E-Book, Deutsch, 464 Seiten
Tamer / Antes / Hutter Islam II
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-17-034024-4
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Regionen, Lebensformen, Geistesgeschichte
E-Book, Deutsch, 464 Seiten
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I Regionen
Die Ausbreitung des Islam auf dem afrikanischen Kontinent
Ulrich Rebstock 1 Die Anfänge der Islamisierung des Maghreb ab 640 n. Chr.
Aus der Sicht der seit 640 von Ägypten nach Nordafrika aufbrechenden Eroberungsheere ging es nach Westen, den Maghreb (al-magrib), in »das Land, wo die Sonne untergeht«. Wie auch im Orient (al-mašriq), dem »Ort, wo die Sonne aufgeht«, setzten sich die arabischen Truppen zuerst in eroberten oder neugegründeten Heerlagern fest. Kairaouan (al-Qairawan), die nachmalige berühmte Hauptstadt der Provinz Ifriqiya, wie die Araber das römisch-byzantinische Africa Proconsularis nannten, wurde gegen 663 als Garnisonsmoschee abgesteckt. Ihr Gründer und bedeutendster arabischer Heerführer dieser Eroberungsepoche, ?Uqba ibn Nafi?, dient heute noch vielen arabisierten islamischen Stämmen Nord- und Westafrikas als Eponym. Mit der Einnahme der ehemals römischen Garnison Tingis (?anga, Tanger) um 710 fiel den arabischen Expeditionstruppen ein Brückenkopf in die Hand, über den die folgende Eroberung Spaniens (arab. al-Andalus) organisiert wurde. Gegen 787 wurde Fes (al-Fas) von Idris ibn ?Abdallah, einem aus dem Orient geflüchteten Nachfahren des Schwiegersohns des Propheten ?Ali ibn Abi ?alib und Gegner des ?abbasidischen Kalifen, gegründet. Stellvertretend für die zahllosen weiteren Stadtgeschichten sind in diesen drei Eckdaten die zivilisatorischen Etappen der arabisch-islamischen Durchdringung Nordafrikas abgebildet. Nordafrika war aus islamischer Sicht zuerst ein »Territorium des Unglaubens« (bilad al-kufr), das militärisch eingenommen und dem Kalifenreich angegliedert werden sollte. Die Randlage des Maghreb zog zudem Flüchtlinge aus den Kernlanden im Osten an. Regionale islamische Kleinreiche konnten so entstehen, in denen rivalisierende arabische und berberische Dynastien ihre politische und religiöse Souveränität gegenüber den Kalifen in Damaskus (Umayyaden) und ab 750 Bagdad (Abbasiden) zum Ausdruck bringen konnten. Die zu Hunderttausenden aus dem Orient nach Nordafrika expedierten arabischen Truppen stießen nach der endgültigen Vertreibung der Byzantiner 699 auf den hartnäckigen Widerstand der einheimischen Berber. Mit den Namen berühmter Heerführer wie Kusaila und v.?a. der Generalin al-Kahina verbinden noch heute nationalistische Traditionen die berberische Selbstbehauptung gegen die arabisch-islamische Fremdherrschaft. Nach dem Zusammenbruch dieses antiarabischen Widerstands artikulierte die mittlerweile oberflächlich islamisierte, aber von ihren arabischen Glaubensgenossen unterjochte und ausgebeutete einheimische Bevölkerung ihren Widerstand in heterodoxen, meist aus dem Osten importierten Glaubensbewegungen. Aufstände, Bürgerkriege und nicht zuletzt die sog. ?Abbasidische Revolution hatten eine regelrechte Flüchtlingsbewegung nach Westen erzeugt.1 Größten Anteil an dieser aufgezwungenen, aber stetig zunehmenden Islamisierung hatten die Charidschiten (?arigiya, »Sezessionisten«), eine im Irak operierende und von dort aus im Untergrund missionierende religionspolitische Oppositionsbewegung, die die Gleichheit im Glauben vor ethnische und dynastische Privilegien setzte. Insbesondere die beiden charidschitischen Gruppen der Iba?iya (nachfolgend Ibaditen) und der ?ufriya2 boten den berberischen Neukonvertiten die Gelegenheit, sich Versklavung und Ausbeutung zu entziehen und sich zugleich in assimilatorischen Glaubensbewegungen vom Machtanspruch der elitären arabischen Kalifendynastien zu emanzipieren. Weit im Westen, im Süden Marokkos, kursierte über fast ein Jahrhundert hinweg unter dem Stamm der Bargawa?a eine von einem gewissen ?ali? propagierte berberische Koran-Variante. Die oppositionelle Umdeutung der religiösen Botschaft der arabischen Invasoren durch die einheimische Bevölkerung Nordafrikas, darunter viele Christen im mittleren und Juden im westlichen Maghreb, setzte damit eine Geschichte in Gang, die von einem nachhaltigen Ungleichgewicht bestimmt war: Gegenüber der aufgezwungenen, schließlich aber vollständigen Islamisierung vollzog sich die Arabisierung in den berberischen Gebieten nur schleppend und regional. Der Gegensatz von islamisch-arabischer Stadtkultur und ländlichem Berberislam blieb ein Grundmotiv der nordafrikanischen Geschichte. 2 Die Ausbreitung des Islam im Maghreb
