Buch, Deutsch, 270 Seiten, Format (B × H): 140 mm x 212 mm, Gewicht: 339 g
Junge Erwachsene im Spannungsfeld zwischen Individualität und Geschlechternormen
Buch, Deutsch, 270 Seiten, Format (B × H): 140 mm x 212 mm, Gewicht: 339 g
Reihe: Politik der Geschlechterverhältnisse
ISBN: 978-3-593-39428-2
Verlag: Campus
Auf der Grundlage von Interviews mit jungen Männern und Frauen aus der deutschsprachigen Schweiz analysiert Karin Schwiter die Zukunftspläne junger Erwachsener. Wie wollen sie ihr Leben gestalten? Welche Bedeutung messen sie der Erwerbsarbeit bei? Welche Erwartungen haben sie an ihre berufliche Zukunft? Wollen sie Kinder haben? Was sind ihre Vorstellungen von Vaterschaft und Mutterschaft? Und wie werden sie ihre zukünftigen Familien organisieren?
Mittels einer foucaultschen Diskursanalyse arbeitet die Autorin die Logiken der Lebensplanung junger Erwachsener heraus, welche sich in den Interviews zeigen. Ihre Analyse macht sichtbar, wie durch die Vorstellung von Individualität fortbestehende Geschlechternormen ausgeblendet und gesellschaftliche Herausforderungen zu individuellen Entscheidungsproblemen umgedeutet werden.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Soziologie | Soziale Arbeit Spezielle Soziologie Wirtschaftssoziologie, Arbeitssoziologie, Organisationssoziologie
- Sozialwissenschaften Soziologie | Soziale Arbeit Soziale Gruppen/Soziale Themen Sozialprognosen
- Sozialwissenschaften Soziologie | Soziale Arbeit Altersgruppen Kinder- und Jugendsoziologie
- Sozialwissenschaften Soziologie | Soziale Arbeit Soziale Gruppen/Soziale Themen Sozialisation, Soziale Interaktion, Sozialer Wandel
- Sozialwissenschaften Soziologie | Soziale Arbeit Soziale Gruppen/Soziale Themen Gender Studies, Geschlechtersoziologie
Weitere Infos & Material
Inhalt
Dank 9
1. Einleitung 11
Teil I
2. Forschungsstand 21
2.1 Lebenslauf- und Biographieforschung: zwei Forschungsansätze und ihre Verbindungen 21
2.2 Gesellschaftstheoretische Ansätze zur Individualisierung von Lebensläufen 25
2.3 Vorhandene Studien zur Lebensplanung 29
2.4 Kritikpunkte und weiterer Forschungsbedarf 38
3. Methodologie 43
3.1 Geschlechtertheoretische Grundlegungen 43
3.2 Diskurstheoretische Grundlegungen 45
3.3 Datenerhebung mittels problemzentrierter Interviews 50
3.4 Datenauswertung mittels foucaultscher Diskursanalyse 63
Teil II
4. Ausbildung - Beruf - Erwerbsarbeit 69
4.1 Die Entscheidung für einen Beruf als freie Wahl 69
4.2 Mein Beruf muss zu mir passen 75
4.3 Mein Beruf muss Zukunft haben: flexibel und auf dem Arbeitsmarkt gefragt 77
4.4 Das Streben nach Bildungszertifikaten: Wer sich nicht weiterbildet wird abgehängt 79
4.5 Berufszukunft ungewiss: Vorläufig mache ich mal das, dann schaue ich weiter 83
4.6 Lohnt es sich noch, bevor ich Kinder kriege? 87
5. Kinderwunsch - Familiengründung 91
5.1 Kinderhaben gehört zum Leben 91
5.2 Homosexuelle haben keine Kinder 94
5.3 Für Kinder muss es passen 95
5.4 Dann hat man besser keine Kinder 99
5.5 Widersprüche in der Kinderfrage 102
6. Elternschaft - Vatersein - Muttersein 103
