Sikorski | Das polnische Haus | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 390 Seiten

Reihe: eva digital

Sikorski Das polnische Haus

Die Geschichte meines Landes
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-86393-501-6
Verlag: CEP Europäische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Die Geschichte meines Landes

E-Book, Deutsch, 390 Seiten

Reihe: eva digital

ISBN: 978-3-86393-501-6
Verlag: CEP Europäische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Im englischen Exil wird für Radoslaw Sikorski der "dwór", das traditionelle Gutshaus des polnischen Landadels, zum Inbegriff von Geborgenheit, von Zugehörigkeit und kultureller Identität. 1989, nach dem Sieg der Solidarnosc und dem Ende der Diktatur des Generals Jaruzelski zurück in Polen, findet Sikorski tatsächlich ein solches Landhaus. Die Restaurierung und Wiedererrichtung des verfallenen Hauses, dessen Fundamente ins 14. Jahrhundert zurückreichen, wird unversehens zu einer spannenden, abenteuerlichen Entdeckungsreise: Schicht für Schicht offenbart sich ihm mit der Geschichte des Hauses die des eigenen Landes und zugleich die eigene Familiengeschichte: Ein Wegweiser durch die wechselvollen, heroischen und tragischen Kapitel einer Geschichte, die zu einem langen und großen Teil auch eine deutsche ist.
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CHOBIELIN
ICH WOLLTE SCHON immer in einem dworek wohnen. Jeder Pole möchte das. Ein im Ausland lebender Engländer träumt vielleicht davon, eines Tages in seine Heimat zurückzukehren und ein georgianisches Pfarrhaus zu beziehen. Ein Amerikaner irischer Herkunft sehnt sich vielleicht nach einem idyllischen weißen Cottage. Ein Deutscher oder ein Franzose möchte sich in seinen alten Tagen vielleicht auf einen kleinen Bauernhof in Bayern oder der Provence zurückziehen. Ein Pole sieht sich hingegen als stolzer Bewohner eines dwór, d.h. eines Gutshauses, oder eines etwas kleineren dworek. Ein typisches dworek ist ein klassizistischer Bau aus dem 18. oder dem Anfang des 19. Jahrhunderts, hält die Mitte zwischen einem aristokratischen Palast und einem florierenden Bauernhof und verfügt über das obligatorische weiße Säulenportal und zumindest einen großen Garten. Es muß nicht besonders vornehm sein – die meisten Häuser seiner Art bestehen aus Holz –, und in England würde ein durchschnittliches dworek gerade noch als geräumiges Cottage durchgehen. Früher war die polnische Landschaft mit ihnen gepflastert. In einem dworek läßt es sich nicht nur einfach angenehm wohnen, es ist ein Lebensstil. Nationen, die noch nie unter einer Besatzungsmacht gelebt haben, können sich wohl kaum vorstellen, welche Aura solche Orte umgibt, an denen einst die nationalen Hoffnungen bewahrt wurden. Im 19. Jahrhundert, als Polen von der europäischen Landkarte verschwand, wurde das Polentum an zwei verschiedenen Orten gehütet: in der Kirche durch die Bauern und im dwór durch den Adel. Im 19. Jahrhundert gingen von diesen Gutshäusern die aussichtslosen Aufstände des polnischen Adels aus; im Gegenzug wurden die Domizile von den zaristischen Machthabern beschlagnahmt. Bis vor wenigen Generationen drehten sich in Polen die populären Romane – die vielleicht am besten die jeweiligen Volksvorstellungen widerspiegeln – immer um ein dworek. Jedes polnische Kind hat in der Schule, sogar in der kommunistischen Zeit, diese Vorstellung von Arkadien kennengelernt, die der Nationaldichter Adam Mickiewicz im Pariser Exil beschrieben hat: Vor vielen Jahren lag an dieser Stelle Ein Edelhof in einem Birkenhain. Die weißen Wände leuchteten so helle Durchs dunkle Grün der Pappeln, die in Reihn Wie stumme Wächter das Gehöft umstanden. Und wenn im Herbst der Sturm zog durch das Land, Dann wurde all sein Toben