Siegel | Wie wir werden, die wir sind | Buch | 978-3-87387-581-4 | sack.de

Buch, Deutsch, 416 Seiten, KART, Format (B × H): 170 mm x 244 mm, Gewicht: 720 g

Siegel

Wie wir werden, die wir sind

Neurobiologische Grundlagen subjektiven Erlebens und die Entwicklung des Menschen in Beziehung
Neuauflage 2010
ISBN: 978-3-87387-581-4
Verlag: Junfermann Verlag

Neurobiologische Grundlagen subjektiven Erlebens und die Entwicklung des Menschen in Beziehung

Buch, Deutsch, 416 Seiten, KART, Format (B × H): 170 mm x 244 mm, Gewicht: 720 g

ISBN: 978-3-87387-581-4
Verlag: Junfermann Verlag


Was macht einen Menschen zu dem, der er ist? Seine Veranlagung? Oder sind es doch eher Umgebungsfaktoren wie Familie, Erziehung und Umfeld? Daniel J. Siegel überwindet dieses einengende Denken in Gegensätzen und präsentiert eine neue bahnbrechende Sicht der menschlichen Entwicklung. Er erforscht, welchen Einfluss zwischenmenschliche Beziehungen auf die Entstehung wichtiger Verbindungen im Gehirn haben und zeigt auf, durch welche Prozesse wir alle zu fühlenden, denkenden und erinnernden Individuen werden. „Weshalb können wir uns nicht daran erinnern, was wir im Alter von drei Jahren getan haben? Warum sind manche Kinder ungewöhnlich schüchtern? Welche biochemischen Auswirkungen haben Demütigungen, und inwiefern können sie sich auf das Gehirn von Kindern schädigend auswirken? Neue und einleuchtende Antworten auf diese Fragen ergeben sich aus Siegels Synthese neurobiologischer, psychologischer und kognitionswissenschaftlicher Erkenntnisse.“ – Publishers Weekly „Dieses großartige Buch verknüpft die Erkenntnisse der Bindungsforschung mit fundiertem biologischen Wissen und erklärt somit die lebenslange Wirkung früher Erlebnisse.“ – Alicia F. Lieberman
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Weitere Infos & Material


Einleitung: Geist, Gehirn und Erleben

Gedächtnis und Erinnern

Bindung

Emotionen

Repräsentationen: Verarbeitungsmodi und die Konstruktion der Realität

Mentale Zustände: Kohäsion, subjektives Erleben und komplexe Systeme

Selbstregulierung

Interpersonale Verbundenheit

Integration


Der Entwicklung des Geistes werden rekursive Eigenschaften zugeschrieben. Dies bedeutet, daß das, was der Geist eines Menschen der Welt präsentiert, das Präsentierte verstärken kann. Eine typische Reaktion der Umwelt bzw. der Eltern auf den Verhaltens-Output eines Kindes kann folglich das betreffende Verhalten verstärken. Deshalb spielt das Kind bei der Gestaltung der Erlebnisse, an die sein Geist sich anpassen muß, eine wichtige Rolle. Somit verändert das Verhalten selbst den genetischen Ausdruck, der daraufhin neues Verhalten erzeugt. Letztendlich basieren also Veränderungen in der Organisation der Gehirnfunktion, der Regulierung der Emotionen und des Langzeitgedächtnisses auf Veränderungen der neuronalen Struktur. Diese strukturellen Veränderungen sind der Aktivierung oder Deaktivierung von Genen zuzuschreiben, die Informationen für die Proteinsynthese enkodieren. Erlebnisse, genetischer Ausdruck, mentale Aktivität, Verhalten und die permanenten Interaktionen mit der Umgebung (das Erleben) sind in einem Geflecht von Transaktionsprozessen eng miteinander verbunden. Insofern sind der rekursive Charakter der Entwicklung und die Art, auf die Natur und Kultur, Gene und Erleben zusammenwirken, eng verknüpfte Bestandteile ein und desselben Prozesses.

Genetische Untersuchungen des Verhaltens gelangen häufig zu dem Resultat, daß fünfzig Prozent der gemessenen Persönlichkeitsmerkmale sich auf Vererbung zurückführen lassen; vom größten Teil der übrigen fünfzig Prozent der Variabilität wird angenommen, daß sie auf >>nicht-gemeinsamen<< (>>nonshared<<) Aspekten der Umgebung basieren, beispielsweise auf Erlebnissen in der Schule und auf Peer-Beziehungen. Doch auch Geschwister - und sogar eineiige Zwillinge -, die gleichzeitig von den gleichen Eltern aufgezogen werden, haben eine >>nicht-gemeinsame<< Umgebung, insofern das elterliche Verhalten nicht bei jedem Kind identisch ist. Die Rekursivität der geistigen Entwicklung verstärkt die anfänglichen individuellen Unterschiede und stellt die manchmal bestehende Auffassung, in ein und derselben Familie aufzuwachsen sei eine gemeinsame (statistisch identische) Erfahrung, in Frage. Dies erinnert uns daran, daß die Entwicklungsgeschichte jedes einzelnen Menschen ein unauflösbares Konglomerat dessen ist, wie die Umgebung, zufällige Ereignisse und das Temperament des betreffenden Menschen zur Entstehung von Erlebnissen beitragen, bei denen Anpassung und Lernen rekursiv die Entwicklung des Geistes formen.