6.1 Defizitäre und veraltete Väter: das nicht-Tun und die verborgene Liebe 104
6.2 Neue Väter: Sich Zeit nehmen für gemeinsame Erlebnisse 112
6.3 Das Ideal der immer anwesenden Mutter 117
6.4 Das Überbemuttern der Glucken 121
6.5 Das Mitleid mit der Mutter für ihr aufgegebenes Leben 123
6.6 Mutter sein: Immer für das Kind da sein und doch ein eigenes Leben haben 129
6.7 Mutterschaft + Vaterschaft = Elternschaft? 135
7. Arbeitsteilung 145
7.1 Arbeitsteilung im Elternhaus: Papa arbeitet, Mama ist daheim 145
7.2 Antizipierte Arbeitsteilung: Alles Verhandlungssache? 158
7.3 Feindbild Doppelverdienerpaar mit Krippenkind 161
7.4 Am Anfang braucht's die Mama 168
7.5 Ich würde schon den Hausmann spielen, aber… 172
7.6 Das väterliche Primat der Erwerbsarbeit 176
7.7 Das mütterliche Primat der Kinderbetreuung 181
7.8 Alternative Arbeitsteilungsmodelle und Spannungsfelder 186
7.9 Vereinbarkeitsprobleme als individuelles Unvermögen, Prioritäten zu setzen 190
7.10 Arbeitsteilung im kinderlosen Paarhaushalt 192
Teil III
8. Lebensplanung im Spannungsfeld von Individualisierung und Normierung 203
8.1 Lebensplanung als freie Wahl und individualisierte Verantwortung trotz unabwägbarer Zukunft 203
8.2 Lebensplanung zwischen eigenem Weg und Paarnormativität 210
9. Geschlecht zwischen Kontinuität und Wandel 215
9.1 Geschlecht als Nebeneinander von Individualitätsanspruch und geschlechtsspezifischer Normierung 215
9.2 Aspekte von Wandel und Kontinuität in den Geschlechterverhältnissen 223
9.3 Geschlechtertheoretische Erklärungsansätze für Wandel und Kontinuität 231
10. Schlussfolgerungen 236
Anhang 245
Interviewleitfaden 245
Kurzfragebogen 247
Literatur 249
Junge Erwachsene gelten als die Zukunft der Gesellschaft - als jene Generation, die ihr Leben noch vor sich hat und die Trends von Morgen bestimmen wird. Im Gegensatz zu Kindern und Jugendlichen zählen sie bereits als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft. Die heutigen Erwartungen an sie sind entsprechend vielfältig. Sie sollen beispielsweise möglichst wertvolle Bildungszertifikate erwerben, erwerbstätig sein, Kinder kriegen und sich zumindest bereits Gedanken gemacht haben, was sie mit ihrem Leben anfangen wollen.
Insbesondere die Kinderfrage hat im Zuge der Debatte um die Alterung der Gesellschaft eine besondere Brisanz gewonnen. Das Bild einer schrumpfenden und vergreisenden Gesellschaft schlägt zurzeit in allen deutschsprachigen Ländern hohe Wellen. Wissenschaftliche Studien dokumentieren einen Rückgang an Geburten und entwickeln daraus krisenhaft anmutende Szenarien für die Zukunft. "Es ist dreißig Jahre nach zwölf" resümiert beispielsweise der deutsche Demograph Herwig Birg (2005: 149) in populistischer Manier und fordert eine rasche Erhöhung der Geburtenrate. Die Medien titeln "Stirbt die Schweiz aus?" (Tönz 2006) oder drohen "Sonst sterben wir aus" (Dietschi 2009). Der Blick richtet sich in dieser Debatte um die Alterung der Bevölkerung oft auf die jungen Erwachsenen: Wollen sie überhaupt noch Kinder haben? Und weshalb allenfalls nicht?
