Buch, Deutsch, 144 Seiten, ENGLBR, Format (B × H): 235 mm x 297 mm, Gewicht: 820 g
Liebe, Laster und Affairen
Buch, Deutsch, 144 Seiten, ENGLBR, Format (B × H): 235 mm x 297 mm, Gewicht: 820 g
ISBN: 978-3-9811425-0-1
Verlag: Schiermeier, Franz
Eine Münchner Sittengeschichte
Ein Blick durchs Schlüsselloch in die Münchner Sittengeschichte – von den Frauenhäusern des Mittelalters bis zum aufgelockerten Umgang mit dem Thema Sex in unseren Tagen – enthüllt Vorgänge, die damals Aufsehen erregten, heute aber eher Amüsement oder auch Verständnislosigkeit hervorrufen. Karl Stankiewitz, der 50 Jahre lang als Münchner Korrespondent auch darüber zu berichten hatte, erinnert an manchmal gut gemeinte, oft aber verklemmte Versuche hoher Herrschaften, die öffentlich sichtbare Sittlichkeit zu zügeln, sei es durch Konzessionen, Verbote, Zensur oder Strafverfolgung.
Das Süße Leben bekannter Playboys und ihrer Gespielinnen, die absonderlichen Präventionsmaßnahmen
gegen Aids oder gegen olympische „Masseusen“, die Verlockungen Münchner Schickeria-Stützpunkte,
die Bordellblockaden und Zuhälterkriege, der Kampf gegen den Straßenstrich sowie einige Sensationsprozesse, die ungewöhnliche Einblicke
in die Gesellschaft boten, waren zeitweise Tagesgespräch weit über Bayern hinaus.
Der Kampf um die Moral
Begleitet werden die Berichte über Sittenskandale in ihrer Zeit von Artikeln, in denen die gesellschaftlichen Diskussionen vor allem der 60er
und 70er Jahre dokumentiert werden.
In ihnen werden die fundamentalen Gegensätze der Moralvorstellungen aber auch der grundlegende Wandel zu einer liberaleren Gesellschaft deutlich.
Weitere Infos & Material
Lange bevor das Wörtchen Sex eines der meistgedruckten Substantiva in der populären Presse war, gehörten Themenkomplexe wie Sitte und Moral, öffentliche Lustbarkeit, Nacktkult, Geschlechterkampf, gewerbsmäßige Unzucht samt ihrer Reglementierung und „Bekämpfung“ zu den beliebtesten Lesestoffen in fast allen Zeitungen, und auch in der Literatur. Da machte München keine Ausnahme. Nicht, dass die durch Fürstengewalt zur Stadt erhobene Siedlung frommer Mönche jemals ein Sündenpfuhl, ein Babylon gar gewesen wäre. Dass aber das Völkchen an der springlebendigen Isar immer schon einen starken Hang zu einer freieren als der von den Obrigkeiten definierten Liebe hatte und pflegte, ist ihm oft genug aus berufenen Mündern bestätigt worden. Vor allem von angestammten Dichtern wie Ludwig Thoma, Oskar Maria Graf oder Georg Queri, aber auch von zugewanderten Literaten wie Frank Wedekind, Max Halbe oder Thomas Mann; wobei der Schweizer Gottfried Keller wohl etwas übertrieb, als er sich herumtrieb in diesem „liederlichen, sittenlosen Nest“.
Kommen wir zurück auf die Spiegelung des Münchner Sittenlebens in der örtlichen Presse.
Als der Autor dieses Buches 1948 seine journalistische Laufbahn in der jungen, kecken „Abendzeitung“ begann, erlebte er diese Seite des täglichen Lebens, wenn er allabendlich von der Redaktion in der Sendlinger Straße in Richtung Lindwurmstraße heimwärts schritt. Da standen die Fräuleins reihenweise vor den ruinösen Fassaden, manche selbst schon etwas ruinös, und warben und lockten, aber die nagelneue D-Mark saß den Männern noch nicht so locker in der Tasche. „Die Sendlinger Straße ist entschieden die belebteste Straße Münchens. Die Priesterinnen machen hier schon am hellen Tage Proselyten.“ So hatte schon Wedekind unter dem Stichwort „Ein erotisches Leben“ in sein Tagebuch geschrieben. Das altmodische griechische Wort würde man heute vielleicht mit „Anmache“ übersetzen. Aber die ist schon vor vielen Jahren hinausgefegt worden an die wenig kuscheligen Ränder der großen Stadt.
