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E-Book

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

Singer Wann?


1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-99107-263-8
Verlag: novum pro Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

ISBN: 978-3-99107-263-8
Verlag: novum pro Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Jakob Morello führt ein leeres Leben. Er ist jemand, der nicht auffällt. Unscheinbar. Für die Umwelt nicht existent. Schon immer. Er wurde nicht wahrgenommen. Nicht wirklich. Niemanden hat er mit seinem Wesen beeindruckt. Grund genug, ihn immer wieder zu piesacken. Und das taten sie alle. Der schlaksige Junge mit den schmalen Schultern und seinem nichtssagenden Blick war ein willkommenes Opfer. Aber Jakob begann zu beobachten, abzuspeichern und zu kombinieren. Er übersah nichts. Nicht die kleinste Kleinigkeit. Deckte die Lügen auf, forschte und kannte die Leute um sich herum bald besser als die sich selbst. Und er rächte sich - und hoffte so, sichtbar zu werden. Nicht als Jakob. Aber als E. Als Unbekannter. Und veränderte so die Leben seiner Mitmenschen. Oder löschte sie aus ...
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10. Juli 1982
14.00 Uhr
1
Jakob Morello stand im Schatten einiger Bäume, die sich rund um die Eisdiele befanden und schaute zum wiederholten Male auf die Uhr. Er war beinahe sicher, dass sie 14.00 Uhr abgemacht hatten. Er wurde nicht nervös. Im Gegenteil. Er blickte auf die Uhr, ohne den Stand der Zeiger wirklich wahrzunehmen. Er war hier, und das war die Hauptsache. Angelika würde kommen, davon war er überzeugt. Sie war schliesslich nicht ohne Grund bei ihm zu Hause aufgetaucht. Wahrscheinlich hatte sie erfahren, dass die anderen ihn hintergangen hatten und wollte etwas wiedergutmachen. Oder sie hatte wirklich einfach nur Lust auf ein Eis. Er konnte es nicht sagen und weigerte sich, zu tief zu graben. Sollten seine Gedanken bleiben, wo sie hingehörten. Er wollte es dieses Mal nicht vermasseln und alles richtig machen. Ein missmutiger Gesichtsausdruck passte nun mal nicht zu einem Rendezvous, und also strengte er seine Gesichtsmuskulatur dazu an, ein entspanntes Lächeln zu erzeugen.
War es denn ein Rendezvous?
Auch darüber wollte er sich nicht den Kopf zerbrechen. Er stand da, schief lächelnd und entspannt wirkend. Nur er wusste, dass die Anspannung in ihm immer größer zu werden schien. Er entfernte sich einige Schritte von den Tischen des Gartenlokals. Er wollte nicht, dass die Leute meinten, er warte auf jemanden, der vielleicht nicht kam. Oder dass sie erkennen würden, dass er nicht so entspannt war, wie es den Anschein machte. Er setzte sich auf eine Bank in der Nähe und wartete.
14.07 Uhr.
Vielleicht ging seine Uhr ja auch vor. Das konnte gut sein. Immer noch lächelte er und beobachtete ein junges Pärchen, das Hand in Hand zu einem der freien Tische trat und sich lachend auf zwei weiße Plastikstühle setzte. Er würde das Lächeln behalten – egal, was passierte. Noch nicht 24 Stunden zuvor hatte er am Bahnsteig gestanden und war allein geblieben. Heute war es anders. Das Gefühl und auch alles andere. Er freute sich. Freute sich riesig und fühlte sich unglaublich ruhig. Eigentlich. Er musste nun ehrlich lächeln, als er sich daran erinnerte, dass die Anspannung zu Hause immens gewesen war, als er hin und her überlegt hatte, welche Hose er anziehen sollte.
