Stalder / Schmid Lehrvertragsauflösung und Ausbildungserfolg - kein Widerspruch (E-Book)
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-0355-0398-2
Verlag: hep verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Wege und Umwege zum Berufsabschluss
E-Book, Deutsch, 232 Seiten
Reihe: Wissenschaft konkret
ISBN: 978-3-0355-0398-2
Verlag: hep verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Dieses E-Book enthält komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen.
Die Auflösung des Lehrvertrags birgt für Jugendliche die Gefahr, ohne Berufsabschluss zu bleiben. In einer Laufbahnstudie wurde untersucht, unter welchen Bedingungen es den Jugendlichen gelingt, ihre Ausbildung nach der Vertragsauflösung fortzusetzen und erfolgreich abzuschliessen. Die 1300 Jugendlichen wurden über 10 Jahre beobachtet, und auch ihre ehemaligen Berufsbildenden kommen zu Wort. Zudem illustrieren Porträts der Jugendlichen, wie sie die Zeit vor und nach der Vertragsauflösung erlebt haben.
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2 Passung, Sozialisation und Fluktuation In diesem Kapitel werden passungs-, sozialisations- und fluktuationstheoretische Ansätze der Organisationpsychologie vorgestellt, die die Grundlage für das Rahmenmodell «Lehrvertragsauflösung und Ausbildungserfolg» bilden (Allen et al., 2010; Bauer & Erdogan, 2011; Saks & Gruman, 2012; Wanberg, 2012). In Kapitel 2.1 werden verschiedene Ebenen von Passung dargestellt und es wird gezeigt, welche Konsequenzen eine gute bzw. ungenügende Passung auf arbeitsbezogene Einstellungen und das Verhalten von Mitarbeitenden hat. In Kapitel 2.2 steht die organisationale Sozialisation, das heißt, der Prozess der Anpassung im Vordergrund. Es wird erläutert, welche Faktoren proximale und distale Sozialisationsergebnisse beeinflussen und wie Mitarbeitende und Betriebe zu einer gelingenden Anpassung beitragen. Inbesondere wird auf das Kündigungsverhalten von Mitarbeitenden eingegangen, das als wichtiges Sozialisationsergebnis gilt. 2.1 Passung Passung wird definiert als generelle Übereinstimmung zwischen einer Person und ihrer Umwelt (person-environment fit) (Edwards & Shipp, 2007; Kristof-Brown et al., 2005). Im Arbeitskontext impliziert eine gute Passung, dass die Eigenschaften von Mitarbeitenden und deren Arbeitsumwelt gut aufeinander abgestimmt sind. Dazu gehören insbesondere die Passung zwischen der Person und ihrem Beruf (person-occupation fit), der Organisation (person-organisation fit), der Arbeit (person-job fit), der Arbeitsgruppe (person-workgroup fit) und der vorgesetzten Person (person-supervisor fit) (Jansen & Kristof-Brown, 2006; Judge & Ferris, 1992; Kristof-Brown et al., 2005). Die Übereinstimmung zwischen Person und Umwelt kann dabei komplementär oder supplementär sein (Kristof-Brown et al., 2005). Bei einer komplementären Passung füllen die Merkmale einer Person eine Lücke in der Arbeitsumwelt und umgekehrt, zum Beispiel wenn eine Mitarbeiterin bzw. ein Mitarbeiter über die Fähigkeiten verfügt, die dem Stellenprofil entspricht, oder wenn der Betrieb einer Person eine Stelle anbietet, die ihrem Bedürfnis nach Weiterentwicklung entspricht. Bei einer supplementären Passung haben Person und Umwelt ähnliche Eigenschaften, zum Beispiel die gleichen Arbeitswerte oder Ziele. Die grundlegende Annahme von Person-Umwelt-Passungstheorien ist, dass eine hohe Passung