Was mein Kollege und Lehrmeister Siegfried Sommer über die aufgezäumten Pferdchen, die in dieser „Rue de Galopp“ und anderwärts in der City trippelten, als Blasius der Spaziergänger alles zu Papier gebracht hat in hunderterlei Ausdrücken, könnte allein einen Band füllen. Im „revolutionären“ Jahr 1968 hat der Sigi selbst ein Büchlein zur „erotischen Nothilfe“ für nächtliche Bummelanten geschrieben, das längst vergessen ist. Und ein Jahr später brachte der Kollege Richard Kerler einen München-Führer „für Schürzenjäger“ heraus. Der erotische Markt hat damals nur Männer bedient.
Heute wundert mich, wie Straßenzeitungen in den Nachkriegsjahren noch ohne das Wort Sex existieren konnten. Natürlich sprach auch niemand von „Sexualität“, das klang doch zu wissenschaftlich. Und die „gewerbsmäßige Unzucht“ kam überhaupt nur im Polizeibericht vor. Dennoch lag das Thema Nr.1 durchaus und buchstäblich auf der Straße: von den noch harmlosen „heißen Höschen“ der Mädchen, letzter Modeschrei und Sex-Symbol, bis zum Folter-Salon einer bekannten Geschäftsfrau, der eines Tages ausgehoben wurde.
Und dann gab es ja noch das Pin-up-Girl. Dieses Mädchenbild hatte man von den Amerikanern abgekupfert, es entsprach gänzlich deren Geschmack: züchtig hochgeschlossen, hoch toupiert und vor allem hoch busig. Erst nach einer USA-Reise mäkelte unser Chefredakteur Walter Tchuppik an diesen Soldatenspind-Bildchen herum: „Alles Draht, wie ich mich selbst überzeugen konnte.“
Als ich einmal ein Foto von einer nächtlichen Nacktbadeszene aus einem französischen Sonntagsblatt (Bildunterschrift: „Nudisme Nocturne“) samt kurzem Text über die neue Marotte an der Cote d’Azur ins Blatt rückte, war die Erregung groß in München, wo man an FKK noch lange nicht gewohnt war. Erst Jahre später, als die Konkurrenz auf dem Boulevard schärfer wurde, erschien die „Nackte vom Dienst“ täglich auf den Titelseiten, die Lästerer bei Gelegenheit als „Tittenseiten“ kennzeichneten.
Um diese Zeit, in den frühen 50-er Jahren, erfuhren die Münchner auch täglich aus ihrem Blatt, was sich „ganz privat“ in ihrer Stadt ereignete, wer mit wem in der bald auflebenden Prominenten-Szene verkehrte. Hatte uns doch schon unser alter Chef Tschuppik in seinem breiten Böhmisch belehrt: „Nix schaun de Leit lieber als in fremde Schlafzimmer.“
Diesen Blick durchs Schlüsselloch eröffnete dann AZ-Redakteur Hannes Obermaier. Zweiundzwanzig Jahre lang berichtete er als „Hunter“ aus Bars und Boudoirs, tratschte über Weltstars und Starlets, die sich gern als „Sexbomben“ verkauften. Der Oberhofjäger der Münchner Society war überall dabei zwischen Fuschl und Acapulco, wusste alles zuerst: die Flirts, Verlöbnisse, heimlich geplanten Hochzeiten und drohenden Scheidungen der Promis. Manche Intimitäten aber verschwieg er doch.
München ganz privat – und ganz moralisch: Ein Oberbürgermeister wird aus dem Amt gegrault, weil er sich im Nordbad als Mitglied des Freikörperklubs „Osiris“ entsprechend enthüllt hatte.
