E-Book, Deutsch, 336 Seiten
Thorpe Only Margo
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7530-0104-3
Verlag: Ecco Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 336 Seiten
ISBN: 978-3-7530-0104-3
Verlag: Ecco Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Rufi Thorpe erhielt 2009 ihren MFA von der University of Virginia. Sie ist Autorin von Romanen wie »The Girls from Corona Del Mar«, »Dear Fang, With Love« und zuletzt »The Knockout Queen«, der für den PEN/Faulkner Award nominiert war. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen in Kalifornien und unterrichtet am The Book Incubator.
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Kapitel Eins
Du fängst an, ein neues Buch zu lesen, und hast ein wenig Herzklopfen. Der Beginn eines Romans ist wie ein erstes Date. Du denkst: Hoffentlich ziehen die Zeilen mich sofort in ihren Bann, und ich versinke in der Geschichte wie in einem wohligen Bad, das mich alles andere vergessen lässt. Deine Hoffnung wird allerdings durch die Erkenntnis getrübt, dass du dir wahrscheinlich zig Namen von Leuten merken und die ganze Zeit aufmerksam bleiben musst, als wärst du beispielsweise auf der Babyparty einer Frau, die du kaum kennst. Das geht in Ordnung, schließlich hast du dich schon öfter in Bücher verliebt, die dich nicht gleich im ersten Absatz gepackt haben. Und trotzdem sehnst du dich danach, dass sie es tun, sehnst dich danach, dass sie im Dunkel deiner Gedanken plötzlich neben dir auftauchen und dich auf den Hals küssen. Margos Babyparty wurde von Tessa organisiert, der Inhaberin des Restaurants, in dem Margo arbeitete. Tessa fand es lustig, dass die Torte wie ein riesiger Schwanz aussah, vielleicht weil Margo ledig und mit gerade mal neunzehn von ihrem Professor geschwängert worden war. Tessa konnte sehr gut backen. Sie stellte alle Desserts des Restaurants selbst her, und bei der Penistorte hatte sie sich selbst übertroffen mit einem handgeschnitzten 3D-Phallus aus zwölf Biskuitschichten, eingehüllt in mattrosa Zuckerguss. Sogar eine Handpumpe war mit im Spiel, und nachdem alle Denn sie kriegt ein riesiges Baby zur Melodie von »For He’s a Jolly Good Fellow« gesungen hatten und Margo die Kerzen ausgepustet hatte – wieso eigentlich? Es war ja schließlich nicht ihr Geburtstag –, drückte Tessa kräftig auf die Pumpe, und weißer Pudding spritzte oben heraus und lief an den Seiten herunter. Tessa johlte begeistert. Margo tat so, als lachte sie mit, aber später weinte sie auf dem Klo. Margo wusste, dass Tessa die Torte ihr zuliebe gebacken hatte. Tessa war liebevoll, aber auch gemein. Als Tessa herausfand, dass der Hilfskoch nichts mehr riechen und schmecken konnte, weil er als Jugendlicher fast totgeprügelt worden war, servierte sie ihm einen Teller Rasiercreme mit Blumenerde und erzählte ihm, das sei ein neuer Nachtisch. Erst als er zwei große Bissen genommen hatte, sagte sie ihm, er solle aufhören. Margo wusste, dass Tessa nur versuchte, etwas Leichtigkeit in eine deprimierende Situation zu bringen. Es war sozusagen ihre Spezialität, Tragödien in Slapstick zu verwandeln. Doch es schien ungerecht, dass die einzige Liebe, die Margo zu spüren bekam, so unzulänglich und schmerzlich war. Ihre Mutter, Shyanne, hatte ihr gesagt, sie solle abtreiben. Ihr Professor hatte sie regelrecht dazu gedrängt abzutreiben. Tatsächlich war Margo unschlüssig gewesen, ob sie