Bei Paaren, die bereits eine Familie gegründet haben, steht demgegenüber vor allem die Verteilung der anfallenden Arbeit im Zentrum der Aufmerksamkeit. Gemäß Studien organisiert sich in der Schweiz nach wie vor der größte Teil der Paare mit Kindern unter sieben Jahren nach dem Ernährer-Hausfrau-Modell, wobei der Vater vollzeitlich und die Mutter nicht oder allenfalls in einem (meist geringen) teilzeitlichen Pensum erwerbstätig ist und dafür den Hauptteil der Kinderbetreuung und Hausarbeit übernimmt (Bühler und Heye 2005: 47ff). Gemäß jüngster Daten des Bundesamtes für Statistik waren auch im Jahr 2009 über 80 Prozent der Paarhaushalte mit Kindern unter sieben Jahren nach diesem Modell organisiert (BFS 2010). In Deutschland sind es 73 Prozent, in Österreich 70 Prozent der Paarfamilien (BFS 2009b, Daten von 2005 bzw. 2006). Betrachtet man den Zeitaufwand für die Haus- und Familienarbeit, zeichnet sich ein ähnliches Bild. Während Frauen im Jahr 2007 in der Schweiz durchschnittlich 30 Stunden pro Woche dafür aufwendeten, waren es bei den Männern 18 Stunden. Trotz einer leichten Angleichung der Werte im Verlaufe des letzten Jahrzehnts investieren Frauen also nach wie vor beinahe doppelt so viel Zeit in Haus- und Familienarbeit wie Männer (BFS 2009a). Jüngste Zeitverwendungsstudien aus Österreich (Statistik Austria 2009) und Deutschland (Statistisches Bundesamt 2003) ergeben ähnliche Resultate.
Gleichzeitig finden sich jedoch auch Anzeichen dafür, dass die Arbeitsteilung in Familien in Bewegung geraten ist. Die so genannt "neuen Väter", die ihre Kinder auch im Alltag betreuen und mindestens so professionell wie ihre Frauen Windeln wechseln, Babyfläschchen wärmen und Kindernasen putzen, sind sowohl in der wissenschaftlichen als auch in der populärmedialen Diskussion omnipräsent. Eine Vielzahl von Forschungsarbeiten beschäftigt sich mit den sich abzeichnenden Veränderungen der Bedeutung von Vaterschaft. Sie dokumentieren neue Leitbilder und Alltagspraxen von Vätern und portraitieren zum Beispiel so genannt aktive, egalitäre oder partnerschaftliche Väter (siehe jüngst z.B. Baumgarten et al. 2008, Benz 2008, Gumbinger und Bambey 2007, Kassner 2008, Schwiter 2009, Zerle und Krok 2008). Die Medien titeln: "Wenn Väter zu Hause Karriere machen" (Marquard 2009) und "Vaterschaft: Anschlag auf die alte Herrlichkeit" (Ninck 2009). Sie hinterfragen damit klischierte Geschlechterrollen und diskutieren beispielsweise eine Ausweitung des Vaterschaftsurlaubs (z.B. Brunner und Santner 2009). Zeigt das Ernährer-Hausfrau-Modell tatsächlich verstärkte Erosionserscheinungen? Wie will die nächste Generation von jungen Müttern und Vätern dereinst ihre Familien organisieren? Wie verstehen die heute noch kinderlosen jungen Erwachsenen Vaterschaft und Mutterschaft?
Auch in der Erwerbswelt zeichnen sich Veränderungen ab. Einerseits stieg die Erwerbsbeteiligung von Frauen in allen deutschsprachigen Ländern in den letzten Jahrzehnten an (BFS 2007:3f, Bühler und Heye 2005: 22ff). Gleichzeitig gehört die Ära der Lebensjobs, als in den ersten Dekaden der Nachkriegszeit insbesondere junge Männer nach Abschluss der Ausbildung in eine Firma eintraten und dort bis zur Pensionierung blieben, der Vergangenheit an. Für eine steigende Anzahl Beschäftigter ist das Berufsleben geprägt durch mehrmalige Wechsel von Arbeitgebenden, unterbrochen von Phasen von Arbeitslosigkeit, Elternschaft, beruflicher Neuorientierung und Nachqualifikationen. Arbeitsverhältnisse haben in verschiedenster Hinsicht Flexibilisierungen erfahren (siehe hierzu z.B. Baumgartner 2008, Sennett 1998, Szydlik 2008). Junge Erwachsene stehen am Beginn ihrer Erwerbslaufbahn. Wie gehen sie mit den gegenwärtigen Trends in der Arbeitswelt um? Welche Erwartungen haben sie an ihre berufliche Zukunft?
