E-Book, Deutsch, 144 Seiten, E-Book
Stroh Mythos Agilität
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7910-5239-7
Verlag: Schäffer-Poeschel Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie New Work wirklich gelingt
E-Book, Deutsch, 144 Seiten, E-Book
ISBN: 978-3-7910-5239-7
Verlag: Schäffer-Poeschel Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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2 New Work Stories – Sichtweisen, Erkenntnisse und Tipps
Wir mögen die Welt durchreisen, um das Schöne zu finden,
aber wir müssen es in uns tragen, sonst finden wir es nicht. Ralph Waldo Emerson Was einst noch galt, vergilbt durch Kulturprobleme. Zu Anfang der New-Work-Debatte und der damit einhergehenden Agilität waren Tischkicker, Bagels for free und tolle Sitzgelegenheiten die Lösung! Immerhin sah alles schick aus und glich Silicon Valley. Viele Manager:innen gingen mit Anzug hin und kamen mit Drei-Tage-Bart und Sneakern zurück. Deutschland als Industrieland wurde nun hipp. Aber auch hier wurde eines nicht bedacht: Es sind nicht die Räume oder Methoden. Alles steht und fällt mit den Menschen dahinter. Es geht um die Persönlichkeiten in einer Organisation. Also lass uns unterschiedliche Persönlichkeiten in Deutschland besuchen und echte New-Work-Stories finden! Ganz unterschiedliche. Es werden Thesen gebildet, Geschichten erzählt, Wünsche aufgemalt, Ansätze neuer Arbeitsformen gezeigt. Weder hippe Berater:innen noch Expert:innen schreiben hier ihre Stories. Es sind genauso Interessierte wie du und ich. Menschen, die die Arbeitswelt verbessern wollen und es in ihrer Rolle täglich versuchen. Lass dich inspirieren, ermutigen und fühl dich permanent angesprochen, einen nicht fertig definierten Gedanken selbst zu Ende zu denken. 2.1 Meine Abenteuer mit Frithjof Bergmann und die Frage, was man wirklich, wirklich will
Ömer Atiker Es war damals, im Jahre 2004, als ich noch jünger war und mich (mal wieder) fragte, was ich eigentlich im Leben will. Ich war nach dem Studium eher zufällig in die Niederlande geraten und hatte dort, nach zwei Jahren in der IT, 1996 eine der ersten Internet-Agenturen des Landes gegründet. Acht Jahre und über 100 Websites später war es langsam Zeit für etwas Neues. Aber was? In dieser Zeit der vorgezogenen Midlife-Crisis (ich war erst Mitte 30) stolperte ich eher zufällig über die Arbeit von Frithjof Bergmann und sein gerade erschienenes Buch »Neue Arbeit, Neue Kultur« (2004). Es wurde für mich eine der prägenden Erfahrungen in meinem Leben. Damals wollte ich nach über zehn Jahren im Ausland wieder zurück nach Deutschland – und eine der Städte in der engeren Wahl war Freiburg im Breisgau. Da lag es nahe, doch auch mal beim Verein »Neue Arbeit, Neue Kultur e. V.« vorbeizuschauen, der durch den Verlag des Buches gegründet worden war und die Reisen und Aktivitäten von Frithjof in Europa koordinierte. Eine kleine Handvoll netter Menschen, die sich um Anfragen kümmerten und die Organisation übernahmen. Und so lernte ich, eher unerwartet, auch den Meister selbst kennen: einen recht zerzausten älteren Mann mit wildem Blick. Ein Teil wirrer Professor, ein Teil Robinson Crusoe und eine große menschliche Wärme. Ich glaube, das war einer der wichtigsten Aspekte: sein Wohlwollen gegenüber den Menschen. Denn seine Arbeit dreht sich um die Frage nach einem erfüllten Leben. Was ist es, was uns glücklich macht, was wollen wir im Leben erreichen? Nicht das, was wir wollen »sollten«, weil andere uns das vorleben oder einflüstern. Den sicheren Job, die feste Beziehung, ein Reihenhaus. Sondern was man wirklich, wirklich will. Diese Dopplung ist für mich einer der Kernpunkte seiner Arbeit. Denn erst, wenn wir wissen, was wir eigentlich wollen, können wir es auch kriegen. Und nur dann können wir auch glücklich sein. Wir müssen unsere Träume nicht alle verwirklichen, nicht alle Wünsche können wir erfüllen – aber schon die Arbeit daran, das Wissen, an etwas Wertvollem zu arbeiten, sodass das Leben einen Sinn hat – das ist enorm kostbar. Der Sinn des Lebens und die Hütte im Wald Das war (und ist), was mich an ihm und seiner Arbeit so anzog. Keine Karrieretipps, keine Lifehacks, sondern die Frage nach dem Sinn. Das, was zur heutigen Zeit als das »Why« (Simon Sinek) und als »Purpose« mal wieder durchs Dorf getrieben wird. Doch das sind nur bleiche Kopien, denn das echte Leben ist bunt und wild. Die Frage nach dem Sinn des Lebens hat mich selbst schon immer begleitet. Zum Abitur bekam ich das Buch »Walden« geschenkt, ein Buch von Henry David Thoreau, der um 1850 in eine kleine Hütte am See zog, um herauszufinden, worum es im Leben wirklich geht. Später als Student hatte ich einen Zettel neben meinem Schreibtisch hängen, eine kleine Erinnerung: »Du kriegst alles, was du wirklich willst. Aber was willst du?