Soyka / Feuerlein / Küfner Alkoholismus - Mißbrauch und Abhängigkeit
6. vollständig überarbeitete Auflage 2008
ISBN: 978-3-13-158616-2
Verlag: Thieme
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Entstehung - Folgen - Therapie
E-Book, Deutsch, 648 Seiten, Format (B × H): 127 mm x 190 mm
ISBN: 978-3-13-158616-2
Verlag: Thieme
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Das bewährte Standardwerk!
Alkohol ist in unser gesellschaftliches Leben integriert, birgt jedoch ein großes Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzial:~/~Rund 3 Millionen Menschen in Deutschland sind alkoholabhängig oder leiden unter Alkoholmissbrauch mit Folgeschäden.~/~Ärzte und Psychologen haben häufig mit Menschen zu tun, deren Alkoholabhängigkeit große therapeutische Probleme verursacht.
Dieses bewährte Standardwerk bietet:
Theorie und Befunde zur Entstehung der Alkoholabhängigkeit,
eine ausführliche Darstellung der Folgeschäden und ihrer Therapiemöglichkeiten, Informationen zur Epidemiologie.
Erkennen, behandeln, vorbeugen:
- ausführliche Darstellung der körperlichen und psychischen Aspekte der Alkoholsucht
- Überblick der Therapiemöglichkeiten und psychosozialen Hilfsangebote
- Darstellung der rechtlichen Aspekte
konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Situation von Alkoholkranken
Zielgruppe
Ärzte
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
1;Michael Soyka, Heinrich Küfner: Alkoholismus – Missbrauch und Abhängigkeit;1
1.1;Innentitel;2
1.2;Impressum;5
1.3;Anschriften;6
1.4;Vorwort;7
1.5;Inhalt;9
1.6;1 Begriffsbestimmungen, geschichtlicherRückblick, Krankheitskonzept;12
1.6.1;1.1 Alkoholgebrauch, Alkoholmissbrauch, Alkoholabhängigkeit;12
1.6.2;1.2 Zur Geschichte des Gebrauchs und Missbrauchs von Alkohol;13
1.6.3;1.3 Allgemeine Definitionen von Konsummustern, Missbrauch, Abhängigkeit und Sucht;16
1.6.4;1.4 Spezielle Definitionen von Alkoholismus bzw. Missbrauch und Abhängigkeit von Alkohol;20
1.6.5;1.5 Zum Krankheitskonzept des Alkoholismus;27
1.7;2 Bedingungsgefüge des Alkoholismus;31
1.7.1;2.1 Allgemeines;31
1.7.2;2.2 Droge Alkohol;33
1.7.3;2.3 Individuum;80
1.7.4;2.4 Umweltfaktoren;99
1.7.5;2.5 Suchttheorien;125
1.8;3 Alkohol und Öffentliche Gesundheit (Public Health);139
1.8.1;3.1 Überblick und Grundlagen;139
1.8.2;3.2 Alkoholkonsum und Prävalenz von Alkoholmissbrauch und Abhängigkeit;143
1.8.3;3.3 Alkohol als Risikofaktor der öffentlichen Gesundheit;159
1.8.4;3.4 Bewertung von Maßnahmen der Alkoholpolitik;168
1.9;4 Medizinisch-psychologische Folgeschäden des Alkoholismus;173
1.9.1;4.1 Akute Alkoholintoxikation (Alkoholrausch);173
1.9.2;4.2 Alkoholentzugssyndrom;180
1.9.3;4.3 Organische Folgekrankheiten bei chronischem Alkoholmissbrauch;186
1.10;5 Psychische und soziale Folgen des Alkoholismus;244
1.10.1;5.1 Struktur und Überblick;244
1.10.2;5.2 Psychische Folgen für den Alkoholkranken;244
1.10.3;5.3 Folgen für die Familie;251
1.10.4;5.4 Soziale Folgen;255
1.11;6 Formen und Verlauf des Alkoholkonsums undAlkoholismus;261
1.11.1;6.1 Typologie der Alkoholiker;261
1.11.2;6.2 Verlaufsphasen des Alkoholismus;268
1.12;7 Diagnostik;279
1.12.1;7.1 Allgemeine Aspekte der Diagnostik;279
1.12.2;7.2 Suchtspezifische diagnostische Aufgaben und Ziele;285
1.12.3;7.3 Überblick über die Diagnostikinstrumente;292
1.12.4;7.4 Klinische Dokumentation;314
1.12.5;7.5 Prognostische Kriterien;315
1.13;8 Therapie;317
1.13.1;8.1 Überblick und allgemeine Therapieaspekte;317
1.13.2;8.2 Das Therapiesystem Sucht;323
1.13.3;8.3 Behandlungsmethoden, Behandlungskomponenten und Behandlungsbereiche;360
1.13.4;8.4 Therapieprogramme, individuelle Therapieplanung und Handlungsregeln;417
