Sünker / Berner | Vergeltung ohne Ende? | Buch | 978-3-9810815-4-1 | sack.de

Buch, Deutsch, 290 Seiten, GB, Format (B × H): 123 mm x 185 mm

Sünker / Berner

Vergeltung ohne Ende?

Über Strafe und ihre Alternativen im 21. Jahrhundert
Erscheinungsjahr 2012
ISBN: 978-3-9810815-4-1
Verlag: Verlag neue praxis

Über Strafe und ihre Alternativen im 21. Jahrhundert

Buch, Deutsch, 290 Seiten, GB, Format (B × H): 123 mm x 185 mm

ISBN: 978-3-9810815-4-1
Verlag: Verlag neue praxis


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Zielgruppe


Studierende in Sozialwissenschaften und Soziale Arbeit; Wissenschaftler und Praktiker im Bereich der Sozialen Arbeit und Pädagogik

Weitere Infos & Material


Vorwort V
Knut Berner
Verhüllte Nemesis – Blinde Justitia. Strafe als Vergeltung aus Sicht theologischer Ethik 1
Alexandra Grund
'. so sollst du geben Auge für Auge, Zahn für Zahn.' Vergeltung als Strafprinzip des Alten Testaments? 39
Knut Berner
Retributive Mentalitäten 82
Harald Seubert
Wunden des Geistes, die ohne Narben heilen? Hegel und die Frage von Schuld und Verzeihung 97
Sonja Murawski
Die Bedeutung von Durchsichtigkeit im Strafprozedere bei Franz Kafka und Michel Foucault 124
Reinhard Hörster
Veranlassungen, von Strafe in der Pädagogik zu reden – Sozialpädagogische Lektüren 155
Jochem Kotthaus
Strafe in der Kinder- und Jugendhilfe. 'Wehe dem, der Wehe tut!' – Karl May, Im Lande des Mahdi 189
Rita Braches-Chyrek
Schuld – Normalität – Normativität 213
Micha Brumlik
Fritz Bauer, Adolf Eichmann, Immanuel Kant und Hannah Arendt.
Die Frage nach den Grenzen strafrechtlicher Vergangenheitsbewältigung 229
Heinz Sünker
The Good, the Bad, the Ugly oder: Bildungsprozesse, Habitusformation, freier Wille und Verantwortung.
Vorüberlegungen zu einer pädagogischen Diskussion 245
Autorinnen und Autoren 280


