E-Book, Deutsch, Italienisch, Band 22, 251 Seiten
Traninger / La Manna Die Rezension als Medium der Weltliteratur
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-11-118074-8
Verlag: De Gruyter
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
E-Book, Deutsch, Italienisch, Band 22, 251 Seiten
Reihe: WeltLiteraturen / World Literatures
ISBN: 978-3-11-118074-8
Verlag: De Gruyter
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Zielgruppe
Scholars of literary studies, media history, comparative literary / Literaturwissenschaftler/-innen, Medienhistoriker/-innen, Kompara
Autoren/Hrsg.
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Weitere Infos & Material
Teil 1 Genealogien
Gelehrtenrepublik revisited. Die Rezension und die medialen Voraussetzungen von ‚Weltliteratur‘, von den Nouvelles de la république des lettres zu Le Globe
Anita Traninger 1 Drei Begriffe
Der vorliegende Sammelband ist rund um drei Begriffe organisiert: Rezension – Medium – Weltliteratur. In diesem Beitrag soll eine Früh- und Vorgeschichte der Rezension ausgemessen werden, die die medialen und rhetorischen Implikate der drei Begriffe in den Blick nimmt, die sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts mitführten.1 Während Weltliteratur weniger ein Begriff als ein Gravitationsfeld ist, das über die Jahrhunderte ganz unterschiedliche, wenn nicht gar gegensätzliche Anliegen angezogen hat, ist Medium in Verbindung mit Rezension vielleicht der am stärksten kontraintuitive Begriff. Dass Rezension und Weltliteratur kurzgeschlossen werden, verdankt sich natürlich Goethe, war ihm doch allem Anschein nach der chinesische Roman, der ihn von Weltliteratur allererst sprechen ließ, durch eine Rezension in Le Globe zur Kenntnis gebracht worden. Aus medientheoretischer Perspektive erscheint es zunächst folgerichtiger, dass die Zeitschrift das Medium und die Rezension die zwingend an dieses Medium geknüpfte Textsorte sei. Doch sehe ich zwei Aspekte, die die Rede von der Rezension als Medium gerechtfertigt erscheinen lassen. Zum einen ist die Rezension Mittlerin der Weltliteratur: Weltliteratur existiert nicht un-mittel-bar, sondern wird konstituiert durch bestimmte Kommunikationsformen, in ihren Anfängen eben dominant jene der Rezension. Damit ist zum anderen eine weitreichendere These verbunden, die im Folgenden entfaltet wird: Weltliteratur ist kein Gegenstand, sondern ein Phänomen der medial vermittelten Aushandlung und Kommunikation. Sie führt dabei ältere Muster mit, von denen sie sich zugleich emphatisch distanziert – jene der république des lettres. Fritz Heiders Unterscheidung von Ding und Medium mag hier in einem weiteren Sinn nützlich sein, wenn er schreibt, dass wir „von dem Etwas, das wir hören, getrennt [sind] durch ein ‚Nichts‘, von dem wir keine oder nur sehr wenig Kunde erhalten.“2 Die Rezension, die sich im 18. Jahrhundert so effizient zwischen Autor:innen, Texte und Leser:innen schiebt, ist als solche und vor allem in ihrer Bedeutung für das Konzept der Weltliteratur, das in diesem Band in seiner historischen Genese problematisiert wird, bisher kaum gesehen worden. Das mag spezifisch mit ihrem Mediencharakter zu tun haben: „Das Verschwinden der Medien in ihrem Vollzug“,3 wie Sybille Krämer formuliert, charakterisiert die Rolle der Rezension im Diskurs der Weltliteratur. „Medien,“ so Krämer weiter, „,an-aisthetisieren‘ sich in ihrem Gebrauch, sie entziehen und verbergen sich im störungsfreien Vollzug.“4 Am unproblematischsten erscheint von weitem betrachtet der Begriff der Rezension, gerade weil er sich im frühen 19. Jahrhundert – und mehr noch in der Gegenwart – wesentlich naturalisiert hat. Im 17. Jahrhundert freilich erscheint die Rezension als grundstürzend neue Gattung, die sich aus dem ebenso neuen Geist der Kritik speist: Werden mit dem Verbum ‚recensere‘ zum einen Gegenstände gemustert, gezählt und wiedererzählt, so konnotiert seine metonymische Verwendung andererseits zugleich eine Ebene des kritischen, rationalen Einschätzens, der erwarteten Stellungnahme. Die Begriffsgeschichte von ‚Rezension‘ steht also von Beginn an im Spannungsfeld von referierender Darstellung und kritischer Beurteilung.5 Herbert Jaumann hat nachgezeichnet, wie das 17. Jahrhundert die Besprechung aktueller Neuerscheinungen noch in separaten Drucken organisierte – typischerweise als sentiments oder observations ausgewiesen –, die ihrerseits auf die lateinischen observationes criticae, acerra, analecta und miscellanea zurückgehen.6 Die Rezension entsteht zu einer Zeit, in der ‚Literatur‘ noch gelehrtes Schrifttum im allgemeinen meinte; als Kritik sich gerade erst als Kommunikationsmodus der gelehrten Welt etablierte; und als Periodizität ein radikal neuer Publikationsmodus war. Während erst die Periodizität der Journale die Rezension als stabile Textsorte hervorbringt, verweist der Terminus selbst zurück auf die humanistische Philologie, bezog sich ‚recensere‘ „im konventionellen Wortgebrauch der critica [doch] ausschließlich auf die kritische Prüfung von Textfassungen mit dem Ziel der emendatio.