Schwarz / Wirz | Reden und reden lassen | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 200 Seiten

Schwarz / Wirz Reden und reden lassen

Anstand und Respekt statt politische Korrektheit
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-907291-14-6
Verlag: NZZ Libro
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Anstand und Respekt statt politische Korrektheit

E-Book, Deutsch, 200 Seiten

ISBN: 978-3-907291-14-6
Verlag: NZZ Libro
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Gerhard Schwarz und Stephan Wirz legen ein Buch zur Wiederbelebung der Debattenkultur vor und plädieren für eine Erneuerung der Meinungsäusserungsfreiheit. Political Correctness ist das Reizwort der Zeit.

Die 'offene Gesellschaft' wird derzeit aus zwei Richtungen angegriffen: Die modernen Kommunikationsmöglichkeiten fördern beleidigende oder hasserfüllte Kommentare, die keinen Beitrag zu einer argumentativen Auseinandersetzung unterschiedlicher Positionen leisten. Auf der anderen Seite versuchen gesellschaftliche Gruppierungen, anderen ihre Moralvorstellungen aufzuzwingen. Sie wollen bestimmte Sprachregelungen durchsetzen sowie Themen- und Handlungsfelder als 'politisch korrekt' festlegen oder als 'politisch unkorrekt' ausschliessen. Der vorliegende Band entwickelt eine Gegenstrategie, angeregt durch Überlegungen von John Stuart Mill, Romano Guardini und Axel Honneth. Die Autoren plädieren für eine innere Haltung der Höflichkeit und des Respekts gegenüber anderen Personen und deren Ansichten.

Mit Beiträgen von Susanne Gaschke, Alexander Grau, Romano Guardini, Peter Hettich, Philipp W. Hildmann, Axel Honneth, Jochen Hörisch, Milosz Matuschek, John Stuart Mill, Alejandro Navas, Peter Ruch, Grace Schild Trappe, Gerhard Schwarz, Markus Somm, Claudia Wirz, Stephan Wirz, Heinz Zimmermann.

