E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Thesenfitz Mit James auf Sylt
19001. Auflage 2019
ISBN: 978-3-8437-2072-4
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Glücksroman
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-2072-4
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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1
Der Mann an Janas Seite hatte volles schwarzes Haar, blendend weiße Zähne, einen beeindruckend athletischen Körper und wunderschöne bernsteinfarbene Augen. Er trug einen nietenbesetzten Lederriemen um den Hals und lief auf allen vieren. Seine Zunge hing dabei fast auf den Bürgersteig. Der Mann an Janas Seite hieß James und war ein fünfjähriger Neufundländer. Ein Riesentier, dessen Kopf ihr bis zur Hüfte reichte und das stolze fünfundsechzig Kilo auf die Waage brachte. Wenn James sich auf dem Boden ausstreckte, war er fast zwei Meter lang. Als hätte er einen eingebauten Raketenantrieb, schleifte er Jana an der Leine hinter sich her, während er den Bürgersteig des Eppendorfer Baums entlangsprintete. Im Slalom musste Jana verärgerten Fußgängern ausweichen, die empört stehen blieben und den Kopf schüttelten, während James von links nach rechts switchte, um hier und dort zu schnuppern. Keine Chance, ihn zu bremsen, so vehement Jana auch im Sekundentakt »Stopp!« schrie. Der muskelbepackte Koloss besaß die Zugkraft eines Fünfhundert-PS-SUVs, und Allradantrieb hatte er offenbar auch. Ihn zum Stehen zu bringen war so aussichtslos, als würde sie versuchen, einen tollwütigen Traktor anzuhalten. Hatten Neufundländer früher nicht sogar Boote aus dem Meer gezogen? Jana hatte Hunde nie gemocht, sie war eher ein »Katzen-Typ«. Hunde waren ihr zu devot in ihrem Bedürfnis, ihrem Herrchen oder Frauchen zu gefallen, zu sehr nach Zuneigung hechelnd, zu bettelnd um Nahrung und zu laut, wenn sie kläfften, was sie ja dauernd taten. Hunde stanken, sabberten, und wenn sie nass wurden, waren ihre Ausdünstungen und ihr Geschüttel unerträglich – fand Jana. Katzen hingegen betrieben akribische Körperpflege, waren unabhängig und unbestechlich. Unzähmbare Diven, die sich selbst versorgten, indem sie nachts Mäuse jagten. In Janas Wertesystem waren Katzen Helene Fischers und Hunde Florian Silbereisens. Schuld daran, dass Jana sich nun trotzdem von diesem absurd riesigen Köter durch Hamburgs Nobel-Stadtteil Eppendorf zerren ließ, war ihre Schwester Nele. Weil die demnächst ihr erstes Kind zur Welt bringen würde, sollte Jana den Familienhund zwei Monate lang in Neles und Toms Ferienhaus auf Sylt hüten. Die junge Mutter wollte in der ersten Zeit nach der Entbindung ihre Nerven schonen, in Ruhe den Umzug an den Stadtrand choreografieren und mögliche Infektionen ihres Babys vermeiden; und da Jana gerade ihren Job verloren hatte und zudem frisch getrennt war, verfügte sie – Neles Meinung nach – über die nötige Zeit, den haarigen Vierbeiner im Nordsee-Exil zu sitten. Als Nele sie am Telefon darum gebeten hatte, war Jana so schnell keine passende Ausrede eingefallen. »Sag mal, du bist doch gerade arbeitslos, oder?«, hatte Nele sie eines Abends harmlos gefragt. »Ja«, hatte Jana nichts ahnend geantwortet. »Warum?« » … und nicht unbedingt ortsgebunden?«, ging Nele über Janas Gegenfrage hinweg. »Ja?« Janas innere Alarmglocken begannen laut zu schrillen. »Warum willst du das wissen?« »Könntest du dir vorstellen, James für zwei Monate zu hüten?« »James?« Das hatte Jana fast gekreischt. »Ich hasse Hunde, Nele!« »Ich weiß, Süße, aber James weiß das ja nicht, und ich finde einfach niemand anders …« »Und wie stellst du dir das vor? Hier, in meiner WG? Bei uns sind Hunde verboten!« Mit diesem Argument war sie aus dem Schneider, dachte Jana. Womit sie leider irrte. »Du könntest mit ihm auf Sylt in unserem Ferienhaus wohnen! Das wäre auch für James wunderschön.« Jana fehlten die Worte. Und damit die Ausreden. Es stimmte ja: Sie hatte jede Menge Zeit. Und außerdem hatte sie ihrer drei Jahre jüngeren Schwester noch nie etwas abschlagen können. Von der Zeitschriftenredaktion, bei der sie acht Jahre lang gearbeitet hatte, von einem Tag auf den anderen vor die Tür gesetzt worden zu sein war ebenso wenig schön wie die Tatsache, dass Ole, ihr Ex-Freund, nach sieben Jahren Beziehung einfach Schluss gemacht hatte. Und ausgezogen war. Als arbeitsloser Single wider Willen war ein riesiger, haarender, sabbernder Rüde momentan das Letzte, was ihr noch fehlte. Jana war sich außerdem sicher, eine noch nicht ausgebrochene Hundehaarallergie zu haben … Dementsprechend widerwillig hatte sie James gerade bei Nele abgeholt – und aktuell große Mühe, ihn zu bremsen. Leider war es zu der »gründlichen Einweisung für Hundelaien«, die ihre Schwester ihr geben wollte, nicht gekommen. Immer wieder hatten sie den Termin verschoben, und gestern, als die Instruktion endlich erfolgen sollte, musste Nele wegen eines herausgebrochenen Inlays zum Zahnarzt. Die Einweisung hatte sich also auf ein paar Sätze am Telefon beschränkt: »James ist total lieb und easy. Du musst zweimal am Tag kurz mit ihm gehen, damit er sein Geschäft verrichten und ein bisschen laufen kann. Am besten fährst du an einen der Hundestrände, da geht er dann schwimmen, und du kannst so lange sonnenbaden. Morgens und abends kriegt er eine Schüssel Trockenfutter.