Töteberg | Falladas letzte Liebe | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Töteberg Falladas letzte Liebe

Roman
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-8412-2826-0
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-8412-2826-0
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Hans Falladas letzte Jahre in Berlin - ein literarisches Kabinettstück und eine faszinierende neue Sicht

Die Studentin Christa Wolf tippt in ihrer Leipziger Wohnung einen Brief. Sie interessiert sich für die autobiographischen Züge in Falladas Werk - und bekommt von dem Dichter und Funktionär Johannes R. Becher, der sich zuletzt aufopfernd um den alkohol- und morphiumsüchtigen Autor gekümmert hat, nur eine ausweichende Antwort. An welche Tabus hatte ihre Frage gerührt?Michael Töteberg gibt eine literarische Antwort auf den Brief der jungen Wolf und erzählt von Falladas Stunde null zwischen zwei Frauen, von alten Dämonen und neuen Horizonten und von der unvergleichlichen Kraft der Literatur. Eine herzzerreißende Geschichte von universeller Gültigkeit über die menschlichen Abgründe - und eine Liebe, die dagegen ankämpft.  Mit den bislang unveröffentlichten Briefen von Hans Fallada an seine zweite Frau

Michael Töteberg, geboren 1951, Autor und Herausgeber, leitete viele Jahre die Agentur für Medienrechte im Rowohlt Verlag und war dort verantwortlich für Literaturverfilmungen wie »Babylon Berlin« und »Tschick«. Er edierte Falladas Briefwechsel mit dem Rowohlt Verlag »Ewig auf der Rutschbahn« und ist seit 2019 Vorsitzender der Hans-Fallada-Gesellschaft. Seine Beschäftigung mit Leben und Werk dieses Autors führt ihn seit Jahrzehnten auf immer neue spannende Fährten.