das Baby vor allem deshalb behalten wollte, um den beiden zu zeigen, dass sie sich von ihnen nichts vorschreiben ließ. Der Gedanke, dass sie deswegen auf Distanz zu ihr gehen könnten, war ihr gar nicht gekommen. Oder dass sie sogar komplett in der Versenkung verschwinden könnten, wie der Professor. Shyanne hatte Margos Entscheidung zwar nach einer Weile akzeptiert und versuchte sogar, ihr beizustehen, doch ihre Unterstützung war selten hilfreich. Als bei Margo die Wehen einsetzten, tauchte Shyanne erst vier Stunden später im Krankenhaus auf, weil sie auf der Suche nach einem guten Teddybär die ganze Stadt abgeklappert hatte. »Du wirst es nicht glauben, Margo, aber am Ende bin ich doch wieder zu Bloomingdale’s, weil die den besten hatten!« Shyanne arbeitete schon fast fünfzehn Jahre bei Bloomingdale’s. Der Anblick ihrer schwarz schimmernden Strumpfhosenbeine zählte zu Margos frühesten Erinnerungen. Shyanne streckte ihr den Teddy entgegen, er war weiß mit leicht zerknautschtem Gesicht, und sagte mit quiekender Stimme: »Press das Baby raus, ich will endlich meinem Kumpel Hallo sagen!« Shyanne trug so viel Parfüm, dass Margo fast froh war, als sie sich in die Ecke setzte und anfing, auf ihrem Handy Poker zu spielen. PokerStars. Das war ihre Lieblingsbeschäftigung. Den ganzen Abend lang Kaugummi kauen und Poker spielen und all die Loser fertigmachen. So nannte Shyanne die anderen Spielenden immer: »Loser.« Eine der Krankenschwestern war gemein und zog über den Namen her, den Margo sich ausgesucht hatte. Margo wollte das Baby Bodhi nennen, wie Bodhisattva. Shyanne fand den Namen zwar auch blöd, aber sie verpasste der Krankenschwester trotzdem eine schallende Ohrfeige und sorgte damit für großen Wirbel. Zugleich war dies der Moment, in dem Margo sich von ihrer Mutter am meisten geliebt fühlte, und sie sollte sich diese Ohrfeige und die verblüffte Miene der Krankenschwester noch viele Jahre in Erinnerung rufen. Aber das war nach der Periduralanästhesie und einer langen Nacht, in der sie durstig wie ein tollwütiger Hund nach Eiswürfeln jaulte und einen gelben Schwamm bekam, an dem sie saugen sollte, weil Schwämme bekanntlich gute Durstlöscher sind. »Was zur Hölle ist das denn?«, sagte Margo mit dem Schwamm im Mund, er schmeckte nach Zitrone. Das war, nachdem sie pausenlos gepresst und schließlich auf den Tisch gekackt hatte, woraufhin ihr Geburtshelfer das Zeug mit angewiderter Miene wegwischte und sie ihn anschrie: »Ach, kommen Sie, das haben Sie doch alles schon gesehen!« Da lachte er: »Stimmt, Mama, und jetzt noch einmal kräftig pressen!« Und dann der magische Moment, als man ihr Bodhis glitschigen roten Körper auf die Brust legte, die Handtücher um ihn gedrückt, seine Augen waren fest zugekniffen. Sie machte sich sofort Sorgen, weil er so mickrig war. Vor allem seine Beine wirkten unterentwickelt, wie bei einer Kaulquappe. Er wog nur zweitausendsiebenhundert Gramm trotz des Liedes, das sie auf der Babyparty für sie gesungen hatten. Und sie liebte ihn. Sie liebte ihn so sehr, dass ihr schwindelig wurde. Erst als Margo aus dem Krankenhaus entlassen wurde, bekam sie Panik. Shyanne hatte schon eine Schicht sausen lassen, um zur Geburt zu kommen, sie konnte auf keinen Fall einen weiteren Tag freinehmen, um Margo nach Hause zu bringen. Seit Shyanne der Krankenschwester eine geknallt hatte, durfte sie die Klinik allerdings ohnehin nicht