Strobel / Kutscher / Godazgar Sexy.Hölle.Hellweg
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-89425-165-9
Verlag: GRAFIT
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mord am Hellweg VII
E-Book, Deutsch, Band 7, 314 Seiten
Reihe: Mord am Hellweg
ISBN: 978-3-89425-165-9
Verlag: GRAFIT
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Einzigartig unartig - 21 Autor(inn)en entdecken die verruchte Seite des Hellwegs.
Zum siebten Mal beweisen 21 renommierte Krimiautor(inn)en, dass die Region entlang des westfälischen Hellwegs alles ist - außer brav. Was in diesem Jahr aus Bordellen, Ehebetten, Lasterhöhlen und vom Straßenstrich zusammengetragen wird, war noch nie so verrucht und mörderisch zugleich.
Lassen Sie sich anmachen von: Marc-Oliver Bischoff (Lünen), Martin Calsow (Oelde), Osman Engin (Ahlen), Lucie Flebbe (Holzwickede), Peter Gerdes (Wickede), Nina George (Hamm), Peter Godazgar (Bergkamen), Andreas Gruber (Hagen), Thomas Hoeps und Jac. Toes (Bad Sassendorf), Ralf Kramp (Kreis Unna), die Krimi-Cops (Bönen), Martin Krist (Dortmund), Tatjana Kruse (Hellweg Crime Express), Volker Kutscher (Gelsenkirchen), Sandra Lüpkes (Schwerte), Beate Maxian (Herdecke), Ingrid Noll (Stadt Unna), Jutta Profijt (Soest), Arno Strobel (Kamen), Sabine Trinkaus (Fröndenberg) und Gabriella Wollenhaupt (Lüdenscheid).
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Ingrid Noll Der Unhold von Unna Wenn man mir vorwirft, ein Psychopath zu sein und an einem Mangel an Empathie zu leiden, dann lächle ich nur amüsiert und sage: »Sehr witzig!« Denn einmal im Leben habe ich ja geliebt, und genau das führte zur Katastrophe. Im Volksmund zitiert man ja gern Klischees – Verbrecher sollen zum Beispiel häufig an den Tatort zurückkehren. Mein Verhalten zeigt eher, dass sie besser beraten sind, wenn sie das Gegenteil tun. Dass ich Dortmund verließ, hatte seine Gründe, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte. Sagen wir, dass es mir zu eng geworden war zwischen Phoenixsee und Reinoldiplatz. Die Abschaffung des Straßenstrichs tat ein Übriges dazu, dass ich mir einen neuen Lebens- und Wirkungsort suchte. Unna erschien mir als eine gute Wahl – nicht zu nah an meinem letzten Tatort, aber auch in ausreichender Entfernung, um nicht unmittelbar ins Visier polizeilichen Interesses zu geraten. Mit meiner Ausbildung bekam ich leicht eine Stelle im Bereich Restmüllbehältervolumenminderung bei den Stadtbetrieben und fand eine schiefe, viel zu teure Wohnung in einem Fachwerkhaus des Nicolaiviertels. Dort lebte ich unauffällig und von meinen Nachbarn durchaus respektiert. Erst einige Jahre nach meinem Umzug habe ich zwei miteinander befreundete Flittchen liquidieren müssen, um die es nicht weiter schade war. Beide besserten sich ihr Taschengeld mit gelegentlicher Prostitution auf. Die Erste hatte sich mir gegenüber frech und aufsässig benommen, ja mich mehrfach lächerlich gemacht. Derartige Kränkungen kann ich nun einmal nicht ertragen. Die Zweite war mir kurz darauf auf die Schliche gekommen und versuchte, mich zu erpressen. Aufgrund meiner Kenntnisse in der Restmüllbeseitigung kannte ich die Probleme bei der Entsorgung eines ausgewachsenen Menschen. Deswegen schritt ich in beiden Fällen im Freien zur Tat, im Stadtgarten am Ostring. Dem Kalender und dem Wetterbericht konnte ich entnehmen, wann Neumond war und es nasskalt sein würde. In solch ungemütlichen Nächten trieben sich nicht einmal mehr die Trinker im Stadtgarten herum, obwohl sie von der Polizei beim Fund der Leiche zuerst ins Visier genommen wurden. Ich hatte alles perfekt geplant, trug Einweghandschuhe und hinterließ zur