Stickelbroeck Kalte Blicke
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-95441-087-3
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman aus Düsseldorf
E-Book, Deutsch, Band 2, 295 Seiten
Reihe: Privatdetektiv Hartmann
ISBN: 978-3-95441-087-3
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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1. Kapitel
Hartmann seufzte, senkte die unabhängige, überparteiliche Tageszeitung und schüttelte genervt den Kopf. Katastrophen, Katastrophen, Katastrophen. Alleine auf der ersten Seite des Blatts hatten sich fünf fanatische Selbstmordattentäter quer über die Welt verteilt in die Luft gejagt. Dazu kamen die Horrormeldungen zur fürchterlichen Klimasituation und die Nachricht, dass das Heizöl noch teurer werden sollte. Okay. Das war jetzt, Anfang September, nicht ganz so schlimm, aber Hartmann fragte sich, ob so eine furchtbare Nachrichtenlage nicht für den ganzen Tag ein schlechtes Omen sein musste. Er knisterte sich weiter auf die dritte Seite. Hamster frisst Ohrläppchen. Fett gedruckt und rot unterstrichen. Hartmann murmelte kopfschüttelnd: »London: July (23) fiel frühmorgens nach durchfeierter Nacht ins Bett. Als sie aufwachte, schmerzte ihr Ohr. Es dauerte eine Weile, da bemerkte sie, dass ihr linkes Ohrläppchen fehlte. Auf ihrer blutüberströmten Bettdecke saß ihr Hamster Harry ... Meine Güte!« Hartmann flüchtete hastig in den Sportteil. Dann doch lieber die neuesten Weisheiten von Oliver Kahn, der sich zum Ende seiner großartigen Torwartkarriere bei Bayern München nahezu täglich zu allen Themen der wilden Fußballerwelt äußerte. Sollte er doch. Gerne auch in Großbuchstaben und rot unterstrichen. Hauptsache ohne Blut. »Morgen, Hartmann!« Nicole stieß die Tür zu Hartmanns Büro auf. Der zuckte zusammen und verraschelte erschreckt die Zeitung. Nicole trug einen dunkelblauen Seidenkimono, der mit glitzernden, goldfarbenen Monden und Sternchen bedruckt war. Er war zwei Nummern zu klein, und deshalb war der dünne, ebenfalls dunkelblaue Gürtel, der vorne alles zusammenhalten sollte – und das war bei Nicole eine Menge –, hoffnungslos überfordert. An ihren Füßen trug sie farblich perfekt abgestimmte, halboffene Fransenschlüffchen mit Bommel. »Morgen, Nicole, schicke Schuhe.« »Ja? Findest du?« Sie glitt an Hartmanns Bürotisch, grinste kurz und zog ihre Augenbrauen zusammen. »Ich habe einen Job für dich.« »Oha«, kombinierte Hartmann scharf und knisterte die Zeitung zusammen. »Suchst du den Dieb deines BHs?« Nicole verdrehte die Augen und zupfte den Kimono vorne enger zusammen, der daraufhin allerdings unten ein wenig knapp wurde. »Ich bin bei der Arbeit und da trage ich keinen BH, weißt du doch.« Hartmann nickte, stand auf und ging rüber an den Kaffeeautomaten. Nicole betrieb zusammen mit ihrer schwarzhaarigen Freundin Petra in der Etage unter ihm einen kleinen, feinen Herrensalon. Medizinische Entspannungsmassagen. Wenig Medizin, viel Entspannung. Wurde gesagt! Hartmann selbst hatte ihre Dienste noch nicht in Anspruch genommen. Kein Sex mit Nachbarn! Gibt nur Ärger. »Auch einen Kaffee?« »Nee, danke, aber hast du vielleicht ein Glas Wasser für mich? Ich hatte da gerade einen Kunden und hab jetzt einen ganz komischen Geschmack im ...« »Klar hab ich Wasser«, unterbrach Hartmann hastig. Nie mehr Informationen als unbedingt nötig! Noch so eine Regel. Er glitt ins Nebenzimmer an die kleine Küchenzeile, riss den dicken Weißen auf und wurde links in der Ablage fündig. Glas, so, fertig. Hartmann ging zurück, klemmte sich wieder hinter den Schreibtisch und nippte am weißen Kaffeebecher mit rotem Fortuna-Emblem. Nicoles Blick fiel auf das blaue Trikot der italienischen Fußballnationalmannschaft mit der Nummer 10, das über dem Sofa an der Wand hing. »Wo ist eigentlich deine Freundin? Die hab ich seit ein paar Tagen nicht mehr gesehen.« »Gina ist für ein paar Wochen bei ihren Eltern in Italien. Ein paar Dinge regeln.« »Ach?«, fragte Nicole interessiert. »Ja, genau. Was soll ich also für dich tun?« »Nichts. Ich meine, nichts für mich. Du weißt doch, dass ich gelernte Friseurin bin und nebenbei noch ein bisschen Haare schneide. Also, nebenbei von dem, was ich sonst noch so nebenbei mache.