« In diese Phase meines Lebens, auf der Suche nach dem nächsten Schritt, passte die Idee der Neuen Arbeit perfekt. Was ich sehr spannend fand: Frithjof hatte das Buch nicht nur auch gelesen (im Amerikanischen ist es ein Klassiker), er hatte es auch selbst ausprobiert! Zwei Winter lang in Massachusetts. Nach seiner Erfahrung war es auch gar nicht so schwer, von der eigenen Hände Arbeit zu leben und sich selbst mit Lebensmitteln zu versorgen. Doch war es die Kälte, die ihm zu schaffen machte. Genauer: die bitterkalten Winter, die in zwangen, jeden Tag stundenlang Holz zu sägen, um nicht zu erfrieren. Das musste doch besser gehen! Und warum sollte man die Segnungen der Zivilisation ignorieren? Das war der Schritt zur »High-Tech-Selbstversorgung«. Die Möglichkeiten des beginnenden 21. Jahrhunderts zu nutzen, um autonom zu sein. Um selbst herzustellen, was einem wichtig ist, ohne sich im Hamsterrad abzustrampeln. Sie kennen den Spruch: Hart arbeiten in einem Job, den man nicht mag, um Geld zu verdienen, mit dem man Dinge kauft, die man nicht braucht, um Leute zu beeindrucken, die man nicht mag. Wozu? Die Dreiteilung der Zeit Frithjofs Idee war es, die wöchentliche Arbeitszeit in drei gleiche Teile zu teilen. Einen Teil für die Selbstversorgung. Ob Gartenbau oder Handwerk – aber dann bitte High-Tech. Hydroponischer Anbau, 3D-Druck und CNC-Bearbeitung zur Herstellung benötigter Gegenstände. Damit deckt man die wichtigsten Bedürfnisse und hat auch eine ganz andere Beziehung zu den Produkten im eigenen Leben. Ein Teil Lohnarbeit, um Geld als Tauschmittel zu haben. Natürlich gerne ein passender, erfüllender Job. Aber da er nur einen kleinen Teil der eigenen Zeit in Anspruch nimmt, bekommt er keine so große Bedeutung im Leben und kann leichter gewechselt werden. Und das letzte Drittel ist Zeit für das, was man wirklich, wirklich will. Da man das nicht durch reines Lesen und Nachdenken herausfinden kann, muss man eben sehr viel ausprobieren. Wie gut, wenn man dafür ausreichend Zeit und Gelegenheit hat! Für Frithjof ist die Freiheit, das eigene Leben zu gestalten, ein zentraler Punkt. Denn er glaubt fest daran, dass der Mensch etwas erschaffen will. Ob groß oder klein, es ist ein wichtiger Baustein zum Glück, selbst etwas in die Welt zu bringen, es zu gestalten und zu nutzen. Doch ist das realistisch? Macht das auch wirklich jemand außer ein paar eigensinnigen Außenseitern? Mit Frithjof unterwegs Ich hatte die Ehre und das Vergnügen, 2004 und 2005 mit Frithjof zusammenzuarbeiten und ihn auf einigen seiner Reisen zu begleiten. (Nebenbei war ich auch einige Jahre Vorstand in seinem Verein.) Am meisten beeindruckt hat mich dabei, wie stark die Menschen auf ihn und seine Ideen reagieren. Es war, als gäbe es eine große Leere in den Menschen, die sie gerne füllen möchten. Doch sie trauen sich nicht, selbst etwas zu unternehmen. Die am häufigsten gestellte Frage war immer: »Darf ich eigentlich ...?« Darf ich einfach tun, was ich möchte? Darf ich das überhaupt wollen? Ich glaube, Frithjof war über die Frage ähnlich erstaunt wie ich – aber er hatte sie oft genug gehört, um sie gewohnt zu sein. Warum fragt ein freier Mensch, ob er etwas tun darf, das ihm wichtig ist und das keinem anderen schadet? Woher kommt das große Bedürfnis nach Erlaubnis? Woher kommt all die Angst? Er begegnet der Frage immer mit Wohlwollen und Ermutigung. »Natürlich darfst du! Du musst sogar, denn das ist wichtig!« Er lächelte auch immer, wenn es vielen Menschen wichtig war, ihn mit einer Verbeugung zu begrüßen und mit »Herr Professor Bergmann« anzusprechen. Er selbst ist dabei völlig unprätentiös. Er bevorzugt das Du, möchte mit Frithjof angesprochen werden und führe am liebsten in der 3. Klasse der Bahn, um unter Menschen zu sein. Als Heilsbringer wollte er sicher nie gesehen werden, nur als Ermutiger. Und doch war er für viele Menschen genau das: endlich ein weiser und gütiger Mensch, der ihnen sagt, dass es völlig in Ordnung ist, sich ein anderes Leben zu wünschen. Dass ihre Wünsche gut und richtig sind und sie als Mensch es auch...