E-Book, Deutsch, 96 Seiten
Stamer-Brandt Projektarbeit in der Kita
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-451-83552-0
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mit Checklisten und Kopiervorlagen
E-Book, Deutsch, 96 Seiten
ISBN: 978-3-451-83552-0
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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2.1 AM ANFANG STEHT DIE SITUATIONSANALYSE
„Es ist schon so: Die Fragen sind es, aus denen das, was bleibt, entsteht.
Denk an die Fragen deines Kindes: Was tut der Wind, wenn er nicht weht?“ Erich Kästner Die Themen der Kinder liegen quasi auf der Straße. Kinder sind neugierig und interessieren sich im Prinzip für alles, solange sie nicht von Erwachsenen gestört oder durch lästiges Eingreifen eingeengt werden. Kinder wollen keine Anleitungen oder Rezepte von Erwachsenen umsetzen, sondern selbst aktiv werden – es sei denn, sie sind über einen langen Zeitraum auf das Konsumieren von Angeboten trainiert worden. Sie wollen ein Thema im wahrsten Sinne des Wortes begreifen, mit allen Sinnen erfahren und erfassen. So möchten sie zum Beispiel wissen, „wie die Toilettentür in ein Auge passen kann“. Diese philosophische Frage stellte ein Kind seinem Vater – vor dem Hintergrund, dass eine Toilettentür schließlich riesengroß sei und das menschliche Auge winzig klein … Kinder möchten einen Wecker auseinandernehmen und zuschauen, wie die Spinne ihr Netz webt. Sie werden nicht müde, wenn es darum geht, das Wasser in einem kleinen Bach zu stauen, und spüren keine Kälte, wenn sie mit dem Bau eines Schneemannes beschäftigt sind. Häufig sind beobachtende Erwachsene erstaunt darüber, wie viel Ausdauer, Energie und Lebensfreude Kinder bei ihrem selbsttätigen Tun entwickeln können. Auch vor naturwissenschaftlichen Experimenten machen Kinder keinen Halt. Der Naturwissenschaftlerin Gisela Lück (2008) gelingt es immer wieder, Kinder zum Experimentieren zu bewegen, wenn sie zum Beispiel so spannende Fragen stellt wie: „Wie können Gummibärchen tauchen, ohne nass zu werden?“ Mit preiswerten und wenigen Materialien und den richtigen motivierenden Fragen schafft sie es, Kindern wissenschaftliche Zusammenhänge nahezubringen, die Erwachsenen manchmal verborgen bleiben. Projektanlässe sind bunt wie Schmetterlinge. Man muss sie nur wahrnehmen, entdecken, aufdecken, thematisieren. Aus Alltagssituationen können sich kleine spontane Projekte ergeben, Ideen können sofort aufgegriffen und umgesetzt werden. Kommt ein neues Kind in die Kita oder ergibt sich zum Beispiel ein Konflikt über die Unterschiede zwischen zwei Kindern, kann daraus umgehend ein Miniprojekt entstehen. Von einer spontanen Projektidee berichtet eine Erzieherin aus Norddeutschland: BEISPIEL Kinder gehen ihrer Körpergröße auf den Grund Eine Kindergartengruppe aus dem Modellprojekt „Die Kinderstube der Demokratie“ (Hansen, Knauer & Friedrich 2005) hat sich intensiv mit dem Thema „Wachsen“ beschäftigt. Das Projektthema lautete schließlich: „Wir werden immer größer.“ Die Kinder wollten wissen, was Wachstum beschleunigt. Sie hatten schließlich durch diverse Messaktionen festgestellt, dass gleichaltrige Kinder durchaus unterschiedlich groß sein können. Daraufhin spekulierten sie, was man tun muss, um schneller zu wachsen. Die Kinder kamen auf fantastische Ideen: mehrmals im Jahr Geburtstag feiern, weil man an Geburtstagen ein Stück wächst; mehr Salat essen; sich auf den Kompost stellen … Ein Kind erinnerte sich daran, dass Knetgummi länger wird, wenn man ihn rollt. Also rollten die Kinder sich gegenseitig und kontrollierten den Erfolg. Niemand musste ihnen sagen, dass das nicht funktioniert. Sie haben es selbst ausprobiert und werden es nie vergessen. Es gibt natürlich auch komplexe Projekte, die sich über einen längeren Zeitraum hinziehen und an deren Erarbeitung sich Eltern sowie andere Interessierte beteiligen können. Vielleicht hat jemand einen wunderschönen Spielplatz entdeckt und nun den Wunsch, so etwas auch für die eigene Kita zu bauen. Es gibt eine Menge an Erfahrungen und Erlebnissen, die als Projektidee geeignet sind: • Die Kinder kommen aus unterschiedlichen Kulturkreisen, sie haben unterschiedliche Religionen, essen verschiedene Speisen, sehen anders aus und sprechen eine andere Sprache. • Manche Kinder kennen keine