Tretter / Grünhut | Ist das Gehirn der Geist? | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 260 Seiten

Tretter / Grünhut Ist das Gehirn der Geist?

Grundfragen der Neurophilosophie
1. Auflage 2010
ISBN: 978-3-8409-2276-3
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark

Grundfragen der Neurophilosophie

E-Book, Deutsch, 260 Seiten

ISBN: 978-3-8409-2276-3
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark



Die Hirnforschung, genauer gesagt die Neurobiologie, hat in den letzten Jahren die Behauptung aufgestellt, dass der Geist nichts anderes sei als das Gehirn. Medial sehr wirksam, werden Resultate aus dem Gebiet der Hirnforschung referiert, die zeigen sollen, dass der Mensch und sein Verhalten letztlich nur durch sein Gehirn bestimmt sei und Begriffe wie der 'Geist', das 'Bewusstsein', das 'Ich' und der 'freie Wille' nur Fehlkonstrukte unserer Kultur seien.

Die Autoren zeigen auf, dass die häufige Nichtbeachtung technisch-methodologischer Probleme der Hirnforschung und die Überinterpretation der experimentellen Befunde sowie die mangelnde Beachtung von Erkenntnissen der Psychologie problematisch sind, da sie unser Menschenbild durch den Reduktionismus massiv beeinflussen. Der Band stellt historische Bezüge zum Leib-Seele-Problem her und liefert einen Überblick über philosophische, psychologische, neurobiologische und systemtheoretische Ansätze zu einem der ältesten Fragekomplexe, der von Philosophen schon seit zwei Jahrtausenden behandelt wird. Ziel ist es, die Dringlichkeit der Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen im Sinne einer 'Neurophilosophie' herauszuarbeiten, sodass gewonnene Teilerkenntnisse tatsächlich zum Nutzen des Menschen eingesetzt werden können, u. a. im Bereich der Politik, Gesellschaft und Justiz.

Tretter / Grünhut Ist das Gehirn der Geist? jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


