Thompson / Dinkelaker / Hummrich | Allgemeine Erziehungswissenschaft | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 245 Seiten

Thompson / Dinkelaker / Hummrich Allgemeine Erziehungswissenschaft

Eine Einführung
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-17-026167-9
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Eine Einführung

E-Book, Deutsch, 245 Seiten

ISBN: 978-3-17-026167-9
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Allgemeine Erziehungswissenschaft beschäftigt sich mit Grundfragen und -lagen pädagogischer Wissenschaft. Sie fragt danach, wie pädagogische Grundbegriffe systematisch zu bestimmen und voneinander abzugrenzen sind. Sie geht auch inneren Widersprüchen und Paradoxien der Pädagogik nach, z.B. dem Widerspruch von Freiheit und Zwang in der Erziehung. Die Allgemeine Erziehungswissenschaft bereitet den Boden, um pädagogische Aufgaben- und Sinnbestimmungen verorten und kritisch diskutieren zu können. Diese Einführung folgt einer Dreiteilung. Im ersten Teil wird der Wissenschaftscharakter der Pädagogik und das ihr zugehörige wissenschaftliche Arbeiten behandelt. Im zweiten Teil werden zentrale pädagogische Grundbegriffe vorgestellt und gezeigt, wie und warum um diese gestritten wird. Drittens stellt die Einführung zentrale Problemfiguren vor, mit denen man es im pädagogischen Denken und Handeln zu tun bekommt.
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Kapitel 1: Eine kleine Geschichte der Wissenschaft und ihrer Theorie
      Wann haben Menschen damit begonnen, wissenschaftlich zu denken und zu fragen? Wie lässt sich ein solcher Zeitpunkt überhaupt bestimmen? Was macht allgemein eine wissenschaftliche Betrachtungsweise aus? Hier haben wir drei Fragen, die sich auf den Anfang von Wissenschaft beziehen. Nun: Wer solche Fragen stellt, hat sich schon in ein ›wissenschaftliches Fahrwasser‹ begeben; denn dazu gehört an erster Stelle, dass sich eine Frage auftut – dass man sich mit dem bisher Gedachten nicht zufriedengibt. Fragen führen das Denken über das hinaus, was zuvor gedacht worden ist. Zugleich steht das Fragen für ein Streben und Suchen nach Wissen. Man kann diese Suche nach Wissen als den Anstoß von Wissenschaft begreifen, die nur durch ein geordnetes und systematisches Verfahren erfolgreich verlaufen kann. Im Folgenden soll an drei Stationen der Wissenschaftsgeschichte dieser zentrale Gesichtspunkt des abendländischen Wissenschaftsprojekts beleuchtet werden. Drei »Anfänge« der Wissenschaft
Für die Anfänge der wissenschaftlichen Betrachtungsweise blicken wir zurück auf die Antike, auf die vorsokratischen2 Naturphilosophen zwischen 600 und 350 vhZr3. Die Vorsokratiker waren darum bemüht, die Natur als Ganzes zu erfassen und den Grund der sichtbaren Welt aufzuklären. Thales (um 600 vhZr.) beispielsweise hielt das Wasser für den Urgrund aller Dinge und Wesen. In diese Erklärungsformel ging sicherlich die große Bedeutung des Wassers für den Erhalt des Lebens ein. Die Vorsokratiker lösten sich von den vielen konkreten Fragen und Interessen des praktischen Alltags. Mit dem Blick auf das Ganze etablierten sie eine neue Vorstellung von Wissen. Nicht konkrete Einzelphänomene standen im Vordergrund, sondern die grundlegenden Zusammenhänge der Welt. Der griechische Philosoph Platon (427–347 vhZr.) formulierte diesen Begriff des »Wissens« nach den uns überlieferten Schriften als erster philosophisch aus (vgl. Platon 1990). Das griechische Wort dafür lautet »episteme«, und es ist in die deutsche Sprache in Wortbildungen um »Epistemologie« eingegangen, was »Erkenntnistheorie« bedeutet. Die »episteme« richtet sich auf ein Wissen unabhängig von situativen Eindrücken. Episteme beschreibt, wie eine Sache »von sich aus« ist. Dem steht die Orientierung an der so genannten »doxa« gegenüber, die beschreibt, wie eine Sache in einer konkreten Situation erscheint. Das Wort wird häufig mit »Meinung« übersetzt, weil wir damit kundtun, wie uns eine Sache erscheint. Die Orientierung an der Doxa kritisierte Platon an den so genannten Sophisten seiner Zeit. Diese zogen als Wanderlehrer umher, um ihre Schüler im freien Reden auszubilden; denn die Fähigkeit des Redens hatte in den aufblühenden demokratischen Stadtstaaten Griechenlands eine hohe politische Bedeutung. Im Kampf der Überzeugungen setzten die Sophisten auf ein situationsbezogenes Wissen, das sich am Erscheinen der Sache orientierte (also eine Ausrichtung an der Doxa). Demgegenüber kann laut Platon nur das als Wissen gelten, was unabhängig von konkreten Einzelsituationen eine Sache oder einen Gegenstand kennzeichnet. Platon prägte damit die Vorstellung, dass das, was eine Sache ausmacht, unveränderlich ist, und er nannte dies »Idee« (griech.: »idea«). Mit Platon ließe sich in etwa so argumentieren: Nur wenn wir die Idee eines Kugelschreibers vor uns haben, können wir Kugelschreiber erkennen. Das Erkennen ist ein Wiedererkennen – und das funktioniert auch bei unterschiedlichen Größen, Fabrikaten und Farben. Die Ideen bilden nach Platon Grundlage und Ziel des Erkennens. In seinem