E-Book, Deutsch, 370 Seiten
Spindler Der Jesuit (Historischer Roman)
1. Auflage 2016
ISBN: 978-80-268-6496-7
Verlag: e-artnow
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Charaktergemälde aus dem Ersten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts
E-Book, Deutsch, 370 Seiten
ISBN: 978-80-268-6496-7
Verlag: e-artnow
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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Zweiter Abschnitt.
Inhaltsverzeichnis
Verdacht. — Der Pastor der Johanniskirche. — Sein Nachfolger bei dem Senator. — Der Doctor in seinem Hause. — Die Kupferstecher-Familie. — Justinens geheimer Ausgang. — Die Messe. — Die Wittwe des bei Denain gebliebenen Offiziers. — Die Beichte. — Des Doctors Tagewerk. — Geschichte eines Schauspielers. — Der unerwartete Fremde. — Es bestätigte sich durch den von Amsterdam eingelaufenen Brief, der den Commissarien des Gerichts schuldigerweise vorgelegt wurde, daß der in des Senators Hause verschiedene Fremde nicht van den Höcken gewesen; aus dem Inventarium dagegen, welches über den an Creditbriefen, Empfehlungsschreiben, kostbarem Leibgeräthe und beträchtlichen Pretiosen reich ausgestatteten Nachlaß des Verstorbenen aufgerichtet wurde, schien nicht undeutlich hervorzugehen, daß Herrn Birsher den Aeltern von New-York selbst das Unglück betroffen. Vor Allem rechtfertigte diese Muthmaßung ein reicher Frauenschmuck, der sich vorfand, in ein artiges Etui gepackt, auf welchem mit Goldschrift die Worte standen: »Meiner vielgeliebten künftigen Schwiegertochter und Freundin, Justine Müssinger, zum Hochzeitsgeschenke.« — Der Anblick dieses Schmucks, den ein galanter Commissarius der Verlobten vorwies, regte in derselben erst deutlich die Beziehung an, in welche sie zu dem Dahingegangenen hatte treten sollen. Seine letzten Worte vergegenwärtigten sich ihr wieder aufs Neue, und ihr Gemüth ergriff eine stille Wehmuth, wie sie noch nie empfunden. Sie wäre selbst krank geworden, wenn die Umstände eine längere Pflege an des Vaters Bette erheischt hätten. Der Senator genas indessen wie durch ein Wunder, plötzlich am Tage der Bestattung seines Gastes. Durch die tobenden Vorzeichen einer furchtbaren Nervenkrankheit hatte sich seine starke Natur gearbeitet, aber der fliehende Feind rächte sich demungeachtet. Die Paar Tage streiften die Schärfe und klare Bestimmtheit seines cholerischen Temperaments von ihm. Haltung und Gang, Gesichtsfarbe und Rede, — Alles war anders geworden; aus dem heftigen, gerade durchgehenden Manne ein scheuer schwermüthiger Mensch, der seiner Arbeiten nicht mehr froh wurde, nicht mehr polterte und lärmte, aber dafür gern innerhalb seiner vier Wände für sich allein brütete und glossirte. Dieses Benehmen, das schon am Begräbnißtage deutlich hervortrat, ermangelte nicht die gebührende Aufmerksamkeit zu erregen. Die plötzliche Schreckensbegebenheit hatte Aufsehen gemacht; die vorangehenden Ereignisse, wie der Ort, die Stunde und alle Einzelnheiten des Sterbefalls, waren geschickt, zu allerlei Verarbeitung zu dienen. Ein entehrendes Gerücht hatte sich plötzlich auf tausend Zungen verbreitet, und selbst im Senate seinen Sitz gefaßt. Die Mehrzahl des Rathes jedoch, — eifersüchtig auf dessen Vorrechte, und die Bewahrung eines unbefleckten Rufs der Glieder desselben, — bemühte sich, jede Ahnung, jede