Buch, Deutsch, 341 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 212 mm, Gewicht: 432 g
Die Grundlagen politischer Gemeinschaft
Buch, Deutsch, 341 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 212 mm, Gewicht: 432 g
ISBN: 978-3-593-38339-2
Verlag: Campus
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Rechtswissenschaften Recht, Rechtswissenschaft Allgemein Rechtsphilosophie, Rechtsethik
- Geisteswissenschaften Philosophie Sozialphilosophie, Politische Philosophie
- Geisteswissenschaften Philosophie Rechtsphilosophie, Rechtsethik
- Rechtswissenschaften Recht, Rechtswissenschaft Allgemein Rechtstheorie, Rechtsmethodik, Rechtsdogmatik, Rechtsprechungslehre
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Politikwissenschaft Allgemein Politische Theorie, Politische Philosophie
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Inhalt
Einleitung
Hubertus Buchstein, Claus Offe, Tine Stein
I. Religion, Moral, Macht: Worauf stützt sich der Geltungsanspruch modernen Rechts?
Beiträge
Auctoritas, non veritas, facit legem?
Hasso Hofmann
Worauf stützt sich der Geltungsanspruch modernen Rechts?
Alfred Rinken
Zur Rechtsbegründung bei Hobbes und Rousseau im Kontext des Verhältnisses von Politik und Religion
Tine Stein
Kommentare
Für Menschengerechtigkeit!
Hans-Peter Schneider
Zwischen Bellizismus und Moralität: Zwei deutsche Modelle der Verfassungsstaatlichkeit
Christoph Möllers
Rechtsnormen und Werte
Ernst Gottfried Mahrenholz
II. Nation-Building and Constitution-Making: Zur Re-Konstruktion des Staates durch Verfassung(sdiskussion)
Beiträge
Skeptischer Verfassungspatriotismus
Petra Dobner
Nation-Building in a Federation: Über die Besonderheiten des "Bundesvolks"
Olivier Beaud
Post Sovereign Constitution Making and Democratic Legitimacy
Andrew Arato
Kommentare
Constitution Making and Nation Building without a Sovereign
Lidija R. Basta Fleiner
Der Bundesstaat: Randerscheinung oder Symptom für die Unzulänglichkeit einer souveränitätsbezogenen Staatstheorie?
Anton R. Greber
III. Die EU - eine politische Gemeinschaft?
Beiträge
Dimensionen eines europäischen Verfassungspatriotismus
Mattias Iser
Sitting on the Edge: Viewing Europe from its Eastern Shore
Faruk Birtek
Kommentare
A Community of Strangers?
Dario Castiglione
Alternative Alteuropa - Offener Verfassungspatriotismus aus pluralistischem Erbe
Otto Kallscheuer
IV. Rekonstruktion oder Dekonstruktion des Westens?
Beiträge
"Rekonstruktion des Westens": Umrisse des Problemfelds
Joscha Schmierer
Rekonstruktion oder Dekonstruktion des "Westens"?
Claus Offe
Kommentare
Konstruktion des Universalismus
Thomas Fleiner
Löst sich der Westen auf?
Michael Zürn 201
V. Die rechtliche Verfasstheit der internationalen Gemeinschaft
Beiträge
Die Reform der Vereinten Nationen
Jürgen Habermas
Sovereign Equality vs Imperial Right
Jean L. Cohen
Kommentare
Die rechtliche Verfasstheit der internationalen Gemeinschaft im Schatten des Hegemons: Brauchen die UN eine neue Verfassung?
Bardo Fassbender
Drei Varianten des Kantschen Projekts einer politisch verfassten Weltgesellschaft
Hubertus Buchstein
VI. Der Wandel der Souveränität und das Verhältnis von Recht und Politik
Beiträge
Souveränität - Überholter Begriff, wandlungsfähiges Konzept oder "born 1576, but still going strong"?
Gunnar F. Schuppert
Gründungsmythos und Autonomie - Aspekte der Souveränität
Matthias Mahlmann
Das Recht der Souveränität und seine Grenzen
Bernd Ladwig
Kommentare
Kosmopolitische Souveränität
Christine Landfried
Souveränität - zur aktuellen Leistungsfähigkeit eines rechtlich-politischen Grundbegriffs
Dieter Grimm
VII. Souveränität, Recht und Politik
Souveränität - Zwischenbemerkungen zu einem Schlüsselbegriff des Politischen
Ulrich K. Preuß.
