Seidel | Baruch de Spinoza zur Einführung | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 152 Seiten

Reihe: zur Einführung

Seidel Baruch de Spinoza zur Einführung


2. Auflage 2018
ISBN: 978-3-96060-044-2
Verlag: Junius Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

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Reihe: zur Einführung

ISBN: 978-3-96060-044-2
Verlag: Junius Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Baruch de Spinoza (1632-1677) gehört zu jenen frühen Philosophen der Aufklärung, die durch kritische Befragung für die heutige Zeit wiederzuentdecken sind. Denn die Gedanken seines Hauptwerks, der "Ethik, nach der geometrischen Methode dargestellt", führen in ihrer metaphysischen Spekulation über das Wesen Gottes und der Natur direkt zu den ökologischen Fragen unserer Zeit. Darüber hinaus hat Spinoza sich in kleineren Schriften, so etwa dem "Tractatus Theologico-Politicus", mit der Vereinbarkeit von Naturrecht und Staatsordnung auseinandergesetzt. Diese Einführung stellt Spinoza als Vordenker einer Toleranz vor, "die nicht wie ein schönes Ideal über der Wirklichkeit schwebt, sondern sich der Schwierigkeiten ihrer Verwirklichung voll bewußt ist" (Spinoza).
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2. Spinozas philosophische Lebensform
Von Seneca wird berichtet, er habe auf den Vorwurf, dass seine Lehre seiner Lebensart widerspreche, dass er Wasser predige, aber Wein trinke, so geantwortet: Ich bin ein Wegweiser; von diesem aber kann nicht verlangt werden, dass er den gewiesenen Weg auch geht. Dagegen gleicht Spinoza einem Spurenleger, der nicht nur die Richtung kennt, sondern den Weg gerade dadurch weist, dass er ihn selbst zurücklegt. Seit Sokrates und einigen seiner Schüler (Kyniker) ist die Übereinstimmung von philosophischer Denkweise und existentieller Lebensform nirgends so überzeugend demonstriert worden wie von Spinoza. Philosophie ist ihm vorzüglich Ethik, die nicht nur die Möglichkeit von Tugend theoretisch begründen, sondern gelingendes Leben bewirken will. Mit den Stoikern, von denen ihn vieles trennt, ist er sich darin einig: Glückseligkeit ist nicht der Lohn der Tugend, sondern diese selbst. Wie stark Spinoza seine Grundintention auf seine eigene Person bezieht – was in anderen Fällen keineswegs seine Art war –, davon zeugt die Einleitung in seiner frühen Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes. »Nachdem die Erfahrung mich gelehrt hat, dass alles, was im täglichen Leben sich gewöhnlich ereignet, nichtig und wertlos ist, und da ich sah, dass alles, vor dem ich mich fürchtete und das ich fürchtete, nicht etwas Gutes oder Schlechtes in sich selbst enthielt, sondern nur insofern, als das Gemüt davon bewegt wurde, so beschloss ich endlich zu erforschen, ob es irgendetwas gäbe, das ein wahres Gut sei, dessen man teilhaftig werden könne und von dem allein, unter Zurückweisung alles anderen, das Gemüt erfüllt werde; ja, ob es etwas gäbe, durch das ich, wenn es von mir entdeckt und erlangt wird, eine beständige und höchste Freude auf ewig genießen könne.