Vermuthung niederzuschlagen, die der bürgerlichen Existenz des Collegen Müssinger hätte schädlich werden können; und jede Angabe, und jede noch so leise Hindeutung auf obige Begebenheit wurde mit Gewalt unterdrückt, während der Gegenstand dieser Anklagen durch sein auffallend verändertes Betragen, dem bloßen Verdacht einen Dolch nach dem Andern in die Hände gab. Die wenigen Besucher mieden das Haus des Senators; er erschien am nächsten Sonntage mit seiner Familie in der Kirche: nach seinem Betstübchen starrte die gaffende Menge, aber aus seiner Nähe entfernten sich alle diejenigen, die sonst während des Gottesdienstes gute Nachbarschaft mit ihm gehalten hatten. Frau Jacobine merkte es nicht, Dank ihrer Stumpfsinnigkeit; Justine nicht, denn ihre Unbefangenheit hatte keine Ahnung von dem gräßlichen Verdacht; aber dem Senator, der dieses wohl verstand, zehrte es, wie ein Wurm am Herzen. Er wurde immer verschlossener. Zwischen ihm und der Mutter fielen die Worte immer seltener; Justine litt unter den Folgen dieser übeln Verstimmung, und ihr einziger Trost wurde jetzt, da sie — ihr unbegreiflich — keine ihrer Freundinnen mehr bei sich sah, oder zu Hause fand, die englische Lehrstunde, zu der sich James wieder, nach den drei Tagen, eingefunden hatte. Mit keiner Sylbe der vorangegangenen Mißhelligkeit gedenkend, suchte Justine durch ein sittlich mildes Betragen ihre Uebereilung gut zu machen, und James war nicht unversöhnlich. Es stellte sich ein gewisses Vertrauen zwischen den beiden jungen Leuten her. Justine benutzte den ersten Augenblick, in welchem sie ungestört waren, es zu befestigen. Ernst und nachdenkend saß sie dem vortragenden Lehrer gegenüber, und sagte, indem sie ihn bat, das Buch wegzulegen: »Wir wollen plaudern, mein Herr, und uns gegenseitig wundern, wie wir so plötzlich für einander passend geworden sind. Ich habe Eurer Prophetenkunst schreiendes Unrecht angethan, und muß dieselbe leider jetzo anerkennen. Der Abend jenes Samstags war der letzte glückliche in unserm Hause. Heiterkeit und geräuschvolles Leben sind daraus entschwunden, und es kommt mir beinahe vor, als wenn man von außen her unser Unglück uns recht fühlbar zu machen suchte.« »Dem Unglücklichen ist Mißgunst näher, als der Trost;« meinte James. »Ich selbst habe, als Flüchtling, diese Erfahrung oft genug gemacht. Indessen haben auch die Blumen der Freude ihre Zeit der Wiederkehr. Der Sturm zernichtet nicht immer; er entwickelt auch Blüthen.« »In unserm Hause?« fragte Justine ungläubig: »O nein, mein guter Herr. Die Mutter, — Ihr kennt sie. Der Vater ist heute noch einmal so finster und verdrossen geworden. Uns wurde durch einen Amsterdamer Brief die Gewißheit, daß Herr Birsher in unserm Hause verblichen.« »Was ihn nur bewogen haben mag, die fremde Maske vorzunehmen?« — »Er wollte uns kennen lernen, selber unerkannt. Ein Scherz, der, sich unbewußt, den Trauermantel auf den Schultern trug.« — »Der Mensch sei auf sein Ende gefaßt, jederzeit,« entgegnete James! »Genug indessen von dem traurigen Gegenstande. Fröhlichkeit steht Ihnen besser, als Betrübniß; und die Braut hat ja den Bräutigam nicht verloren!« »Ich verbitte mir die Anspielung,« sagte Justine lebhaft: »Herrn Birsher’s Sinn wird sich wohl anders wenden. Mir vergingen auch alle Heirathsgedanken, stünde ich am Sarge meines Vaters. — Mein guter Vater!