zu positiven Ergebnissen führt (Chatman, 1989; Dawis & Lofquist, 1984; Holland, 1997; Wanous, 1992). Diese umfassen zum Beispiel eine hohe Arbeitszufriedenheit, eine starke Verbundenheit mit dem Betrieb, gute Arbeitsleistungen und eine geringe Fluktuationstendenz (Edwards & Shipp, 2007). Ob Menschen und ihr Umfeld zusammenpassen, kann bei Mitarbeitenden direkt erfragt (wahrgenommene Passung, subjektive Passung) oder indirekt ermittelt werden (objektive Passung). Im Fall der wahrgenommenen Passung schätzen die Personen direkt ein, ob ihre Fähigkeiten, Werte oder Ziele mit dem Beruf, dem Betrieb oder der Arbeit übereinstimmen (z. B. «Meine eigenen Werte passen gut zu den Werten des Betriebs, in dem ich zurzeit tätig bin»). Von subjektiver Passung wird dann gesprochen, wenn Personen einerseits sich selbst und andererseits ihr Arbeitsumfeld einschätzen und die Passung indirekt durch einen Vergleich ermittelt wird (z. B. «Ich bin handwerklich geschickt» und «Die Tätigkeiten, die ich ausübe, verlangen hohes handwerkliches Geschick»). Bei der objektiven Passung wird die Passung über verschiedene Informationsquellen erschlossen, z. B. indem die Person zu ihren Fähigkeiten befragt und ihre Selbsteinschätzung mit einer Einschätzung durch ihre Vorgesetzten verglichen wird. Auch wenn sich die verschiedenen Messungen von Passung inhaltlich auf dasselbe beziehen, stimmen wahrgenommene, subjektive und objektive Passung häufig nur in geringem Ausmaß überein (Cable & Judge, 1997; Cooper-Thomas, Van Vianen & Anderson, 2004; Harris & Schaubroeck, 1988). Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass Menschen dazu neigen, Hinweise aus der Umwelt so zu deuten, dass sie ein stimmiges und positives Selbstbild aufrechterhalten können (Endler & Magnussen, 1976). Stellen Menschen zum Beispiel fest, dass die Arbeit nur schlecht zu ihren Interessen passt, sie aber trotzdem zufrieden sind, führt dies zu kognitiver Dissonanz (Festinger, 1957). Die beiden Wahrnehmungen stehen im Widerspruch zueinander, was als unangenehm erlebt wird und einen Druck erzeugt, die Dissonanz zu reduzieren. Dies geschieht zum Beispiel dadurch, dass Personen die positiven Aspekte der Arbeit hervorheben und andere eher negative Aspekte ausblenden (Kristof-Brown & Jansen, 2007). Personen, die über eine hohe Arbeitszufriedenheit berichten, dürften damit eine hohe Passung wahrnehmen, selbst wenn diese in Realität nur mittelmäßig ist. 2.1.1 Ebenen von Passung In der organisationspsychologischen Forschung wird hauptsächlich die Passung mit der Organisation, der Arbeit, der Arbeitsgruppe und der vorgesetzten Person diskutiert (Kristof-Brown et al., 2005). Die Passung mit dem Beruf ist Kernthema berufs- und laufbahntheoretischer Ansätze (Bergmann, 2007; Brown & Associates, 2002), findet aber auch in der Personalauswahl zunehmende Beachtung (Schuler, Höft & Hell, 2014). Passung Person-Beruf Die Passung Person-Beruf umfasst die Übereinstimmung zwischen den Interessen, Fähigkeiten und Fertigkeiten einer Person und den Merkmalen und Anforderungen ihres Berufes (Vogel & Feldman, 2009). Berufe sind sozial konstruiert und umfassen objektivierte, standardisierte Bündel von spezialisierten Tätigkeiten und Kompetenzen, die von Berufstätigen erworben werden müssen und für die Ausübung des Berufs vorausgesetzt sind (Heinz, 1991; Lempert, 2006). Klassische Berufswahltheorien wie