Generell wird von jungen Erwachsenen erwartet, dass sie ihr Leben aktiv und selbständig planen. Im Zuge gesellschaftlicher Individualisierung wird der eigene Lebensweg nicht länger als vordefiniert, sondern zunehmend als individuelles Projekt verstanden (siehe hierzu z.B. Keddi 2003). Jeder und jede ist anders und soll deshalb eigenverantwortlich darüber entscheiden, was er oder sie mit dem eigenen Leben anfangen will. Verstehen sich die jungen Erwachsenen tatsächlich als "homo optionis" (Beck und Beck-Gernsheim 2001:5)? Wie gehen sie mit der wahrgenommenen Wahlfreiheit angesichts einer Vielfalt lebensplanerischer Möglichkeiten um und auf welche Art und Weise prägt das ihre Lebensentwürfe? Inwieweit ist die Vorstellung von Individualität inzwischen Teil des Selbstverständnisses der jungen Erwachsenen geworden? Welche Konsequenzen hat es, wenn die Verantwortung für die eigene Biographie vollständig dem Individuum zugeschrieben wird? Gilt damit auch jedes Scheitern als selbstverschuldet? Und inwiefern trägt die Idee von Wahlfreiheit dazu bei, Geschlechternormen festzuschreiben oder zu verändern?
Forschungsfragen
Diesen Fragen will die vorliegende Studie nachgehen. Leitfrage dabei ist Wie sprechen junge Erwachsene über ihre Zukunftspläne? In einem ersten Schritt geht es um die konkreten Inhalte der Lebensentwürfe der jungen Erwachsenen. Welche Vorstellungen haben sie von ihrer zukünftigen Berufstätigkeit, Karriere, Elternschaft und familialen Arbeitsteilung?
Zweitens liegt das Forschungsinteresse auf der Konzeptualisierung von Lebensplanung. Das heißt: Welches Verständnis von Lebensplanung zeigt sich in den Erzählungen der jungen Erwachsenen? Inwiefern erachten sie es als möglich, sinnvoll und notwendig Zukunftspläne zu entwickeln? Welche Arten von Zukunftsplänen schmieden sie? Wo zeigen sich in den Erzählungen Vorstellungen von Individualität und Wahlfreiheit? Inwieweit sehen sie sich selbst verantwortlich für ihre Biographien? Und welche Konsequenzen hat das?
Darüber hinaus fragt die Studie nach den Geschlechtervorstellungen: Welche Konzeptualisierungen von Geschlecht sind in den Lebensentwürfen junger Erwachsener enthalten und welche Implikationen haben diese im Hinblick auf Wandel und Persistenz der Geschlechterverhältnisse? Auf welche Konzepte von Weiblichkeit und Männlichkeit, von Mütterlichkeit und Väterlichkeit und auf welche vergeschlechtlichten Normen referieren die jungen Erwachsenen? Inwieweit übernehmen sie die Lebensentwürfe, mit welchen sie ihre Elterngeneration charakterisieren, oder grenzen sich davon ab? Wo finden sich in den Erzählungen Hinweise auf Veränderungen in den Geschlechterverhältnissen und Geschlechterkonstruktionen?
Um diese Forschungsfragen zu beantworten, führte ich problemzentrierte Interviews mit jungen Erwachsenen aus der deutschsprachigen Schweiz und analysierte diese mittels eines diskursanalytischen Verfahrens.