gemeinsamen Mahlzeiten und haben noch nie bei der Zubereitung von Essen geholfen. Manche wissen nicht, dass die Milch der Kuh weggenommen und nicht vom Supermarkt hergestellt wird. • Fast alle Kinder werden mit dem Auto in die Kita gebracht. Sie kennen den Weg vom Elternhaus zur Kita in aller Regel nicht. • Mehrere Kinder erzählen, dass sie bald einen Bruder oder eine Schwester bekommen. Die anderen Kinder fragen neugierig nach. Vielleicht ist auch eine der Pädagoginnen schwanger? • Leo trägt immer abgetragene Sachen seiner älteren Geschwister. Warum ist das so? Ist Leo arm? • Lottas Oma ist gestorben. Was ist da passiert? Und, sterben nur alte Menschen? • Auf dem Tisch im Flur liegen viele Bücher und andere Materialien, die auf das Thema Zahlen neugierig machen. Dort stehen immer viele Kinder. Leitfragen zur Situationsanalyse
Einige Leitfragen können Ihnen helfen, die Situation der Kinder zu verstehen und eine Situationsanalyse zu erstellen. Vielleicht ergeben sich daraus auch schon Hinweise auf die Themenwahl: • Wie sieht die Situation „Ihrer“ Kinder aus? • Wie wohnen und leben die Kinder? • Welchen Belastungen sind sie ausgesetzt? • Welche Anforderungen haben sie zurzeit zu bewältigen, welche kommen in naher Zukunft auf sie zu? • Mit welchen Materialien beschäftigen sich die Kinder (auch einzelne Kinder) gerne? • Welche Themen stehen im Mittelpunkt des kindlichen Interesses? • Mit welchen Stärken der Kinder können Sie arbeiten? • Über welche Besonderheiten verfügen die Kinder? • Welche Institutionen, Menschen etc. in der Umgebung sind für die Kinder von Bedeutung? • In welchen sozialen Bezügen leben die Kinder? • Welche besonderen Ereignisse gab es in letzter Zeit in der Kita und in ihrem Umfeld (Bauarbeiten, Besuch eines Zirkus, Wasserrohrbruch etc.)? • Wie äußern die Kinder ihre Bedürfnisse (Rollenspiele, Zeichnungen, Erzählungen, im direkten Gespräch)? • Wie viel Zeit und Energie bringen die Eltern für ihre Kinder auf? • Sind Eltern zur Mitarbeit in der Kita bereit? • Welche anderen unterstützenden Menschen und Netzwerke gibt es in der Umgebung? Schon aus der Analyse der Situation können sich viele Ideen für die Projektarbeit entwickeln. Sie sollten aber von Anfang an darauf achten, alle aufgegriffenen Ideen sichtbar zu machen. Dafür eignet sich eine große Wandzeitung, ein Flipchart oder eine Videoaufzeichnung. Unser Kurzzeitgedächtnis und die selektive Wahrnehmung lassen nämlich schnell wichtige Aspekte in Vergessenheit geraten. 2.2 VON DER SITUATIONSANALYSE ZUR BEOBACHTUNG
Die Beobachtung ist das A & O der pädagogischen Arbeit (vgl. dazu auch Kapitel 4.2). Ohne die systematische Beobachtung der Kinder kann Projektarbeit nicht gelingen, denn nur auf diese Weise erfahren Pädagoginnen, • was die Kinder gerne tun, • mit welchen Themen sie sich am liebsten beschäftigen, • wer mit wem befreundet ist und gut zusammenarbeiten kann, • welche Stärken jedes Kind hat, • über welche Sinneskanäle die Kinder am besten ansprechbar sind, • was sie verletzt, • mit welchen Materialien die Kinder gerne hantieren, • wo sie Unterstützung und Impulse brauchen, • was sie meiden. Durch die Beobachtung versetzen Sie sich in die Lage, die Wünsche und Interessen der Kinder zu verstehen, die Dinge aus ihrer Perspektive zu betrachten und den Sinn ihrer Beschäftigungen nachzuvollziehen. Während Ihrer Beobachtung können Sie Projektideen geradezu wachsen sehen. Gerichtete Aufmerksamkeit – ungerichtete Aufmerksamkeit
Um die wirklichen Themen der Kinder herauszufinden, stellt die beobachtende Wahrnehmung eine bedeutsame Grundlage dar. Nur wer sich die Zeit nimmt, kann erfassen, was die Kinder wirklich wollen und was sie wirklich brauchen. Das geschieht, indem unverplante Alltagssituationen der Kinder aufmerksam verfolgt und über die Beobachtungen Notizen gemacht werden. Wenn es um die Themen der Kinder geht, kommen zwei Beobachtungsformen infrage: die gerichtete Aufmerksamkeit und die ungerichtete Aufmerksamkeit. Die gerichtete Aufmerksamkeit wird gezielt eingesetzt, und die Ergebnisse werden sofort notiert. Die Pädagogin taucht in das Geschehen ein und lässt sich durch nichts ablenken. Sie richtet ihre Aufmerksamkeit auf das einzelne Kind und auf die Gruppe. Dabei stehen die kindlichen Äußerungen und die Spiele der Kinder im Fokus. Beide Bereiche können...