Schweitzer / Hunger-Schoppe / Hilzinger | Soziale Ängste | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 17, 159 Seiten

Reihe: Störungen systemisch behandeln

Schweitzer / Hunger-Schoppe / Hilzinger Soziale Ängste


2. Auflage 2023
ISBN: 978-3-8497-8238-2
Verlag: Carl Auer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, Band 17, 159 Seiten

Reihe: Störungen systemisch behandeln

ISBN: 978-3-8497-8238-2
Verlag: Carl Auer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Angststörungen bilden – neben Depressionen – die größte Gruppe therapiebedürftiger psychischer Störungen, und soziale Angst gilt darunter als die umfänglichste. Dieses Buch beschreibt anschaulich, wie Menschen soziale Ängste entwickeln und wie sie sie überwinden können. Im Mittelpunkt steht der Gedanke der Angst als Systemmitglied, das nicht nur Schwierigkeiten, sondern auch entscheidende Impulse für deren Lösung liefern kann.

Die Autoren stützen sich zum einen auf ihre langjährige praktische Erfahrung, zum anderen auf die Ergebnisse eines mehrjährigen Forschungsprojekts an der Universität Heidelberg. Beides führen sie zu einer systemtherapeutischen Behandlungsanleitung zusammen, die Einzel-, Familien- und Gruppengespräche in ca. 15 Sitzungen miteinander verbindet. Das therapeutische Vorgehen wird dabei Stunde für Stunde und an Fallbeispielen präzise beschrieben.

Von diesem Konzept profitieren sowohl jüngere als auch erfahrene Psychotherapeuten: Die einen finden Orientierung in der detailliert beschriebenen Vorgehensweise, die anderen können ihren "Werkzeugkasten" um zahlreiche kreative Verstehensansätze, Methoden und Settingkombinationen erweitern.

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Zielgruppe


Psychotherapeuten, Psychologen, Ärzte
Sozialpädagogen
Sozialarbeiter
Mitarbeiter in Beratungsstellen und Kliniken

