Schumacher | Liste der gebliebenen Dinge | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 224 Seiten, Format (B × H): 130 mm x 205 mm, Gewicht: 460 g

Schumacher Liste der gebliebenen Dinge

Roman
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7011-8333-3
Verlag: Leykam
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 224 Seiten, Format (B × H): 130 mm x 205 mm, Gewicht: 460 g

ISBN: 978-3-7011-8333-3
Verlag: Leykam
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein sinnliches und poetisches Romangemälde, das von unsicheren Zeiten und vom Licht der Liebe erzählt, ein Roman im StilllebenMirren und Kato, Kato und Mirren. Sie lieben sich. Während Kato üppige Stillleben aus der Kunst für ihr Publikum nachkocht, malt Mirren. Aus einer großen Stadt am Fluss ziehen sie in eine kleine Stadt am Kanal, schließlich in ein grünes Provisorium, eine Bude, die sie zu ihrem Ort ausbauen. Doch hinter der Tapete dieser Bude spielt sich Befremdliches ab, es rieselt aus der Wand, die Zeit wird unzuverlässig, die Wege in die Stadt verschwinden.Katrin Schumacher verwebt literarische Fantastik, Schauerroman und Naturbeobachtung zu einer poetischen Liebesgeschichte, die von der existenziellen Verunsicherung unserer Zeit erzählt. Weder in der Kultur noch in der Natur finden die Figuren Halt. Was geht und was bleibt? Vielleicht nur eine Liste, die Liste der gebliebenen Dinge.Mit Schutzumschlag, Strukturpapier und LesebändchenIllustration von Annika Siems
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Autoren/Hrsg.


