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E-Book, Deutsch, 544 Seiten
Studer / Schaltegger Die Finanzgeschichte der Schweiz
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-451-83642-8
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Von der Gründung des Bundes bis heute
E-Book, Deutsch, 544 Seiten
ISBN: 978-3-451-83642-8
Verlag: Verlag Herder
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Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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2. Die Finanzgeschichte des Bundes – ein einleitender Überblick
Als Ausgangspunkt für diesen Überblick über die Finanzgeschichte des Bundes bietet es sich an, die Entwicklung der Staatsquote und der Einnahmenquote in Abbildung 1 zu betrachten, also die Ausgaben und Einnahmen des Bundes im Verhältnis zum BIP. Abb. 1: Die Ausgaben und Einnahmen des Bundes (1849–2018) Quellen: Eigene Berechnungen. Rechnungsabschlüsse: 1849–1912: BFS, Statistisches Jahrbuch 1935 (S. 326 f.); 1913–1954: EVF, Staatsrechnung 1955 (S. 44*); 1955–1989: EFV, Staatsrechnung 1990 (S. 102); 1990–2018: EFV Staatsrechnung (entspr. Jahrgänge). BIP: Stohr (2016); BFS (2019). Bei der Betrachtung der Staatsquote fällt auf den ersten Blick auf, dass sie heute wesentlich höher liegt als bei der Bundesstaatsgründung: Während die Ausgaben des Bundes 1848 knapp ein halbes Prozent des BIP ausmachten, sind es mittlerweile rund zehn Prozent. Damit bestätigt sich für die Schweiz das «Wagnersche Gesetz der wachsenden Staatsausgaben». Diese These des deutschen Finanzwissenschaftlers Adolph Wagner aus dem Jahr 1876 besagt, dass «[…] eine immer grössere und wichtigere Quote der Gesammtbedürfnisse eines fortschreitenden Culturvolks […] durch den Staat statt durch andere Gemein- und Privatwirthschaften befriedigt [wird], […]».1 Allerdings verlief der Anstieg der Staatsquote nicht linear. Die Entwicklung lässt sich grob in vier Phasen unterteilen. Die erste Phase umfasst die Zeit von der Bundesstaatsgründung bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Sie war von einer ruhigen Entwicklung und einem moderaten Anstieg der Aufwendungen des Bundes nach der Verfassungsrevision von 1874 geprägt. Die zweite Phase umfasst das «Katastrophenzeitalter» (Hobsbawm) von 1914 bis 1945. Die beiden Weltkriege markierten wichtige Wendepunkte in der Finanzgeschichte des Bundes. Sie brachten den Bundeshaushalt umgehend und grundlegend aus dem Gleichgewicht, weshalb sich der Bund neue Einnahmen beschaffte. Die Kriege hatten nicht nur einen markanten Anstieg der Staatsverschuldung, sondern auch eine starke und langfristige Erhöhung der Staatsquote zur Folge. Dabei zeigte sich der von Alan T. Peacock und Jack Wiseman beschriebene «Sperrklinkeneffekt»2 der Staatsausgaben, die von Krise zu Krise treppenartig ansteigen.3 Es folgte der Nachkriegsboom, der nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs einsetzte und bis zum Ausbruch der Rezession 1974/76 anhielt. In dieser langen Phase des Aufschwungs schwankte die Staatsquote zwischen 6 und 7 Prozent und begann dann ab 1960 langsam zu steigen. Dabei verzeichnete der Bund teilweise hohe Rechnungsüberschüsse. Die letzte Phase umfasst die Zeit von 1974 bis heute. Diese Jahre waren von einem Ausbau der Staatstätigkeit und zwei langen Defizitperioden geprägt. Wie nach den Kriegen zeigte sich auch nach den beiden Defizitperioden ein Sperrklinkeneffekt. Erst nach der Jahrtausendwende gelang es, den Haushalt dank tiefgreifender institutioneller Reformen und insbesondere der Schuldenbremse wieder zu stabilisieren. Die Bundesstaatsgründung: ein geglückter Start In der Zeit von der Bundesstaatsgründung im Jahr 1848 bis zum Vorabend des Ersten Weltkriegs löste sich der Bund aus seiner finanziellen Abhängigkeit von den Kantonen und wurde zu einem eigenständigen Akteur mit starkem Einfluss auf die Kantone. Diese Entwicklung war bei der Bundesstaatsgründung noch nicht absehbar, denn die Kompetenzen, die dem Bund übertragen wurden, hielten sich in engen Grenzen. 1848 wurde die Landesverteidigung zu einer gemeinsamen Kompetenz von Bund und Kantonen. Die Landesverteidigung war die einzige Aufgabe, die dem Bund hohe Ausgaben verursachte: Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs wendete er dafür rund zwei Drittel seiner Mittel auf. Dies ist in Abbildung 2 ersichtlich, wo die Ausgabenstruktur des Bundes von 1850 bis 2020 abgebildet ist. Abb. 2: Die Ausgaben des Bundes nach Aufgabengebiet (1850–2018) Quellen: Eigene Berechnungen. 