Weitere Infos & Material


1 Beschreibung sozialer Ängste und sozialer Angststörungen
1.1 »Störungsbild«: Wie werden soziale Angststörungen beschrieben?
Soziale Angststörungen werden in Klassifikationssystemen wie der Internationalen Klassifikation Psychischer Störungen (ICD-10) (Dilling, Mombour u. Schmidt 2013) und dem Diagnostischen und Statistischen Manual Mentaler Störungen (DSM-5) (Falkai et al. 2014) definiert.1 Zu berücksichtigen ist immer auch die Beeinträchtigung der betroffenen Person in ihrer Lebensführung (»Leidensdruck«). Ist dieser Leidensdruck hoch, ist die Angst vom Betroffenen subjektiv nicht mehr aushaltbar. Ist kein medizinischer Krankheitsfaktor (z. B. Herzerkrankung, chronische Lungenerkrankung, Vitamin-B12-Mangel) oder eine andere psychische Störung (z. B. Panikstörung) für die beschriebenen Symptome verantwortlich, wird eine über die normale Alltagsangst hinausgehende, behandlungsbedürftige soziale Angststörung klassifiziert (s. Tab. 1). In den Diagnosesystemen werden zwei Typen sozial ängstlich fühlender und handelnder Menschen diskutiert. Menschen des leistungsängstlichen Typus befürchten, die von ihnen erwartete Leistung nicht zu erbringen. Sie haben Angst, Fehler zu machen, während die Vorgesetzte ihnen »über die Schulter schaut«; wenn sie als Geschäftsführer eine Rede oder als Studierende ein Referat halten sollen; wenn sie jemanden attraktiv und anziehend finden und ihn gerne ansprechen würden. Menschen des interpersonal ängstlichen Typus befürchten, sich in eher alltäglichen Situationen wie beim Mittagessen mit Arbeitskollegen oder Kommilitonen, auf dem Gartenfest mit den Nachbarn oder bei WG-Partys, beim Umtausch einer beschädigten Ware oder beim Erfragen von Informationen im Finanzamt oder Studiensekretariat peinlich zu verhalten (Iwase et al. 2000). Ob eine Person eher leistungsängstlich und/oder interpersonal ängstlich fühlt und handelt, lässt sich mit Fragebögen wie der »Skala zur Erfassung sozialer Ängste« von Liebowitz (1987) für 24 beispielhaft ausgewählte soziale Situationen erfassen (s. Tab. 2). Diese erfragt neben dem Ausmaß von erlebter Angst/Furcht auch das Vermeidungsverhalten, also das Ausweichen vor jenen sozialen Situationen, die dem Betreffenden Angst einflößen. Soziale Angststörungen zeichnen sich im Diagnosesystem DSM-5 durch folgende Kriterien aus: Eine ausgeprägte und anhaltende Angst vor einer oder mehreren sozialen Interaktions- oder Leistungssituationen bei Konfrontation mit unbekannten Personen und im Zusammenhang mit einer (antizipierten) Beurteilung. Die Person fürchtet, ein Verhalten zu zeigen, das peinlich sein könnte. Die Konfrontation mit der gefürchteten Situation ruft fast immer eine unmittelbare Angstreaktion hervor, die das Erscheinungsbild einer situationsgebundenen Panikattacke annehmen kann. Die Person sieht ein, dass die Angst übertrieben und unvernünftig ist (im DSM-5 spielt dieses Kriterium, anders als noch im DSM-4, keine Rolle mehr). Die gefürchteten sozialen oder Leistungssituationen werden vermieden oder nur unter intensiver Angst ertragen. Die ängstliche Erwartungshaltung und/oder das Vermeidungsverhalten beeinträchtigen deutlich die Lebensführung der Person, ihre berufliche/schulische Leistung oder soziale Aktivitäten, oder sie verursachen erhebliches Leiden. Bei Personen unter 18 Jahren hält die soziale Angststörung über mindestens sechs Monate an. Die Angst und/oder das Vermeidungsverhalten geht nicht auf die körperliche Wirkung einer Substanz (z. B. Droge, Medikament) oder eines medizinischen Krankheitsfaktors zurück und kann nicht besser durch andere psychische Störungen erklärt werden. Falls ein medizinischer Krankheitsfaktor oder eine andere psychische Störung vorliegen, so stehen diese nicht in Zusammenhang mit der unter Kriterium A beschriebenen Angst (z. B. nicht Angst vor Stottern, Zittern bei Parkinson-Krankheit). Tab. 1: Diagnostische Kriterien der sozialen Angststörung nach DSM-5 Um möglichen »Schaden« zu begrenzen, zeigen sich sozial ängstliche Menschen oft wenig und vorsichtig emotional, gehen intime Beziehungen eher bedächtig ein und wirken bindungsunsicher (Heinrichs 2003; Wenzel 2002). Betrachtet man zirkulär die wechselseitige Beziehung zwischen Angstpatient und Bezugspersonen, dient die soziale Ängstlichkeit also auch als Nähe-Distanz-Regulator (Byng-Hall 1980). Dadurch kann sich die Beziehungsqualität kurz- wie auch langfristig vermindern (McLeod 1994). Die emotionale Ansteckung wichtiger Bezugspersonen (die Angst des Patienten löst in seinen Bezugspersonen eigene Ängste aus) ist mit einer Beeinträchtigung von deren psychologischer und psychischer Gesundheit sowie mit Belastungen der familiären und freundschaftlichen Beziehungen verbunden (Priest 2009). Daher ist es vielfach sinnvoll, alle wichtigen Systemmitglieder sowohl in die Erforschung sozialer Angstkreisläufe als auch in den Prozess der angestrebten Veränderung im therapeutischen/beraterischen Setting einzubeziehen. Tab. 2: Soziale Angstskala nach Liebowitz (1987), Selbstberichtsversion 1.2 Differenzialdiagnostik: Wie unterscheidet sich die soziale Angst von anderen Angststörungen?
Eine Kurzdarstellung von Angststörungen inklusive Symptomwahrnehmung und Leitaffekt bietet zu ihrer differenzialdiagnostischen Unterscheidung die Tab. 3. Anders als beim »Strukturierten Klinischen Interview für DSM 5« liegt dieser Tabelle das Diagnosesystem zugrunde, das in Deutschland in der Praxis verwendet wird: die »International Classification of Diseases« (ICD) der Weltgesundheitsorganisation WHO. Differenzialdiagnose Merkmal Diagnose Merkmal Agoraphobie (F40.0) Angst/Vermeidung von Situationen, aus denen eine Flucht nur schwer möglich erscheint (z. B. große Menschenmengen, Fahrstühle); mit/ohne Panikstörung (F40.00, F40.1) Symptomwahrnehmung: vitale Bedrohung, v. a. nicht sichtbare Symptome (z. B. Herzrasen, Enge in der Brust, Benommenheitsgefühl) Leitaffekt: Vermeidung von Hilflosigkeit Soziale Phobie (F40.1) Angst/Vermeidung von Situationen, in denen peinliches Verhalten befürchtet wird (z. B. Sprechen mit unbekannten Personen und/oder Autoritäten) Symptomwahrnehmung: soziale Bedrohung, v. a. sichtbare Symptome (z. B. Erröten, Schwitzen, Stottern) Leitaffekt: Vermeidung sozialer Abwertung Spezifische Phobie (F40.2) Angst/Vermeidung einzelner, eng umschriebener Situationen, v. a. von Gegebenheiten der Natur (z. B. Spinnenphobie, Höhenangst) Symptomwahrnehmung: vitale Bedrohung Leitaffekt: Vermeidung einer Gefahr für Leib und Seele Panikstörung (F41.0) plötzlich auftretende extreme Angst / Vermeidung von körperlichem Kontrollverlust (z. B. Sterben) Symptomwahrnehmung: vitale Bedrohung Leitaffekt: Vermeidung von Kontrollverlust Generalisierte Angststörung (F41.1) Sorgen über eine Vielfalt sozialer Situationen (z. B. Gesundheit, sozialer Status, Familie, Beruf), bezogen auf die eigene Person ebenso wie auf Dritte Symptomwahrnehmung: vitale Bedrohung Leitaffekt: Vermeidung existenzieller Katastrophen Angst und depressive Störung, gemischt (F41.2) gleichzeitiges Auftreten von Ängsten und Depression, ohne dass ein Störungsbild dominiert bzw. voll ausgeprägt ist Differenzialdiagnose Gemeinsames Merkmal Unterscheidendes Merkmal (SAS = soziale Angststörung) Agoraphobie Vermeidung von Situationen mit vielen Menschen Angst/Vermeidung von Hilflosigkeit (vs. SAS: Angst/Vermeidung von Bewertung) Panikattacke Erleben von Furcht vor körperlichem Kontrollverlust Bewertung der körperlichen Symptome als vitale Bedrohung, wobei die befürchteten Symptome oft nicht sichtbar sind (z. B. Herzinfarkt) (vs. SAS: Angst/Vermeidung von z. B. Erröten, Zittern als...