Irreführung leere Schnapsflaschen mit fremder DNA, die ich aus einem Altglascontainer gefischt hatte. Es war nicht sonderlich schwer, die beiden Schnepfen in den finsteren Park zu locken, ich brauchte nur mit einer geheimnisvollen Offerte an ihre Geldgier zu appellieren und sie wären mir in die Hölle gefolgt. Meine Wortwahl ist durchaus kein Zufall, denn der Hellweg ist ja bekanntlich ein Weg zur Hölle. Es klappte bei beiden Damen alles wie geschmiert, ich vergaß hinterher auch nie, mein blutiges Messer in Alufolie einzuschlagen. Falls es unfreiwillige Zeugen gegeben hätte, wäre es dann eben zu einem Kollateralschaden gekommen. Nach dem Fund der zweiten Leiche las ich in der WAZ: Der Schlächter von Unna hat wieder zugeschlagen. In anderen Zeitungen war von einem Monster, einer Bestie, einem Teufel oder Unmenschen die Rede, Begriffe, die auf mich wahrhaftig nicht zutreffen. Die Ängste der Frauen, die sich nachts nicht mehr auf die Straße trauten, wurden von einer Boulevardzeitung kräftig geschürt. Da titelte doch einer der Schreiberlinge: Er schleicht durchs Gebüsch, er ist schon ganz nah – der Unhold von Unna ist wieder da! Die allgemeine Aufmerksamkeit schmeichelte mir durchaus, denn man hatte es mir nicht an der Wiege gesungen, dass ich einmal so berühmt würde. Die Wortwahl hingegen irritierte mich. Ich und ein Unhold! War mein dickbäuchiger, raffsüchtiger Vermieter vielleicht ein Hold? Die Zeitungsfritzen schrieben hier doch über Dinge, von denen sie so viel verstanden wie ein Kalb von der Milchstraße. Hin und wieder fragten mich Kollegen bei den Stadtbetrieben, warum ich mit fast vierzig Jahren noch nicht verheiratet war. Den Ratschlag meines Vaters, an den ich mich gehalten hatte, zitierte ich lieber nicht: »Junge, mach nicht den gleichen Fehler wie ich! Man sollte keine Kuh kaufen, wenn man bloß ein Glas Milch trinken will!« Ich habe seinen etwas altmodischen Spruch inzwischen für mich etwas modernisiert und sage: »Wenn man eine Steckdose sucht, muss man sich nicht gleich ein Haus bauen.« Mein Vater ist mir immer ein Vorbild gewesen. Auch wenn er mich manchmal zur Gaudi meiner gehässigen Mutter versohlte, glaube ich nach wie vor, dass es zu meinem Besten geschah. Schließlich habe ich sowohl das Abitur bestanden als auch die Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten in der Entsorgungswirtschaft. Man schickte mich sogar für ein halbes Jahr in Unnas Partnerstadt Palaiseau, wo ich leidlich Französisch gelernt habe. Auf die indiskreten Fragen meiner Kollegen habe ich stets ausweichend geantwortet: Die Richtige sei mir noch nicht über den Weg gelaufen. Was ja auch stimmte, denn alle bisherigen Versuche waren Missgriffe gewesen. Die es verdient hatten, dass man sie aus dem Weg räumte. Als ich Mona kennenlernte, war auf einmal alles anders. Sie war keine dumme Kuh wie meine Mutter, keine Nutte wie meine Bekanntschaften aus der Dortmunder Linienstraße, sondern eine selbstbewusste Abiturientin, die sich etwas Geld als Aushilfe im café im zib verdiente. Außer mir verbrachten dort noch einige andere aus unseren Büros ihre Mittagspause. Natürlich interessierten sich auch meine Kollegen für die hübsche Neue, was sie umso begehrenswerter für mich machte. Mit ihr konnte ich mir zum ersten Mal eine Partnerschaft vorstellen. Ja, ich gebe es zu, ich wollte sie haben, und zwar mit Haut und Haaren. Mona sah so aus, wie ich mir ein modernes Schneewittchen vorstellte: schwarze Locken, heller Teint, unglaublich blaue Augen. Sie betonte ihren Typ durch weißes Make-up, schwarz lackierte Fingernägel, Piercings in Nase und Mundwinkel und durch ein paar tätowierte Rosen, die sich