E-Book, Deutsch, Band 2, 160 Seiten
Reihe: Sonderausgabe edition pace
Spiegel / Nauerth / Stroß In den Spiegel schauen
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7562-5419-4
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Friedenswissenschaftliche Perspektiven für das 21. Jahrhundert - Ein Lesebuch
E-Book, Deutsch, Band 2, 160 Seiten
Reihe: Sonderausgabe edition pace
ISBN: 978-3-7562-5419-4
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Friedenswissenschaftliche Perspektiven für das 21. Jahrhundert Ein Lesebuch mit Texten von Egon Spiegel Mit diesem von Thomas Nauerth und Annette M. Stroß herausgegebenen Band wird ein Brevier aus Jahrzehnten wissenschaftlicher Arbeit vorgelegt, eine Auswahl aus zentralen Argumenten und Gedankengängen in elf thematischen Kapiteln angeordnet: Die Allexistenz der Gewaltfreiheit - Prinzipien gewaltfreier Weltgestaltung - Tierethisch akzentuierte Ökopädagogik - Gott als Macht in Beziehung - Biblisches - Inter/religiös Frieden denken und lernen - Religionspädagogisches - Auf dem Weg zu einer Welt ohne Krieg - TransNationalität und TransKulturalität - Für eine andere Politik und politische Theologie - Politisch anders handeln. Leitmotiv ist die Überzeugung, "Wir können Gewaltfreiheit". Herausgearbeitet werden Praxis, Prinzipien und Perspektiven gewaltfreien Handelns auf den verschiedenen Ebenen menschlicher Lebensgestaltung. Als Theologe, Politikwissenschaftler und Friedenswissenschaftler ist Egon Spiegel, seit 2000 Universitätsprofessor für Praktische Theologie in Vechta (Niedersachsen), in nationalen und internationalen Netzwerken weltweit tätig. Als einer der Pioniere der neueren Friedenswissenschaften hat er bereits in den 1970er Jahren - und dies bis in die Gegenwart hinein - zahlreiche Initiativen angestoßen. Der von ihm entwickelte, in jungen Jahren angelegte und seither beständig weiterentwickelte genuine Denkansatz besticht durch die Stringenz seiner konsequenten Ausrichtung auf den Menschen als Beziehungswesen und durch die provozierende These von Gott als Macht in Beziehung.
Als Theologe, Politikwissenschaftler und Friedenswissenschaftler ist Egon Spiegel, seit 2000 Universitätsprofessor für Praktische Theologie in Vechta (Niedersachsen), in nationalen und internationalen Netzwerken weltweit tätig. Als einer der Pioniere der neueren Friedenswissenschaften hat er bereits in den 1970er Jahren - und dies bis in die Gegenwart hinein - zahlreiche Initiativen angestoßen.
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Die Allexistenz der Gewaltfreiheit
Ich stelle mir vor, dass der Krieg in Syrien ein Ende hat. Und ich frage mich, wie die Menschen dort sieben Jahre später ihr Leben gestalten werden. Genau sieben Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde ich geboren. Wieviel Krieg muss damals noch in der Luft gelegen haben. Drei Brüder meiner Mutter kehrten nicht mehr heim. Mein Vater erzählte nur ein einziges Mal, Jahrzehnte später, vom Krieg, bei einer Familienfeier, spät abends, im engen Kreis seiner Brüder und mir als Zuhörer: dass ihm und seinen Kameraden einmal befohlen wurde, 12 russische Gefangene mitten auf dem Transport zu erschießen – aus Vergeltung für einen Sabotageakt durch andere russische Männer. Die Gefangenen hatten zuvor ihre eigene Grube auszuheben. Als sich unter der Erde, mit denen die Erschossenen bedeckt wurden, noch Leben regte, schossen die deutschen Soldaten solange durch die Erde, bis die Bewegungen aufhörten. Wir Kinder spielten damals gerne Cowboy und Indianer. Begeistert waren meine Eltern darüber nicht. Ich bekam dennoch einen kleinen Revolver, einen Zündblättchenrevolver, geschenkt. Vor jedem Schuss musste man ein kleines Zündblättchen auf eine Pfanne auflegen. Mein Vater erklärte es mir, ließ aber – demonstrativ – im Moment des „Schusses“ die kleine Spielzeugwaffe fallen und erzeugte damit in mir