Jetzt saß er da auf dieser Bank in der einzigen Jeans, die er besaß, und einem gelben Kurzarmhemd mit farbigen Mustern, die aussahen, als hätte man mit einem maschinellen Pinsel etwas ausprobiert. Es war sein bestes Hemd.
Die Spannung kehrte zurück. Mit seinen beiden Händen hielt er sich an der äußersten Leiste der Bank fest. Damit verringerte sich seine innere Spannung. Seinen Oberkörper nach vorne gebeugt, sah es aus, als ob der junge, blonde Teenager jeden Moment aufbrechen wollte. Aber das wollte Jakob Morello nicht. Aus irgendeinem Grund nahm er sich vor sitzen zu bleiben, bis Angelika kam. Wieder blickte er auf seine Uhr.
14.11 Uhr.
Er hatte gedacht, dass es schon viel später sei. Eine Viertelstunde ist ja noch keine Zeit bei einem Rendezvous – wenn es denn eines war. Darüber war er sich immer noch nicht im Klaren. Er traf sich mit einem Mädchen, und das war für ihn eine völlig neue Erfahrung. Jakob Morello wollte alles.
Aber auf keinen Fall wollte er diesen Nachmittag vermasseln. Denn dann würde nicht nur seine Mutter ihn ein weiteres Mal mit lächerlichen, abwertenden Bemerkungen betiteln, sondern auch er selbst würde seinen Kopf in den Sand stecken und ein für alle Mal den Glauben daran in Beton gießen, dass er der nutzloseste, unsichtbarste und unfähigste Kerl war, der auf diesem Planeten Spuren setzte. Spuren, für die sich niemand interessieren würde. Er hielt das Holz der Bank noch fester. Dabei wurden seine Knöchel noch weißer, als sie ohnehin schon waren. Weiß und unsichtbar. So fühlte sich Jakob Morello, und er war nicht sicher, ob dies nicht mehr war als nur ein Gefühl.
„Jakob?“
Unwillkürlich drehte sich Jakob um und erblickte hinter sich Angelika in einem roten Hosenanzug. Sofort sprang er auf.
„Du … du bist gekommen?“
„Natürlich bin ich gekommen, was glaubst du denn. Aber du hast recht. Ich bin zu spät. Entschuldige bitte. Aber meine Mutter wollte noch …“ Sie verwarf die Hand. „Du weißt ja, wie Mütter sind.“
Jakob nickte, und einen kurzen Augenblick lang zerfiel sein Lächeln, das er ununterbrochen auf dem Gesicht gehabt hatte. „Ja, das weiß ich. Das weiß ich nur zu gut.“
Angelika schien den Zwischenton nicht wahrzunehmen, trat auf ihn zu und hängte sich bei ihm ein. „Und nun, was steht an? Was machen wir?“ Jakob blickte zu den Tischen, die nun mehrheitlich besetzt waren. Drei Kinder rannten zwischen ihnen hindurch. Wieder hörte er einen Hund kläffen. Er fragte sich, wie viele Hunde es wohl in diesem Land hatte. Und weshalb seine Ohren wohl so geschult waren, dass er jeden einzelnen von ihnen zu hören schien. In allen erdenklichen Momenten.
„Und?“ Angelika schaute ihn schelmisch von der Seite her an.
„Was und? Ach so. Weiß nicht. Ein Eis vielleicht? Magst du?“
„Sicher, das wäre nett.“
Kurze Zeit später saßen sie an einem Tisch und warteten darauf, dass ihre Eisbecher gebracht wurden. Jakob schaute um sich und fixierte dann eine Fliege, die sich auf dem rotweiß karierten Tischtuch einen Weg bahnte. Er blickte kurz auf und sah, dass ihn Angelika auf dieselbe Art und Weise betrachtete, wie er eben gerade die Fliege beobachtet hatte. Sofort blickte er wieder auf den Tisch. Die Fliege war weg.