“7 Die Rezension ist nicht allein in dieser Hinsicht ein konzeptionelles Umspannwerk. Auch der Literaturbegriff transformiert sich im Verbund mit der Konsolidierung der Rezension. Das 18. Jahrhundert sieht eine graduelle, dabei keineswegs geradlinig verlaufende Verschiebung von einer Auffassung von Literatur als Kompetenz zu Literatur als Gegenstand. Voltaire spricht in einem Fragment zum Thema „Littérature“, das zum Dictionaire philosophique portatif (erstmals 1764) gehört, wiederholt von „avoir de la littérature“ als einer Art von Kenntnis oder Bildung, die durchaus basal angelegt ist: „La littérature est précisément ce qu’était la grammaire chez les Grecs et chez les Romains […].“ Grammatiker in diesem Sinn seien freilich Autoren wie Aulus Gellius, Athenaios oder Macrobius, die in den Noctes Atticae, den Deipnosophistai bzw. in den Saturnalia nicht unwesentlich als Kulturmittler agierten. Von daher überrascht die Definition von ‚Literatur‘ als einer Art von Wissen nicht: „La littérature, qui est cette grammaire d’Aulu-Gelle, d’Athénée, de Macrobe, désigne dans toute l’Europe une connaissance des ouvrages de goût, une teinture d’histoire, de poésie, d’éloquence, de critique.“8 Von hier aus verschiebt sich der semantische Kern in Richtung des modernen Literaturbegriffs: Im Verlauf des 18. Jahrhunderts wandert er „in einer verworrenen Geschichte aus der Respublica Literaria in das Feld der Romane, Dramen und Gedichte“.9 Die Wörterbücher des 18. Jahrhunderts dokumentieren diese Karriere. „Littérature“ erscheint in Furetières Dictionnaire universel in den Ausgaben von 1690 und 1727 mit gleichlautender Definition: „Doctrine, connoissance profonde des lettres“.10 Das Adjektiv „littéraire“ taucht dagegen erstmals in der Ausgabe 1727 mit der Definition „Qui appartient aux Lettres ou aux Sciences“ auf, als Beispiel wird gegeben: „Nouvelles litteraires“. Férauds Dictionnaire critique de la langue française (1787) markiert bereits das Ende des Verschubs: ‚littéraire‘ sei nun „qui apartient aux Belles Lettres“. Allerdings: ein ‚litérateur‘ bleibt „celui, qui est versé dans la litérature; c. à. d. dans l’érudition.“11 Féraud führt erstmals den littérateur, der auf den alten, gelehrten Literaturbegriff zurückverweist, bei Furetière war er weder 1690 noch 1727 präsent gewesen. Der litérateur bindet also weiterhin die gelehrtenrepublikanische Kommunikationsstruktur und steht damit mindestens eine Kompetenzstufe über dem römischen litterator, der als „Sprachmeister im Lesen und Schreiben“ ein Elementarpädagoge war im Gegensatz zum litteratus, dem eigentlich wissenschaftlich Gebildeten.12 Diese Tiefenechos drängen sich nicht zuletzt deshalb auf, weil Goethe die Akteure der Weltliteratur als „Literatoren“ – und nicht etwa als ‚Literaten‘ – bezeichnet: Wenn wir eine Europäische, ja eine allgemeine Weltliteratur zu verkündigen gewagt haben, so heißt dieses nicht daß die verschiedenen Nationen von einander und ihren Erzeugnissen Kenntnis nehmen, denn in diesem Sinne existiert sie schon lange, setzt sich fort und erneuert sich mehr oder weniger; Nein! hier ist vielmehr davon die Rede, daß die lebendigen und strebenden Literatoren einander kennen lernen und durch Neigung und Gemeinsinn sich veranlaßt finden gesellschaftlich zu wirken.13 Wenn, wovon auszugehen ist, Goethe den Ausdruck nach dem Französischen gebildet hat, dann führt die Weltliteratur allen Transformationen des Literaturbegriffs zum Trotz auf der Akteursebene die gelehrtenrepublikanische Praxis weiter mit. Diese république des lettres war, so hat es Heinrich Bosse auf den Punkt gebracht, nichts anderes als „das Kommunikationssystem des gelehrten Standes“.14 ‚Weltliteratur‘ ist nun ebenso – so Anne Bohnenkamp – wesentlich ein Kommunikationsprojekt: „Goethes ‚Weltliteratur‘ entsteht nicht nur aus der internationalen und interkulturellen Kommunikation, sie ist diese Kommunikation selbst.“15 Es handelt sich hier um mehr als um zufällige Parallelen. Vielmehr werden hier subkutan Muster fortgeschrieben, die in der Selbstbeschreibung der Akteure hingegen als Bruch erscheinen. ...