Schweikart / Ramm | Es wird schon nicht so schlimm! | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 120 Seiten

Schweikart / Ramm Es wird schon nicht so schlimm!

Eine Filmnovelle
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-95732-066-7
Verlag: Verbrecher
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Eine Filmnovelle

E-Book, Deutsch, 120 Seiten

ISBN: 978-3-95732-066-7
Verlag: Verbrecher
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Die Schauspielerin Lilly Hollmann und ihr Kollege Gregor Maurer werden Anfang 1933 ein Paar. Und das, obschon Lilly sich eigentlich für einen anderen interessiert - Maurer weiß davon. Dennoch heiraten sie, wachsen in der Ehe zusammen und bekommen ein Kind. Doch die Zeiten sind schwer - die jüdische Schauspielerin darf schon bald nicht mehr auftreten, ihr Mann dagegen macht Karriere. Die Nazis drängen den äußerst beliebten Schauspieler zur Scheidung, der aber will Lilly und seinen Sohn nicht verlassen, nicht der Verfolgung preisgeben …

Hans Schweikarts sehr bewegende Erzählung "Es wird schon nicht so schlimm!" bildete die Grundlage für Kurt Maetzigs berühmten Film "Ehe im Schatten" (DEFA 1947). Hintergrund des Textes war die Geschichte von Meta und Joachim Gottschalk, die 1941 freiwillig aus dem Leben schieden. Schweikart war mit dem Paar befreundet, was diese klar und genau erzählte Geschichte so berührend macht.

Sie wird hiermit erstmals veröffentlicht, und die Hintergründe werden von den beiden Filmwissenschaftlern Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen in einem ausführlichen Nachwort kenntnisreich dargelegt.