1.14;9 Behandlungsergebnisse und -indikation;438
1.14.1;9.1 Überblick und methodische Hinweise zur Evaluation;438
1.14.2;9.2 Behandlungssysteme;446
1.14.3;9.3 Kurztherapien;449
1.14.4;9.4 Entzugsbehandlung (Entgiftung);453
1.14.5;9.5 Ergebnisse der Entwöhnungsbehandlung (Rehabilitationsbehandlung);454
1.14.6;9.6 Unterschiedliche Behandlungsformen;457
1.14.7;9.7 Pharmakotherapie;464
1.14.8;9.8 Behandlungsverlauf;466
1.14.9;9.9 Vergleich verschiedener Therapiemethoden;466
1.14.10;9.10 Nachsorge, Nachbehandlung;476
1.14.11;9.11 Zusammenfassung der Wirksamkeit einzelner Therapiemodalitäten (Behandlungsformen und Behandlungsmethoden);478
1.14.12;9.12 Patientenmerkmale als Prognosefaktoren;479
1.14.13;9.13 Indikation;483
1.14.14;9.14 Kosten und Nutzen;490
1.15;10 Gesundheitsförderung und Prävention;491
1.15.1;10.1 Begriffsklärung und Überblick;491
1.15.2;10.2 Beschreibung von Präventionsprogrammen;495
1.15.3;10.3 Beispiele von Prävention in Deutschland;507
1.15.4;10.4 Evidenzbasierung von Präventionszielen;508
1.15.5;10.5 Ergebnisse von Maßnahmen der primären Prävention;511
1.16;11 Rechtsfragen;518
1.16.1;11.1 Zivilrechtliche Aspekte;518
1.16.2;11.2 Strafrechtliche Aspekte: Schuldunfähigkeit, verminderte Schuldfähigkeit und Vollrausch;526
1.16.3;11.3 Straßen- und Verkehrsrecht;534
1.16.4;11.4 Untersuchung auf Beeinflussung durch Alkohol;543
1.16.5;11.5 Unterbringungsrecht;548
1.16.6;11.6 Maßregeln der Besserung und Sicherung;552
1.16.7;11.7 Sonstige gesetzliche Bestimmungen in Deutschland;556
1.17;Literatur;561
1.18;Sachverzeichnis;622
2 Bedingungsgefüge des Alkoholismus
2.1 Allgemeines
Zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Missbrauch und Abhängigkeit von psychotropen Substanzen, speziell des Alkoholismus, wurden verschiedene Modelle entwickelt, die sich je nach Schulrichtung in somatisch-medizinische, psychologische und soziologische einteilen lassen. Man kann sie in einem multikonditionalen Bedingungsgefüge zusammenfassen, das wahrscheinlich der Komplexität des Alkoholismus am besten gerecht wird. Im Allgemeinen werden 3 große Faktorengruppen angegeben, die in jeweils unterschiedlichem Ausmaß und komplexen Wechselwirkungen wirksam werden können (Feuerlein 1969, Kielholz u. Ladewig 1972): die spezifische Wirkung der Substanzen, die sich vor allem in ihrem Missbrauchs- bzw. Abhängigkeitspotenzial manifestiert und ihre Verfügbarkeit voraussetzt die spezifischen Eigenschaften des konsumierenden Individuums mit seinen biologischen und psychischen Faktoren, die durch genetische wie durch lebensgeschichtliche Einflüsse (nature and nurture) bestimmt sind die Besonderheiten des (sozialen) Umfeldes, die von den allgemeinen soziokulturellen und sozioökonomischen Einflüssen (soziale Rahmenbedingungen) (Babor et al. 2002) bis zu Besonderheiten des familiären Kleinraumes (soziale Beziehungen) reichen (s. Klein 2008). Dieses Bedingungsgefüge lässt sich in einem Dreiecksschema grafisch darstellen (s. Abb. 2.1). Es bedarf für Fragen der Entstehung und Aufrechterhaltung einer dynamischen Perspektive auf verschiedenen Ebenen. In der Abbildung 2. 