Die Islamisierung des nordafrikanischen Kontinents war das Produkt politischer, religiöser und wirtschaftlicher Interessen sowohl der arabischen als auch der berberischen Machtgruppen. Die Kalifen in Damaskus und Bagdad betrachteten den Maghreb als Sklaven- und Steuerreservoir und als Aufmarschgebiet für das weitere Vordringen auf die Inseln und Küsten des westlichen Mittelmeers. Aus der Ferne war jedoch die Stabilität in Nordafrika nur durch Zugeständnisse zu erkaufen. Im Jahre 800 wurde der Provinz al-Magrib unter der Dynastie der Aglabiden vom Kalifen in Bagdad erstmals eine teilweise Souveränität zugestanden. Die damit einsetzende Loslösung vom Osten des Reiches wurde mit der Errichtung des ismailitischen Regionalkalifats der Fatimiden (910–973) in Ifriqiya abgeschlossen. Streitigkeiten um Macht und Legitimität wurden nun vor Ort entschieden und verhalfen untereinander rivalisierenden Berberstämmen und dem arabischen Emigrantenadel zu wechselnden Kleinreichen. Die islamische Kultur wurde heimisch. Im nördlichen Küstenstreifen blühten Städte wie Kairoauan, Tunis, Mu?ammadiya und Fes zu Zentren wirtschaftlichen Aufschwungs und religiöser Gelehrsamkeit auf. Die berberischen islamischen Gemeinwesen, die sich im äußersten Westen v.?a. aber in den landeinwärts gelegenen Hochplateaus etablieren konnten, verstärkten dagegen die kontinentalen Handelskontakte und richteten ihr Interesse auf die saharischen und subsaharischen Gebiete. Abgeschirmt vom Nafusa-Gebirge in Libyen, dem algerischen Zentralmassiv und dem Atlas-Gebirge begannen sie, Handelswege nach Süden zu erkunden. Über diese gelangten im Austausch gegen Sklaven, Gold und andere subsaharische Preziosen die materiellen und geistigen Waren des Maghreb ins »Land der Schwarzen« (bilad as-sudan). Von bilad as-sudan abgeleitet, ist der Begriff »Sudan«, der in diesem Zusammenhang die gesamte Großlandschaft der Trocken-, Dorn- und von Teilen der Feuchtsavanne südlich der Sahara bezeichnet.3 Städte im Hinterland wie Tahart, Tlemcen (Tilimsan) und Sigilmasa wuchsen dadurch zu Umschlagplätzen heran, die die Subsahara mit der nördlichen und östlichen islamischen Welt verbanden. Das Konversionsmuster dieser frühislamischen Durchdringung der Sahara überdauerte das gesamte Mittelalter und zeigt heute noch Nachwirkungen: Nur als Muslim war man vor Versklavung geschützt und rechtlich wie sozial gleichgestellt. Die Ausweitung des lukrativen Saharahandels schob somit eine Bugwelle der Islamisierung vor sich her, Richtung Süden. Denn auch die nun Muslime gewordenen lokalen Handelspartner operierten ihren regionalen Rivalen gegenüber nach dem Prinzip, das sie ihrerseits den Islam hatte annehmen lassen. So berichten bereits im 11. Jahrhundert arabische Geographen von »sudanesischen« Reichen mit muslimischen Herrschern, Moscheen und einer islamischen Alltagskultur. Allerdings beginnt hier auch ein Stigma, mit dem der Islam südlich der Sahara über seine ganze Geschichte hinweg zu kämpfen hatte: Der Vorwurf der Oberflächlichkeit, der Verfälschung und Synkretisierung des Islam blieb in den Händen der arabischen Kolonisateure ein probates Argument, den islamischen Gemeinwesen südlich der Sahara den Status gleichberechtigter Partner in der umma zu verweigern. Mit der planvollen Übersiedlung der Fatimiden von Ifriqiya ins neugegründete Kairo (al-Qahira, die Siegreiche) im Jahr 973 zeichnete sich eine neue Epoche des islamischen Maghreb ab. Mit ihnen verließ die letzte der im Zuge der Eroberungen aus dem Osten der islamischen Welt immigrierten Herrscherdynastien den Maghreb. Die Rustamiden waren schon 909 aus Tahart vertrieben und damit dem fast anderthalb Jahrhunderte überdauernden ibaditischen Imamat endgültig ein Ende bereitet worden. Der Scherifenstaat der Idrisiden in Fes (791–985) ging schließlich im Machtkampf zwischen den spanischen Umayyaden und den von den Fatimiden in Ifriqiya installierten berberischen Statthaltern, den Ziriden, unter. Das Ende der politischen Fremdherrschaft im Maghreb war Ergebnis zum einen seiner umfassenden und tiefgreifenden Islamisierung und um sich greifenden Arabisierung, zum anderen Ausdruck der Integration und zugleich der Selbstbehauptung der Bevölkerung Nordafrikas in der expandierenden islamischen Welt. In wirtschaftlicher, kultureller und religiöser Hinsicht war nun der Maghreb eng mit den Kernländern des Kalifats verbunden. Ein in Sigilmasa ausgestellter Scheck konnte in Bagdad eingelöst werden. In Kairouan wurden islamisches Recht und Theologie, Philosophie und Philologie in Prosa und Poesie auf höchstem Niveau betrieben. Auch in anderen maghrebinischen Städten profilierten sich...