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Thöns / Führer / Wasner | Assistierter Suizid | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 194 Seiten

Thöns / Führer / Wasner Assistierter Suizid

Rechtliche Debatte und klinische Praxis aus interdisziplinärer Sicht
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-17-043071-6
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Rechtliche Debatte und klinische Praxis aus interdisziplinärer Sicht

E-Book, Deutsch, 194 Seiten

ISBN: 978-3-17-043071-6
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Viele Menschen machen sich Sorgen darüber, an ihrem Lebensende einem unerträglichen Leiden und einem Verlust ihrer Würde ausgesetzt zu sein: Wird das Sterben nicht zugelassen oder in einem Sterbeprozess, angeschlossen an intensivmedizinische Apparate, unnötig qualvoll verlängert werden? In diesem Fachbuch wird die seit vielen Jahren in Deutschland geführte Debatte um die Suizidhilfe aus der Sicht von praktisch Tätigen in den Bereichen Palliativmedizin, Psychiatrie, Pflege, Ethik, Polizei, Recht und der Sterbehilfeorganisationen allgemeinverständlich diskutiert. Dabei werden auch kontroverse Positionen offen dargestellt, wobei der Fokus stets auf die Praxisnähe gelegt wird. Das Werk bietet die Möglichkeit, eine eigene fundierte Haltung zur Suizidhilfe zu entwickeln und darauf aufbauend einen rechtlich gesicherten, aber auch persönlich vertretbaren Weg zu finden, mit dem assistierten Suizid umzugehen.
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1 Einführung in die Thematik
Matthias Thöns Der Wunsch zu sterben ist – neben vielen individuellen Gründen – in zunehmendem Maße dem Eintreten eines Würdeverlustes bzw. eines langen unerträglichen Leidens bzw. der Angst davor geschuldet (Fries, 2008). In entwickelten Ländern macht sich die Sorge vor einer inhumanen Apparatemedizin breit, die ein Sterben nicht zulässt und einen Sterbeprozess unnötig und qualvoll verlängert (Janssens, 2010). 1.1 Apparatemedizin und Patientenverfügung
Einen rasanten und anhaltenden Fortschritt der Intensivmedizin erleben wir seit den 1960er Jahren. Vor allem ist der umfangreichere Einsatz der Beatmungsmedizin zu nennen, der seinerzeit vielen Kindern im Rahmen von Polioepidemien das Leben rettete. Mit dem Einzug diverser intensivmedizinischer Techniken, hochwirksamer Medikamente und vielen anderen Eingriffsmöglichkeiten wurden viele Leben gerettet und Krankheiten geheilt (Schöne-Seifert, 2020). So war eine schwere Störung der Hirnfunktion in der Generation meiner Großeltern stets mit dem baldigen Ableben verbunden. Denn hier war die natürliche Möglichkeit der Nahrungsaufnahme gestört. Gauderer und Ponsky führten 1980 eine technisch einfache Möglichkeit der künstlichen Ernährung durch die Bauchdecke ein, die sogenannte perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG) (Gauderer et al., 1980). Bis dahin musste eine Ernährungssonde aufwändig mit einem operativen Darmeingriff angelegt werden. Fortan gelang es mit einer kaum 15-minütigen, technisch einfachen Magenspiegelung, dauerhaft die künstliche Nahrungszufuhr zu sichern. In den Industrienationen breitete sich dieser Eingriff massenhaft aus; bis heute wird eine relevante Anzahl an zumeist demenziell betroffenen Menschen in Pflegeheimen mittels PEG ernährt. Dabei ist dieser Eingriff zumeist hier nicht indiziert, oft sogar kontraindiziert (Gogol, 2016). Es gehört zu den »fünf Sünden«, die Mediziner:innen in der Betreuung alter Menschen einfach nicht tun sollen. Nicht wenige dieser seinerzeit erstversorgten Schwerstbetroffenen haben so ihren Todeszeitpunkt