mehr betreten. Margo versicherte ihrer Mom natürlich, dass sie zurechtkommen würde. Doch als sie vom Parkplatz fuhr, das Geschrei ihres Babys im Ohr, das in der harten Kunststoffschale des Kindersitzes lag, kam Margo sich wie eine Bankräuberin vor. Seine Schreie klangen so verschleimt und schwach, dass ihr Herz zu rasen begann und sie die gesamte Fahrt nach Hause hindurch zitterte, fünfundvierzig Minuten lang. Sie parkte an der Straße, weil der Stellplatz direkt am Haus, der zu ihrer Wohnung gehörte, schon besetzt war. Doch als sie Bodhi vom Rücksitz nehmen wollte, schaffte sie es nicht, den Kindersitz von der Basisstation zu lösen, obwohl sie auf den Knopf des Hebels drückte; war da vielleicht ein zweiter Knopf, auf den sie gleichzeitig drücken musste? Sie fing an, an dem Kindersitz zu rütteln, ganz vorsichtig. Zumindest darin waren sich alle einig gewesen: Babys durfte man niemals rütteln. Bodhi schrie nun immer heftiger, und sie dachte die ganze Zeit: Dir fehlen doch die Kalorien, um so viel Energie zu verbrauchen, du wirst sterben, noch bevor ich dich hochgebracht habe! Nach fünf panischen Minuten fiel ihr ein, dass sie ja einfach seinen Gurt lösen konnte, und als sie an dem riesigen Plastikverschluss seines Brustgurts herumfummelte und mit übermenschlicher Kraft auf den dämlichen roten Knopf der Schrittschnalle drückte (im Ernst, die konnte sich doch bloß ein Kletterer-Pärchen ausgedacht haben, das mit den Fingerspitzen an irgendwelchen Klippen hing und dann auf die Idee kam, Babysachen zu designen), schaffte sie es endlich, ihn zu befreien. Aber wie sollte sie dieses winzige zerbrechliche Ding jetzt zusammen mit all ihren Taschen nach oben tragen? Die Dammnaht tat ihr bereits höllisch weh; blöde Idee, zur Entlassung aus lauter Eitelkeit ihre Jeans anzuziehen, aber immerhin, sie passte noch. »Okay«, sagte sie entschlossen zu Bodhis winzigem Körper, sein Gesicht dunkelrot, die Augen fest zusammengekniffen, »du darfst dich jetzt auf keinen Fall bewegen.« Sie legte ihn auf den Beifahrersitz, damit sie sich die Windeltasche und ihre Übernachtungstasche über die Schultern schlingen konnte. Sie kam sich vor wie eine Soldatin mit Patronengurten über den Titten. Dann schnappte sie sich das winzige Baby und watschelte zu den braunen Wohnblöcken von Park Place, direkt hinter der Tankstelle. Die Wohnungen dort waren nicht unbedingt schlecht, aber im Vergleich zu den farbenfrohen Häusern aus den 1940ern, die die übrige Straße säumten, wirkte Park Place wie ein ungebetener Gast. Als Margo die Außentreppe zum ersten Stock hochstieg, bekam sie Angst, das Baby fallen zu lassen, sie stellte sich vor, wie seine winzige hähnchengleiche Gestalt in einer Spirale nach unten fiel, dem laubbedeckten Swimmingpool entgegen. Sie betrat die Wohnung und begrüßte Suzie, die auf der Couch saß; von ihren Mitbewohnerinnen war Suzie die netteste, sie stand auf LARP und Cosplay und verkleidete sich manchmal als Elfe oder Troll, selbst an ganz normalen Wochentagen. Als Margo endlich in ihrem Zimmer war, die Tür hinter sich zugemacht, ihre Taschen abgeschüttelt und auf ihrem Bett Platz genommen hatte, um Bodhi zu stillen, hatte sie das Gefühl, als befände sie sich mitten im Krieg. Ich will damit keine Leute beleidigen, die tatsächlich im Krieg sind oder waren; ich will damit nur verdeutlichen, dass dieses Level an Stress und körperlicher Anstrengung...