Jochen Schweitzer, Prof. Dr. rer. soc., Dipl.-Psych.; Professor für Medizinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Heidelberg; Psychologischer Psychotherapeut, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut. Schwerpunkte: Kreative Therapiemethoden, Dialog mit anderen Therapieschulen, Familientherapie in Jugendhilfe, Psychiatrie und Psychosomatik, Organisationsentwicklung im Gesundheits-, Sozial- und Bildungswesen.

Christina Hunger-Schoppe, Dr. phil., Dipl-Psych.; Psychologische Psychotherapeutin, Studium der Psychologie (Dipl.Psych.) und Psychologic and Psychiatric Anthropology (M.Sc.), binationale Promotion (Co-Tutelle) im Bereich interkulturelle klinische Psychologie und Religionswissenschaften (Universität Heidelberg, Pontificia Universidad Católica de Chile), systemische Therapeutin (SG, DGSF) und Lehrtherapeutin für Systemische Therapie (SG). Seit 2010 akademische Mitarbeiterin am Universitätsklinikum Heidelberg, Konzeption und Leitung verschiedener Wirksamkeitsstudien in der Psychotherapieforschung, Entwicklung von Messinstrumenten zur Erfassung von Veränderungen in sozialen Systemen, Studien zu "psycho-somatischen" sowie "sozio-kulturellen" Fragestellungen. Psychologisch-psychotherapeutische Tätigkeiten in der Klinik für Allgemeine Psychiatrie und am Institut für Medizinische Psychologie.
Arbeitsschwerpunkte: Systemische Psychotherapie (Einzel- und Mehrpersonensettings), Verhaltenstherapie, Paar- sowie Familientherapie und Supervision.

Rebecca Hilzinger, Systemische Therapeutin und Beraterin (SG); Familientherapie; Systemische Beratung in Hochschulen, Industrie, Verwaltung, Gesundheits- und Forschungswesen; Lehrbeauftragte; Psychotherapie-, Beratungs- und Professionalisierungsforschung.

Hans Lieb, Dr. phil., Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut; Ausbildung in Verhaltenstherapie, NLP, Gesprächspsychotherapie, Systemtherapie. Lehrtherapeut und Lehrsupervisor in Systemischer Therapie (IFW, A&E und SG) und Verhaltenstherapie (IFKV Bad Dürkheim), Gesprächspsychotherapie, NLP. Psychotherapeut ECP. Langjährige Tätigkeiten in Sucht- und psychosomatischen Kliniken, zuletzt als leitender Psychologe. Praxis in Edenkoben (Rheinland-Pfalz) für Psychotherapie, Paar- und Familientherapie, Supervision (Ausbildung/Einzel/Gruppen/Team). Publikationsschwerpunkte: Ausbildungskonzepte für die Psychotherapie; Bibliotherapie Psychosomatik; Therapieschulenbegegnung; Menschenbilder der Psychotherapieschulen.



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