Weshalb konnte er nicht auch einfach wegfliegen? In luftige Höhen steigen. Vielleicht sogar zusammen mit Angelika. Dann müsste er nichts sagen, da der Wind sowieso jedes Wort unverständlich machen würde. Aber er würde sie festhalten können. Spüren, was in ihr vorging, und er würde sich mit ihr zusammen stark fühlen. Hier zu sitzen und auf das Eis zu warten, das wohl sehr teuer war, schien ihm noch schwieriger zu sein als das Ausharren vorhin auf der Bank. Er holte Luft, um etwas zu sagen, als ein junger Mann mit den beiden Eisbechern vor ihnen stand. Jakob atmete wieder aus, erleichtert über die Unterbrechung der Stille.
„Einen Bananensplit für die Dame, die Kugel Vanille für den Herrn“, lächelte der dunkelhaarige, braun gebrannte Mann sie an und stellte beides an die entsprechenden Orte. Jakob wunderte sich darüber, dass ein Mann hier servierte. Das war doch eigentlich nicht üblich. Andererseits war er auch noch nicht oft in solchen Eisdielen oder Restaurants gewesen. Die sind teuer, und ein Besuch war für seine Mutter schlicht nicht erschwinglich gewesen. Sie hatte sich ihre Getränkekarte zu Hause zusammengestellt, was aus ihrer Sicht wirklich preisgünstiger war.
Der junge Kellner hatte Angelika angelächelt. Länger, als dies normal war. Also war er doch nicht schwul. Er konnte sich nicht vorstellen, dass jemand servierte und gleichzeitig auf Frauen stand. Merkwürdig. Aber er wusste, dass es für jede Analyse eine Gegenanalyse gab. Jede Meinung konnte dementiert werden mit der Antithese. Und jede Statistik war nichts mehr wert, sobald eine neue das Gegenteil aufzeigte. Und er spürte, wie wenig er vom Leben wirklich wusste. Wie viele seiner Annahmen er einfach als Wahrheiten in seinem Bewusstsein abspeicherte.
„Schmeckt es dir?“ Angelika schaute ihn fragend an, während sie sich ein Stück Banane in den Mund schob. Jakob nickte. Er blickte auf die Vanillekugel vor ihm. Natürlich war es Vanille. Er bestellte immer Vanille. Wie damals mit seiner Mutter. An den Sonntagen im Park. An den wenigen Sonntagen, an denen dies möglich war. Wohl eher war es ein einziger Sonntag gewesen. Aber diesen hatte er noch in Erinnerung. Seine Mutter war fröhlich gewesen. Die Sonne hatte durch ihr Haar geschienen. Und sie hatte gelächelt, während sie ihm zugesehen hatte, wie er den Löffel in den Mund geschoben und ihn nochmals abgeschleckt hatte, obwohl er schon leer gewesen war.
„Du bist so schweigsam.“ Sie schaute auf ihre Schale, hob das zusammen mit dem Eis erhaltene Kännchen und leerte großzügig Schokosauce über das Eis und die zwei Bananenhälften.
Jakob betrachtete die Ruhe und staunte über die Selbstverständlichkeit, mit der sie dies tat. Sie war es sicher gewohnt, auszugehen. Sie schien zu wissen, wie man sich verhielt. Sie hatte im Gegensatz zu ihm eine Ahnung davon, wie Leben funktioniert. Er musste unbedingt etwas gegen seine kleine Welt unternehmen, um mit ihr mithalten zu können.
„Tut mir leid. Eigentlich …“
„Du musst dich nicht entschuldigen, Jakob. Es ist voll in Ordnung. Ich hab’ das gern. Du glaubst gar nicht, wie ich das Geschwätz der Jungs satthabe. Die sind dauernd am Reden, schaffen es mit unglaublicher Präzision, sich selbst in jeder Geschichte in den Mittelpunkt zu setzen. Nein, Jakob, da ist mir die Ruhe ein wertvolleres Gut. Echt! Weshalb lächelst du?“
„Weiß nicht. Ich meine, die Art, wie du dich ausdrückst. Ein wertvolleres Gut. Die Art, wie du dein Eis isst. Wie du sprichst. Es ist unglaublich. Alles, meine ich. Du weißt, wie man sich ausdrücken muss und wie man sich optimal verhält.“
Gequält blickte er sie an.
...



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