E-Book, Deutsch, 285 Seiten
Reihe: Tests und Trends in der pädagogisch-psychologischen Diagnostik
Trautwein / Hasselhorn Begabungen und Talente
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-8409-2846-8
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
E-Book, Deutsch, 285 Seiten
Reihe: Tests und Trends in der pädagogisch-psychologischen Diagnostik
ISBN: 978-3-8409-2846-8
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Fragen zu Begabungen und Talenten bei Kindern und Jugendlichen gehören zu den klassischen Schwerpunkten der pädagogisch-psychologischen Diagnostik. Nicht zuletzt durch die 2015 durch die Kultusministerkonferenz verabschiedete „Förderstrategie für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler“ hat dieser Schwerpunkt in der pädagogischen Praxis aktuell wieder Hochkonjunktur. Auch in der Forschung wurden in jüngerer Zeit neue Testverfahren vorgelegt, mit denen intellektuelle bzw. kognitive Begabungen bei Kindern erfasst werden können. Dazu gehören Verfahren zur Erfassung von Kreativität und Hochbegabung. Zunehmend werden aber auch die diagnostischen Möglichkeiten zur Feststellung besonderer Talente in nicht-intellektuellen Bereichen wie der Musik und dem Sport weiterentwickelt. Und über die Diagnostik hinausgehend sind zahlreiche Ansätze entstanden, mit denen eine gezielte Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Begabungen erreicht werden soll.
Der vorliegende Band informiert über die klassischen Konzepte von Begabung und ihren Bezügen zu neueren Konzepten wie Expertise und Kompetenz. Darüber hinaus werden exemplarisch aktuelle Trends im Bereich der Diagnose besonderer Begabungen und Talente in unterschiedlichen Bereichen skizziert und vielversprechende Förderansätze für besonders begabte Kinder und Jugendliche vorgestellt.
Dieser Band ist unter der Reihenbezeichnung „Tests und Trends – Jahrbuch der pädogogisch-psychologischen Diagnostik“ erschienen.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Pädagogik Pädagogik Pädagogische Psychologie
- Sozialwissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie Differentielle Psychologie, Persönlichkeitspsychologie Psychologische Diagnostik, Testpsychologie
- Sozialwissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie Entwicklungspsychologie Pädagogische Psychologie
Weitere Infos & Material
1;Begabungen und Talente;1
1.1;Inhaltsverzeichnis;7
2;Vorwort der Herausgeber;9
3;Kapitel 1: Begabung, Intelligenz, Talent, Wissen, Kompetenz und Expertise: eine Begriffsklärung;15
4;Kapitel 2: Zur Bedeutung der schulischen Organisationund der Kompetenzen von Lehrkräften fu?r die Talentidentifikation und -förderung;31
5;Kapitel 3: Erste Schritte zu einer systemischen Begabungsdiagnostik: Ein Paradigmenwechsel von der Potenzialfeststellung zur Exzellenzvorhersage;45
6;Kapitel 4: Begabungsdiagnostik und -forschung mit dem Berliner Intelligenzstrukturtest für Jugendliche (BIS-HB);63
7;Kapitel 5: Erfassung kognitiver Begabung im Grundschulalter: Das Intelligenzscreening THINK 1-4;79
8;Kapitel 6: Die Mu?nchner Hochbegabungstestbatterie (MHBT) – ein Tool fu?r die Hochbegabungsdiagnostik;97
9;Kapitel 7: Diagnostik von Kreativität bei Vorschul- und Schulkindern;117
10;Kapitel 8: Messung musikalischer Begabung;139
11;Kapitel 9: Diagnostik motorischer Leistungsdispositionen;159
12;Kapitel 10: Förderung in Gymnasialen Begabtenklassen;173
13;Kapitel 11: Begabungs- und Talentförderung in der Grundschule durch Enrichment: Das Beispiel der Hector-Kinderakademien;191
14;Kapitel 12: Über Wissenschaft nachdenken in der Grundschule: Ein Hector Core Course;211
15;Kapitel 13: Förderung mathematischer Fähigkeiten in der Grundschule – die Rolle von Schülerwettbewerben am Beispiel der Mathematik-Olympiade;227
16;Kapitel 14: Präsentation im MINT-Unterricht. Jugend präsentiert als Projekt zur Entwicklung kommunikativer Kompetenz;243
17;Anhang;259
18;Autorenverzeichnis;282
Kapitel 2 Zur Bedeutung der schulischen Organisation und der Kompetenzen von Lehrkräften für die Talentidentifikation und -förderung (S. 17-18)
Anne Sliwka und Thuy Loan Nguyen
Zusammenfassung
Im Spitzensport und vielen Großunternehmen findet die Talentidentifikation und -förderung systematisch statt und wird als Katalysator zur Höchstleistung angesehen. Was im Sport und auch in Unternehmen mit tausenden von Mitarbeitern mittlerweile als Selbstverständlichkeit erachtet wird, steckt im Bildungsbereich noch in den Kinderschuhen. Jedoch ist die Talentidentifikation und -förderung auch im Bildungsbereich möglich, sofern ein Bewusstsein für ihre hohe Relevanz geschaffen wird, Lehrkräfte systematisch ausgebildet und die hierfür notwendigen schulischen Strukturen geschaffen werden. In diesem Beitrag wird darauf eingegangen, welche Bedingungsfaktoren zu einer qualitativ hochwertigen Talentidentifikation und -förderung notwendig sind. Beginnend mit einer historischen Betrachtung über die Begabten- und Hochbegabtenforschung wird sodann ihr aktueller Stand diskutiert. Schließlich werden die wichtigsten Eckpfeiler der Lehrerausbildung und der schulischen Organisationsstrukturen beleuchtet, die zur flächendeckenden Implementierung der Talentidentifikation und -förderung dienlich sind und ihre Implementation in den schulischen Alltag kritisch reflektiert.