nachhaltig ein Gefühl der Angst, das sich bei jeder einzelnen Zündung neu einstellte. Und meine Mutter? Sie gab mir auf, niemals auf andere zu zielen, sondern an ihnen vorbeizuschießen. Unterbewaffnung, Zündangst und Moral … mein kindliches Kriegsspielen war ein einziger Krampf. Aus sportlichen Gründen hätte ich mir ein hartes Training in der Armee vorstellen können. Gute Einflüsse während meiner Oberstufenzeit durch einen Freund und einen Geistlichen haben mir indes dazu verholfen, über Konfliktlösungsstrategien nachzudenken, die jenseits von Gewaltanwendung liegen. Intensive tägliche Schriftgespräche und Gottesdienstbesuche vermittelten mir die biblische Orientierung: Gewaltverzicht aus Gottvertrauen. Dass ich in meiner Stadt und Region niemanden im Hinblick auf meine Entscheidung zur Kriegsdienstverweigerung und das Anerkennungsprozedere um Rat fragen konnte, motivierte mich, während meines Studiums andere in dieser Sache zu beraten und sie mit diözesanem Auftrag in ihren Verhandlungen zu vertreten. Ich begann, meine Erfahrungen zu publizieren, zuerst über das Leid von inhaftierten nichtanerkannten Kriegsdienstverweigerern. Den Zusammenhang von Militärdienst und Zivildienst konnte ich unter dem Aspekt „Zivildienst – Kriegsdienst ohne Waffen“ offensichtlich so überzeugend darlegen, dass der Richter, der mich damals zu 6 Monaten Freiheitsstrafe wegen Zivildienstverweigerung verurteilte, von der schwersten Entscheidung seiner Laufbahn sprach und der Staatsanwalt mich ernsthaft mit den Märtyrern der alten Kirche verglich. Dabei hatte ich mich damals nur an einer sehr speziellen, meiner biografischen Entwicklung entsprechenden Stelle in die Friedensthematik hineingearbeitet und positioniert. (…) Wohin ich schaue, entdecke ich Friedenshandeln, in seinen interaktionalen Ausprägungen wie in den strukturellen. Es ist so selbstverständlich, dass wir es für gewöhnlich gar nicht eigens wahrnehmen. Dabei zeigt sich darin unser eigentliches Potential. Dieses herauszuarbeiten begeistert mich seit Jahrzehnten, seit meiner Schulzeit. Intensiv konnte ich ihm in meinem Theologie- und Politikstudium auf den Grund gehen, schließlich im Rahmen meiner Dissertation, in der ich nach Wegen der Gewaltfreiheit suchte, und meiner Habilitation, in der ich die theologische Basis gewaltfreien Handelns in vielen Details reflektieren durfte. Konsequenterweise wurde die Erforschung unseres Friedenspotentials auch Schwerpunkt meiner professoralen Tätigkeit, nicht zuletzt in ihren internationalen Zusammenhängen, speziell in Kooperationen mit Kollegen aus Polen, China und den USA. (…) Längst haben wir Gewalt als Sackgasse der Konfliktbewältigung erkannt und – auf der Basis der Erfahrungen von Gandhi und King und unseren alltäglichen – auf hohem wissenschaftlichen Niveau Möglichkeiten der Konfliktlösung entwickelt, von denen wir mit Recht sagen dürfen, dass sie wirklich einen (Aus-)Weg beschreiben. Der argentinische Papst weiß darum, deshalb plädiert er unmissverständlich in seiner jüngsten Botschaft zum Weltfriedenstag 2017 für genau diesen. Damit sind wir, jedenfalls doktrinär, dort angekommen, wohin mein Blick seit Jahrzehnten gerichtet ist: auf ein gewaltfreies Zusammenleben auf nicht zuletzt makrosozialer Ebene. Eines müssen wir dabei allerdings noch wissen: Gewaltverzicht ist eine Strategie, die wesentlich auf dem Vertrauen basiert, dass im Vakuum der Gewaltfreiheit ein wie auch immer benanntes Drittes friedenstiftend wirkt. Christen nennen dieses Gott, im Judentum ist es JHWH (da ist etwas da), Gandhi nennt es die Macht der Wahrheit (Satyagraha), andere vertrauen auf ein konstruktives Potential. Wir können Frieden (2017) Die Versuchung, Konflikte unter Zuhilfenahme von Gewalt zu lösen, ist unserer Natur inhärent, was nicht heißen soll, dass sie diese dominieren muss. Im Gegenteil, die Geschichte der Menschheit bestätigt im Großen