Stickelbroeck Auf die harte Tour
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-95441-110-8
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman aus Düsseldorf
E-Book, Deutsch, Band 4, 268 Seiten
Reihe: Privatdetektiv Hartmann
ISBN: 978-3-95441-110-8
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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2. Tag
Hartmann schlief lange, fest und traumlos. Schon zehn Uhr, mahnte ihn der Wecker. Nach einer ausgiebigen Dusche und der längst fälligen Rasur entdeckte Hartmann die beiden Nachrichten, die seine Telefonanlage aufgezeichnet hatte. Die Anlage war ein schickes, modernes Teil, das sein Kumpel Angie so dermaßen günstig hatte besorgen können, dass Hartmann sicherheitshalber schnell die Gerätenummer rausgekratzt hatte. Das Teil konnte außer bügeln eigentlich alles. Jetzt tat eine kleine, rote Leuchte neben der Tastatur das, wozu ein geschickter Handwerker sie seinerzeit eingebaut hatte. Sie leuchtete rot. Hartmann drückte eine Taste und erlauschte Rauschen, keine Nachricht. Der Teilnehmer hatte beide Male das Band nicht besprochen. Er blieb anonym, denn er hatte mit unterdrückter Nummer angerufen. Und das, wie eine weitere Zahlenreihe im Display angab, bereits gestern am frühen Abend. Gestern hatte Hartmann für die Anlage kein Auge gehabt. Er seufzte. Wenn es wichtig war, würde der Anrufer noch mal anrufen. Er konnte ja nicht ahnen, dass das so nicht ganz richtig war … »Frühstück«, murmelte Hartmann, rieb sich den Bauch, verließ die Wohnung und eilte die Stufen nach unten. Er trat vor die Haustür. Klasse Wetter. Links rum ging es sofort in Renates Brötchenbude. »Guten Morgen, Christian. Gut siehst du auch.« »Morgen Renate. Was so eine Dusche rausholt! Ich nehme ein halbes Brötchen mit Dieda und ein halbes mit Dadie«, sagte er und deutete in Renates Auslage. Also, in die der Theke. Wobei auch Renates persönliche Auslage sensationell und der Grund dafür war, warum die Kundschaft in ihrer kleinen Brötchenschmiede gegenüber dem Hauptbahnhof überwiegend männlich war. »BecherKaffeemitMilchdazuwieimmer?« »Japp.« »Bring ich dir rüber. Der Tisch neben Noah ist noch frei.« »Noah?«, fragte Hartmann. »Der kleine Süße da. Ich komm gleich!« Hartmann folgte Renates Kopfnicken. Noah war ein Hund. Ja. Zweifellos. Wenn man ganz genau hinschaute. Genau genommen war Noah ein Hund, den die Natur aus mindestens sechs verschiedenen Rassen genetisch zusammengesetzt hatte. Vielleicht war auch noch ein bisschen Zebra mit drin. Das ungewöhnliche, kniehohe Felltier war an einer Sitzbank angeleint, starrte ihn aus … eins … zwei Augen an und wedelte freundlich mit einer Art Schwanz. »Morgen, Noah«, sagte Hartmann höflich, der es mit Hunden nicht so hatte. Hunde rissen Postboten vom Rad, bissen ihnen ein Bein ab oder schüttelten sie zu Tode. Hatte er gehört. Hartmann kannte einen Postboten, der ihm optisch gar nicht so unähnlich war. Wenn jetzt also ein Hund mit Sehschwäche … und schwups, hatte er so ein fieses Gebiss im Fleisch. Also aufpassen! Am Stehtisch neben Hartmann nörgelten sich zwei Rentner durch den Vormittag. »Der Juni is auch nich mehr datt, watt er mal war!« »Liegt an Ozon.« »Stimmt. Ich sach dir, der Kerl is genauso kriminell wie alle anderen da oben!« »Jau!« Einer der beiden klappte sein belegtes Brötchen auseinander und verzog das Gesicht. »Früher war mehr Salami aufm Brötchen.« »Sei froh! Da is sowieso nur Dreck im Lebensmittel!« Hartmann hörte weg und zuckte zusammen. Der Kaffee war fertig. »Der Noah tut nix«, flötete Renate, deutete auf den Hund und knallte Hartmanns Becher auf den Stehtisch. »Danke. Seit wann hast du einen Hund?« »Den hat meine jüngste Tochter, die Sara-Jacqueline, aus Spanien mitgebracht. Stell dir vor, da laufen die armen Tiere einfach so rum. Der Noah ist ein ganz lieber. Nicht wahr, Noah, mon cher?« Hartmann runzelte die Stirn. »Mon cher?« »Er kommt doch aus Spanien«, erklärte Renate. »Und spricht kein deutsch. Deshalb red ich immer französisch mit ihm. Nespa?