2.1 Historische Betrachtung der Talentidentifikation und -förderung
Lange Zeit galt die systematische und zielgerichtete Identifikation und Förderung von Talenten zumindest im schulpädagogischen Diskurs nicht zu den Kernzielen deutschsprachiger Bildungssysteme. Der Auftrag der schulischen Bildung lag vielmehr in der Vermittlung eines allgemeinen, kulturell geprägten Kanons an Schlüsselkompetenzen und Wissensinhalten, wonach die schulinstitutionellen Rahmenbedingungen ausgerichtet wurden. Da weder die Ziele noch die Rahmenbedingungen des Schulsystems auf die Talentidentifikation und -förderung ausgerichtet waren, oblag es letztlich der individuellen Lehrkraft und damit einer gewissen Willkür, ob die Förderung von Talenten überhaupt als professionelle Aufgabe verstanden und umgesetzt wurde.
sich in Deutschland jedoch ein zunehmender Perspektivenwechsel zugunsten individualisierter Förderkonzepte ab. An den Universitäten im deutschsprachigen Raum wurden spezielle Forschungsschwerpunkte (meist im Kontext der Psychologie) für die Begabtenförderung eingerichtet. Gleichzeitig entstanden spezialisierte Beratungsstellen, Testzentren sowie schulische und außerschulische Förderprogramme für Kinder und Jugendliche, die in der Regel mit Hilfe von psychologisch-diagnostischen Verfahren (vor allem Intelligenz- und Entwicklungstests) als besonders begabt eingestuft wurden. Ausgewählte Schulen begannen besondere Förderangebote (wie zum Beispiel spezielle Klassen für Hochbegabte) einzurichten, einzelne Bundesländer gründeten Landesinternate zur Förderung hochbegabter Schüler, Akademien für Schüler boten Enrichment-Angebote außerhalb der Schule und in den Ferien an, und die Möglichkeit zum Frühstudium an Universitäten wurde systematisch ausgebaut.
Tatsächlich wurde in Deutschland erst mit dem Ende des 20. Jahrhunderts der bedeutende Wert der Talentidentifikation und -förderung für das gesellschaftliche Entwicklungs- und Innovationspotenzial flächendeckend in der Forschung anerkannt. Diese Entwicklung ist vornehmlich aufgrund der konvergierenden Forschungsergebnisse der empirischen Bildungsforschung einerseits und der pädagogisch- psychologischen Lehr-Lern-Forschung andererseits begründet. Erstens wuchs im Nachklang einflussreicher und methodisch aufwendiger international vergleichender Schulleistungsstudien wie TIMSS und PISA die Erkenntnis, dass das lange Zeit vorherrschende Paradigma der vergleichsweise homogenen Lerngruppe (Sliwka, 2010) verworfen werden musste. Insbesondere zeigen diese Studien, dass alleine schon aufgrund der unterschiedlichen Lernvoraussetzungen und diversen sozialen Verzerrungseffekte eine trennscharfe Auswahl der Schüler in homogene Leistungsgruppen nicht möglich ist. Folglich ist auch die praktische Implikation, die aus dem Paradigma der homogenen Lerngruppen folgt, namentlich dass dasselbe Lernprogramm und Lerntempo für alle Schüler einer Schulform und -stufe angemessen sei, nicht mehr haltbar. Zweitens betonten Vertreter der pädagogisch-psychologischen Lehr-Lern-Forschung, dass Schüler besser als Individuen und weniger als Mitglieder einer homogenen Gruppe angesehen werden sollten. Mit dem zunehmenden Verständnis von Lernen als (sozial) konstruktivistischen Prozess, der entscheidend von den inter- und intraindividuellen kognitiven, motivationalen sowie emotionalen Lernvoraussetzungen des Schülers beeinflusst wird (Boekaerts, 2010; Ritchotte, Suhr, Alfurayh & Graefe, 2015), hat die Talentidentifikation und -förderung schließlich einen festen Platz in der Schulpädagogik und der institutionellen Schul- und Schulsystementwicklung eingenommen.