um mehr als 40 Jahre überlebt. Und bereits hier zeigt sich, dass Intensivmedizin neben einem Segen auch ein Fluch sein kann... Wer möchte schon, beraubt von klarem Verstand und unfähig zur Kommunikation, mit seinen Liebsten jahrzehntelang unreaktiv auf eine Pflegeheimdecke starren? Fast alle Rechtsstreite vor deutschen und internationalen Obergerichten drehten sich mithin um das Beenden der künstlichen Ernährung. Ein Teil der Angehörigen wusste um den Willen des Betroffenen, Siechtum zu beenden, ein anderer Teil konnte entweder ein Sterbenlassen nicht akzeptieren oder argumentierte mit unterstellter, noch vorhandener Lebensfreude. So stritt man sich, bis letztlich die höchsten nationalen und internationalen Gerichte die Rechtspraxis der passiven Sterbehilfe bestätigten: Der Wille eines Menschen gilt, eine künstliche Lebensverlängerung ist abzubrechen, auch wenn sie den Tod zur Folge hat. In einem Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hat man im Fall Lambert gegen Frankreich das Recht auf Einstellen der PEG-Ernährung sogar in der Situation eines schwersten Hirnschadens (minimal conscious state) ohne konkrete Patientenverfügung anerkannt (European Court of Human Rights, 2015). Doch auch andere intensivmedizinische Maßnahmen weiten sich in hohem Maße auf Patientengruppen aus, bei denen eine realistische Aussicht auf Rückkehr zu einem weitgehend selbstbestimmten Leben außerhalb allerschlimmster Schwerstpflegebedürftigkeit nicht mehr besteht und die mit erheblicher Belastung und Leiden verbunden sind: die künstliche Beatmung. Reicht die Hirnfunktion zur Atemsteuerung oder zur Kontrolle der Atemwege nicht mehr, so erreicht man durch einen künstlichen Luftweg über die Halsweichteile und den Anschluss eines Beatmungsgerätes eine langfristige Sicherung der Atemfunktion. Auch durch immer komplexere Eingriffe bei immer älteren und kränkeren Menschen scheitert es regelhaft, Menschen anschließend von der künstlichen Beatmung zu entwöhnen. Dies führte in den letzten 20 Jahren in Deutschland zu einer explosionsartigen Zunahme von Menschen, die dauerhaft einer Intensivüberwachung mit Atemwegssicherung oder Beatmung bedürfen. Nicht zuletzt geldliche Fehlanreize – bei aktuellen Vergütungen bis 90 Euro pro Stunde (65.000 Euro pro Monat) für die Rund-um-die-Uhr intensivpflegerische Überwachung in der Häuslichkeit – führten dazu, dass hier Therapieziele oder Patient:innenwünsche nicht immer wie gesetzlich vorgeschrieben beachtet wurden (Thöns & Putz, 2015). Vor versteckter Kamera wurde sogar das Fälschen von Patientenverfügungen oder deren Nichtbeachtung empfohlen (ARD Monitor, 2016). Dabei sind die Belastungen durch künstliche Atemwegszugänge enorm, denn die natürliche Atemwegsreinigung durch Husten ist unmöglich und muss durch regelhaftes qualvolles Absaugen der hochempfindlichen Atemwege künstlich vorgenommen werden. Mittlerweile sieht man als Palliativmediziner:in nicht nur die Ausweitung dieser Intensivmedizin auf Palliativpatient:innen, sondern bekommt in zunehmendem Maße Patient:innen in die Versorgung, denen kurz vorher Defibrillatoren, Herzklappen oder gar Herzunterstützungssysteme wie Kunstherzen implantiert wurden. Letztlich ist also die Angst vor dem Ausgeliefertsein einer Apparatemedizin nicht ganz unbegründet, stirbt doch jeder zweite Deutsche in der Klinik, die Hälfte von diesen auf einer Intensivstation. Befragte Patient:innen (Rubin et al., 2016) und Intensivmediziner:innen (Hillman et al., 2018) halten einige Zustände für schlimmer als den Tod. Trefflich bringt es Niculescu zum Ausdruck (Niculescu, 2019): »Die bei uns am häufigsten praktizierte Methode, einen Menschen ›in den Tod zu begleiten‹ ist, ihn in der apparatemedizinischen Intensivabteilung eines Krankenhauses sterben zu lassen.