« Das klang machbar, fand Jana. Und nun stolperte sie hinter dem rasenden James her, der weder »lieb« noch »easy« war, und ihr brach der Schweiß aus. Warum hatte sie Nele nicht wenigstens nach funktionierenden Befehlen gefragt? Und warum hatte sie ihr dieses planierraupenartige Monster als ruhig und pflegeleicht verkauft? Das konnte doch alles nicht wahr sein! Mit gefühlten fünfzig Stundenkilometern näherte James sich der Fußgängerampel, die den Verkehr der Riesenkreuzung Lehmweg/Eppendorfer Baum/Eppendorfer Landstraße regelte. Was, wenn das bescheuerte Riesenvieh sie jetzt einfach auf die Straße zerrte? Direkt vor ein Auto? James erhöhte sein Tempo und hielt auf die Kreuzung zu. »Halt!!«, schrie Jana panisch und sehr laut. »James!!« Keine Reaktion. Der schwarze Kerl raste, was das Zeug hielt. Doch kurz vor dem Ampelpfahl machte er eine Vollbremsung und blieb plötzlich so abrupt stehen, dass seine Pfoten eigentlich hätten quietschen oder qualmen müssen. Erleichtert schnappte Jana nach Luft und wischte sich den Schweiß von der Stirn. James beroch aufgeregt den Lichtmast. Die Leine hing zum ersten Mal durch. Jana versuchte, ihren Puls zu beruhigen. Unvermittelt hob James ein Bein und pinkelte den Pfahl an. Betreten schaute Jana sich um und betete im Stillen, James möge sein Hinterbein möglichst zügig wieder senken. Doch da hatte sie die Rechnung ohne den Wirt oder besser ohne die Blase des Riesentieres gemacht: Immer größer wurde der gelbe See, der sich um den Pfahl herum wie ein Tsunami ausbreitete. Jana zerrte an der Leine. Keine Chance. Und die Fußgängerampel stand zudem auf Rot. Eine ältere Dame schaute Jana vorwurfsvoll an, die darauf hilflos mit den Schultern zuckte. »Na prima«, dachte sie. »Das geht ja schon mal gut los.« Da in Eppendorf mal wieder keine Parkplätze zu finden waren, hatte sie ihren alten Benz im Lehmweg geparkt – noch endlose dreihundert Meter Fußweg entfernt. Die Fußgängerampel sprang auf Grün. Jana zerrte an der Leine. »Los jetzt, James! Geh!!« Doch James stand immer noch auf drei Beinen und dachte gar nicht daran, seine Blasenentleerung vorzeitig zu beenden. »Geh!«, was für ein bescheuerter Befehl, dachte Jana. Sie musste Nele dringend nach den richtigen Kommandos fragen. Die anderen Passanten waren alle schon auf der anderen Seite, als James endlich fertig war und mit Jana im Schlepptau über die Straße preschte. Zum Glück war die Ampel gerade erst auf Rot umgesprungen. Warum geriet sie immer wieder in solche Situationen?, fragte sich Jana. Wie konnte es passieren, dass sie von einem durchgedrehten schwarzen Riesenköter durch Eppendorf geschleift wurde, statt in einem Eigenheim mit Kindern, einem liebevollen Gatten und einem tollen Job zu sitzen? Was lief in ihrem Leben bloß schief? Mit zum Zerreißen gespannter Leine preschte James den Lehmweg entlang, zog Jana hinter sich her und zwang sie dadurch zu einer Mischung aus Jogging und High-Speed-Nordic-Walking. Ihr rechter Arm begann zu schmerzen. In der Ferne sah sie einen Mann mit einem Boxer auf sich zukommen. Zu ihrem Entsetzen stellten sich James’ Nackenhaare auf. Janas auch. James zog die Lefzen kraus, knurrte und erhöhte sein Tempo. Jana packte die Leine nun auch noch mit der anderen Hand und stemmte sich mit ihrem gesamten Körpergewicht gegen die Laufrichtung. »Sitz, James! Sitz!« Zu ihrer größten Verwunderung stoppte er tatsächlich – und setzte sich. Endlich mal ein Befehl, der funktionierte. Zitternd stellte sich Jana neben ihn und wickelte die Leine kurz. Hasserfüllt starrte James auf den näher kommenden Boxer und knurrte immer lauter. »Ruhig, James. Alles gut!«, redete Jana auf ihn ein. Aber für James war offenbar gar nichts gut: Je mehr Jana versuchte, ihn zu beruhigen, desto aggressiver wurde sein Knurren. Hoch konzentriert fixierte er den näher kommenden Boxer und zog die Lefzen immer krauser, bis seine Schnauze plötzlich so faltig und geknautscht aussah, als wäre er...