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Von der Denk- und Redefreiheit1
John Stuart Mill Die Zeit ist hoffentlich vorbei, wo irgendeine Verteidigung der Pressefreiheit als Sicherung gegen eine verderbte oder tyrannische Regierung nötig wäre. Wir brauchen vermutlich kein Argument dafür, dass es einer Regierung, deren Interessen nicht völlig mit denen des Volkes übereinstimmen, nicht erlaubt sein kann, dem Volke Meinungen vorzuschreiben und zu bestimmen, welche Lehren und welche Argumente man hören darf. In dieser Hinsicht ist unsere Frage überdies so oft und so erfolgreich von früheren Schriftstellern erörtert worden, dass sie hier nicht besonders behandelt werden muss. Obgleich das englische Pressegesetz noch heute ebenso knechtischen Charakter hat wie in den Zeiten der Tudors, so ist doch geringe Gefahr, dass es gegen politische Diskussion wirklich angewendet werde, ausser in Zeiten der Panik, wenn Furcht vor Aufruhr Ministern und Richtern die Besinnung raubt.2 Im Allgemeinen ist es in konstitutionellen Ländern nicht zu befürchten, dass die Regierung – ob sie dem Volk völlig verantwortlich sei, oder nicht – oft versuchen wird, die Meinungsäusserungen zu kontrollieren, ausser, wenn sie sich damit zum Organ der öffentlichen Unduldsamkeit macht. Nehmen wir aber an, dass die Regierung mit dem Volk ganz eins sei und niemals daran denkt, einen Zwang auszuüben, ausser in Übereinstimmung mit dem, was sie für die Volksmeinung hält. Ich leugne jedoch das Recht des Volkes, durch sich selbst oder durch seine Regierung solchen Zwang auszuüben, die Macht dazu ist ungesetzlich, die beste Regierung hat nicht mehr Recht dazu als die schlechteste. Der Zwang ist ebenso schädlich, wenn er in Übereinstimmung mit der öffentlichen Meinung ausgeübt wird, als wenn er im Gegensatz zu ihr steht. Wenn die ganze Menschheit eine übereinstimmende Meinung verträte, und nur eine Person wäre vom Gegenteil überzeugt, so hätte die Menschheit nicht mehr Recht, den einen zum Schweigen zu bringen, als er, wenn ihm die Macht dazu zustände, das Recht hätte, der ganzen Menschheit den Mund zu verbieten. Wäre eine Meinung ein Privatbesitz, der nur für den Eigentümer Wert hätte, und wäre, darin beeinflusst zu werden, nur eine persönliche Unbill für den Betroffenen, so läge ein gewisser Unterschied darin, ob die Störung vielen oder nur wenigen zugefügt worden wäre. Aber das eigentliche Übel, wenn man eine Meinung zum Schweigen bringt, besteht darin, dass es ein Raub an der Menschheit ist, an der künftigen und an der, die jetzt lebt, und zwar noch mehr an den Menschen, die von der Meinung abweichen, als an denen, die sich zu ihr bekennen. Wenn die Meinung, um die es sich handelt, richtig ist, so sind sie um die Gelegenheit gebracht, einen Irrtum für die Wahrheit einzutauschen; war sie aber falsch, so kommen die Menschen um das, was eine fast ebenso grosse Wohltat ist, um den lebhaften Eindruck von der Wahrheit, der aus der Kollision von Wahrheit und Irrtum entspringt. Diese beiden Hypothesen müssen gesondert betrachtet werden, da jede von ihnen verschiedene Argumente auslöst. Wir können niemals sicher sein, dass die Meinung, die wir zu unterdrücken suchen, falsch ist; aber selbst wenn wir diese Sicherheit hätten, dann wäre Unterdrückung noch immer ein Übel. Erstens: Die Meinung, die man durch Autorität zu unterdrücken sucht, kann möglicherweise wahr sein. Diejenigen, die sie zu unterdrücken wünschen, leugnen natürlich ihre Wahrheit. Aber sie sind nicht unfehlbar. Sie haben nicht das Recht, die Frage für die ganze Menschheit zu entscheiden und jede andere Person von der Möglichkeit des Urteils auszuschliessen. Wenn jemand einer Meinung das Gehör verweigert, weil er überzeugt ist, dass sie falsch sei, so setzt er voraus, dass seine Überzeugung gleichbedeutend mit absoluter Sicherheit sei. Eine Diskussion zum Schweigen bringen bedeutet immer: sich Unfehlbarkeit anmassen. Zur Verurteilung dieses Tuns genügt dieses gewöhnliche Argument, das, wenn auch gewöhnlich, so doch nicht schlecht ist. Ein Unglück für den gesunden Sinn der Menschen ist es, dass die Tatsache ihrer Fehlbarkeit praktisch nicht das Gewicht hat, das ihr theoretisch zugesprochen wird. Denn während jeder weiss, dass er sich irren kann, so halten doch nur wenige es für notwendig, sich gegen die eigene Fehlbarkeit zu schützen, oder die Voraussetzung anzunehmen, dass irgendeine Meinung, deren sie sich sicher fühlen, ein Beispiel zeigen mag von dem Irrtum, dem sie sich unterworfen fühlen. Absolute Fürsten oder andere, die an unbegrenzte Unterwerfung gewöhnt sind, fühlen dieses vollkommene Vertrauen in ihre eigene Meinung in fast allen Dingen. Leute, die glücklicher dran sind, die ihre Meinung bisweilen bestritten sehen und denen es nicht ganz ungewöhnlich ist, zurechtgewiesen zu werden, wenn sie im Unrecht sind, setzen dies unumschränkte Vertrauen nur in die Meinungen, die von ihrer ganzen Umgebung geteilt werden. Zum mindesten brauchen sie die Zustimmung derjenigen, denen sie sich gewohnheitsmässig unterordnen; denn in demselben Grade, wie jemand seinem eigenen Urteil misstraut, stützt er sich gewöhnlich mit unbeschränkter Seelenruhe auf die Unfehlbarkeit der «Welt» im Allgemeinen. Und die «Welt» bedeutet