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Fuchsaugen
Den Telegraphenpfad rein, dreihundert Meter geradeaus, dann rechts zweihundert Meter in den Wald hinein. Holzpfosten heben zwei schwarze Drähte in die Höhe, am Feld entlang, hinein ins Laub. Vor dem Tor tauchen die Drähte aus dem Grün wieder auf. Hier ist die Lichtung, hinter dem Tor ist die Wiese. Ein schmal getrampeltes Band zieht sich vom Tor am Boden entlang. Kato zieht die Schlüssel aus der Tasche, ein Bund von Welten. Der Schlüssel, der zu der Wohnung in der Stadt amFluss gehört, den sie nie abgegeben hat, obwohl sie dort längst nicht mehr wohnt. Der für die Tür zu unseren Zimmern oben im großen Haus in der kleinen Stadt und die beiden bis auf zwei Zacken im Bart gleichen Schlüssel, die zum Haus ihrer Eltern gehören, auch die noch da. Hier nun der fünfte Schlüssel, der neuste am Bund, der, der glänzt, der zum Tor, zum Garten, zum Berg, zum Haus, zum Fluss, zur Bude. Der grüne Lack auf der Klinke blättert in zackigen Partikeln. Das Verwittern macht den Lack den Wiesenzacken gleich, durch die Kato nun auf den Pfad schreitet, vorbei an schief gewordenen Terrassenplatten vor dem verfallenen Haus, in kürzer werdenden Schritten den Hang abwärts, während sich von links und rechts das Gebüsch zu schließen versucht über dem Weg, als wolle es in letzter Minute vereiteln, dass sie die Bude erreicht. Kato rutscht und bleibt immer wieder an den Dornen der Schlehen hängen, deren Äste oder Arme oder Ausläufer an den bloßen Beinen, der Jacke, der Haut reißen. – Wo bist du? Anscheinend war ich fast bis zum Fluss hinuntergegangen, während Kato den Weg zur Bude zurücklegte. Kato, ich seh es genau, guckt ins Licht und überlegt, sich selbst ein kleines Märchen zu erzählen, um die Zeit zu überbrücken, bis ich wiederkomme. Um mir dann zu erzählen, was erzählt werden muss. Das mit dem See. Ein kleines Märchen geht so: Ein Fischer lebte in einer Hütte nahe dem Fluss Goma. Vor und neben dem Haus hingen seine Netze im Sonnenschein. In dem Haus hing ein Bild seiner Frau, ihr Portrait war das Einzige, was dem Fischer geblieben war von ihr. Und das gemeinsame Kind, ein Sohn, kräftig wie sein Vater, bernsteinäugig wie seine Mutter. Als der Fischer eines Abends im letzten Licht des Tages saß und seine Netze zählte, kam ein Fuchs aus der Hecke und setzte sich zu seinen Füßen. Fischer, sprach der Fuchs, kennst du mich noch? Der Fischer blickte dem Fuchs in die Augen und musste verneinen. Fischer, sagte der Fuchs, schau genau hin, erkennst du mich nicht? Ich bin deine Frau. Da das Märchen so klein ist und Kato wohl meine Schritte hinter der gelb leuchtenden Forsythie neben der Bude hört, ist es hier zu Ende. – Kato. – Mirren? – Na? Das mit dem Luftholen ist nicht einfach nach dem Aufstieg, und so kann mich Kato noch ein paar Augenblicke betrachten, mit Lächeln, noch länger, die Augen im Gespräch, bevor wir zu sprechen beginnen. Und uns erzählen. Dass der Rotwein dieser Gegend schon immer zu sehr nach Weißwein geschmeckt hat und dass der See nicht mehr da ist. Katos Blick auf den Boden, als ob auf den geriffelten Holzplanken geschrieben stünde, was eigentlich passiert ist, ob sich die Noten fürs Seeverklingen auf die Linien dort setzen könnten. – Er ist einfach weg, Mirren. Trocken, es ist einfach nur noch eine trockene Senke dort. Als wir in der kleinen Stadt ankamen, hatten wir begonnen, den See zu beschwimmen, zu betauchen, unsere Hängematten in den Weiden am Ufer aufzuspannen und uns mit ihm zu beschäftigen. Ich hatte angefangen, Pflanzen zu sammeln und in einem Aquarium in der Küche den Wasserlebensraum nachzubilden. Laichkraut, Tausendblatt, Wasserpest, dazu die Erbsenmuscheln, Posthornschnecken, Teichmuscheln, Spitzschlammschnecken, alles, was an diesen langen Wassernachmittagen auf uns zukam, trug ich nach Hause, um den Seealtar in der Küche zu bestücken. Am liebsten mochte ich die im Nassen goldglänzenden Malermuscheln. Die flache Teichmuschel mit den braungelben Runzeln bekam sogar Kinder. Oder Junge. Oder wie man das nennt, bei Muscheln. – Muschellarven, weißt du doch. Sie wuchs nach. Das meiste aber hielt nicht lang durch. Ich weiß nicht mehr, was aus dem Aquarium wurde. Kato weiß es auch nicht. Wir hatten uns eine lange Zeit nicht gesehen. Nun ist Kato wieder hier, in unserer Bude, und meint, dass es zu reden gäbe, der See, er sei nicht mehr, unser See, er sei weg. Wir sitzen auf dem Rand der Terrasse, die Füße im Bodenlosen über dem Hang, und die vom Tag noch sonnenwarmen grauen Holzplanken schneiden in die Unterseite unserer Oberschenkel. Es ist kein Zufall, dass die Terrasse einem Steg ähnelt, aus genau dem Holz gebaut, das in den Marinas der Welt den Weg vom Festland aufs Wasser bereitet, kannelierte Bretter, auf denen sicher Stehen ist. Mit