« (TIE, S. 7) Das hier skizzierte Forschungsprogramm ist nicht nur von existentieller Bedeutung, es trägt ebenso alternativen Charakter. Vorausgesetzt ist nämlich, dass die Alltäglichkeit keineswegs schon gelingendes Leben, dass der Ängste bewirkende Druck des Seienden nicht überwunden und dass das wahre Gut noch nicht gefunden ist. Schon dies musste jene erschrecken, die ihr Leben in der Ordnung fanden und das höchste Gut in ihre anthropomorphe Gottesvorstellung einbezogen sahen. Die theoretische und praktische Erfüllung des Programms machte Spinoza zum bestgehassten Mann seiner Zeit. Die ersten Angriffe gegen seine Denk- und Lebensweise kamen von Vertretern der jüdischen Religion, in deren Geiste der Knabe erzogen worden war. Mit wachsender intellektueller Reife entfernte er sich von ihr.4 Da er nie ein Angepasster war, der wider besseres Wissen handelte, brach er mit den von dieser Religion vorgeschriebenen Lebensregeln. Den großen Bannfluch, mit dem er aus der jüdischen Gemeinde ausgestoßen wurde, hat er gelassen aufgenommen. Er kroch weder zu Kreuze, noch suchte er den Schutz anderer Religionsgemeinschaften, deren Lehren und Riten seiner Denkweise nicht adäquat waren. So wurde er zum ersten Konfessionslosen, was ihm in seiner Zeit, deren Geist vom religiösen Bewusstsein dominiert wurde, natürlich den Ruf eines furchtbaren Atheisten einbringen musste. Im Konflikt mit den religiösen Mächten unterscheidet sich Spinozas Haltung sowohl von der des Giordano Bruno wie von der des Galileo Galilei. Der italienische Physiker widerrief in äußerlicher Form seine das alte astronomische Weltbild revolutionierenden Erkenntnisse, ohne seine innere Überzeugung, dass die Erde sich doch bewege und dass der sanften Gewalt der Vernunft auf die Dauer keiner widerstehen könne, preiszugeben. Bei Spinoza findet sich nicht die Spur eines Widerrufes. Mit bewundernswürdiger Konsequenz hat er nicht nur seine philosophischen Anschauungen entwickelt und verteidigt, sondern ebenso für allgemeine Denkfreiheit gestritten. In ihren Handlungen unterliegen zwar die Individuen den Gesetzen des Staates, nicht aber in ihrem Denken. Giordano Bruno hat vor dem Inquisitionsgericht seinen philosophischen Überzeugungen nicht abgeschworen. Dass er daraufhin verurteilt und verbrannt wurde, machte ihn – neben Sokrates – zum bedeutendsten Märtyrer im philosophischen Bereich. Spinoza ist trotz Verfolgungen, denen auch er ausgesetzt war, kein Märtyrer geworden. Das hat seinen objektiven Grund in den damals weitgehenden, freilich nicht unbegrenzten Freiheiten, die die Niederländer in ihrem Unabhängigkeitskampf gegen das katholische Spanien errungen hatten. Nicht umsonst hat es Spinoza als Glück empfunden, in diesem Lande zu leben. Der subjektive Grund aber liegt darin, dass er die Standhaftigkeit Brunos und anderer wohl achtete, Märtyrertum aber nicht anstrebte. Unnötige Zuspitzung der ohnehin scharfen Konflikte und laute Eklats waren ihm zuwider. Dies nicht aus Feigheit, denn ein Feigling hätte niemals neue kühne Gedanken geäußert, die Gefahr heraufbeschwören mussten. Wohl eher eingedenk des Satzes, dass es sinnvoller ist, für die Wahrheit zu leben, als für sie zu sterben. Daher das »CAUTE« auf seinem Siegelring, daher die so oft falsch interpretierte Zurückgezogenheit. Die Klugheit, die Erfahrungen und Erkenntnisse nutzt, stellte er in den Dienst der Weisheit, die in der Erkenntnis lebt. Seine kritische Aufmerksamkeit richtete Spinoza keineswegs nur auf religiöse Denk- und Lebensformen, sondern auch und vor allem auf das praktische Leben. Menschenkenntnis zeichnete ihn aus, nicht Lebensfremdheit. »Dasjenige nämlich, worin es im Leben meistens geht und was unter den Menschen, wie ihre Taten zeigen, als sozusagen höchstes Gut eingeschätzt wird, lässt sich auf diese drei Dinge zurückführen: nämlich auf Reichtum, Ehre und Genusssucht.