« Noah wedelte mit seinem Schwanzdings. Hartmann nickte. »Klar.« »Spanisch und Französisch ist ja quasi dasselbe«, erklärte Renate. »Richtig«, pflichtete Hartmann ihr bei und nippte am Kaffee. »Oft sagt man zu Spanien ja auch Südfrankreich. Ich wusste gar nicht, dass du Französisch sprichst.« »Ach, nur ein wenig. Da lag ein altes Wörterbuch bei mir rum. Für den kleinen Noah reicht es.« Renate entschwand, um die Brötchenhälften zu holen. Hartmann warf einen schnellen Blick in die Tageszeitung, die aufgeschlagen auf dem Bistrotisch reißerisch das Neuste verkündete. Teile einer Weltraumstation rasten auf die Erde zu. Ein Einschlag in Köln wurde nicht ausgeschlossen. Die Rolling Stones kündigten eine Abschiedstournee an, ein blondes Hollywoodsternchen, von dem Hartmann noch nie gehört hatte, war mit Zwillingen schwanger. In Italien wurde gemutmaßt, dass Silvio Berlusconi Staatsanleihen missbraucht hatte, um im großen Stil Viagra zu kaufen. Auch Düsseldorf hatte Schlagzeilen zu bieten. In einem Hinterhof in Düsseldorf-Lierenfeld hatte man eine Frau erschossen aufgefunden, in der Potsdamer Straße hatte es wieder gebrannt und auf der Corneliusstraße hatten Randalierer ein Auto auf die Fahrbahn gerollt. Und dort liegen gelassen. Mit der Unterseite nach oben. Er nippte am Kaffee. »Bitte, Christian. Und?« »Was?« »Ist der Noah nicht ein braves Kerlchen?« »Ist es denn ein Männchen?« Renate blinzelte. »Ja sicher. Er hat einen …« »Ja, schon. Aber in der Tierwelt werden seltsame Wege beschritten.« Hartmann biss in das Leberwurstbrötchen. »Ach?«, fragte Renate. »Ja. Schnecken sind zum Beispiel Zwitter. Und Sandbarsche können ihr Geschlecht wechseln. Die gemeinen Zweifingeraffen auf den Galapagosinseln sind fast alle homosexuell.« »Nein!« »Doch. Und kommen super klar! Es gibt kaum Frauen auf den Galapagosinseln.« »Ja, dann … Für mich wäre das nichts«, entschied Renate. »Zweifingeraffen sind nicht jedermanns Sache«, zeigte Hartmann Verständnis und biss ins Brötchen. »Die haben in Spanien so viele Hunde«, erklärte Renate. »Die waren alle richtig froh, als Sara-Jacqueline drei im Kofferraum rausgeschmuggelt hat.« »Rausgeschmuggelt? Im Kofferraum?« Jetzt war Hartmann aber doch ein bisschen entsetzt. »Ja, die Hunde kommen von überall her nach Spanien und vermehren sich da wie verrückt. Ist ja auch ein angenehmes Klima. Immer so schön warm. Dann die malerischen Strände, die herrlichen Sonnenuntergänge.« Sie zog die Augenbrauen böse zusammen. »Viele Hunde werden dort auch einfach so ausgesetzt und streunen herrenlos durch die Straßen. Das finden die Einheimischen nicht so gut.« Hartmann nickte. »Das ist wie damals mit den Portugiesen.« Renate blickte ihn fragend an. »Die waren ja auch nicht immer da«, erläuterte Hartmann. »Kamen ins Land, sind geblieben und haben Portugal gegründet. Das finden auch nicht alle Spanier toll.« Renate nickte. »Ich kenne mich mit Geschichte nicht so aus.« »Wieso heißt der Hund eigentlich Noah?«, fragte Hartmann. »Ach, das war früher mein Lieblingsmärchen. Noah im Walfisch. Spannend. Und so dramatisch. Wenn die Seeleute den kleinen Jungen während des Sturms ins Wasser werfen, der Wal ihn gierig mit seinem großen Maul verschluckt und er dort im Dunkeln sitzt und ängstlich betet. Und der Wal ihn nach drei Tagen und drei Nächten ans Land spuckt. Das war super!« Hartmann versenkte den letzten Bissen im Mund. »Hieß der nicht Jonas?« »Wer? Der Wal?« »Schon gut. Wart ihr mit eurem … Hund schon mal beim Tierarzt?« »Noah ist doch kerngesund. Guck mal, wie der guckt!« »Ja. Ich dachte so …« »Hansischatz hat auch so geunkt, aber ich sag: Guck einem Tier in die Augen und du siehst, ob es gesund ist. Hab ich gemacht. Sieht gut aus.« Hartmann nickte, zuppelte einen Fünfeuroschein aus dem Portemonnaie und war der Meinung, dass ein Blick nicht nur in die Augen, sondern ins struppige Fell des kleinen Südfranzosen sicher auch sinnvoll gewesen wäre. Aber das war das Problem von Renate. Und von...