für jeden Einzelnen den Teil davon, mit dem er in Berührung kommt: seine Partei, seine Kirche, seine Gesellschaftsklasse. Der Mann, der mit diesem Begriff etwas so Umfassendes wie sein Land oder sein Zeitalter verbindet, kann vergleichsweise liberal und grosszügig genannt werden. Auch wird sein Glaube an diese umfassende Autorität keineswegs dadurch erschüttert, dass andere Zeitalter, Länder, Kirchen, Sekten, Klassen oder Parteien das genaue Gegenteil gedacht haben und noch denken. Er bürdet der eigenen Welt die Verantwortung dafür auf, dass er im Recht ist gegen die abweichenden «Welten» anderer Leute; niemals stört ihn der Gedanke, dass der reine Zufall darüber entschieden hat, welche von diesen zahlreichen «Welten» der Gegenstand seines Vertrauens geworden ist, und dass dieselben Gründe, die ihn in London zu einem kirchlichen Christen gemacht haben, ihn in Peking zu einem Buddhisten oder zu einem Anhänger des Confucius gestempelt hätten. Aber es ist so gewiss, wie nur irgendein Beweis es machen könnte, dass Zeitalter nicht unfehlbarer sind als Einzelne, da jedes Jahrhundert Meinungen vertreten hat, die die folgenden Epochen als falsch, ja als absurd erkannt haben. Und es ist ebenso sicher, dass viele jetzt allgemeingeltende Meinungen durch kommende Zeitalter verworfen werden, wie es Tatsache ist, dass viele einst allgemein anerkannte Ansichten jetzt verworfen sind. Der Einwand, den man gegen dieses Argument wahrscheinlich erheben wird, dürfte etwa die folgende Form annehmen. Es liegt keine grössere Anmassung der Unfehlbarkeit darin, dass man die Verbreitung eines Irrtums verbietet, als in jeder andern Handlung, die die Obrigkeit auf ihr eignes Urteil und ihre Verantwortung hin unternimmt. Die Urteilskraft ist den Menschen gegeben, damit sie sie gebrauchen. Sollen wir sie darum nicht anwenden, weil wir uns irren können? Wenn Menschen verhindern, was sie für verderblich halten, so behaupten sie damit nicht ihre Unfehlbarkeit, sondern sie erfüllen die Pflicht, die ihnen trotz ihrer Fehlbarkeit obliegt, nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln. Wenn wir niemals nach unsrer Meinung handeln sollten, weil diese auch falsch sein kann, so könnten wir unsere Interessen nicht wahrnehmen und unsere Pflichten nicht erfüllen. Ein Einwurf, der alles Handeln überhaupt treffen würde, kann nicht gegen eine bestimmte Art des Handelns erhoben werden. Es ist Pflicht der Regierung wie der Einzelnen, ihre Ansichten so triftig und sorgsam wie möglich zu bilden, und sie Andern niemals aufzudrängen. Aber wenn man diese Sicherheit erlangt hat – so werden theoretische Denker erwidern –, so ist es nicht Gewissenhaftigkeit, sondern Feigheit, wenn man davor zurückschreckt, nach seiner Überzeugung auch zu handeln. Man darf keine Lehren zulassen, die man für das Heil der Menschheit in diesem oder einem andern Leben für gefährlich hält. Und es ist Feigheit, wenn man vor rückhaltloser Ausbreitung zurückscheut, nur weil andre Menschen in dunklen Zeiten Meinungen vertreten haben, die man jetzt für falsch hält. Und diese Gegner werden weiter sagen: Alle Regierungen und Völker haben auch in den Dingen geirrt, von denen niemals jemand geleugnet hat, dass sie geeignete Gegenstände ihres Urteils seien. Sie haben schlechte Steuern auferlegt und ungerechte Kriege geführt; schliessen wir daraus, dass wir überhaupt keine Steuern auferlegen und trotz aller Herausforderung auf Krieg verzichten sollen? Die Einzelnen und die Regierungen müssen nach ihrer besten Einsicht handeln. Es gibt keine absolute Sicherheit, aber es gibt eine Überzeugtheit, die für die Zwecke des menschlichen Lebens genügt. Wir wollen und müssen annehmen, dass unsere Meinung richtig sei, um unseres eigenen Lebens willen, und mehr als diesen Anspruch erheben wir nicht, wenn wir schlechten Menschen verbieten, die Gesellschaft durch die Verbreitung von Meinungen zu zerrütten, die wir für falsch und verderblich halten. Ich erwidere: Wir setzen damit tatsächlich viel mehr voraus. Es ist etwas völlig anderes, wenn wir annehmen, dass eine Ansicht wahr sei, weil sie trotz aller Gelegenheit zum Widerspruch unwidersprochen geblieben ist, als wenn wir ihre Wahrheit in dem Sinne voraussetzen, dass wir keinen Widerspruch zulassen. Völlige Freiheit des Angriffs und Widerspruchs ist die eigentliche Bedingung, die uns instand setzt, unsere Ansichten in unserem Handeln zu betätigen; unter anderen Bedingungen hat ein Wesen von menschlichen Fähigkeiten nicht das Bewusstsein, im Recht zu sein. Beobachten wir die Geschichte der Meinungen oder den gewöhnlichen Gang des menschlichen Lebens...


Gerhard Schwarz (*1951), Dr., oec., Studium an der Hochschule St. Gallen, in Kolumbien und an der Harvard Business School. Ab 1980 für die Neue Zürcher Zeitung tätig, u. a. als Frankreichkorrespondent, Leiter der Wirtschaftsredaktion und als stellvertretender Chefredaktor. 2010–2016 Direktor des Think Tank Avenir Suisse. Seit 2014 Präsident der Progress Foundation.
Stephan Wirz (*1959), Dr. theol., Dipl. sc. pol. Univ., ist Titularprofessor für Ethik an der Universität Luzern und leitete von 2007–2020 den Fachbereich Wirtschaft und Arbeit der Paulus Akademie.



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