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Nein, er würde nicht mehr nach Feldberg zurückkehren. Nie mehr. Auch nicht nach Carwitz. Zehn gute Jahre hatte er dort gehabt, einst war es das reinste Paradies, aber in letzter Zeit: die reinste Hölle. Der ewige Streit mit Suse und ihrer Verwandtschaft, die eklige Scheidung und dann die Russen. Nun war er in Berlin gestrandet. An seiner Seite Ulla, die schon die ganze Bahnfahrt über gejammert hatte. Nichts mehr von ihrem strahlenden Lächeln, das er so liebte. Die Bahnfahrt war allerdings auch wirklich eine Strapaze gewesen. Mittags hätten sie in Neustrelitz losfahren sollen, doch fahrplanmäßig passierte nichts in diesen Zeiten. Erst nach stundenlanger Verspätung ging es los. Hauptsache, dass der Zug überhaupt fuhr. Total überfüllt, Berliner auf der Rückreise von ihren Hamstertouren in Mecklenburg. Er hatte mit Ulla gerade noch einen Sitzplatz ergattert – wahrscheinlich sahen sie beide so elend aus, dass ihnen niemand den Platz streitig machen wollte. Rücksichtsvoll waren die Leute nicht, sie standen dicht gedrängt und parkten Taschen und Körbe ungefragt auf ihrem Schoß. Voll gestopft mit Kartoffeln, Gemüse, Pilzen. Nicht gerade angenehm. Sie waren viel zu schwach, um dagegen zu protestieren. Man musste froh sein, wenn man keine Rucksäcke ins Gesicht bekam. Wirklich gesund waren sie noch nicht, aber länger hatten sie es beide im Krankenhaus nicht ausgehalten und darauf bestanden, entlassen zu werden. Vom Carolinenstift waren sie direkt zum Bahnhof gegangen mit nichts als einem kleinen Koffer und ein bisschen Proviant. Bloß weg hier. Nun waren sie auf dem Weg nach Berlin. Vorbereitet war nichts. Erst einmal ankommen – Ulla hatte ein Haus in Schöneberg, Meraner Straße 12. Es gehörte nominell ihrem verstorbenen Mann Kurt, aber das würde sich schon regeln lassen. Wie lange hatten sie im Krankenhaus gelegen? Ein, zwei Wochen? Wie sie dort hingekommen waren, Fallada erinnerte sich nicht. Er wusste nur noch, er hatte einen Ohnmachtsanfall gehabt, Überarbeitung, Überforderung – der meistgehasste Mann im Ort, und ausgerechnet ihn hatte die Rote Armee zum Bürgermeister gemacht, das konnte nicht gut gehen. Er lag flach. Mehr als einen Tag krank sein durfte er sich allerdings nicht erlauben. Jedes Arbeitsversäumnis wurde von den Besatzern als Sabotage gewertet, Fallada war entsprechend nervös. Übernervös, Nervenkoller. Ulla war in Berlin gewesen und hatte etwas mitgebracht, was ihn beruhigen sollte – bewirkt hatten die Tabletten das Gegenteil. Er muss getobt haben, hatte wohl in seiner Raserei kaputt geschlagen, was er in die Finger bekam. Im Nachthemd zur Kommandantur und die Scheiben eingeschmissen. Er konnte sich nicht erinnern, aber Haupt und Richert, die beiden Feldberger Polizisten, hatten ihn aufgelesen. Das war seine Rettung. Sie verfrachteten ihn ins Kreiskrankenhaus, Ulla gleich mit. In normalen Zeiten brauchte der Zug von Neustrelitz nach Berlin-Gesundbrunnen eine reichliche Stunde. Es waren aber keine normalen Zeiten. Der Zug hielt an jeder Milchkanne, und bei jedem Stopp stiegen Leute zu. Einige standen auf den Trittbrettern, mit der einen Hand an der Messingstange, mit der anderen krampfhaft ihre Beute umklammert. Die Luft wurde dünner, es roch bestialisch. Wer weiß, was die Leute an Würsten aus frischer Schlachtung ergattert, und wer weiß, was sie dafür hergegeben hatten – den Familienschmuck, Schlittschuhe oder Omas Leinen? Den Ehering gegen einen Schinken? Fallada sah sich um: ausgemergelte Gestalten, keine Schieber – arme Teufel. Unterdrückte Aggressivität lag in der Luft. Die Leute waren keineswegs stolz auf ihren »Einkauf«, nein, sie waren gedemütigt worden. Sie hatten hergeben müssen, was ihnen lieb und teuer war, was sie über all die Jahre bewahrt hatten, jetzt eingetauscht, weggegeben für immer, damit die Kinder heute Abend etwas zu essen hatten. Fallada blickte zu Ulla: Die einzige Wertsache, die sie bei sich hatten, trug Ulla am Finger: einen Brillantring. Mit dem Umzug gaben sie etwas auf, was in Berlin nur schwer und teuer auf dem Schwarzmarkt zu organisieren war: die Versorgung mit Lebensmitteln. Auf dem Land war es nicht so schlimm wie in der