2 wird deutlich, dass auf der körperlichen und neurobiologischen Ebene über Toleranzentwicklung, Sensitivierungsprozesse, Entzugserscheinungen und körperliche Erkrankungen, auf der intrapsychischen Ebene über Spannungserleichterung und Schwächung alkoholunabhängiger Problemlösestrategien und auf der psychosozialen Ebene über soziale Konflikte und Probleme globale Teufelskreise in Gang gesetzt werden, die jeweils zu wiederholtem Alkoholkonsum als allgemeinem Problemlöser mit verstärkten und verfestigten positiven Alkoholerwartungen führen. Das Prinzip der Teufelskreise besteht darin, dass der Alkohol als allgemeiner Problemlöser nur kurzfristig eine Erleichterung und Pseudolösung ermöglicht und langfristig die Probleme und Konflikte verschärft. Abb. 2.1 Dreiecksschema für Bedingungsfaktoren der Drogenabhängigkeit. Abb. 2.2 Teufelskreis der Alkoholabhängigkeit (aus Küfner 1981). Lesehilfe Für die Entwicklung von Alkoholabhängigkeit und für die Entwicklung von Alkoholfolgeerkrankungen können sehr unterschiedliche Aspekte der drei Bedingungsbereiche relevant sein. Zur Erleichterung des Überblicks in Kapitel 2 sei deshalb darauf hingewiesen, dass für die Entstehung und Aufrechterhaltung der Substanzabhängigkeit vor allem die Kapitel 2.2.1 (Drogen mit hohem Missbrauchspotenzial), 2.2.5 (Gedächtnis und Lernen; Suchtgedächtnis), 2.3 (Individuum), 2.4 (Umweltfaktoren) und 2.5 (Suchttheorien von Interesse) sind. Für die Entstehung von Alkoholfolgeerkrankungen ist hauptsächlich das Kapitel 2.2 (Droge Alkohol) von Bedeutung. 2.2 Droge Alkohol
2.2.1 Drogen mit hohem „Missbrauchs- bzw. Abhängigkeitspotenzial“
Epidemiologisch lässt sich das Risikopotenzial einer Droge durch den Anteil der Konsumenten mit Abhängigkeit an der Gesamtzahl dieser Konsumenten bestimmen. Nach einer Studie von Anthony et al. (1994) stehen an der Spitze Tabak mit einer Abhängigkeitsquote von 31,9 %, Heroin mit 23,1 %, Kokain mit 16,7 % und Alkohol mit 15,4 %. Dieser Ansatz ist jedoch noch wenig erforscht. Allgemeine Alkoholwirkungen. Auch wenn die Droge Alkohol auf das einzelne Neuron generell dämpfend wirkt, muss zwischen kurz- und langfristiger Wirkung, zwischen großen und kleinen Alkoholmengen (biphasische Wirkung) sowie zwischen positiver und negativer Wirkung differenziert werden, um die Vielfalt unterschiedlicher Auswirkungen auf das neurobiologische Gesamtsystem und auf das Erleben und Verhalten annähernd beschreiben zu können. In Tabelle 2.1 wird ein genereller Überblick versucht, wobei es nicht auf die Vollständigkeit der immer auch individuellen Wirkungen ankommt, sondern auf die unterschiedlichen Differenzierungsaspekte, die für die Entwicklung von Missbrauch und Abhängigkeit, aber auch für einen unproblematischen Konsum relevant sind. Das sind vor allem das Nebeneinander von positiven und negativen Wirkungen auf unterschiedliche Organsysteme und auf das Erleben und Verhalten sowie die zeitliche Verzögerung der negativen Auswirkungen, die wahrscheinlich ein dispositioneller Faktor für die Entstehung von Missbrauch und Abhängigkeit darstellen. Spezielle Faktoren des Missbrauchspotenzials sind kurzfristig schnelles Eintreten der psychischen Substanzwirkung, breites Wirkungsspektrum, sodass es in vielfältigen Situationen zu positiven Effekten kommt, wenig aversive Nebenwirkungen, Tabelle 2.1 Kurz- und langfristige neurobiologische Alkoholwirkungen längerfristig Toleranzentwicklung und Dosissteigerung, Gegenregulation des Organismus, sodass es bei Entzug von Alkohol zu Entzugserscheinungen kommt (unter prinzipiell freien Zugangsbedingungen), Sensitivierung: Im Gegensatz zur Toleranzentwicklung verstärkt sich die Wirkung kleiner Alkoholmengen und alkoholassoziierter Reize bei wiederholtem Konsum auf die Dopaminausschüttung und damit auf das Belohnungssystem. Dieses Phänomen gilt als zentral für die Suchtentwicklung (vgl. Heinz u. Mann 2004), Hemmung der Entwicklung alternativer Problemlösefähigkeiten ohne Substanzkonsum in Stresssituationen (z. B. über die HHN-Achse, vgl. Sher 2007). Die Entwicklung von Alkoholtoleranz und das Auftreten von Entzugssymptomen ist ein