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Heute wissen wir es. Heute fassen wir diesen Sommer 1933 nicht und die Heiter­keit, mit der wir ihn erleben konnten. Den glänzenden Bergsee unter dem wolkenlosen Himmel. Das kleine saubere Hotel und die Holztische zwischen den alten Linden am Ufer. Die Schneegipfel auf der anderen Seite über dem schwarzen Wald. Am Morgen kommt der alte Omnibus an, am Abend fährt er wieder ab, das ist alles. Die Straße ist schlecht und stellenweise sehr steil. Die Eisenbahn ist weit weg. Deshalb sind auch nicht viele Menschen hier. Sie haben sich der seltsamen Spannung der Städte entzogen, auf der Flucht vor ihrer eigenen Angst. Der See, die Sonne und der Berg machen es ihnen leichter, ihre schlimmen Ahnungen zu ertragen. Sie lassen sich in der Hoffnung bestärken. Sie glauben, glücklich zu sein. Sie sagen, das andere, was in den Städten auf sie wartet, wird vorübergehen. Es ist eigentlich eine kleine Künstlerkolonie: ein paar alte Münchener Maler mit ihren Familien, ein paar Schauspieler aus Berlin, ein Schriftsteller aus dem Rheinland und noch ein paar ruhige anspruchslose Leute. Die wenigen Spießer sind noch zu übersehen. Nur am Sonntag ist der Omnibus zum Platzen voll, und alle Gartentische sind besetzt. Dann gibt es viel Lärm, sogar eine Kapelle von drei Mann spielt, und die beiden Kellnerinnen rennen gereizt herum. »Das ist nicht zum Aushalten!«, sagt Lilly Hollmann. »Wir könnten heute mal auf einen Berg gehen!« »Meinst du zu Fuß?«, fragt Kurt Bechstein nachdenklich. Und der lange Gregor Maurer lacht und schüttelt den Kopf. Es sind die drei vom Berliner Neuen Theater – in ihrer letzten Ferienwoche, kurz vor der Rückreise zu den Proben. Der Film zeigt sie in der langen rhythmischen Montage, mit der er aufblendet: frühstückend auf der Veranda, im Boot, im Wasser, nachmittags auf der Wiese schlafend, mit dem Fotoapparat über die Almen ziehend, bei den Himbeerbüschen am Moosrand, in den Erdbeeren des Hochwalds, an Regentagen über Büchern und bei Schach, abends in hitzigen Gesprächen bei der Lampe auf der bäuerischen Holzterrasse vor dem Hotel. Sie reden fast nur vom Theater. Meistens vertragen sie sich. Wir hören, dass das Neue Theater, an dem sie alle drei engagiert sind, zwar keins der allerersten ist, dass sich aber Kurt und Gregor, der Charakterspieler und der Held, in Berlin durchgesetzt haben und dass Lilly, die im letzten Winter zum ersten Mal vor dem anspruchsvollen Publikum der Hauptstadt aufgetreten ist, eine große Karriere zu erwarten hat. Kurt Bechstein ist der älteste von ihnen. Sein kompliziertes, kluges, lebendiges Gesicht erweckt Vertrauen. Man kann gut mit ihm reden und sehr über ihn lachen. Gregor Maurer, der Große, Langsame, Einsilbige, ist sein bester Freund. Das wird im Bild bald klar. Nicht so leicht zu erkennen aber ist die Beziehung, in welcher Gregor zu Lilly steht. Sie haben in diesem Winter zusammen gespielt, seitdem sind sie unzertrennlich. Es wundert niemanden, dass sie gemeinsam in die Sommerferien gefahren sind. Dabei sind sie nicht übermäßig freundlich zueinander, und Lilly ist in ihrer hellen, spöttischen, vitalen Art, bei aller Beweglichkeit, undurchsichtig. Es ist eine wunderbare Kameradschaft. Keinesfalls ein Abenteuer. Das geht hier nicht. Und vielleicht lässt sich ihre Haltung damit erklären, dass sie sich vor einer Entscheidung scheuen, die ihr ganzes ferneres Leben bestimmen müsste. Obwohl dieser Sommer eine natürliche Vertraulichkeit zwischen ihnen entwickelt, mit jedem Tage mehr. Kurt sieht mit gutem Lächeln zu. Da sind Blicke, flüchtige Gesten, mehr nicht. Er übersieht auch nicht, dass sich Gregor im Geheimen quält. Aber er kennt seinen Freund und hütet sich, mit ihm zu sprechen. Und vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn sie nicht gerade jetzt, in dieser letzten Woche, Dr. Heinz Bluhm kennengelernt hätten. In der Gesellschaft des fröhlichen, wendigen Rheinländers wird Gregor noch schweigsamer als sonst. Die gemeinsame vertrauliche Basis ihrer Gespräche hat sich verschoben, er ist zu schwerfällig, das mitzumachen. Es war doch bisher so gewesen: Eingesponnen in ihre Sphäre, unterschätzten sie die Tragweite des neuen politischen Kurses. Sie waren sich einig darin, ihn zu verachten. Dabei hatte jeder von ihnen seine eigene Position, die den anderen bekannt war. Am deutlichsten erkannte Kurt die wachsende Gefahr. Er war entschlossen, die Konsequenzen nicht abzuwarten, sondern zu handeln, wenn es so weit sein würde. So sprach er nicht gern darüber. Gregor, in seiner Gutgläubigkeit und Weltfremdheit, ahnte zwar unklar, dass sich etwas Dunkles, Unfassliches auszubreiten begann. Aber er wehrte sich mit allen Kräften gegen seine eigenen Befürchtungen und drängte auf Aussprachen, um den Dingen auf den Grund zu gehen. Das passte Lilly gar nicht. Sie wollte nichts darüber hören. »Das ist doch alles Blödsinn«, sagte sie. »Wie lange kann sich das alles denn halten? – Hört auf! Theater, reden wir vom Theater!