« Lange Zeit bestand im Laienwissen und bei Jurist:innen der Eindruck, die Lösung dieses Problems sei die Patientenverfügung, mit der ja jedermann bestimmen könne, ob leidvolle lebensrettende Intensivmedizin geduldet wird oder nicht. So entbrannte anfangs der 2000er Jahre eine Diskussion um eine gesetzliche Regelung. Konservative Kreise um den CDU-Abgeordneten Bosbach versuchten mit einem eigenen Gesetzesvorschlag, die Wirksamkeit von Patientenverfügungen auf den »unumkehrbar tödlichen Verlauf« einer Erkrankung zu beschränken (Borasio et al., 2009). Auch die Bundesärztekammer und die katholische Kirche sahen hier Einschränkungsbedarf (Humanistischer Verband Deutschlands, 2008). Im Grunde haben hier die gleichen Gruppen mit recht ähnlicher Argumentation gearbeitet wie in der aktuellen Suizidhilfediskussion. Doch der Deutsche Bundestag beschloss letztlich das »Gesetz zur Verankerung der Patientenverfügung im Betreuungsrecht« ohne diese Reichweitenbeschränkung (Deutscher Bundestag, 2008). Der Wille eines Menschen, eine Behandlung abzulehnen, ist eben nicht an äußere Krankheitszustände gebunden. Doch nach wie vor besteht bezüglich der Wirksamkeit von Patientenverfügungen viel Unsicherheit. Zunächst forderte der Bundesgerichtshof (BGH) hohe Anforderungen an die Bestimmtheit einer Patientenverfügung: Die »christliche Patientenverfügung« einer nach einem Schlaganfall schwer hirngeschädigten Frau sei nicht konkret genug, es müssten die Krankheit wie auch die nicht gewünschte Maßnahme fest umrissen sein (Bundesgerichtshof, 2016). Dies machte das Formular wertlos, die alte Frau wurde fortan weiter per PEG ernährt und durfte nicht sterben. In einem sehr ähnlich gelagerten Fall urteilte die gleiche Kammer des BGH dann allerdings anders: »Die Anforderungen an die Bestimmtheit dürften nicht überspannt werden.« Die hier vergleichbar Betroffene durfte sterben, obwohl auch sie die christliche Patientenverfügung unterschrieben hatte (Bundesgerichtshof, 2017). Wiederholt berichtete die Laienpresse, dass Patientenverfügungen missachtet werden (Wegener, 2019). Mithin löst offenkundig auch dieses Instrument die teils berechtigten Ängste nicht (Wieghaus, 2019). Es erscheint der Ruf nach Hilfe zum Sterben – Sterbehilfe – in mancher Situation nachvollziehbar zu sein. 1.2 »Sterbehilfe«, die verschiedenen Begriffe
Unter »Sterbehilfe« werden verschiedene, das Lebensende einer Person beschleunigende Handlungen verstanden. Auch wenn »Sterbehilfe« in der wissenschaftlichen Diskussion als obsolet gelten darf und in vielen europäischen Sprachen keine Entsprechung hat, wird aufgrund der weitgehenden Nutzung in gesellschaftlichen Diskussionen daran festgehalten. Der Begriff umfasst das Töten, die Hilfe bei der Selbsttötung und das Sterbenlassen durch Therapieverzicht oder Therapieabbruch aufgrund des Patientenwillens. Teilweise wird auch eine palliative Begleitung als Sterbehilfe verstanden; dies ist aber sprachlich unsauber, teilweise politisch motiviert und wissenschaftlich unhaltbar: Recht gut belegt ist, dass frühzeitig einsetzende zusätzliche palliative Begleitung die Lebensqualität bessert, Angst und Depression mindert, dabei die...


Dr. med. Matthias Thöns ist Palliativmediziner in Witten, Bestsellerautor und erfolgreicher Verfassungskläger gegen das Suizidhilfeverbot.
Das weitere Autorenteam umfasst namhafte VertreterInnen der öffentlichen Diskussion zur Suizidhilfe.



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