Angesichts der Gefährdungen von zivilisierten Gesellschaften im 21. Jahrhundert, die indizieren, dass offensichtlich eine Überwindung der Katastrophen des 20. Jahrhunderts bzw. ihrer Voraussetzungen in Menschen wie Strukturen noch nicht erreicht ist, stellt sich erneut die Frage, wie eine humane und demokratische Gesellschaftsentwicklung gedacht und befördert werden kann.
In diesem Zusammenhang spielen alte und neue Diskussionen über Bedeutung, Sinn und Unsinn von Strafe eine wichtige Rolle. Was meint Vergeltung, welche Äquivalente entsprechen logisch und praktisch einem gesellschaftlich respektive von gesellschaftlich relevanten Gruppen missbilligten Verhalten? Ist eine saubere Abgrenzung zur Rache möglich und welche Bedeutung kommt dem uralten Talionsgesetz heute zu? Inwiefern kann eine Strafe ›gerecht‹ genannt werden? Ist mit der utilitaristisch motivierten Fokussierung des Erziehungs- bzw. Resozialisierungsaspektes einerseits der Vergeltungsgedanke im Strafrecht tatsächlich obsolet geworden und wäre es andererseits ein Fortschritt, wenn dauerhaft an die Stelle des für seine Tat und nur für sie behafteten Täters das delinquente Individuum treten würde, das biographisch-therapeutisch als solches definiert und lebenslänglich darauf festgelegt wird? Im Anschluss – nicht nur – an Foucault kann die in dieser Richtung verlaufende Entwicklung zumindest skeptisch betrachtet werden. Unklar erscheint zudem aufgrund der Konjunktur der Neurowissenschaften die Berechtigung der juristischen Unterstellung einer Freiheit des Individuums zum Unterlassen der Taten, für die es belangt wird, anders gesagt, ist in dem Versuch, der Personen und Dinge habhaft zu werden, zumindest eine Verbeugung vor der Gegenständlichkeitsfalle und eine Umgehung der Zurechenbarkeitsproblematik zu sehen. Gefragt werden kann auch, warum diejenigen so oft nicht bestraft werden, deren Vergeltungsphantasien sich etwa im Bereich der Pädagogik durchaus sozialhermeneutisch und identitätsschädigend auswirken, auch wenn sie nicht in greifbare Delinquenz überführt werden? So mancher Lehrer straft Schüler durch subtile Demütigungen, die oft erst nach langer Zeit ihre verheerenden Folgeerscheinungen freisetzen. Schließlich: Wie kann der diagnostizierbaren Verachtung bestimmter Täter in der Öffentlichkeit und im Rahmen des Strafrechtes wirksamer begegnet werden? Hat der Sühnegedanke eine Berechtigung im Strafrecht? Wie ist das Verhältnis von Strafprozess und Strafvollzug künftig zu gestalten? Reicht eine Verurteilung in vielen Fällen aus, ohne dass es zum ›Wegsperren‹ kommen muss? Ist es tragbar, dass die Öffentlichkeit so wenig Kenntnis von tatsächlichen Bedingungen in Justizvollzugsanstalten hat aber bei medienwirksamen Prozessen so stark beteiligt wird? Und: Wie ist dem zunehmend bedeutsamen Bereich der Staats- und Wirtschaftskriminalität Rechnung zu tragen – definitorisch, prohibitiv und mit Blick auf zu ziehende Konsequenzen?
Nicht zuletzt sind es einige neuere Entwicklungen, die das Thema Strafe nicht nur in seiner aktuellen Relevanz vorführen, sondern auch Anlass zur intensiven und interdisziplinären Reflexion der Breite zwischen individueller Abweichung, Terror und Staatsverbrechen bieten: Die Tötung Osama bin Ladens im Jahre 2011 wirft normative Fragen nach dem Verhältnis von Völkerrechtsbeachtung, Strafgerichtsbarkeit und Vergeltungsaktion auf. Die Diskussion über die Sicherungsverwahrung zeigt Schwierigkeiten und Regelungsbedarf bei der Rechtsprechung und der Abgrenzung von Strafvollzug und Präventivmaßnahmen. Das Verlangen nach der elektronischen Fußfessel, bis hin zu Überlegungen, sie sogar bei renitenten Schulschwänzern einzusetzen, verweist gleichermaßen auf ›moderne‹, vorgeblich ‚humane‘ Strafmethoden wie auf das Vorhandensein exzessiver forensischer Mentalitäten und zunehmender Hilflosigkeit im Umgang mit abweichendem Verhalten. Die Existenz und Bedeutung internationaler Strafgerichtshöfe begünstigen Kompetenzstreitigkeiten zwischen nationalen und transnationalen Tribunalen. Wahrheitskommissionen haben den schwierigen Spagat zu vollziehen zwischen der Berücksichtigung berechtigter Opferinteressen und der Arbeit an Versöhnungsstrategien, wobei Chancen und Probleme von Amnestien stets aufs Neue auszutarieren sind. Teilweise hoch emotional geführte Debatten über die Begnadigung von RAF-Terroristen könnten zum Anlass genommen werden, das Verhältnis von Recht und Gnade über Einzelfallentscheidungen hinaus prinzipiell neu zu überdenken. Eher zu den subtileren Varianten aktueller Reminiszenzen an uralte Vergeltungssehnsüchte zählen Formen der Selbstbestrafung, signifikant durch selbstauferlegte Beschränkungen und selbstverletzendes Verhalten, sowie die Renaissance der Bilder von einem strafenden Gott, die angesichts der Konfrontation mit neuen Schicksalen und anderen spezifisch neuzeitlichen Leidenserfahrungen wieder an Relevanz gewinnen.
Vielfältig sind die möglichen Zugänge zu traditionellen und aktuellen Vergeltungsthematiken. Nicht alle werden im vorliegenden Buch aufgegriffen und es werden auch keine schnellen Optionen propagiert. Die interdisziplinäre Anlage des Buches möchte aber unterstreichen, dass nach unserer Ansicht Vergeltung und Strafe zu den virulenten Problematiken gehören, die von einer Disziplin alleine nicht hinreichend bearbeitet werden können. Philosophie, Theologie, Soziale Arbeit, Pädagogik, Soziologie und Kriminologie müssen zusammen arbeiten, um in Begründungs- und Anwendungsdiskursen tragfähige Materialien für die theoretische Urteilsbildung und die praktischen Konsequenzen bereitstellen zu können. Strafe ist ein Thema, das für jeden Menschen und jede Gesellschaft von Interesse ist, dem keine Person entgehen kann und das deshalb, im Sinne einer Hermeneutik des Verdachts, besonders gründlich reflektiert werden muss. Denn Strafe ist, selbst wenn zu ihr keine Alternative erkennbar sein sollte, auf jeden Fall ein Übel. Übel aber sollte man erst dann legitimieren und praktizieren, wenn man sich von ihrer Existenz hinreichend hat irritieren lassen; und man sollte dies als Anlass zur Frage nach Alternativen betrachten.
Wir danken den beteiligten Autorinnen und Autoren für Bereitschaft und Geduld beim Umgang mit diesem herausfordernden Projekt. Wir danken der Hans-Böckler-Stiftung für ihre Unterstützung bei der Realisierung dieses Buches.
Knut Berner/Heinz Sünker



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