« Das gab manchmal Konflikte. Aber jetzt kommt Dr. Heinz Bluhm dazu. Und als sich wieder mal ein Disput erhebt, bei dem sich Lilly über Gregors Bedenklichkeiten lustig macht, stellt sich der neue Freund auf ihre Seite. »Aber natürlich geht das vorüber!«, sagt er. »Ich verstehe gar nicht, warum ihr euch die Köpfe darüber zerbrecht! Das sieht doch alles nur im Anfang so schlimm aus. Die Scharfmacher überleben sich, das war immer so! – Und überhaupt, ihr vom Theater! Das berührt euch doch gar nicht. Meint ihr denn, Deutschland ließe sich gefallen, dass ein Reinhardt nicht mehr inszeniert, dass ein Mahler nicht mehr dirigiert? Das wäre doch undeutsche Barbarei! … Dem Schauspieler wird es unter allen Umständen großartig gehen. Das war historisch bei allen autoritären Regierungen so. Die Leute brauchen euch doch! Denkt an Danton, ­Napoleon – Stalin, wenn ihr wollt –, der Schauspieler war immer das Lieblingskind der Diktatur – wenn man den Ausdruck überhaupt auf unseren Zustand anwenden darf … An euch wird nichts herankommen, verlasst euch drauf!« Kurt und Gregor blicken sich an. Aber Lilly hört es nur zu gern. Überhaupt gefällt ihr der junge Schriftsteller. Heinz Bluhm ist der Sohn eines großen rheinischen Zeitungsverlegers. Er hat Jura studiert, seit seinem Doktor arbei­tet er im Verlagshaus seines Vaters. Ein Roman, den er in der Berliner Illustrierten veröffentlicht hat, wird all­gemein beachtet. Er ist vielseitig interessiert, voll Respekt vor dem künstlerisch Tätigen, ein hübscher Junge mit guten Manieren. Er ist auch viel sportlicher als Kurt und Gregor – und sofort bereit, mit Lilly auf den Berg zu steigen. Als es so weit ist und die beiden, einigermaßen für die Tour ausgerüstet, sich in der Morgenfrühe verabschieden, ist Gregor sehr eigen zumute. Er sitzt mit Kurt auf der ­Terrasse und sieht dem Boot nach, das die beiden über den See zum Bergaufstieg bringt. »Warum lässt du dir’s gefallen?«, fragt Kurt plötzlich. Gregor blickt verdutzt auf, dann lacht er. »Bist du verrückt? – Das ist Lillys Sache. Was geht uns das an?« Es geht ihn aber viel an, und er nimmt sich die Zeitung vor. Kurt betrachtet ihn lange. Dann wird’s laut um sie. Der Omnibus ist angekommen, und die Sonntagsgäste strömen in den Garten. Kurt zieht die Brauen zusammen. Vor dem Tisch steht ein dicker Mann in einer braunen Uniform mit seiner Frau. »Hier ist doch Platz!«, sagt sie. »Entschuldigen Sie«, sagt der Mann, »sind hier zwei Plätze frei?« Kurt antwortet nicht. Gregor blickt kaum von der Zeitung auf. Er brummt und nickt. Das Paar setzt sich. Der Wirt und die Kellnerinnen hetzten durch die Tischreihen. Draußen auf dem See, gegen das andere Ufer, im Schatten des großen Berges verschwindet das Boot. Der Mann in der Uniform nimmt seine Mütze ab, wischt sich Stirn und Nacken mit dem Taschentuch. Dabei sieht er sich Kurt genauer an. Der erwidert den Blick. Wir erleben im Wechsel der Gegenschnitte, wie sich die beiden eine Weile wortlos anstarren – immer deutlicher den Kontrast zweier Gesichtstypen. Dann setzt sich der Mann seine Mütze auf und sagt, indem er sich gemächlich erhebt: »Das scheint mir nicht der richtige Platz für uns zu sein. Komm, Lore!« An einigen Nebentischen ist man aufmerksam geworden. Die Reaktion fällt verschieden aus. Die meisten rühren sich nicht, sehen den Mann eher feindselig an. Andere, nach der ersten Überraschung, schauen rasch weg und heucheln Gleichgültigkeit. Einige wenige aber sind offenkundig amüsiert. Ein junger Mann mit einem Schmiss auf der Wange sagt sogar halblaut: »Bravo!« Worauf der dicke Mann lächelnd die Hand zum Gruß hebt. »Was ist los?« Gregor fährt aus seiner Zeitung hoch. Er sieht jetzt erst die sich entfernende Uniform, die Armbinde – und sieht das blasse Gesicht seines Freundes. »Soll ich dem Kerl eins in die Fresse hauen?« »Das wäre ja noch...


Hans Schweikart, 1895 in Berlin geboren, inszenierte Theaterstücke, drehte Filme und schrieb zahlreiche Stücke, Drehbücher und Romane. Seine Eltern waren taubstumm. Schweikart selbst sah darin später einen Grund für sein hochentwickeltes Sprachgehör, das bei den Schauspielern die feinsten Schwingungen wahrnahm und schnell "falsche Töne" aufdeckte. 1915 debütierte er als Schauspieler, in den Zwanzigerjahren führte er bereits Regie am Theater, danach ging er als künstlerischer Leiter zur Bavaria-Filmgesellschaft. Dort drehte er unter anderem den erfolgreichen Film "Das Mädchen von Fanö" mit Brigitte Horney und Joachim Gottschalk. 1942 verließ er die Bavaria und wurde 1947 der Nachfolger Erich Engels als Intendant der Münchner Kammerspiele. Hans Schweikart starb 1975 in München.



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