Ein Staatsminister lässt ein Ballett in einem Staatstheater wegen „Darstellung unsittlicher Vorgänge“ verbieten. Derselbe Minister gerät dann in einen Bauskandal und in eine Affäre mit einem Callgirl. Ein Chefredakteur wird von einem fanatischen Staatsanwalt wegen einer Affäre mit einem Lehrmädchen („Unzucht mit Abhängigen“) gnadenlos verfolgt und von einem anderen Chefredakteur vorverurteilt, und dieser Provinzzeitungskönig wird bald selber in einem ebenso lächerlichen Sittenprozess angeklagt.
Unsittliches in der Öffentlichkeit? Um Gotteswillen, nein! Präservative, die wir noch Pariser nannten, lagen unter dem Tarnnamen „Gummiware“ nur unterm Ladentisch von Friseuren und Apothekern. Unvorstellbar, dass Kondome (der Name kam erst später auf) eines Tages offiziell und kostenlos an Teenager verteilt würden. Als ein Händler in der Herzog-Spital-Straße selbstgebastelte Gegenstände feilbot, die dem Lustgewinn dienen sollten, hagelte es Proteste und der Stadtrat erließ ein Verbot. Bis aus Flensburg die Fliegerin Beate Uhse kam. Und aus Hamburg der Volksaufklärer Oswalt Kolle, dem ich Mitte der 50-er Jahre, als er noch Filmredakteur bei „Bild“ war, gar nicht genug Star-Geschichten aus München liefern konnte.
Von heute aus gesehen, waren die Jahre des deutschen Wirtschaftswunders und der Restauration in sittengeschichtlicher Hinsicht eine Zeit der doppelten Moral, der Verdrängung und Verklemmung. Was in der City nur annähernd mit Sex zu tun hatte, wurde versteckt, verfolgt, auch mal verboten. Das unter dem Ladentisch vorgehaltene Nackedei-Magazin „Playboy“ und die „unzüchtige“ Schallplatte einer Schwabinger Sängerin wurden vor Gericht gezerrt. Zugleich war dies aber die Zeit der Playboys und Playgirls, die geradezu geil waren auf Publicity (und deren heutige Nachfolger ihr Lasterleben selbst in Büchern beschreiben, während sich ihre Gespielinnen als „Luder“ feiern lassen). Es war die Zeit der Partys und des permanenten Faschings. Als „Stadt der Lebensfreude“ wurde München sogar im führenden Nachrichtenmagazin der USA beschrieben. Und im übrigen Deutschland, bis hinauf in die Stadt mit der anrüchigen Reeperbahn und den meinungsbildenden Magazinen, schwärmte man vom „dolce vita“ im ach so südlichen, sündigen München. Als Münchner Korrespondent auswärtiger Blätter hatte ich oft Mühe, den allseits gewünschten Lesestoff zu beschaffen, denn es gab natürlich auch andere, wichtigere Themen.
Das ging so bis weit in die „Goldenen Sechziger“ hinein, die endlich auch die „sexuelle Befreiung“ bringen sollten. Sex war nun nicht nur Lesestoff, Ware, sondern Kult, dargeboten in Kunstausstellungen, eigens dafür geschaffenen Theatern und Zeitungen, ja, sogar kirchliche Akademien packten das vormalige Tabu-Thema an.
Aber in den 70-er Jahren, mit den Olympischen Spielen und dem RAF-Terror, kamen die städtischen Saubermänner. Sie wollten Schluss machen mit der „Verwahrlosung“, sie bekämpften die Freudenmädchen und ihre Zuhälter, sie erzwangen eine dirnenfreie City. Darauf ist das offizielle München heute noch stolz. Monopolansprüche auf Lust, Laster, Luden und Luder kann die Stadt der Mönche eh schon lange nicht mehr geltend machen.
Von Ereignissen solcher Art wird in diesem Buch berichtet, nach Zeitungsartikeln, die ich zwischen 1950 und 1995 verfasst habe. Nur wenige Kapitel sind nachträglich rekonstruiert worden. Und damit nicht etwa der Eindruck entsteht, dass es nicht auch früher schon „so zuging“ in München, wurde ein Blick durch das Schlüsselloch der Münchner Sittengeschichte vorangestellt.
Karl Stankiewitz
München im Juni 2007