« Hartmann nickte. Diese Dienste hatte er schon mal in Anspruch genommen, nachdem es bei einem seiner letzten Fälle unglückliche Umstände dringend erforderlich gemacht hatten, sein Äußeres schnell und drastisch zu verändern. Nicole hatte ihm eine Glatze geschnitten oder rasiert oder wie man das auch immer nannte. Jedenfalls hatte er nachher keine Haare mehr auf dem Kopf gehabt. »Auf jeden Fall schneide ich auch der Anke Fehringer die Haare. Kennst du die? Nicht? Mit der habe ich mal eine Zeitlang zusammengearbeitet, in Frankfurt, ist ewig her. Die macht aber schon lange nichts mehr, du weißt schon.« Aha. Hartmann nippte am Kaffee und schielte nach rechts in seine Zeitung. Die Nürnberger hatten Hans Meyer entlassen. Hm, wenn das mal kein grober Fehler war. Einen besseren als den lustigen Grantler aus Leipzig würden die nicht bekommen. Und in die zweite Bundesliga ging es für den Club sowieso. »Hör mir zu, und lies nicht, wenn ich mit dir rede«, ermahnte ihn Nicole. Hartmann zuckte zusammen und schlabberte Kaffee über den Sportteil. »‘tschuldigung, war nur der Hans Meyer.« »Also: Ich hab ihr mal erzählt, dass ich einen Nachbarn habe, der Privatdetektiv ist, und gestern hat sie mich gefragt, ob du ihr bei einer Überwachungssache helfen würdest. Für Geld natürlich.« Oha. Einen Job konnte Hartmann tatsächlich ganz gut gebrauchen. Seine Auftragslage in den letzten Wochen war nämlich mehr als übersichtlich gewesen. Man hatte ihm nicht nur die Bude nicht eingerannt, keine Sau hatte sich in sein Büro verirrt. »Zeit hätte ich schon. Um was geht es denn genau?« Nicole grinste zufrieden. »Prima! Ich habe ihr schon fast fest zugesagt, weil ich ja mitgekriegt habe, dass bei dir seit ein paar Wochen nichts los ist. Keine Ahnung, um was es geht. Ich ruf sie an, und sie ruft dich an. So richtig wollte sie mir gegenüber mit der Sache nicht raus. Muss ja auch nicht. Du bist schließlich der Detektiv!« »Genau! Ich bin der Detektiv: Ermittlungen aller Art, und bei mir ist immer was los. Übrigens: Dein Kimono steht offen.« Sie grinste ihn an. »Das macht dich nervös?« »Vor dem Frühstück schon«, grinste Hartmann zurück. Nicole warf lachend den Kopf nach hinten. Ein zum Kimono passender Halbmond in ihrem linken Ohr baumelte heftig vor und zurück. »Du hast keinen Hamster, oder?« Nicole blinzelte. »Hä?« »Wäre echt schade. Du hast hübsche Ohren, du weißt schon ... äh, die am Kopf. Okay, die Anke soll sich melden, ich bin bereit.« Nicole beugte sich über den Tisch. »Bereit? Na ja, das wäre ja mal was, wenn du endlich mal bereit und nicht so fürchterlich verklemmt wärst.« »Ich bin nicht verklemmt. Ich bin dein Nachbar.« »Aha, das erklärt natürlich alles«, schmollte Nicole, warf ihre lange, blonde Mähne in den Nacken und brachte den Halbmond wieder zum Wippen. Hartmann wischte beim Aufstehen die Zeitung mit all ihren Hamstern, Klimakatastrophen und Kahns vom Schreibtisch. Das Blatt segelte vor Nicole zu Boden. »Hab schon«, flötete sie, beugte sich blitzschnell nach vorne und fing das Blatt auf. Wobei allerdings der dunkelblaue Gürtel mit einem Ruck nunmehr gänzlich seinen Dienst auf- und einiges an Sehenswertem freigab. Nicole trug auch unten herum Berufskleidung. Hartmann verschlug es die Sprache. Seiner Nachbarin aus der Etage direkt über ihm, der über achtzigjährigen Heidi Grütesaaper, verschlug es sie allerdings nicht. »Guten Morgen, zusammen! Ich störe ungern, aber die Tür stand offen.« Hartmann zuckte zusammen und verschlabberte den letzten Rest Kaffee. Nicole versuchte hastig zusammenzuraffen, was sich nicht zusammenraffen ließ. »Frau, äh ... Guten Morgen, auch«, stotterte Hartmann. »Hallo! Ich bin auch schon wieder weg«, flötete Nicole und reckte Hartmann beim Rausgehen einen aufgestreckten Daumen entgegen. »Super, Hartmann!« Heidi Grütesaaper zog eine Augenbraue hoch. Hinter ihrer kleinen Lesebrille blinzelte es heftig. Mit dann aber wieder ausdruckslosem Gesicht fragte sie: »Super, Hartmann?« »Äh, ja. Ich helfe ihr bei einem Job.« »Aha. Bei einem ihrer Jobs oder bei einem Ihrer Jobs?« Hartmann strich sich eine Strähne hinters Ohr. Heidi winkte ab. »Ist ja auch egal, geht mich...