E-Book, Deutsch, 372 Seiten
Seidel / Stoffers / Plastargias Wie ein bunter Traum: Teenie-Träume
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7546-4515-4
Verlag: tolino media
Format: EPUB
Kopierschutz: PC/MAC/eReader/Tablet/DL/kein Kopierschutz
Teenie-Träume
E-Book, Deutsch, 372 Seiten
ISBN: 978-3-7546-4515-4
Verlag: tolino media
Format: EPUB
Kopierschutz: PC/MAC/eReader/Tablet/DL/kein Kopierschutz
Was, wenn Fuchs und Krähe dir den Weg zu dir selbst weisen? Wenn du miterlebst, wie wahre Held*innen geboren werden? Wenn du dich in jemanden verliebst, der dasselbe Geschlecht hat wie du - oder überhaupt in niemanden? Dieses Buch lädt dich ein, die Flügel deiner Fantasie auszustrecken und die Welt in all ihren Farben zu erkunden. Voller Menschen, die leben und lieben, wie sie es wollen. Für welchen Traum schlägt dein Herz? Begib dich auf eine fantastische Reise durch neun regenbogenbunte Geschichten. Hier findest du alltägliche und übernatürliche Gefahren, gute Freund*innen - und vielleicht sogar dich selbst. Eine Anthologie für Lesebegeisterte ab 12 mit Geschichten jenseits aller Schubladen von Noah Stoffers, Jannis Plastargias, Mo Kast, Yansa Brünnling, Jennifer Hauff, Leonie Below, Casjen Griesel, Andi Bottlinger und Tanja Meurer. Der Erlös aus den Verkäufen geht an den Verein 'Queer Lexikon', eine Online-Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche, die Fragen zu romantischer, sexueller und geschlechtlicher Vielfalt haben.
Juliane Seidel wurde 1983 in Suhl/Thüringen geboren und lebt in Wiesbaden. Neben ihrer Arbeit als Teamassistentin steckt sie viel Zeit und Herzblut in verschiedene queere Projekte und schreibt seit über zehn Jahren fantastische Kinder- und Jugendbücher. Unterdessen hat sie, neben den ersten Bänden der Kinderbuchreihe "Assjah" und der im Selfpublishing erschienenen Urban Fantasy-Reihe "Nachtschatten", auch erste Veröffentlichungen im queeren Bereich vorzuweisen.
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»Das hier nehme ich!« Johannas Stimme war vor Triumph satt und klar. Sie hielt einen Kranz aus Stoffblumen in die Höhe. Die Filzblätter hingen schlaff herab und an einigen Stellen war der Draht zu sehen, aber als sie sich den Kranz auf die blonden Locken setzte, war sie die Königin der Wiese. Im Gras standen mehrere Körbe, aus denen Kleidung quoll. Da waren der Umhang des Prinzen, die Papphelme der Wachen und ein paar Holzschwerter. Johanna kramte weiter in dem Durcheinander und die anderen Mädchen halfen ihr dabei. Kasper hatte sich die zottige Maske des Ungeheuers aufgesetzt und die Hände zu Klauen geformt. Er brüllte wie ein Löwe. Lachen und Rufe flirrten in der warmen Luft. »Die Prinzessin hat eine Menge Text zu lernen«, rief Herr Pahl über die Köpfe hinweg. »Schaffst du das bis zum Erntemond?« Johanna reckte das Kinn höher. Ihre runden Wangen waren rot vor Aufregung. »Gar kein Problem, Herr Pahl«, rief sie überzeugt und in diesem Moment, als alle sie ansahen, streckte Raph die Hand nach dem Hut aus. Das alte Ding war einmal prächtig gewesen. Jetzt hatte der grüne Samt schon ein paar kahle Stellen und es gab eine Delle. Aber am Hutband steckten immer noch drei geschwungene Federn. Das Schauspiel wurde jedes Jahr von den älteren Kindern zum Erntemond aufgeführt und deshalb wusste Raph, dass auch schwarze Handschuhe dazugehörten. Genau wie der Umhang, den Oma aus einer alten Decke genäht hatte. Raph hatte den Umhang schon einmal heimlich anprobiert. Der schwere Stoff schwang bei jedem Schritt! »Kasper übernimmt die Rolle Ungeheuers«, rief Herr Pahl und Kasper antwortete mit einem Brüllen. Seine Freunde johlten und Raph zog die Schultern etwas höher, obwohl keiner von ihnen herübersah. Es war natürlich eine Unverschämtheit, der Prinz sein zu wollen. Das war eine der besten Rollen überhaupt. Mit großen Auftritten und den ganzen guten Sprüchen. Raph kannte sie alle auswendig. Den Kampf auf den Zinnen genauso, wie das Treffen mit der Prinzessin. Als hätte Johanna ihr Stichwort gehört, sah sie sich auf der Wiese um. Ihre Augen blitzten fröhlich auf. »Was willst du sein, Ella?