Autorinnen und Autoren
Einleitung
Hubertus Buchstein, Claus Offe, Tine Stein
Mit Begriffen wie "Transformationen des Staates" oder "Prinzip der offenen Staatlichkeit" wird gegenwärtig in Politik- und Rechtswissenschaft ein Form- und Funktionswandel moderner Staatlichkeit beschrieben, der zu einem neuen Nachdenken über die Zusammenhänge zwingt, die zwischen Souveränität, Recht und Moral einerseits und den Grundlagen politischer Gemeinschaft andererseits bestehen. Mit dem Vokabular traditioneller Souveränitätskonzeptionen lässt sich dieser Wandel nur schwer erfassen; daher wird auch zweifelhaft, ob und wie staatliche Souveränität als Geltungsquelle des Rechts zu betrachten ist. Woher also bezieht das Recht sein Recht? Und welche begrifflichen Operationen sind heute geeignet, den gewandelten Zusammenhang von Souveränität, Recht und Moral mit den Grundlagen politischer Gemeinschaft zu erfassen?
Über diese Fragen gibt es seit einiger Zeit lebhafte Debatten, die jedoch von konvergenten Ergebnissen noch weit entfernt sind; dafür sind die Problemsichten und die vorgeschlagenen Lösungswege zu unterschiedlich. Bemerkenswert an diesen Debatten ist, dass sie interdisziplinär und ausgesprochen offen geführt werden. Das war jedenfalls die Erfahrung der Beteiligten auf dem Symposion "Souveränität - Recht - Moral. Die Staatsgewalt im Zeitalter der offenen Staatlichkeit", das am 14. und 15. April 2005 anlässlich der Verabschiedung von Ulrich K. Preuß an der Freien Universität Berlin stattfand. Dieses Buch dokumentiert die Debatten dieser Tagung. Die Herausgeber haben sich bemüht, den lebhaften diskursiven Charakter des Symposions auch in der Druckfassung zu bewahren. Zu diesem Zweck werden hier die einzelnen Beiträge von einer Auswahl der zugehörigen kritischen Kommentare und alternativen Überlegungen begleitet.
Sechs Themenblöcke markierten den Verlauf der Debatte. Die Beiträge des ersten Blocks mit Beiträgen von Hasso Hofmann, Tine Stein, Alfred Rinken und Kommentierungen von Hans-Peter Schneider, Ernst Gottfried Mahrenholz und Christoph Möllers stellen die grundsätzliche Frage nach den Geltungsquellen des Rechts in modernen pluralistischen Gesellschaften. Der Geltungsanspruch des Rechts erschöpft sich nicht in seiner machtbasierten "Gesatztheit", sondern weist über die Positivität des Rechts hinaus. Dem positiven Recht der Moderne ist eine legitimierende Bezugnahme auf metapositive Gerechtigkeitsnormen wie auf vorstaatliche Menschenrechte eigentümlich. Andererseits gehört es zu den freiheitsverbürgenden Errungenschaften des modernen Verfassungsstaats, Recht und Moral nicht mit-einander kurzzuschließen, vielmehr Legalität von Moralität getrennt zu halten. Welche Rolle spielen universalistische moralische Geltungsgründe dennoch für die Rechtsbegründung in normativ fragmentierten Gesellschaften, und welche Rolle kommt dabei religiösen Begründungsmustern eventuell noch zu? Sind sie stark genug, das Hobbes'sche Programm des neuzeitlichen Staates und des Macht-Positivismus zu konterkarieren, das da lautet: "auctoritas non veritas facit legem"? Inwieweit ist es überhaupt zutreffend, den modernen Staat als Resultat der Säkularisierung zu verstehen?
Im Mittelpunkt des zweiten Themenblocks mit Beiträgen von Petra Dobner, Olivier Beaud und Andrew Arato sowie Kommentaren von Lidija R. Basta Fleiner und Anton Greber steht die Frage nach den unter heutigen Bedingungen angemessenen Prozeduren der Verfassungsgebung. Diese Frage stellt sich nicht nur für post-diktatorische Staaten, sondern auch für suprastaatliche politische Ordnungsgebilde wie die Europäische Union. Das Legitimationsmodell der westlichen Verfassungsstaaten ist bislang von Rekursen auf die Idee eines Kollektivsubjekts, die pouvoir constituant, und auf einen klar benennbaren Gründungsmoment geprägt. Was kann dieses in der Vergangenheit vielfach bewährte Modell in einer Zeit transformierter und offener Staatlichkeit noch bieten? Inwieweit erfordert die transfor-mierte Staatlichkeit bereits auf analytischer Ebene die Berücksichtigung veränderter Konstitutionalisierungsbedingungen? Und welche prozeduralen Möglichkeiten bieten sich dann alternativ für die Verfassungsgebung an? Die Antworten auf die letztgenannte Frage konzentrieren sich vor allem auf Vorschläge, das Konzept des "Bundes" als eine tragfähige Basis für die Verfasstheit von Staaten und supranationalen Quasi-Staaten auszuloten.