Blick auf die Ebene, den Fluss, die Weinberge erinnern wir uns in langsamen Sätzen. Erst an den einen See. Dann an die anderen. Dann an uns. Zwei Körper, die sich oft und auf bestimmte Weise nahe sind, nähern sich einander an in ihrer Dichte. Wie Lösungen verschiedener Konzentration, die ineinander geschüttet werden. Der eine Körper geht in die Erfahrung des anderen über, der wiederum passt sich an. Weiches Umfassen macht weich. Muskeln können im Umarmen wachsen. Kato glaubte immer fest an diese Theorie, mit uns war es so geschehen, als wir unsere Zeit hatten. Ich war schwer, wurde ein wenig leichter an ihr. Und sie bekam etwas von meiner Kraft. Kato glaubte daran, dass diese Erfahrung uns beide betraf, und ich glaubte daran, dass diese Erfahrung nicht nur menschliche Körper betrifft. Buch und Bach. Alles, was sie ist, sagte sie einmal, könne sie auf eines dieser beiden Bs zurückführen. Hier verstanden wir uns und sahen uns an, an den Abenden meist erzählten wir uns unsere Flüsse, sagten uns mit unseren Bachläufen Gutnacht, lasen uns aus den Flüssigkeiten vor und spiegelten uns in unseren Pfützen. Wenn das Katokind nicht las, erzählte sie mir, stand es barfuß oder in Kindergummistiefeln im Lauf des Wassers, das die Grenze zwischen dem Grundstück ihrer Eltern und ihrer Großeltern war. Eine fließende Grenze im Grün, zwischen Hühnerstall, Kohlenkeller, Kurzrasen, Apfelbäumen, dem Nutzgarten ihrer Großeltern und dem aufwendig präparierten Blumengarten ihrer Eltern. Auf der einen Seite der Misthaufen. Auf der anderen Farbgestaltung, Kräuter und Gemüse nur, wenn es schön aussah. Es gab eine kleine Holzbrücke mit wackeligem Handlauf über den Bach, neben der auch drei Stufen ins Wasser führten, wobei dort das Bachbett so ausgewaschen und tief war, dass es unweigerlich in Katos Kindergummistiefel schwappte. Sie wusste alles über den Bach. Wo die Wasserlinie gerade noch so niedrig war, dass sie trockenen Fußes durchkam. Wo die Sedimentablagerungen so weich waren, dass sie einsank. Der weiche Schlamm, die Ufergräser, die Weidenzweige, die als raschelnd fedrige Verbindungshaare von einem Ufer zum nächsten wuchsen. Die Betonröhren, die einen begehbaren Tunnel unter der Straße bildeten, ihr Echo, voll unheimlich. Wo die Forellen standen (unter der Brücke, am Rand, im alten Autoreifen), und wo am Tennisplatz die Bälle im Wasser landeten und einzustecken waren. Wo die Winterlinge standen und die Schlüsselblumen. Wie süß die Enden der Taubnesselblüten am Bachrand schmeckten. Und wo der knorrige Holunder so stand, dass man durch eine harte Zweighöhle kriechen musste. Das Bachreich hatte natürliche Grenzen. Dort, wo er aus der Erde kam, aus einer kleinen unbegehbaren Röhre gegenüber der Ziegelei. Und dort, wo er sich am Freibad und am Ententeich entlang in einer anderen großen Betonröhre im Dorf verlor, wo er zwar immer wieder auftauchte (hinter der Kirche, neben dem Gemeindehaus, beim Kuhbauern), aber nicht mehr in Katos Revier floss. Ihr Bach war ein Kilometer der Welt. Sie hatte ihn verstanden. Sie wusste ihn und hatte mir alles erzählt. Und hier beginnt mein Märchen von Kato. Vor der Bude sinkt langsam die Sonne. Vor unseren Füßen, links an der Böschung, liegt ein alter Weihnachtsbaum, der seine Farbe verloren hat. Von der Zeit bestaubt liegt er dort, an seine Spitze hat jemand, vielleicht ich, ein angesplittertes Weinbergschneckenhaus gesteckt. Einmal, sagt Kato, bin ich an einem Sommertag durch den Garten meiner Eltern gegangen und habe eine große Weinbergschnecke gesehen. Diese langsamen Wohnmobile sind immer zuhauf im Garten unterwegs gewesen, unterm Rhabarber, auf den Trockenmauern, in den Hangbeeten unter dem Walnussbaum. Diese Schnecke hatte sich auf ihrer glitzernden Spur einen Weg ins Zimbelkraut gebahnt. Und sie war nummeriert. Auf ihrem Kalkhaus trug sie eine mit Filzstift gemalte Sechzehn. Ich bin ins Haus, hab meine Mutter gesucht, Mama, in unserem Garten ist eine nummerierte Schnecke. Da hat sie stolz eine Liste aus ihren Papieren auf dem Küchentisch gekramt und sagte:...


Schumacher, Katrin
Katrin Schumacher, 1974 in Lemgo geboren, promovierte Literaturwissenschaftlerin und studierte Kunsthistorikerin, Journalistin und Literaturredakteurin beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, schreibt, seit sie schreiben kann. Katrin Schumacher hat in Bamberg, Antwerpen, Hamburg gelebt und lebt nun in Halle an der Saale. Von ihren biografischen Stationen hat sie das Faible für literarische Fantastik, niederländische Malerei, fließende Gewässer und Nature Writing mitgebracht. Nach wissenschaftlichen Texten, Katalogarbeiten, Essays und dem Band »Füchse« (Matthes & Seitz 2020) ist »Liste der gebliebenen Dinge« ihr literarisches Debüt.



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