berühmten Höhlengleichnis in der Staatsschrift »Politeia« beschreibt Platon den Weg der Bildung als Aufstieg aus dem Reich der Meinungen in das Reich des Wissens oder der Ideen (Platon 1990; vgl. dazu das Kapitel zu »Bildung«). Um den Blick zu einem zweiten Anfang zu bahnen, müssen wir das Augenmerk darauf richten, wie in der Antike, aber auch im Mittelalter die Suche nach Erkenntnis noch in einer übergreifenden Ordnung eingebettet war (die am Übergang zur Neuzeit nach und nach ihre Geltungskraft verlor). In den übergreifenden und unveränderlichen Weltordnungen hatte der Mensch einen festen Platz. Im vom Christentum dominierten Mittelalter Europas war es die Schöpfungsordnung, die jedem Wesen und Ding seinen Platz in der Welt zuwies. Die Wissenschaft hatte darin die Funktion, diese als vollkommen verstandene göttliche Ordnung zu betrachten und zu bewundern. Abbildung 1 versinnbildlicht diese Vorstellung einer natürlichen Ordnung in Form einer Treppe, auf deren oberster Stufe Gott (»deus«) platziert ist. Der Mensch (»homo«) ist unter den Engeln und den Himmelskörpern positioniert. Nach ihm folgen die Tiere, Pflanzen und die unbelebte Materie. In diesem Schöpfungsmodell ist alles schon an seinem Platz, so dass die Funktion der Wissenschaft allein darin besteht, die göttliche Ordnung zur Geltung zu bringen. Erst zu Beginn der Neuzeit änderte sich das. An dieser Stelle können wir einen weiteren Anfang von Wissenschaft ausmachen. Zu Beginn der Neuzeit vollzieht sich eine Radikalisierung der Wahrheitssuche, indem der Mensch in den Mittelpunkt des Erkennens einrückt. Das lässt sich beispielhaft an einem berühmten Buch von René Descartes zeigen. In seinen »Meditationen über die erste Philosophie«4 spielt Descartes (1596–1650) durch, woran man alles zweifeln kann (Descartes 1986). Man kann an seiner Wahrnehmung zweifeln (z. B. vor dem Hintergrund optischer Täuschungen) oder man kann an seinem Wachzustand zweifeln: Vielleicht träume ich gerade nur? Im Durchgang Abb. 1: Eine natürliche Ordnung aller Dinge und Wesen (Holzschnitt nach Lullus 1512) durch alle möglichen Zweifel endet Descartes bei der Einsicht, dass ungeachtet allen Zweifels eines unbezweifelbar ist: dass es im Moment des Zweifelns ein zweifelndes Ich gibt. Im Nachdenken erfährt sich das Ich als Grund des Erkennens. Die philosophischen Betrachtungen von Descartes lassen die immense Aufwertung erahnen, welche fortan in die menschliche Verstandestätigkeit gelegt wird. Der Mensch rückt in das Zentrum des Erkennens. Ihm ist es möglich, durch den systematischen Einsatz seines Verstandes die Gesetze der Natur zu erforschen. Dafür aber muss er bereit sein anzuzweifeln, was er bisher als Wissen ansah, und sich der Welt prüfend annähern. Als eindrückliches Beispiel hierfür lassen sich die Experimente anführen, die Galileo Galilei (1564–1641) zur Ermittlung der Schwerkraft bzw. der Fallgeschwindigkeit durchführte. Durch das Hinabrollen einer Kugel auf einer schiefen Ebene ermittelte Galilei unter Variation der anderen Versuchsgrößen (Winkel der Ebene und Länge der Rollfläche) den systematischen Zusammenhang von Fallstrecke und Fallzeit. Galileis Versuche sind ein gutes Beispiel dafür, wie der Mensch unter Einsatz seiner Verstandestätigkeit die Naturgesetze erschließt. Galilei prägte dabei eine Form und Vorgehensweise, die bis heute für das wissenschaftliche Arbeiten relevant ist: Im Experiment wird eine Versuchsanordnung erstellt, so dass verschiedene Verläufe des Versuchs vergleichbar werden. In Galileis Experiment zeigte sich dies am Verhältnis von Rollzeit und Rollstrecke. Diese beiden Größen korrelierten (unter Beibehaltung aller anderen Parameter, wie z. B. des Winkels der schiefen Ebene). Als Ergebnis aus seinen Versuchen formulierte Galilei das Fallgesetz, nachdem sich die Fallstrecke proportional zum Quadrat der Fallzeit verhält. Diese Forschungen markieren einen wichtigen Moment der Wissenschaftsentwicklung im Sinne einer systematischen empirischen5 Erforschung der Natur. Für die Wissenschaftsentwicklung sind die Experimente von Galilei noch in einer anderen Hinsicht bedenkenswert. Wie erwähnt steht am Ende des Experiments die mathematische Beschreibung der Natur, die einen wichtigen Schritt ihrer technologischen Nutzung darstellt. Man denke an die zahlreichen Anwendungen aus der Mechanik, z. B. zur Bewegung von Lasten. Galileis Erforschung der Fallgesetze hatte überdies unmittelbare Folgen für Waffentechnologie und Kriegsführung. Allgemein zeigte sich, dass der Mensch durch wissenschaftliche Forschungen ›praktische Probleme‹ lösen konnte, die sich vormals nicht genau beschreiben ließen. Mehr noch: Durch wissenschaftliches Forschen konnte der Mensch ganz neue Lösungen entwerfen, die vormals nicht im Visier waren. Damit aber drängen sich andere Probleme auf. Mit dem wissenschaftlichen und technischen Fortschritt bestimmen sich...


Prof. Dr. Christiane Thompson ist Professorin für Theorie und Geschichte von Erziehung und Bildung an der Goethe-Universität Frankfurt.



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