schnell zuschanden: Die Pappeln hielten seinem Wüten stand. Das Wohnhaus war nicht groß. Die weißen Wände Von Holz gefügt. Jedoch das Fundament War ringsum fest gemauert. Fleiß’ge Hände, Das sah man, waren tätig ohne End. Und große Schober standen in der Enge Des Hofraums, denn der weite Scheunenraum, So groß er war, er faßte doch die Menge Des eingebrachten Erntesegens kaum. Getreidehocken standen dort in Reihen, So dicht, wie Sterne hoch am Himmelszelt. Sie zeugten von dem prächtigen Gedeihen Des Korns auf dem gepflegten Ackerfeld. Und in der Brache wohlgenährte Pferde, Sie pflügten, ob es gleich noch früh im Jahr, Zur Herbstsaat schon die schwarze, fette Erde In schnurgeraden Furchen, die fürwahr So sauber waren wie des Gartens Beete. Hier herrschte Ordnung, das konnt’ jeder sehn, Und Wohlstand, denn die neuesten Geräte Sah man in Menge nah dem Hofe stehn. Und immer war das große Hoftor offen, Als lüd’ es jeden Wanderer zur Rast Und spräche: »Freund, du hast es gut getroffen, Ich bitte dich, tritt ein als lieber Gast!«* Mickiewicz’ Lobgesang auf das dworek mag zwar auf dem Lehrplan gestanden haben, um die realexistierenden Landhäuser war es im kommunistischen Polen jedoch nicht gerade gut bestellt. Die großen aristokratischen Paläste ließ man nicht einfach verkommen, sondern viele wurden von der katholischen Kirche als Schule oder Altersheim genutzt. Auch den Anwesen und Gutshöfen, die agrarischen oder wissenschaftlichen Instituten übereignet wurden, war ein besseres Schicksal beschieden – das Verwaltungspersonal solcher Einrichtungen war in der Regel kultivierter als die Direktoren der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. Etliche Paläste standen als sogenannte Häuser für kreative Begegnungen den linientreuen Schriftstellern und Journalisten zur Verfügung. Die wirklich beeindruckenden Häuser wurden zu Repräsentationszwecken erhalten: Der sozialistische Staat pflegt die Kulturdenkmäler der Nation. Andere erhielten die adrette Bezeichnung »Weiterbildungsanstalten für Parteikader«. Hier konnten die Parteiführer ihren wohlverdienten Urlaub verbringen. Das gewöhnliche dworek dagegen, das einst das Herzstück der meisten Dörfer bildete, ist so gut wie ganz aus der polnischen Landschaft verschwunden. Von über zehntausend Gutshäusern, die Polen vor dem Krieg zählte, haben weniger als tausend die kommunistische Herrschaft überstanden, und nur die Hälfte davon in einem mehr oder weniger intakten Zustand. Ihre Zerstörung war, anders als in Rußland, nicht einmal die Folge einer gezielten Kampagne; sie sind durch bloße Ignoranz und Schlamperei zugrunde gegangen. Im Zuge der kommunistischen Bodenreform von 1944 (darüber später mehr) wurden Grundstücke über 50 ha enteignet und entweder in den Kollektivbesitz der Genossenschaften überführt oder unter den Kleinbauern aufgeteilt. Die verbliebenen 50 ha samt Familiensitz sollten im Besitz der ursprünglichen Eigentümer bleiben. Doch wie so oft scherten sich die Kommunisten nicht einmal um ihre eigenen Gesetze. Trupps von Polizisten oder militanten Parteimitgliedern warfen die Hausherren hinaus, gleichgültig, wie das Gesetz lautete. Während die Eigentümer ihre Sachen packten, wurden die ansässigen Bauern zum Plündern angestiftet. Noch Jahre später war es keineswegs ungewöhnlich, wenn man in einem Schweinestall die für allerlei nützliche Zwecke umfunktionierten Teile eines Konzertflügels vorfand. Die geplünderten Gutshäuser wurden Behörden, Genossenschaften oder Staatsbetrieben übergeben, die es oft genug billiger fanden, die Häuser gänzlich abzureißen. Wer im Exil lebt, sehnt sich vielleicht besonders stark nach einem eigenen Zuhause. Bei mir selbst machte sich diese Sehnsucht ab dem Moment bemerkbar, als ich 1981 in Großbritannien ankam. Ich hatte