« setzte sie seufzend hinzu, in die stille Wehmuth versinkend, die, in ihrem Schmerze selbst, uns wohl thut. »Erheitern Sie sich!« erwähnte James, sich zu ihr beugend. »Hören Sie mich. Der Schmerz bedarf nur eines Ableiters, um gemäßigt und ruhig hinzufließen, wie ein geräuschloser Strom in seinem Bette. Was wäre wohl zu diesem Zwecke geeigneter, als eine gute That? Im Ungemach ist ja ohnehin das Herz weicher, geneigt zum Mitgefühl, weil der Kummer ihm nicht mehr ein fremder ist. Ich nehme mir daher den Muth, Ihrem Tiefsinn eine andere Richtung gebend, im Namen einer sehr bedrängten Frau Ihr Mitleid, Ihre Freigebigkeit aufzufordern. Fürchten Sie keinen Mißbrauch Ihrer Güte, hoffen Sie aber auf den Segen von Oben.« »Nicht so viel Worte, Monsieur,« sprach das Mädchen, bereitwillig, der neuen Wendung des Gesprächs zu folgen: »Man überredet mich selten, wenn nicht schon mein Kopf und mein Gefühl gewonnen sind. Ich helfe gern, bin auch nicht hart, wie oft die Leute sagen; ich bin auch nicht so leichtsinnig, fremde Noth nicht zu bemerken und zu bedauern. Redet, wer ist die Frau?« »Eines französischen Offiziers Wittwe. Ihr Mann blieb in dem Treffen bei Denain. Villars empfahl die unglückliche Frau der königlichen Gnade, aber Ludwig vergaß der Armen. Der Regent mißhandelte sie sogar, als sie es wagte, nach des Königs Tode bittend und flehend ihr Recht geltend zu machen. Aus der Hauptstadt verwiesen, fristete sie in ihrer Heimath durch Handarbeit kümmerlich ihr Leben. Endlich schien ihr das Glück wieder zu leuchten. Eine sächsische Herrschaft, rückkehrend aus den Bädern zu Aix schlug ihr vor, sie als Gouvernante der Kinder nach Dresden zu nehmen. Von allen Hülfsmitteln entblößt schlug Madame de Laynez willig ein, schied vom Vaterlande, um in Sachsen eine neue Lebensbahn zu betreten, kam aber nur bis in diese Mauern. Von einer heftigen Krankheit befallen, mußte sie hier zurückbleiben. Ihre Gebieter hinterließen ihr eine dürftige Geldsumme, und sagten sich von ihr los. Mehrere Monden hindurch schwebte die Verlassene zwischen Tod und Leben. Das Mitleid gefühlvoller Menschen rettete sie endlich vom Grabe, aber ihre völlige Genesung geht langsam von Statten. Mangel drückt sie, und es bleibt ihr nichts übrig, als auf’s Neue sich an die Theilnahme wahrer Christen zu wenden.« James hatte kaum geendet, und schon lag Justinens ansehnlich gefüllte Börse in seiner Hand. — »Kein Wort!« gebot sie, da er sprechen wollte: »nichts davon. Gebt, helft, rettet! Es soll nicht dabei bleiben, wenn es mir gelingt, den Vater in günstiger Stunde für die Bedrängte zu gewinnen.« — Eilig ging sie davon, damit James nicht die Bewegung sehen sollte, die sich auf ihrem holden Antlitz kund gab. Aber der junge Mann hatte scharfe Augen. Es war ihm nicht entgangen, daß die ganze Fülle der herrlichen Seele aus Justinens Zügen gesprochen, und, selig überrascht von einem Anblick, wie er ihn noch nie gehabt, sah er der Fliehenden sehnsüchtig nach. »Welch ein Mädchen!« seufzte er: »und ich — täglich fühle ich mein Unglück mehr, und darf nicht wanken und nicht weichen von der Stelle, die mir so gefährlich wird.« Justinens Gabe im Busen verbergend, schied er, um heim zu kehren. Unten im Hause war viel Geräusch. Geldsäcke wurden gewogen, Thaler klangen; die Diener gingen geschäftig hin und her; Nothhaft stieß im...