z. B. der persönlichkeitstypologische Ansatz von Holland gehen davon aus, dass Menschen ein berufliches Umfeld wählen, das ihren Interessen und Fähigkeiten entspricht und dass eine hohe Übereinstimmung zwischen Interessen und Berufsumfeld zu einer hohen Zufriedenheit, guten Arbeitsleistungen und beruflicher Stabilität führt (Hirschi, 2013; Holland, 1959; Spokane & Cruza-Guet, 2005). Auch in aktuellen Laufbahntheorien, wie z. B. der konstruktivistischen Theorie der Laufbahnentwicklung (Savickas, 2002, 2005), ist die Passung ein zentrales Element. Mit der Wahl eines Berufes wird das berufliche Selbstkonzept ausgedrückt und bestätigt, was zum Erleben von Sinnhaftigkeit im Leben führt. Laufbahnentwicklung wird als kontinuierlicher und aktiver Anpassungsprozess verstanden, in dem die Passung zwischen Person und Umwelt über die Zeit der gesamten Berufslaufbahn optimiert wird (Hirschi, 2013). Zwei Metaanalysen bestätigen, dass eine hohe Übereinstimmung zwischen beruflichen Interessen und aktueller Berufstätigkeit zu höherer Arbeitszufriedenheit und einem höheren Wohlbefinden, stabilen Berufslaufbahnen und besseren Trainings- und Arbeitsleistungen führt (Assouline & Meir, 1987; Van Iddekinge, Roth, Putka & Lanivich, 2011). Eine schlechte Passung mit dem Beruf hat vor allem dann negative Auswirkungen auf die Berufslaufbahn, wenn Individuen wegen einer falschen Berufswahl längere Zeit arbeitslos sind (Feldman, 2002). Passung Person-Organisation Die Passung Person-Organisation umschreibt die Übereinstimmung zwischen einer Person und ihrem Betrieb. Eine hohe Passung wird dann erreicht, wenn Mitarbeitende und Betriebe in ihren grundlegenden Werten und Zielen übereinstimmen (Chatman, 1989; Kristof-Brown et al., 2005). Arbeitsbezogene Werte wie z. B. Autonomie, Sicherheit, Beziehungen und Fairness am Arbeitsplatz sind ein wesentlicher Bestandteil des Selbstkonzepts (Super, 1962). Sie bestimmen, wie Menschen ihr Umfeld und die Verhaltensweisen anderer Personen interpretieren und beurteilen (Dose, 1997; Jin & Rounds, 2012). Das Erreichen einer Wertekongruenz zwischen Person und Organisation ist damit entscheidend für die Entwicklung und Stabilisierung des beruflichen Selbstkonzepts und eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration am Arbeitsplatz (Ashforth, Sluss & Saks, 2007; Edwards & Cable, 2009; Judge, 2007). Eine gute Übereinstimmung von Person und Organisation erleichtert die Kommunikation und Kooperation unter den Mitarbeitenden (Edwards & Shipp, 2007; Meglino & Ravlin, 1998). Gut passende Mitarbeitende richten ihr Verhalten stärker auf die Erwartungen der Organisation aus, bauen eine engere Verbundenheit zur Organisation auf und sind zufriedener mit ihrer Arbeit. Sie erreichen bessere Leistungen, werden eher befördert und bleiben länger im Betrieb (Bretz Jr & Judge, 1994; Lauver & Kristof-Brown, 2001; O’Reilly, Chatman & Caldwell, 1991; Tak, 2011). Selbst- und Fremdselektion führen im Wechselspiel dazu, dass Personen und Organisation bereits beim Eintritt in den Betrieb über ähnliche Merkmale verfügen. Gemäß dem Attraction-Selection-Attrition-Modell (Schneider, 1987; Schneider, Goldstein & Smith, 1995) fühlen sich Menschen von Organisationen angezogen, die dieselben Werte haben wie sie und die sie darin unterstützen, eigene Ziele zu erreichen (attraction). Umgekehrt wählt die Organisation unter den Bewerbenden...