Die Bedeutung epigenetischer Faktoren - die Art, wie Erleben unmittelbar den Ausdruck der Gene beeinflußt - gelangt auch in Untersuchungen über den erblichen Aspekt bestimmter psychiatrischer Störungen, beispielsweise Schizophrenie, zum Ausdruck. Bei eineiigen Zwillingen, deren gesamte genetische Information identisch ist, besteht eine Übereinstimmung von unter fünfzig Prozent im Verhaltensausdruck der Krankheit. Dies bedeutet, daß viele Faktoren Einfluß darauf haben, wie ein Genotyp (ein genetisches Muster oder genetische Information) als Phänotyp (als genetische Transkriptionsfunktion, die zur Proteinsynthese und zur äußeren Manifestation in Form von körperlichen Eigenschaften oder Verhaltensmerkmalen führt) zum Ausdruck gelangt.

Dem Gehirn eines kleinen Kindes liefert die soziale Welt die wichtigsten Erlebnisse, die den Ausdruck der Gene beeinflussen, wodurch determiniert wird, wie sich die Neuronen miteinander verbinden, um jene neuronalen Pfade zu schaffen, die geistige Aktivität ermöglichen. Da die Funktion der Pfade durch ihre Struktur bestimmt wird, verändern Abwandlungen im genetischen Ausdruck die Gehirnstruktur und formen den sich entwickelnden Geist. Und die Funktionsweise des Geistes - die auf neuronaler Aktivität basiert - verändert ihrerseits die physiologische Umgebung des Gehirns, was beinhaltet, daß auch sie den genetischen Ausdruck verändern kann. Dies ist deutlich an der Produktion der Kortikosteroide in Reaktion auf Stress zu erkennen, die sich unmittelbar auf die Funktion der Gene auswirkt. So wurde bei Kindern, die von ihrem Temperament her zur Schüchternheit neigen, eine starke physiologische Reaktion sogar auf relativ geringfügige Veränderungen der Umgebung festgestellt. Solche Menschen schaffen sich ihre eigene innere Welt von Reaktionen auf Streß, die die Reaktionen des Gehirns auf neue Reize verstärken. Ebenso kommt es bei einem Kind, das schon früh in seinem Leben traumatisiert wurde, zu einer Veränderung der physiologischen Reaktionsweise, mit der Folge, daß bei ihm schon geringfügige Stressoren starke hormonelle Reaktionen auslösen. Somit kann sowohl konstitutionelle als auch durch Erlebnisse erworbene Reaktivität zur Entstehung neuer physiologischer Eigenarten führen, die die hypervigilante Reaktion langfristig aufrechterhalten. Jerome Kagan und seine Kollegen haben nachgewiesen, daß elterliches Verhalten auf den Verlauf der Entwicklung eines Kindes eine starke Wirkung hat. Aus ihrer Untersuchung geht hervor, daß Eltern, die ihre schüchternen Kinder unterstützten und dazu ermutigten, neue Situationen zu erforschen, es den Kindern in stärkerem Maße ermöglichten, extravertierte Verhaltensweisen zu entwickeln, als Eltern, die ihren Kindern nicht halfen, ihre Ängste zu überwinden. Diese und andere Interventionsstudien haben deutlich gezeigt, daß das elterliche Verhalten sich direkt auf die kindliche Entwicklung auswirkt, selbst wenn man die Bedeutung von signifikanten erblichen Faktoren der physiologischen Reaktivität berücksichtigt. Wir werden im gesamten weiteren Verlauf dieses Buches immer wieder auf die schüchternen und traumatisierten Kinder zurückkommen, um zu veranschaulichen, wie konstitutionelle und erlebensbasierte Variablen bei der menschlichen Entwicklung zusammenwirken.