Im Rahmen des dritten Themenblocks wird in den Beiträgen von Mattias Iser und Faruk Birtek sowie den Kommentierungen von Dario Castiglione und Otto Kallscheuer die Frage diskutiert, inwieweit die Europäische Union den Status einer politischen Gemeinschaft reklamieren kann und soll. Woran könnte eine europäische politische Gemeinschaftsbildung ihren Halt finden? Wie weit soll eine europäische Solidaritätszumutung gehen? Ist das Modell des Verfassungsvertrags für Europa überhaupt angemessen, und wie aussichtsreich lässt sich das Konzept des "Verfassungspatriotismus" auf die Ebene der EU übertragen?
Mit den beiden folgenden Diskussionsblöcken wird der bisherige Fra-gehorizont auf das Verhältnis zwischen rechtlicher und politischer Ordnung in der internationalen Gemeinschaft ausgeweitet. Die vierte Abteilung geht mit ihren Beiträgen von Joscha Schmierer und Claus Offe sowie den Kommentaren von Thomas Fleiner und Michael Zürn der Frage nach, ob der "Westen" als Wertegemeinschaft und als eine aktionsfähige Bündnisstruktur auch nach den politisch-militärischen Reaktionen der USA auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 noch existent ist. Inwieweit sind die USA und das "alte Europa" seit dem Irakkrieg auseinandergedriftet, und wie sind die Chancen einer neuerlichen Annäherung einzuschätzen? Sind die Ursachen für die derzeitigen Irritationen auf beiden Seiten des Atlantiks tatsächlich in momentanen Verstimmungen über den angemessenen Weg der Terrorbekämpfung zu suchen oder kommen darin nachhaltige Wert- und Interessendivergenzen zum Ausdruck?
Die Debatte im fünften Themenblock schließt insofern an diese Proble-matik an, als Jürgen Habermas und Jean Cohen in ihren Symposionsbeiträ-gen sowie Bardo Fassbender und Hubertus Buchstein in ihren Kommenta-ren nach einem angemessenen Paradigma für die rechtliche Verfassung der in-ternationalen Gemeinschaft fragen. Wie sind vor dem Hintergrund unipolarer Machtverhältnisse die gegenwärtigen Reformversuche der Vereinten Nati-onen einzuordnen und zu bewerten? Benötigen die Vereinten Nationen längerfristig eine neue Verfassung im umfassenden Sinn des Wortes und an was für einem Modell soll sich ein solches Vorhaben im positiven Falle
orientieren? Oder ist es nicht nur aus pragmatischer, sondern auch aus nor-mativer Sicht attraktiver, die souveränen Rechte von Einzelstaaten im Kontext der internationalen Staatengemeinschaft zu stärken?
Die Beiträge und Kommentare im sechsten Themenblock von Gunnar F. Schuppert, Matthias Mahlmann, Bernd Ladwig, Christine Landfried und Dieter Grimm nehmen diese Diskussion dadurch auf, als sie den Wandel der Souveränität explizit zum Thema machen. Woran lässt sich auf empirischer Ebene überhaupt ein Wandel von Souveränität konkret festmachen? Was folgt normativ aus der Diagnose solcher Wandlungsprozesse? Kann das Souveränitätskonzept für heutige politische Bedürfnisse reformuliert werden oder ist es als obsolet anzusehen? Und inwieweit sind die unterschiedlichen disziplinären Perspektiven von Rechts- und Politikwissenschaft für die Wahrnehmungs- und Bewertungsdivergenzen in der Souveränitätsfrage verantwortlich? Die Beiträge zeichnen das Souveränitätskonzept begriffsgeschichtlich nach und warten mit unterschiedlichen konzeptionellen Kon-sequenzen für den heutigen Kontext auf.