und Ganzen die von Peter Kropotkin gegen die Darwinisten herausgearbeitete Sozioanthropologie, dass Fähigkeit und Bereitschaft zur gegenseitigen Hilfe (mutual aid) Basis und Garant unseres Zusammenlebens sind. Wir (über-)leben, weil wir kommunizieren und kooperieren, weil wir dieses grundsätzlich können und auch wollen. Aus diesem Grund spiegelt auch eine Formulierung wie „Krieg und Frieden“ (in der Reihenfolge der Begriffe) nicht die eigentliche Lebenswirklichkeit wider, sondern verkehrt Peripheres und Zentrales. So sehr die unfassbar schreckliche Wirklichkeit des Krieges ins Auge sticht, so ist sie doch nicht die beherrschende. Das gilt auch für Gewalt schlechthin. Auch wenn Gewalt in ihrer speziellen Erscheinungsform als Krieg, für kurze bis elend lange Perioden einen mehr oder weniger großen Raum einnehmen und das Zusammenleben bestimmen kann, so ist sie die – sicher viel zu häufige und unsere Wahrnehmung in besonderem Maße herausfordernde – Ausnahme vor dem Hintergrund eines vornehmlich gewaltarmen bis gewaltfreien Zusammenlebens. Nicht „Krieg und Frieden“ beschreibt unser Leben, sondern „Frieden und Krieg“. Die Reihenfolge der Formulierung ist dabei wesentlich. (…) Das konzeptionelle Erziehungsziel einer wesentlich durch gewaltfreie Strukturen wie gewaltfreies Handeln bestimmten „Global Citizenship“ ist kein moralisches Hirngespinst und auch nicht Ausdruck frommen Wunschdenkens, sondern fußt auf dem empirischen Fundament unseres maßgeblich gewaltfreien Miteinanders. Global Citizenship Education (2020) Unter der Voraussetzung, dass Sollen Können impliziert und sich mit der Herausarbeitung des Könnens unweigerlich auch sein Sollen formuliert, hat sich die Friedenspädagogik zukünftig der Aufgabe zu stellen, das zwischenmenschliche Friedenshandeln hinsichtlich seiner interaktionalen wie strukturellen Realisierungen detailliert herauszuarbeiten und dabei friedenswissenschaftlich alle Human- und Sozialwissenschaften zu konsultieren. Es gilt zu zeigen, wie der Mensch etwa aus biologischer Sicht Konflikte gewaltfrei löst. Es ist – indem historische Wissenschaften bemüht werden – zu zeigen, wie der Mensch durch die Geschichte hindurch immer wieder versucht hat, sein Zusammenleben auf allen sozialen und gesellschaftlichen Ebenen, von der Partnerschaft bis hin zur Weltpolitik, gewaltfrei zu gestalten. Es sind ebenso die Psychologie, die Medizin, die Soziologie, die Philosophie, die Religionswissenschaften, nicht zuletzt die Theologie zu befragen. Wir tun es bereits seit Gandhi und u.a. mit Gandhi: dass wir die großen, spektakulären gewaltfreien Aktionen in den Blick nehmen und friedensdidaktisch so thematisieren, dass beispielsweise im Rahmen schulischer und außerschulischer Bildungsprozesse Menschen über die Möglichkeiten gewaltfreien Handelns nicht nur informiert, sondern für die herausgearbeitete Art der Konfliktlösung gewonnen werden. Literatur, Filme, Nachrichten in den Medien – heute vor allem auch Dokumentationen im Internet – bieten eine breite Basis für eine Friedensdidaktik, die ihre Akzente auf erfolgreiche Aktionen und damit deren friedenspädagogische Überzeugungskraft legt. So blicken wir immer wieder auf Gandhi, auf Martin Luther King, auf Caesar Chavez, in Lateinamerika auf die von Adolfo Pérez Esquivel koordinierten Aktionen von Servicio Paz y Justitia oder auf die gewaltfreie Transformation großer politischer Unterdrückungssysteme. Es ist das große und bleibende Verdienst von Gene Sharp, dass er schon in den 1970er Jahren eine umfassende Zusammenstellung von Praxis und Geschichte der Gewaltfreiheit in seinem Einstein-Institut in Boston erarbeitet hat. Allein diese akribische Studie hat gezeigt, dass es geht: dass wir durchaus in der Lage sind, Konflikte gewaltfrei zu lösen. Mittlerweile füllen einzelne Studien zur Gewaltfreiheit ganze Bibliotheken. Allen diesen Studien ist gemeinsam,...