Aufbau des Buches
Das folgende Kapitel 2 wird als erstes den Stand der Forschung darstellen. Es zeigt auf, inwiefern die bisherige wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Fragen der Lebensplanung auf zwei weitgehend getrennt voneinander existierenden Forschungsansätzen beruht. Die Lebenslaufforschung einerseits arbeitet vornehmlich makrosoziologisch mit quantitativen Datensätzen. Die Biographieforschung andererseits ist eher mikrosoziologisch orientiert und auf die Analyse qualitativer Daten spezialisiert. Während sich die Lebenslaufforschung auf Lebenslaufmuster und die sie strukturierenden Institutionen (z.B. Schulsystem und Rentenleistungen) konzentriert, interessiert sich die Biographieforschung dafür, wie die Menschen selber ihre Biographien und ihr biographisches Handeln deuten. Die in der vorliegenden Studie zum Einsatz kommende Diskursanalyse bietet hier eine vielversprechende Möglichkeit, zwischen den bisher separaten Forschungszweigen eine Brücke zu schlagen. Mit der Fokussierung auf Diskurse als gesellschaftliche Normierungen gelingt es ihr, Individuum und Struktur zu verbinden.
Des Weiteren legt Kapitel 2 die zurzeit prominent diskutierte These einer Destandardisierung und Individualisierung von Lebensläufen dar. Ulrich Beck, Anthony Giddens und weitere AutorInnen argumentieren, die Gegenwartsgesellschaft sei durch eine Freisetzung der Individuen aus gesellschaftlichen Traditionen geprägt. Dies eröffne einerseits neue Handlungsoptionen, aber auch neue Risiken, da jeder und jede seinen Lebensweg eigenständig planen und dafür auch die Verantwortung übernehmen müsse. Die an Michel Foucault anschließende Gouvernementalitätsforschung liest die Betonung von Individualität und Wahlfreiheit als Teil einer neoliberalen Regierungsweise, in welcher die gesellschaftliche Genese von Ungleichheiten systematisch ausgeblendet wird und die Individuen selbst vollständig für ihr Los verantwortlich gemacht werden.
Und schließlich gibt Kapitel 2 einen Überblick über die bereits vorhandenen empirischen Forschungsarbeiten zur Lebensplanung. Es zeigt sich, dass sich diese vor allem auf das Jugendalter, sowie auf Familien mit Kindern konzentrieren. Zur dazwischen liegenden Phase des jungen Erwachsenenalters liegen noch vergleichsweise wenige Arbeiten vor. Ebenfalls fokussieren die vorliegenden Studien oft entweder nur auf Frauen oder zeichnen lediglich Geschlechterdifferenzen nach. Und sie konzentrieren sich vornehmlich darauf, Typologien von Lebenslaufmustern oder biographischem Handeln zu entwickeln. Indem die vorliegende Arbeit das junge Erwachsenenalter in den Blick nimmt, Geschlechterkonstruktionen differenziert analysiert und anstelle einer weiteren Typologie diskursive Normierungen sichtbar macht, versucht sie, den bestehenden Stand der Forschung zu erweitern.
Kapitel 3 erläutert die methodologischen Überlegungen. Andrea Maihofers Konzeptualisierung von Geschlecht als Existenzweise erlaubt es, Geschlecht als eine kulturell und historisch kontingente Art des Seins - beziehungsweise des Existierens - zu denken. Sie ermöglicht es, jene vergeschlechtlichten Diskurse zu analysieren, welche normieren, wie ein Geschlecht gegenwärtig gedacht, gefühlt und praktiziert werden muss.
Des Weiteren stützt sich die vorliegende Arbeit auf die Diskurstheorie von Michel Foucault. Foucault geht davon aus, dass Sprache Realität nicht abbildet, sondern diese erst produziert. Er untersucht, wie sich gewisse Aussagen und Sprechweisen wiederholen, verfestigen und sich für eine bestimmte Zeit als unhinterfragte Wahrheiten etablieren. Seine "Archäologische Methode" erlaubt es, die Aussagemuster herauszuarbeiten, welche das gegenwärtige Verständnis von Lebensplanung junger Erwachsener konstituieren.
Als Analysematerial dienen problemzentrierte Interviews mit jungen Männern und Frauen aus der deutschsprachigen Schweiz, die zwischen 24 und 26 Jahre alt sind. Sie erzählten über ihr Aufwachsen, ihre gegenwärtige Lebenssituation und insbesondere ihre Zukunftspläne. Der letzte Teil des Kapitels 3 legt dar, nach welchen Überlegungen die InterviewpartnerInnen ausgewählt und die Gespräche strukturiert, wie diese aufgezeichnet, transkribiert und schließlich mit Hilfe der foucaultschen Diskursanalyse ausgewertet wurden.