«, rief sie hinüber. Raph zuckte zusammen. Natürlich drehten sich jetzt auch die anderen zu ihr herum. »Ja, was darf es ein, Raphaella?«, fragte Herr Pahl freundlich. »Eines der Bauernmädchen vielleicht? Oder die alte Hexe?« Er hielt den Stiel des Reisigbesens in die Höhe und die Jungen johlten über irgendetwas. Raph hatte lange über ihre Rolle nachgedacht. Sie hatte sich vorgestellt, wie sie sich den Hut mit einem Schwung auf den Kopf setzte und sich elegant verbeugte. Sie wollte mit jeder Faser ihres Herzens der Prinz sein. So wie früher, als sie und Johanna noch jung genug gewesen waren, um in ihrer Höhle im Wald die alten Geschichten nachzuspielen. Raph hatte der Gefangene sein dürfen, der von der Prinzessin befreit wurde. Oder der arme, aber mutige Dieb, der die Krone stahl. Es war schön gewesen, immer mal wieder für einen Nachmittag Johannas Held sein zu dürfen. Fast wie in den Geschichten, wenn Prinz und Prinzessin am Ende heirateten. Jetzt strich Raph ihre Schürze glatt und stand mit dem Hut in der Hand auf. Das Gras kitzelte an ihren nackten Zehen, die Sonne stach sie in den Nacken. Sie spürte die neugierigen Blicke der Mädchen und musste nicht hinüber schauen, um zu wissen, dass die Jungen feixten. Und obwohl Herr Pahl freundlich guckte und Johanna strahlte, hing Raphs Arm schwer herab. Unmöglich, ihn in einem eleganten Schwung hochzureißen und sich den Hut auf die langen Zöpfe zu setzen. »Ich wäre gerne …« Ihre Stimme war ganz klein vor Aufregung. »Etwas lauter!«, rief Hauke herüber. Raph versuchte, das Kinn so anzuheben, wie Johanna es getan hatte. »Ich wäre gerne der Prinz!«, sagte sie, so laut sie konnte. Einen Moment war es auf der Wiese ganz still, man konnte sogar die dicken Hummeln im Klee hören und das Schwappen des Mühlrads unten am Fluss. Dann brach Kasper in ein gackerndes Lachen aus. Er trug immer noch die zottige Maske des Ungeheuers und seine Freunde fielen ein. »Das geht nicht«, sagte Herr Pahl und machte ein freundliches Gesicht. »Das ist eine Rolle für einen der Jungen, verstehst du?« »Du könntest die Amme sein und meine Schleppe tragen.« Jetzt war auch Johanna herangetreten, noch immer die Stoffblumen im Haar. Sie war wunderschön und unerreichbar zugleich, obwohl sie doch direkt vor Raph stand. Johanna fügte freundlich lächelnd hinzu: »Es ist eine kleine Rolle. Du müsstest auch nicht so viel sagen.« Alle wussten, dass Raph nicht gerne vor der ganzen Dorfschule sprach. Sie presste die Lippen aufeinander und sah auf ihre nackten Zehen hinab. Angst und Ärger zogen ihr den Magen zusammen, sie hielt den Hut etwas fester. »Ich wäre gerne der Prinz!« Kasper hatte seine Stimme verstellt, damit sie hell klang und ahmte ein Stottern nach. Seine Vorstellung erntete das nächste Lachen. »Halt dein verdammtes Drecksmaul«, rief Johanna zu ihm hinüber. »Keine Schimpfwörter!«, verlangte Herr Pahl von ihr. »Sonst bekommst du die Rolle der Prinzessin nicht!« Und dann wandte er sich an das Ungeheuer: »Das ist nicht die Art von Theater, die wir hier wollen, Kasper!« Hauke nahm Raph den Hut aus der Hand und probierte ihn selbst auf. »Wie sehe ich aus?«, rief er seinen Freunden zu. »Hey Paule, gib sofort den Umhang her, der gehört dazu!