« (TIE, S.7) Dass die Jagd nach Reichtum, das Häufen von Gulden auf Gulden nicht nur nicht mit gelingendem Leben identisch ist, sondern auch der Erforschung des wahren Gutes entgegensteht, hat Spinoza frühzeitig erkannt und seine Konsequenzen daraus gezogen. Er kehrte dem Geschäft, das er nach dem Tode seines Vaters gemeinsam mit seinem Bruder übernommen hatte, den Rücken und bestritt seinen Lebensunterhalt durch das Schleifen von Linsen. Diese Tätigkeit harmonierte gut mit seinen wissenschaftlichen und philosophischen Interessen. Wie er die Begriffe schliff, damit klarer gedacht wird, so schliff er Linsen, damit deutlicher gesehen wird. Reichtum, so Spinoza im Gegensatz zum gleichaltrigen John Locke, erweitert nicht die Freiheit, sondern vernichtet sie. Reichtum erzeugt die Gier nach größerem Reichtum. Je größer diese Gier, umso größer die Abhängigkeit vom Gegenstand der Gier, also umso größer die Unfreiheit. Nicht der Mensch beherrscht seinen Reichtum, dieser beherrscht ihn. In einem Brief erzählt Spinoza mit offensichtlicher Freude und Zustimmung eine Anekdote über Thales. Der Mileser war von dem Satz ausgegangen, dass unter Freunden alles gemeinsamer Besitz sei. Da nun Philosophen Freunde der Götter sind, die alles besitzen, folglich auch den Weisen alles gehört, bedürfen sie nicht des partiellen Reichtums, zumal dieser der Freundschaft zu den Göttern im Wege steht. Mit dieser Wendung, so kommentiert Spinoza, »hat sich dieser weise Mann […] zum Reichsten gemacht, mehr indem er den Reichtum großgesinnt verachtete, als indem er ihm gierig nachjagte« (E, S. 199). In Spinozas Erzählung erscheint Thales als Freund der Götter, nicht als Knecht seines Herrn. Hier wird nicht an das Armutsideal gedacht, das bei der Gründung mittelalterlicher Mönchsorden Pate stand. Askese hat immer das Bewusstsein eines Gegensatzes zwischen Leiblichem, Natürlichem einerseits und Seelischem, Geistigem andererseits zur Voraussetzung. Im Namen des Letzteren wird das Erstere unterjocht. Von dieser Kluft, die innerhalb der christlichen Religion aufgerissen wurde, hat Thales nichts gewusst; und Spinoza hat sie zu schließen gesucht. Die Erkenntnis der Einheit, die den Geist mit der gesamten Natur verbindet, war sein Ziel. Wie stark sich Thales’ Haltung von asketischer Lebensweise unterscheidet, macht die Fortsetzung der von Spinoza erzählten Anekdote deutlich. Wegen seiner Armut, so der Bericht, sei Thales von Bekannten gehänselt worden. Daraufhin schockierte er seine Kritiker auf doppelte Weise. Als Naturforscher und größter Sternkundiger seiner Zeit sah er eine außerordentlich reiche Olivenernte voraus. Er erwarb daher zu niedrigem Preis so viele Keltern, wie er aufzutreiben vermochte. Als die Olivenschwemme einsetzte und alles nach Keltern schrie, vermietete er die seinigen zu hohen Preisen. Auf diese Weise erwarb er großen Reichtum, über den seine Zeitgenossen nicht schlecht staunten. Es blieb ihnen aber der Mund offen stehen, als sie sahen, wie Thales diesen Reichtum ebenso freigebig verteilte, wie er ihn klug und leicht erworben hatte. Was war schon dieser Reichtum gegenüber der Freundschaft zu den Göttern? Wie die Gier nach Reichtum, so führt auch die Jagd nach Ruhm und Ehre an einem gelingenden Leben vorbei. Unter den sehr wenigen Zitaten, die Spinoza in sein Hauptwerk aufgenommen hat,...


Helmut Seidel (1929-2007) war Professor für Philosophie an der Universität Leipzig und Leiter des dortigen Fachbereichs Geschichte der Philosophie.



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