Teil II beinhaltet die Resultate der empirischen Analysen und ist thematisch gegliedert. Kapitel 4 beschäftigt sich mit dem Themenbereich Ausbildung, Beruf und Erwerbsarbeit. Die Berufsfindung wird von den jungen Erwachsenen als ihre eigene, autonome Entscheidung konzipiert, für die das Individuum die Verantwortung zu übernehmen hat. Geschlechts- und bildungsmilieuspezifische Normen bleiben in diesem Aussagemuster weitgehend ausgeklammert. Sie werden nur dort thematisiert, wo sie durchbrochen werden.
Wie weiter gezeigt werden kann, zeichnen die jungen Erwachsenen ihre beruflichen Zukunftspläne in einem Spannungsfeld: Auf der einen Seite besteht der Anspruch, die eigenen Fähigkeiten und Bedürfnisse im Beruf verwirklichen zu können. Auf der anderen Seite gilt es, auf dem Arbeitsmarkt als gut ausgebildete und flexibel einsetzbare Arbeitskraft gefragt zu sein. Die latente Angst vor dem Wertverlust des eigenen Wissens manifestiert sich in einer regelrechten Jagd nach Diplomen. Zusätzlich beschäftigt sich Kapitel 4 mit der Frage, inwieweit sich die berufliche Zukunft gemäß den jungen Erwachsenen überhaupt planen lässt und welchen Einfluss Geschlecht auf den antizipierten Zeithorizont des Berufslebens hat.
Im Zentrum von Kapitel 5 steht der Kinderwunsch. Die Erzählungen der jungen Erwachsenen belegen, dass es nach wie vor zu einem erfüllten Leben gehört, Kinder zu haben. Gleichzeitig formulieren die Befragten sehr hohe Voraussetzungen, welche werdende Eltern zu erfüllen haben. Diese reichen von einer langjährigen heterosexuellen Partnerschaft über finanzielle und berufliche Sicherheiten bis hin zu einer Bereitschaft, Kindern die erste Priorität im Leben einzuräumen, und zeigen geschlechtsspezifische Unterschiede. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben - so wird argumentiert - soll man besser auf Kinder verzichten.
Kapitel 6 analysiert die Aussagen der jungen Erwachsenen zu Elternschaft. Es legt dar, in welchen Punkten sich die jungen Erwachsenen von der Vaterschaft und Mutterschaft ihrer eigenen Eltern distanzieren und welche eigenen Vorstellungen von guten Müttern und Vätern sie entwickeln. In Abgrenzung von den meist abwesenden Vätern und sich aufopfernden Müttern ihrer Elterngeneration zeichnen sie ein nach wie vor geschlechterdifferenzierendes Bild von väterlichen Wochenendspielgefährten und zwar unabhängigen, aber doch immer anwesenden Vollzeitmüttern.
Kapitel 7 thematisiert die Arbeitsteilung. Während die Befragten mit Blick auf ihre Eltern eine dominante Norm des Ernährer-Hausfrau-Modells beschreiben, definieren sie die Arbeitsteilung in ihrer eigenen Partnerschaft und allfällig zukünftigen Familie als Verhandlungssache. Es sei völlig offen und je nach Situation flexibel abzusprechen, wer welche Anteile an Haus-, Familien- und Erwerbsarbeiten übernehme. Anhand von Interviewauszügen legt dieses Kapitel dar, in welchen Bereichen trotz des Verhandelbarkeitspostulats geschlechtsspezifische Normen fortbestehen. So zeichnen die Befragten beispielsweise ein regelrechtes Feindbild gegenüber Doppelverdienerpaaren mit Krippenkind und gehen weitgehend unhinterfragt davon aus, dass Kleinkinder in erster Linie von ihren Müttern betreut werden sollten. Die Analyse zeigt auf, wie weit die antizipierte Arbeitsteilung der jungen Erwachsenen tatsächlich vom Ernährer-Hausfrau-Modell abweicht.