Stadt. In Carwitz konnte sich Fallada mit seiner Büdnerei selbstversorgen. Nicht fürstlich, aber irgendwie ging es schon. In Berlin mussten sie erst einmal aufs Amt, um Lebensmittelkarten zu beantragen. Doch das hatte Zeit. Im Moment beschäftigte sie eine bange Frage: Stand das Haus in der Meraner Straße noch? Zuletzt waren sie an dem Tag, als sie geheiratet hatten, dort gewesen. Hochzeitsfeier mitten im Krieg, in Berlin – Fliegeralarm, so musste es ja kommen. Das war am 1. Februar ?1945 gewesen. Alle in den Luftschutzkeller. Ernst Rowohlt, ihr Trauzeuge, nutzte die Gelegenheit, sich zu verdrücken, und ward nicht mehr gesehen. Am nächsten Tag, ziemlich verkatert nach der missglückten Feier, war das frisch getraute Ehepaar zurück nach Feldberg gefahren. Zum Glück. Tags drauf, morgens um 10 Uhr bei schönstem Sonnenschein, konnten sie am Himmel das Geschwader sehen, das auf Berlin zusteuerte. Es waren hunderte Bomber und Jagdflugzeuge, es hörte gar nicht auf. Die Stadt erlebte einen verheerenden Luftangriff, ganze Bezirke wurden dem Erdboden gleichgemacht: Kreuzberg, Mitte, Friedrichshain, Wedding. Auch Schöneberg war nicht verschont geblieben, auch nicht das Bayerische Viertel, in dem ihre Wohnung lag. Da hatte er Glück im Unglück gehabt. Wieder einmal. Aber Unglück im Glück, das kannte er auch. Er schaute auf Ulla, sie war sein ganzes Glück. Dass er das erleben durfte, sich noch einmal zu verlieben. Dass diese Liebe erwidert wurde, das hätte er kaum zu hoffen gewagt. Sie sah hinreißend aus, selbst jetzt, wo sie beide arg ramponiert waren. Eine attraktive, lebenslustige Frau, 24 Jahre jung, er, 52 Jahre alt – na und? Mochten sich die Leute die Mäuler zerreißen. Im März hatten sie sich noch einmal kurz ins zerstörte Berlin gewagt. Ulla musste noch etwas besorgen, was in Feldberg nicht zu haben war – Fallada wusste, worum es sich handelte. Ulla war sein Glück, aber – das ahnte er von Anfang an – auch sein Unglück. Nur gut, dass die beiden Polizisten sie gleich nach Neustrelitz ins Krankenhaus gebracht hatten. Ein Bürgermeister, der die Scheiben der Kommandantur einschlägt – die Russen machten in solchen Fällen kurzen Prozess. In Feldberg konnte er sich nicht mehr sehen lassen, in die Fänge von Major Miasnik wollte er nicht geraten. Noch einmal nach Hause, um etwas zum Anziehen zu holen, darauf hatte er verzichtet. So trug er nur den dünnen Anzug, den er am Tag des Zusammenbruchs angehabt hatte, keinen Mantel, keinen Hut, nichts. Ulla hatte sich von einer Freundin einen Mantel geliehen, billige Konfektionsware. Passte gar nicht zu ihr, die auf Eleganz selbst im Alltag Wert legte. Sie konnte sich, was Suse niemals in den Sinn gekommen wäre, mehrmals am Tag umziehen. Jetzt waren ihre Strümpfe zerrissen, wahrscheinlich von einem der groben Körbe der Mitfahrenden. Ulla war gelb im Gesicht, sie litt an einer Blutvergiftung. Am linken Fuß hatte sie eine offene Wunde, weit konnten sie damit nicht laufen. Gleich morgen mussten sie einen Arzt finden. Sie hatten nicht nur Kleidung, Möbel und Wertsachen in Feldberg zurückgelassen, sondern, viel schlimmer, auch die Kinder – Fallada seinen Ältesten, sie ihre Tochter. Uli war schon 15, bis vor Kurzem im Internat, er würde schon eine Zeitlang ohne ihn zurechtkommen. Aber Jutta war doch noch ein Kind, erst sechs Jahre alt. Suse hatte sich in den letzten Wochen um sie alle gekümmert. So war sie. Egal, was zwischen ihnen vorgefallen war, darauf konnte er sich verlassen. Sobald es ging, würde er Uli dennoch zu sich holen. Jutta natürlich auch. Sie fuhren am Bunker im Humboldthain vorbei. Alles lag in Schutt und Asche, nur der Bunker war wohl nicht kleinzukriegen gewesen. In der Brunnenstraße hatte es eine große Filiale von Seifen-Losch gegeben, der Laden dürfte nicht überlebt haben. Seifen-Losch hatte überall Filialen in Berlin gehabt, waren es sechzig oder achtzig, Ulla wusste es nicht. Wahrscheinlich hätte es nicht einmal Kurt Losch gewusst, ihr verstorbener Mann. Für das Geschäft hatte er sich, anders als sein Bruder, nie sonderlich interessiert. Er war eine Künstlernatur gewesen, hatte gemalt. Gar nicht mal schlecht, Ulla hatte ...



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