« Eine von Johannas neuen Freundinnen wurde die Amme und aus irgendeinem Grund war es völlig in Ordnung, dass Paule die Hexe spielte. Es schien auch ausgemacht, dass Hauke der Prinz wurde. Obwohl das nur logisch war, stach die Enttäuschung Raph wie mit scharfen Nadeln. Sie versteckte sich wieder im hohen Gras zwischen den Körben und wühlte lustlos darin herum. Da war der Lumpenmantel des Bettlers. Und das Betttuch mit dem aufgemalten Wald. Vielleicht konnte sie die Kulissen übernehmen? Irgendjemand musste ja auch die Mondlaterne hochhalten, im Dorfchor singen oder im Hintergrund die Trommel schlagen. Ihre Finger stießen gegen etwas Hartes, Glattes. Sie zog es heraus. Es war eine Ledermaske mit spitzen Ohren und einer dünnen, langen Schnauze, dort, wo die Nase hingehörte. Sie war für die obere Hälfte des Gesichts gedacht, zu beiden Seiten der Maske baumelten Bänder zum Festbinden herab. Es raschelte im Gras, als Herr Pahl herantrat. Er hatte einen Sonnenbrand auf der Nase und die Hemdärmel hochgekrempelt. »Wegen deiner Rolle, Raphaella«, begann er. »Vielleicht möchtest du die Mondlaterne halten? Wir könnten dein Gesicht weiß anmalen und dich in ein dunkles Tuch hüllen. Du müsstest kein Wort sprechen.« Raph senkte den Blick auf die Maske und spürte, wie all die ungesagten Worte in ihrer Kehle zu einem Kloß anschwollen. Dass sie überhaupt noch Luft bekam! Dort drüben drehte sich Hauke mit dem Umhang des Prinzen und brachte den Stoff zum Flattern. Er verneigte sich vor Johanna, genau so, wie Raph es hatte tun wollen. Mit einer entschlossenen Bewegung drückte sie sich die Maske aufs Gesicht und schnürte sich die Bänder am Hinterkopf zusammen. »Ich bin der Fuchs!«, erklärte sie schroff. »Was?«, fragte Herr Pahl überrascht, aber da war sie schon aufgestanden. Sie griff nach ihren Schuhen, so entschlossen, als würde ihr das Herz nicht bis zum Halse klopfen. »Der Fuchs ist der König im Volke«, zitierte Raph das Stück, obwohl sie jede Silbe herauszwingen musste. »Der ewige Wanderer und überall zuhause.« »Du kennst den Text?« Herr Pahl schien noch etwas sagen zu wollen, aber am anderen Ende der Wiese war gerade ein Kampf mit Holzschwertern ausgebrochen. Als der Lehrer sich umdrehte, begann Raph zu laufen. Sie begriff selbst nicht warum, nur, dass sie fort musste. Fort von dem Gelächter und dem wehenden Mantel des Prinzen. Fort von Johannas glücklichem Strahlen und der freundlichen Verständnislosigkeit des Lehrers. Ihr Herz schlug hart in ihrer Brust. Irgendwas pikste sie in den nackten Fuß. Herr Pahl rief ihren Namen, doch Raph rannte nur schneller. Sie hielt auf den hohen Waldsaum zu und blieb auch nicht stehen, als ihre Seiten schmerzten und stachen. Dann hatte sie die Bäume erreicht. Die Schatten hüllten sie ein. Raph blieb stehen, um die Schuhe überzustreifen. Sie hörte Herr Pahls Stimme hinter sich und wusste, dass sie umdrehen sollte. Noch konnte sie sich dafür entschuldigen, dass sie einfach von der Probe weggelaufen war. Sie konnte die Fuchsmaske zurücklegen und weiße Farbe für das Mondgesicht anrühren. Der Mond hatte eine hübsche Rolle. Nicht wichtig, aber schön anzusehen. Raph zog den Rotz durch die Nase hoch und hickste leise. Unter dem Leder der Fuchsmaske liefen ihr Tränen über die Wangen. Sie blickte auf die Wiese zurück. Das Lachen und die Rufe klangen jetzt nur noch in Fetzen zu ihr herüber. Und Herr Pahl war stehen geblieben. Er winkte zwei der Jungen heran und zeigte in Richtung Waldrand. Das gab den Ausschlag. Raph raffte ihre langen Röcke, um besser laufen zu können. Sie hetzte durchs Unterholz, das Laub des letzten Herbsts raschelte unter ihren Füßen. Kleine Zweige streiften ihre Schultern. Einer peitschte ihr ins Gesicht und gegen die Maske. Durch die Augenschlitze konnte sie an den Seiten weniger sehen. Aber sie lief trotzdem weiter. Ihre Seiten begannen wieder zu stechen. Sie hörte die Rufe der Jungen und rannte noch verbissener, noch schneller. Die Stimmen blieben hinter ihr zurück, aber die ungesagten Worte in ihrer Kehle trieben Raph weiter. Tiefer in den Wald hinein. Früher hatte sie mit Johanna an dem kleinen Bach eine Höhle aus Ästen gebaut. Es war ihr Geheimversteck gewesen und eine Mutprobe von einem Ufer...