komplexes Phänomen, bei dem verschiedene neuronale, zelluläre und hormonelle Systeme beteiligt sind. Die wichtigsten involvierten Neurotransmitter sind Katecholamine, Serotonin, Acetylcholin, Glutamat, Dopamin, das Opiat-Endorphinsystem sowie GABA (s. Kap. 2.2.5). Toleranzsteigerung. Toleranzsteigerung liegt dann vor, wenn eine steigende Drogenmenge erforderlich ist, um den gleichen spezifischen (früheren) Wir kungsgrad zu erreichen, oder wenn die entsprechende gleiche Drogenmenge einen geringeren Effekt bewirkt. Toleranzsteigerung beruht auf einer Reihe verschiedener physiologischer Mechanismen, die hier nur kursorisch angesprochen werden können: dispositionelle Toleranz: Sie entsteht zum Beispiel durch Änderung der Drogenabsorption, der Verbreitung im Körper, der Ausscheidung, vor allen Dingen durch Verlängerung der Metabolisierung. Metabolische Toleranz durch erhöhten stündlichen Alkoholabbau (s. Kap. 2.2.3: Stoffwechsel) (sog. Beta-60-Werte) oder andere Stoffwechselveränderungen führt zu beschleunigtem Alkoholabbau bei definierter Alkoholdosis. Durch Induktion des alkoholmetabolisierenden Meos-Systems (siehe Kap. 2.2.3: Stoffwechsel) kann es bis zu einem gewissen Grade zu einem beschleunigten Alkoholabbau kommen. Eine solche Beschleunigung des Alkoholmetabolismus wird bei ständiger hoher Alkoholzufuhr angenommen. Neurochemische Aspekte der Toleranz betreffen eine veränderte Neurotransmitterfreisetzung (z. B. Katecholamine und Indolamine), Veränderung der Rezeptorzusammensetzung und Empfindlichkeit sowie sekundäre Änderungen, z. B. der Permeabilität von Ca2+-Ionen-Kanälen. Vor allem Veränderungen an den neuronalen Membranen werden heute für wichtig angesehen (Übersicht in Crow u. Batt 1989). funktionelle Toleranz: Man versteht hierunter eine Änderung der Eigenschaften bzw. Funktionen des Zielgewebes. Die zelluläre Toleranz wurde in erster Linie bei Opioiden untersucht, für die spezifische Rezeptoren gefunden werden konnten. Es bestehen verschiedene Parallelen zwischen der Toleranz gegenüber Alkohol (und anderen Sedativa) einerseits und Opioiden andererseits (Kalant 1977). Die Beziehungen zwischen zellulärer Toleranz und den klinischen Phänomenen, wie der Entwicklung von z. B. Entzugserscheinungen, werden bislang nicht ausreichend verstanden. Unter molekularbiologischen Aspekten unterscheidet man zwischen „decremental adaptation“, die nur das Auftreten klinischer Toleranz, und „oppositional adaptation“, die auch das Auftreten von Entzugserscheinungen erklären könnte (Littleton 1989). Nach dem Modell von Siggins (1979) besteht eine homöostatische Modulation des noradrenergen cAMP-Systems. Im Regelfall führt Noradrenalin zu einer Hemmung und Acetylcholin zu einer Erregung der Pyramidenzellen. Noradrenalin kann epileptische Aktivitäten unterdrücken, Acetylcholin vermehren oder „triggern“. In diesem System würde Alkohol eine vermehrte Freisetzung von Noradrenalin bewirken. Bei chronischer Einwirkung würde das NoradrenalincAMP-System aktiviert und mit einer Spareinstellung reagieren. Bei abruptem Absetzen des Alkohols wäre das reduzierte Noradrenalin-cAMP-System nicht in der Lage, das aktivierte exzitatorische acetylcholinerge System „im Zaum zu halten“, mit dem Ergebnis, dass Anfälle auftreten. Auch Dopamin und Serotonin spielen eine wichtige Rolle, insbesondere aber auch das am weitesten verbreitete hemmende Transmittersystem, das GABAerge System, das vor allem für das Auftreten von Entzugssymptomen und Krampfanfällen von Bedeutung ist. Akuter Alkoholkonsum verstärkt die GABAerge Neurotransmission. Bei chronischer Wirkung sinkt dagegen die Zahl von...