Der Band endet mit zuspitzenden Überlegungen von Ulrich K. Preuß über die Souveränität als einem Schlüsselbegriff des Politischen. Preuß beschreibt in diesem Aufsatz, der auf seine Abschiedsvorlesung an der Freien Universität Berlin zurückgeht, den grundlegenden Wandel heutiger Staatlichkeit in der globalisierten Welt. Er deutet ihn freilich nicht als Souveränitätsverfall, sondern als einen neuerlichen Formwandel von Souveränität. Souveränität wird von ihm als ein Modus der Integration einer politischen Gemeinschaft begriffen, deren Zweck es ist, die Existenz ihrer Mitglieder und deren Integrität als freie und gleiche Bürger zu schützen. Ein solches Verständnis von Souveränität eröffnet zugleich verblüffende Perspektiven auf das Verhältnis der Staaten zueinander. Galt die Souveränität in Bezug auf das Außenverhältnis eines Staates vormals als undurchdringlicher Schutz-panzer, der ihn vor dem Zugriff anderer Staaten bewahren sollte, tendiert die heutige Entwicklung nach Preuß' Diagnose dahin, den völkerrechtlichen Status eines Staates und dessen Anerkennung seitens der internationalen Gemeinschaft von seiner inneren Qualität abhängig zu machen.
Auch wenn viele der soeben resümierten Leitfragen von dem international, interdisziplinär und intergenerationell zusammengesetzten Kreis der Autoren unterschiedlich beantwortet werden - so gab es bei allen Differenzen im argumentativen Austausch einen zentralen Integrationsfaktor, der einen gemeinsamen Horizont für die Diskussion des Symposions bildete. Abgesteckt wurde dieser verbindende Hintergrund durch das wissenschaftliche Werk von Ulrich K. Preuß, dessen Ausscheiden als Professor für Öffentliches Recht und Politik am Otto-Suhr-Institut der Freien Uni-versität Berlin im Sommersemester 2005 den formellen Anlass für das Symposion gab. Viele Arbeiten der anlassgebenden Person, auf die sich die Autoren in diesem Band immer wieder beziehen, sind sowohl für den Zusammenhang wie für die Unterscheidung von Recht und Politik einschlägig: seien es sein Plädoyer für eine radikale Hochschulreform in den sechziger Jahren, seine Thesen zu den Grenzen von Pluralismus und Wissenschaftsfreiheit, seine provozierende Neuinterpretation des Status subjektiver Rechte und seine kritische Auseinandersetzung mit der Politischen Justiz in der Bundesrepublik der siebziger Jahren, seien es seine Überlegungen zum Verhältnis von Legalität und Legitimität, seine ideengeschichtlich an-gereicherten Studien zum Status und Selbstverständnis des Bürgers im modernen Verfassungsstaat und den Grenzen der Staatsloyalität oder seine Überlegungen zu den rechtstheoretischen Konsequenzen aus dem Aufkommen der Ökologieproblematik und neuen gesellschaftlichen Risiken in den achtziger Jahren; seien es schließlich seine Analysen zum Begriff der Verfassung und zur Bedeutung verfassungsgebender Prozesse in den neunziger Jahren, seine Überlegungen zum politischen und rechtlichen Charakter der europäischen Integration oder jüngst seine kritischen Analysen des Verhältnisses von politischer Macht und ihrer rechtlichen Hegung in der Sphäre der Internationalen Beziehungen. Diese Liste enthält nur einige der wichtigsten Themen, die von Ulrich K. Preuß in den letzten fünf Dekaden bearbeitet worden sind. Dass seine Themenauswahl dabei durchaus auch der jeweils aktuellen politischen Agenda zu folgen scheint, macht nicht zuletzt den Reiz einer neuerlichen Lektüre auch seiner älteren Arbeiten aus. In all diesen Arbeiten dokumentieren sich nicht nur eine selten gewordene intellektuelle Souveränität (wenn die Vokabel in diesem Zusammenhang erlaubt ist) und eine disziplinäre Perspektivenverschränkung von Rechts- und Politikwissenschaft, sondern auch das Engagement eines Stellung nehmenden Zeitgenossen, der mit der dem Juristen eigenen begrifflichen Schärfe und mit politikwissenschaftlichem Gespür für die hinter den Rechtsnormen wirksamen politischen Prozesse die Probleme der Zeit analysiert, bewertet und mit wissenschaftlich begründeten Veränderungsvorschlägen konfrontiert - civis simul et homo litteratus.