aus dem Ausschnitt rankten. Mit dem Körperschmuck konnte ich nicht viel anfangen, aber es gefiel mir ungemein, dass sie stets hohe Lackstiefel und enge schwarze Lederhosen trug. Ein bisschen erinnerte ihr Auftritt an die Mode der Gothics, belehrte mich Frau Hartmann, eine klatschsüchtige, bestimmt auch neidische Kollegin. Ignoranten sagen mir zwar einen Mangel an Humor nach, aber Mona fand es drollig, als ich sie mit Blanche-Neige ansprach. »Wahnsinn! Du scheinst dich von meinen bisherigen Fans absetzen zu wollen«, sagte sie. »Denen fällt nichts anderes ein, als mich ›Mona Lisa‹ oder ›Desde-Mona‹ zu nennen!« Endlich lernte ich eine Frau kennen, die eine Antenne für meinen hohen Bildungsgrad und meinen Charme hatte. Mehr als einmal stellte ich mir vor, wie ich Mona auf mein Sofa betten und ihr langsam die hohen Stiefel und dann alles andere ausziehen würde. Leider blieb es nur bei sexuellen Fantasien, denn es fiel mir seltsamerweise schwer, ihr meine Gefühle anzudeuten. Doch ich wusste durchaus, dass ich mich beeilen musste, denn die Konkurrenz schlief nicht. Schnell hatte ich in Erfahrung gebracht, wann sich Mona mit Gleichgesinnten vorm zib zum Rauchen traf. Obwohl ich den Qualm verabscheute, hatte ich Zigaretten gekauft und konnte so tun, als ob ich zufällig auch eine mittägliche Pause einlegen wollte. Beim zweiten Treffen zeigte sie sich erfreut, weil ich dieselbe Marke rauchte wie sie selbst. Es war allerdings kein Zufall, dass sie ihre eigenen Sargnägel nicht in ihrem Täschchen fand. Fünf Raucher standen qualmend – und ich hüstelnd – im Kreis herum, als einer der Kollegen Mona anzüglich beäugte und bemerkte, er habe sie schon mehrmals auf dem Westfriedhof gesichtet. Ob sie vielleicht eine Liaison mit einem Vampir habe? »Bist du endlich auch mal aus deiner Gruft gekrochen, Dracula?«, antwortete sie schlagfertig. »Eigentlich bist du doch in deiner miefigen Kammer am besten aufgehoben!« Diesen Typen hatte sie bereits dreimal abblitzen lassen, ich witterte meine Chance. Schon mehrmals hatte Mona betont, dass sie sich am liebsten an der frischen Luft bewegte, also verabredeten wir uns zu einem Spaziergang. Natürlich achtete ich darauf, dass keiner meiner Rivalen von unserem Rendezvous etwas mitbekam. Am Nachmittag stahl sich Frau Hartmann, die ebenfalls zur Rauchergruppe gehörte, in mein Zimmer. Nachdem sie ausführlich über andere gelästert hatte, meinte sie: »Ich mag es nicht, wenn man den Westfriedhof in Verbindung mit Vampiren erwähnt. Ich mag diesen Ort, nirgendwo sonst kann man mitten in Unna so beschauliche Spaziergänge machen. Das hat ja wohl selbst eure kesse Mona kapiert. Im Übrigen traue ich ihr nicht über den Weg. Haben Sie schon bemerkt, dass alle Männer hinter ihr her sind? Und dieses kleine Aas lässt sich den Hof machen, als ob sie eine Prinzessin sei!« »Das ist sie bestimmt nicht«, behauptete ich, obwohl ich vom Gegenteil überzeugt war. Dann goss ich uns ein Gläschen Hertingpörter ein und die Welt war für Frau Hartmann wieder in Ordnung. Ich bin ein Stadtmensch und kein Naturbursche, trotzdem lief ich schon ein paar Tage vor unserem Treffen kreuz und quer über den Westfriedhof, um das Terrain zu erkunden. Leider wurde das Tor bei Anbruch der Dunkelheit abgeschlossen, sodass eine romantische Mondscheinbegegnung nicht infrage kam. Die ungewohnte Umgebung irritierte mich ein wenig. Eichhörnchen huschten durch die Bäume, Vögel zwitscherten. Zwischen Farn und Gebüsch verbargen sich verwitterte Gräber und mit Moos, Flechten und Efeu überwucherte Stelen. Überall Verfall – gestürzte Kapitelle, verrostete Geländer, Grünspan an den Lanzenbekrönungen, umgefallene...