da? — ja! — nein, nein, ihr lügt! — doch! - das gibts doch gar nicht, hier bei uns im hinterhof, mensch! endlich gibt er die tür frei. cornelia geht unter die dusche, der kleine tisch vor dem sofa ist mit kaffee, sekt und cognac gedeckt. - mensch, das kind ist schon da! sag mal, und dann kann die cornelia schon wieder? wann isses denn gekommen? gerade, nein, das gibts doch gar nicht, und da kann sie schon wieder? sie kann und kommt frisch geduscht ins zimmer, setzt...