In einem nächsten Schritt geht Kapitel 7 der Frage nach, wo die Befragten mögliche Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf lokalisieren und wie sie diese lösen wollen. Zudem analysiert es die Strategien, mit welchen die jungen Erwachsenen allfällige Ungleichheiten in der Arbeitsteilung legitimieren.
Im dritten und letzten Teil werden die Ergebnisse der zuvor dokumentierten empirischen Analysen diskutiert und die Forschungsfragen beantwortet. Kapitel 8 legt dar, wie sich die herausgearbeiteten Aussagemuster zu einem Diskurs individualisierter Lebensplanung verflechten, in welchem die jungen Erwachsenen sich selbst als autonome und selbstverantwortliche LebensplanerInnen verstehen. Es zeigt sich, dass die jungen Erwachsenen zwar das Bild einer schnell wandelbaren und kaum voraussehbaren Zukunft zeichnen, gleichzeitig jedoch die volle Verantwortung für ihre lebensplanerischen Entscheidungen übernehmen. Zudem steht die wahrgenommene Autonomie in der Lebensplanung in einem Spannungsfeld zur gleichzeitig vorhandenen Paarnormativität - das heißt, der Vorstellung einer Zukunft zu zweit.
Kapitel 9 diskutiert die Konzeptualisierungen von Geschlecht, welche die Erzählungen der jungen Erwachsenen beinhalten. Es skizziert ein gleichzeitiges Nebeneinander von Vorstellungen geschlechtsungebundener Individualität und fortbestehenden Geschlechternormen. Zudem fragt Kapitel 9 danach, inwieweit sich in den dokumentierten Resultaten Aspekte von Wandel oder Kontinuität der Geschlechterverhältnisse finden.
In einem nächsten Schritt werden die empirischen Resultate in Beziehung zu bestehenden Studien und Ansätzen der Geschlechterforschung gesetzt, welche die gegenwärtigen Transformationsprozesse in den Geschlechterverhältnissen zu fassen versuchen. Es zeigt sich, dass sich die Ergebnisse weder als Anzeichen eines "Gender Gap", noch einer "Rhetorischen Modernisierung" oder von "Traditionalisierungsfallen" interpretieren lassen. Stattdessen lese ich sie nach Maihofer als paradoxe Verschränkungen gegenläufiger Prozesse.
Kapitel 10 führt die Erkenntnisse zusammen und fragt nach den Konsequenzen, welche der beschriebene Diskurs individualisierter Lebensplanung für das gegenwärtige Verständnis von Geschlecht und die Geschlechterverhältnisse hat. Es zeigt auf, inwiefern er auf individueller Ebene Spielräume für Überschreitungen bisheriger Geschlechtergrenzen eröffnet und auf welche Art und Weise er gleichzeitig auf kollektiver Ebene bestehende Geschlechterungleichheiten gegen Kritik immunisiert. Das Bild der jungen Erwachsenen von sich selbst als autonome und selbstverantwortliche LebensplanerInnen hat zur Folge, dass sie auch inkorporierte und institutionalisierte Effekte fortbestehender Geschlechternormen ausschließlich sich selbst zuschreiben. So werden im Laufe der Sozialisation erworbene und vielfältig in Institutionen eingebettete Geschlechterunterschiede und -ungleichheiten stets als Resultat individueller Präferenzen verstanden. Dies verunmöglicht es, sie auf gesellschaftlicher Ebene in Frage zu stellen. Der Diskurs individualisierter Lebensplanung führt folglich zu einer Privatisierung der Geschlechterverhältnisse.
Das Buch schließt mit einem Plädoyer für eine diskursanalytische Forschungsperspektive, welche es erlaubt, gegenwärtige Selbstverhältnisse von Individuen als kulturell und historisch kontingente Existenzweisen sichtbar zu machen und damit die Veränderbarkeit bestehender Geschlechternormen ins Zentrum zu stellen.