Was ist der Geist? Wie entwickelt er sich? Dieses Buch faßt Erkenntnisse verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen zusammen, um die Sichtweise zu untersuchen, daß der Geist an der Schnittstelle zwischen interpersonalem Erleben und der Struktur und Funktion des Gehirns entsteht.
Wie viele Heranwachsende entwickelte auch ich als Teenager eine intellektuelle Passion: Ich war fasziniert von Menschen und von der Natur des Geistes. Nach einer Reise mit verschiedenen Zwischenstationen wurde ich schließlich Psychiater und spezialisierte mich auf die Arbeit mit Kindern und Familien. Im Laufe der Zeit habe ich auf meinem Weg eine große Vielfalt von Menschen und Lebensgeschichten kennengelernt. Aufgrund meiner wissenschaftlichen Ausbildung und meines konkreten Erlebens menschlicher Kämpfe und Schwierigkeiten entwickelte sich in mir der natürliche Drang, den Prozeß der menschlichen Entwicklung zu verstehen - dessen, wie Menschen werden, die sie sind. Zu diesem Zweck informierte ich mich darüber, was aus der Forschung bekannt war, und kam auf diese Weise dem subjektiven Erleben, das im Mittelpunkt des menschlichen Lebens steht, so nahe wie nur möglich. Im vorliegenden Buch habe ich diese Bemühungen um ein Verständnis des Geistes und der menschlichen Entwicklung zusammengefaßt und integriert.

[...]

Das vorliegende Buch kann Menschen in den verschiedensten Bereichen von Nutzen sein. Die darin beschriebenen Prozesse zu verstehen kann Klinikern helfen, ihre Patienten bei der Heilung zu unterstützen. Akademikern könnten interdisziplinäre Darstellungen wie die hier vorgelegten zur Klarheit darüber verhelfen, in welcher Beziehung ihre eigene Arbeit zu völlig anderen Forschungsbereichen steht. Pädagogen können von Erkenntnissen darüber profitieren, inwiefern Emotionen und interpersonale Beziehungen grundlegende motivationale Aspekte für Lernen und Erinnerungsvermögen sind. Spezialisten für Fragen der kindlichen Entwicklung und anderen, die sich um das Wohl von Kindern kümmern, könnte es bei der Entwicklung von wissenschaftlich fundierten Programmen zur optimalen Betreuung von Kindern nützen, zu wissen, wie Kommunikationsformen das sich entwickelnde Gehirn eines Kindes direkt beeinflussen. Auch viele andere Menschen können wichtige Erkenntnisse über Möglichkeiten der Verbesserung ihrer beruflichen und privaten Situation gewinnen, wenn sie etwas darüber erfahren, wie der Geist aus der Stofflichkeit des Gehirns und aus den Prozessen zwischenmenschlicher Beziehungen entsteht. Das interpersonale Erleben formt den Geist auch im Laufe seiner gesamten weiteren Entwicklung, also ein Leben lang. Im vorliegenden Buch geht es darum, wie diese interpersonalen Prozesse stattfinden und wie wir Ideen aus dem Bereich der Neurobiologie nutzen können, um anderen und uns selbst zu helfen, zu wachsen und sich (bzw. uns) zu entwickeln.

In meinem Fachbereich, der Psychiatrie, ist das riesige Gebiet der neurowissenschaftlichen Forschung von einigen als Aufforderung zum >>biologischen Determinismus<< gedeutet worden - zu der Sichtweise, daß psychiatrische Störungen durch biochemische Prozesse entstehen, die meist genetisch determiniert sind und durch Erlebnisse kaum beeinflußt werden. Dieser Empfindung mag als reduktionistisch erscheinen, doch ich würde mir wünschen, daß das Gefühl der Demoralisierung, das viele Lehrer und Studenten im Bereich der Psychiatrie befallen hat, nicht den Eindruck verstärkt, der gesamte Fachbereich verliere zugunsten des Gehirns den Verstand (bzw. den Geist). Bisher nicht sonderlich bekannt ist merkwürdigerweise, daß neueste Erkenntnisse der Neurowissenschaften in Wahrheit auf das genaue Gegenteil deuten: darauf, daß Interaktionen mit der Umgebung, und insbesondere Beziehungen zu anderen Menschen, die Entwicklung von Struktur und Funktion des Gehirns unmittelbar beeinflussen. Es ist nicht notwendig, sich für Gehirn oder Geist, Biologie oder Erleben, Natur oder prägende Kultur (nurture) zu entscheiden. Derartige Unterscheidungen sind nicht von Nutzen und behindern, wenn es um die wichtige und komplexe Thematik der Entwicklung des menschlichen Geistes geht, das klare Denken.


Siegel, Daniel J.
Daniel J. Siegel, Medizinstudium an der Harvard University, Postgraduate-Studien an der UCLA in Kinderheilkunde, allgemeiner Psychiatrie und Kinder- und Jugendpsychiatrie. Zur Zeit wirkt er als Associate Clinical Professor der Psychiatrie an der UCLA School of Medicine. Aufgrund seines integrativen entwicklungsorientierten Ansatzes wird er weltweit zu Vorträgen eingeladen.

Daniel J. Siegel, Medizinstudium an der Harvard University, Postgraduate-Studien an der UCLA. Zur Zeit Clinical Professor der Psychiatrie an der UCLA School of Medicine und Forschungsarbeit am Center for Culture, Brain, and Development.



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