damals eigentlich nur vorgehabt, dort zwischen Abitur und Studienanfang ein paar Monate zu verbringen, doch während meines Besuchs verhängte General Jaruzelski in Polen das Kriegsrecht und schlug die Opposition der Solidarnosc-Gewerkschaft nieder. Anstatt zurückzukehren und eine Festnahme zu riskieren – Freunde von mir waren bereits verhaftet worden –, zog ich es vor, ins Exil zu gehen und die Machthaber der Volksrepublik Polen zu reizen, wo ich nur konnte. Mein Aufenthalt im Ausland, der nach dem kommunistischen Gesetz illegal war, und meine Stellung als Journalist bedeuteten zusätzliche Arbeit für die überlasteten Beamten der zuständigen Sicherheitsbehörde: Sie hatten nun auch noch die Telefonate meiner Eltern abzuhören, ihre Post zu überwachen und sich darüber zu sorgen, was ich in der kapitalistischen Presse wohl alles über das sozialistische Polen veröffentlichen würde. Eines der beliebtesten Druckmittel der Sicherheitspolizei bestand in der Verweigerung von Ausreisegenehmigungen. Unter dem Vorwand, zur Fußball-WM fahren zu wollen, hat mein Vater einmal versucht, mich zu besuchen – aber die Polizei durchschaute seinen Plan. Ein anderes Mal gaben meine Eltern von, sie wollten eine Pilgerfahrt nach Rom unternehmen. Sie verbrachten einige Tage und Nächte in der Warteschlange vor der Ausreisebehörde, um ihre Visa zu beantragen. Natürlich durchschaute man auch diesen Plan. Nach der achten oder neunten Befragung, eine Woche vor der beabsichtigten Fahrt, fuhr der diensthabende Polizeioberst meine Mutter an: »Falls Ihr Sohn nicht endlich seinen Mund hält, werden Sie ihn nie wiedersehen.« Tränenüberströmt verließ meine Mutter das Büro, doch am nächsten Tag lud man sie wieder vor und teilte ihr mit, die gnädige Volksrepublik wolle ihr immerhin eine letzte Chance gewähren, mich von meinem antisozialistischen Lebenswandel zu kurieren. Wir verbrachten den mühselig erkämpften Urlaub in einem abgelegenen Häuschen hoch über den Felsen von Hell’s Mouth Bay im ländlichen Norden von Wales. Dort kam uns zum ersten Mal der Gedanke, irgendwann einmal ein altes Haus auf dem Land instandzusetzen. Unser Ferienhaus befand sich am äußersten Zipfel einer hügeligen Landzunge, wo Schafe auf den von Steinmauern umhegten Wiesen grasten. Meiner Mutter gefielen die kleinen Cottages und die Bauernhöfe, die hier und da in der Landschaft auftauchten. »Die Bewohner sind überhaupt nicht reich«, bemerkte sie, »denn ihre Autos sind meist alt. Aber jedes Haus ist ordentlich gestrichen, und die Gärten sind gepflegt. Jedes hat offensichtlich einen Besitzer, der sich kümmert – ganz anders als bei uns.« Je mehr schöne Bauernhöfe und herrschaftliche Anwesen wir sahen, desto trauriger stimmte uns der desolate Zustand der polnischen Landschaft. Polen stand immer noch unter kommunistischer Herrschaft, und es sah nicht so aus, als würde der Kommunismus bald untergehen. Doch vielleicht war das Regime mittlerweile nachlässig genug, um ein Auge zuzudrücken, wenn sich jemand eines alten Schutthaufens annahm. Meine Eltern faßten den Vorsatz, sich in der Nähe von Bydgoszcz (Bromberg),...


Radoslaw Sikorski, amtierender Außenminister Polens, geboren 1963, emigrierte als achtzehnjähriger Solidarnosc -Sympathisant nach England. Er studierte in Oxford und arbeitete als Journalist für den Spectator und den Observer unter u. a.in Angola und Afghanistan. Erst 1989, nach dem Sieg von Solidarnosc bei den ersten freien Wahlen in Polen seit dem Zweiten Weltkrieg, war ihm die Rückkehr in seine Heimat möglich, wo er Staatssekretär im Verteidigungsministerium und später Außenministerium wurde. 2005 wurde er vom designierten Ministerpräsidenten Kazimierz Marcinkiewicz zum Verteidigungsminister ernannt.



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