1850–1910: Halbeisen und Lechner (1990) in HSSO Tab. U.2a.; 1938: ESTV (1974); 1950–1980: EFV, Öffentliche Finanzen der Schweiz (1989); 1990–2018: EFV, Staatsrechnung (entspr. Jahrgänge). Anmerkung: Die Kantonsanteile an den Bundeseinnahmen sind in der Staatsrechnung unter Finanzen & Steuern aufgeführt und die Verwaltung unter «Übrige Aufgabengebiete». In den Anfangsjahren verursachte die Verwaltung einen verhältnismässig grossen Teil der Bundesausgaben – allerdings ging ihr Anteil mit wachsenden Staatsausgaben schnell zurück: von 25 (1850) auf rund 10 Prozent (1870) (? Abb. 2). Daneben verursachte noch die Vermögens- und Schuldenverwaltung (Zinskosten) mit 5 bis 10 Prozent regelmässig nennenswerte Ausgaben. Die übrigen Kompetenzen fielen finanziell kaum ins Gewicht. Für die Bildung wendete der Bund rund drei Prozent seiner Mittel auf, nachdem er im Jahr 1855 die Eidgenössische Technischen Hochschule eröffnete. Mit dem Recht zur Errichtung und Unterstützung öffentlicher Werke wurde dem Bund bei seiner Gründung ausserdem eine Subventionskompetenz übertragen, von der er bald Gebrauch machte und die Kantone bei Strassenbauten und Gewässerkorrektionen unterstützte. Der Bund erhielt für die Erfüllung seiner Aufgaben fünf Einnahmequellen. Von finanzieller Bedeutung war insbesondere das Zollwesen, das ihm von den Kantonen übertragen worden war (? Abb. 3). Abb. 3: Der Anteil der Zölle sowie der Verbrauchs-, Einkommens- und Vermögenssteuern an den Bundeseinnahmen (1850–2018) Quellen: Eigene Berechnungen. Zolleinnahmen: 1849–1912: EFV, Staatsrechnung (entspr. Jahrgang); 1913–1974: HSSO Tab. U.10a. und U.10b.; 1975–1920: EFV, Staatsrechnung (entspr. Jahrgänge); Verbrauchs-, Einkommens- und Vermögensteuern: 1913–1974: HSSO Tab. U.10a. und U.10b.; 1975–1989: Staatsrechnung (entsprechende Jahrgänge); 1990–2015: Angaben der EFV; Gesamteinnahmen: 1849–1912: BFS, Statistisches Jahrbuch (1935); 1913–1954: BFS, Statistisches Jahrbuch (1954); 1955–1989: Staatsrechnung (1990); 1990–2020: EFV. Die Zölle machten über 90 Prozent (1848–1873), später über 80 Prozent (1874–1913) der Einnahmen des Bundes aus und waren damit seine wichtigste Einnahmequelle. Im Gegensatz dazu spielten die übrigen Einnahmequellen eine untergeordnete Rolle. Der Ertrag des Bundesvermögens und des Pulverregals fiel gering aus. Vom Ertrag des Postwesens, das dem Bund von den Kantonen bei Bundesstaatsgründung übertragen worden war, musste der Bund den Kantonen eine Entschädigung entrichten. Zudem war der Bund verpflichtet, allfällige Überschüsse für den Ausbau des Postnetzes und für Tarifsenkungen zu verwenden. In ausserordentlichen Situationen und nur auf Beschluss der Bundesversammlung konnte der Bund ausserdem Beiträge der Kantone («Geldkontingente») erheben. Dies geschah nur ein einziges Mal, als 1849 die Grenzbesetzung während der Revolution im Grossherzogtum Baden finanziert werden musste. Mit der Übertragung des Zollwesens auf den Bund wurde einnahmeseitig ein Trennsystem geschaffen, das die Zölle dem Bund und die direkten Steuern den Kantonen zuwies. Allerdings hatte sich der Bund das Zollwesen teuer erkauft. Die «Zollentschädigung», die der Bund den Kantonen für die Übertragung des Zollwesens leisten musste, war höher als die kantonalen Zolleinnahmen vor der Bundesstaatsgründung. Dies hatte zur Folge, dass seine finanzielle Lage bei Staatsgründung mit Unsicherheit behaftet war. Jedoch zeigte sich bald, dass der Budgetausgleich dem Bund keine Probleme bereitete. Da mit der Schaffung des Bundesstaats als einheitliches Wirtschaftsgebiet ein wirtschaftlicher Aufschwung einherging, übertrafen die Zollerträge bald alle Erwartungen. Den Verfassungsvätern war es gelungen, die Kompetenzen des Bundes auf der Einnahmenseite gut auf die Aufgabenbefugnisse abzustimmen. Dabei setzten die geringen Mittel und Kompetenzen dem Finanzhaushalt des Bundes im ersten Vierteljahrhundert enge Grenzen. Der erste Vorsteher des Eidgenössischen Finanzdepartements (EFD), der Solothurner Freisinnige Josef Munzinger, war besonders auf ausgabenseitige Zurückhaltung bedacht.4 Sparsamkeit war ihm ein persönliches Anliegen: Als er sich einen neuen Stempel besorgen liess, bemerkte Munzinger, er «[…] hätte einen solchen mit verstellbarem Datum vorgezogen, aber er werde wohl zu viel kosten.»5 Die Ausgaben des Bundes blieben während des ersten Vierteljahrhunderts stabil bei rund einem halben Prozent des BIP und der öffentliche Haushalt war in den allermeisten Jahren ausgeglichen. Dies ist in Abbildung 4 ersichtlich, wo der Haushaltssaldo im Verhältnis zum BIP abgebildet ist. Abb. 4: Der Haushaltssaldo des Bundes (1849–2018) Quellen: Eigene Berechnungen. Rechnungsabschlüsse: 1849–1912: BFS, Statistisches Jahrbuch 1935 (S. 326 f.); 1913–1954: EVF, Staatsrechnung 1955 (S. 44*); 1955–1989: EFV, Staatsrechnung 1990 (S. 102); 1990–2018: EFV Staatsrechnung (entspr. Jahrgänge). BIP: Stohr (2016); BFS (2019). Nur wenn ausserordentliche Militärausgaben getätigt wurden, war die Rechnung defizitär. Dementsprechend gering war auch die Arbeitsbelastung des Finanzvorstehers im Bundesrat. Der...