1;Inhaltsverzeichnis;8
2;Vorwort;6
3;1 Einleitung – Grundfragen des Gehirn-Geist-Problems;12
3.1;1.1 Das Wissen und die Wissenschaften vom Materiellen und dem Geistigen;12
3.1.1;1.1.1 Vom Leib-Seele-Problem zum Gehirn-Geist-Problem;13
3.2;1.2 Die Philosophie und ihre Kompetenzen;14
3.2.1;1.2.1 Philosophie des Geistes und die Dimensionen der Gehirn-Geist-Debatte;14
3.2.2;1.2.2 Perspektiven einer interdisziplinären „Neurophilosophie“;22
3.3;1.3 Das Subjekt und die „Psycho-Wissenschaften“;24
3.4;1.4 Die Neurobiologie und der naturwissenschaftliche Reduktionismus;25
3.5;1.5 Das Gehirn als Mehr-Ebenen-System;27
3.6;1.6 Informatik, Systemwissenschaft und andere „theoretische“ Fächer;28
3.6.1;1.6.1 Das Gehirn als komplexes dynamisches Mehr-Ebenen-Netzwerk von Nervenzellen;29
3.7;1.7 Fazit;30
4;2 Philosophie – Grundaspekte, Erkenntnistheorie und Wissenschaftsphilosophie;32
4.1;2.1 Allgemeines zur Philosophie;32
4.2;2.2 Erkenntnistheorie und Methodologie wissenschaftlicher Erkenntnis;34
4.2.1;2.2.1 Erkenntnistheorie – Wie ist Erkennen möglich?;35
4.2.2;2.2.2 Kritischer Rationalismus und Konstruktivismus – Theorie der Empirie;35
4.3;2.3 Allgemeine Wissenschaftsphilosophie – Struktur des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses;38
4.3.1;2.3.1 „Wissenschaft“ – Institutionalisierung von Skepsis?;39
4.3.2;2.3.2 Reduktion der „weichen“ Wissenschaften auf die harten Wissenschaften;39
4.3.3;2.3.3 Der Zyklus der wissenschaftlichen Erkenntnis;41
4.3.4;2.3.4 Der wissenschaftliche Erkenntniszyklus – Das Beispiel Neuropsychiatrie;43
4.3.5;2.3.5 Die Top-down-Analyse – Reduktion des Komplexen auf das Einfache;45
4.3.6;2.3.6 Die Bottom-up-Erklärungen – Vom Elementaren zur Vielfalt;46
4.3.7;2.3.7 Grenzen der Naturwissenschaften;49
4.3.8;2.3.8 Kausalität – Konditionalismus, Determinismus oder Probabilismus;49
4.3.9;2.3.9 „Multikonditionalität“ – Eine Ursache kommt selten allein;51
4.3.10;2.3.10 Determination – „Bedingung“ oder „Bestimmung“;51
4.3.11;2.3.11 Anfangsbedingungen eines Prozesses – Identisch, äquivalent oder ähnlich?;54
4.3.12;2.3.12 Unbestimmtheitsrelation – Ort oder Impuls;56
4.3.13;2.3.13 Mikro-Makro-Ebene – Die Diktatur der Moleküle?;56
4.3.14;2.3.14 Emergenz – Die Entstehung von Neuem;57
4.3.15;2.3.15 Erklärung und Prognose – Hinterher ist man immer klüger;58
4.3.16;2.3.16 Indeterminismus, Zufall und Chaos – Unbestimmtheit;59
4.3.17;2.3.17 Zufall – Determination mit Unbekannten?;61
4.3.18;2.3.18 Fazit – Der Determinismus ist begrenzt;62
5;3 Philosophie des Geistes – Konzepte und methodologische Probleme;64
5.1;3.1 Ideengeschichte – Vom Leib-Seele-Problem zum Gehirn-Geist-Problem;65
5.1.1;3.1.1 Frühgeschichte;65
5.1.2;3.1.2 Antike (600 v. Chr. bis 300 n. Chr.);65
5.1.3;3.1.3 Aufklärung;67
5.1.4;3.1.4 Das 20. Jahrhundert;69
5.1.5;3.1.5 Aktuelle Diskussion;69
5.2;3.2 Philosophie des Geistes – Grundfragen;70
5.2.1;3.2.1 Fragen zum „Wesen“ von Gehirn und Geist (I);70
5.2.2;3.2.2 Fragen zur „Beziehung“ zwischen Gehirn und Geist (II );78
5.2.3;3.2.3 Bestimmungsmethoden der Beziehungen zwischen Gehirn und Geist (III);94
5.2.4;3.2.4 Die Wirkungsbeziehungen zwischen Gehirn und Geist (IV);95
5.3;3.3 Wissenschaftsphilosophische Aspekte der Gehirn-Geist-Debatte;106
5.3.1;3.3.1 Die Vielfalt der Fachperspektiven und das Problem der Methodenintegration;106
5.3.2;3.3.2 Das Problem interdisziplinärer Sprache und Kommunikation;107
5.3.3;3.3.3 Die Sprache und Logik der Hirnforschung;109
5.4;3.4 Perspektiven der „Neurophilosophie“;112
5.5;3.5 Fazit;113
6;4 Psychologie – Die Erforschung der Seele;115
6.1;4.1 Definition des Psychischen als Gegenstand der Psychologie;115
6.2;4.2 Historische Aspekte;116
6.3;4.3 Methodische Positionen;117
6.4;4.4 Begriffe und Konzepte der Psychologie;121
6.5;4.5 Schichtenmodell des Psychischen;123
6.6;4.6 Zentrale Begriffe der Phänomenologie;128
6.7;4.7 Ökologie der Person;140
6.8;4.8 Systemische Konzeption des Psychischen;141
6.9;4.9 Fazit zur Psychologie – Auf dem Weg zur systemischen Perspektive;145
7;5 Die Neurobiologie – Die Erforschung des Gehirns;146
7.1;5.1 Grundzüge der Neurobiologie;146
7.1.1;5.1.1 Der Top-down-Forschungsansatz der experimentellen Neurobiologie;151
7.1.2;5.1.2 Die Bottom-up-Erklärungsstrategie der Systembiologie;152
8;6 Informatik und die Systemwissenschaft;170
8.1;6.1 Informatik;170
8.2;6.2 Systemwissenschaft;171
8.3;6.3 Modellvorstellungen – Künstliche neuronale Netze;174
8.4;6.4 Das Komplexitätsproblem – Wie ist der Überblick möglich?;179
8.5;6.5 Dynamik durch Selbstorganisation;183
8.6;6.6 Modellierung der Arbeitsgedächtnisfunktion und ihrer Störungen bei Schizophrenie;186
8.7;6.7 „Neurochemisches Mobile“ – Das Gehirn als integriertes neurochemisches Netzwerk;189
8.8;6.8 Fazit;195
9;7 Freier Wille;196
9.1;7.1 Das Grundkonstrukt des freien Willens;197
9.2;7.2 Neurobiologie – Die Negation der „Freiheit“ des Willens;200
9.3;7.3 Die neurobiologischen Experimente von Libet;201
9.4;7.4 Psychologie des Willens;205
9.5;7.5 Philosophische Aspekte des freien Willens;217
9.5.1;7.5.1 Historische Aspekte;217
9.5.2;7.5.2 Das prinzipielle Determinismus-Indeterminismus-Problem;218
9.5.3;7.5.3 Aktuelle philosophische Konzepte;221
9.6;7.6 Willenshandlungen aus systemischer Sicht;223
9.7;7.7 Ökologische Perspektive;229
9.8;7.8 Fazit;230
10;8 Ausblick – Perspektiven einer interdisziplinären „Neurophilosophie“;232
10.1;8.1 Vorläufiges Fazit – Der Homo neurobiologicus ist eine Fiktion;232
10.2;8.2 Konturen einer interdisziplinären Neurophilosophie;235
10.3;8.3 Perspektiven;238
11;9 Zusammenfassung;239
12;Literatur;242
13;Stichwortverzeichnis;258


"8 Ausblick – Perspektiven einer interdisziplinären „Neurophilosophie“ (S. 231-232)

8.1 Vorläufiges Fazit – Der Homo neurobiologicus ist eine Fiktion

Die experimentelle Hirnforschung beschreibt also letztlich den Menschen als eine determinierte biomolekulare Maschine (Homo neurobiologicus, Roth, 2003, S. 560). Stützt man sich auf die in diesem Buch dargestellten Fragestellungen, die in einer Tabelle noch kurz zusammengefasst werden (vgl. Tabelle 3), dann ist zur Frage des Gehirn-Geist-Problems festzustellen, dass der Homo neurobiologicus als ein überzeugendes Menschenbild allein aus Sicht der Neurobiologie zumindest derzeit nicht vertreten werden kann – entweder ist es zu allgemein formuliert, oder es ist zu komplex, um die Konsistenz der Argumente überprüfen zu können. Letztlich ist auch die multidisziplinäre Qualitätsprüfung des betreffenden Konzepts offen. Derzeit erscheint es als nicht gerechtfertigt, den Konzepten der Neurobiologen in Hinblick auf ein neues Menschenbild zu folgen.

Das Bild des Homo neurobiologicus steht im Gegensatz zu dem integralen und doch mehrdimensional-vielschichtigen „bio-psycho-sozialen“ Menschenbild, das beispielsweise die Psychiatrie präferiert. Seit den grundlegenden Konzepten von Gehlen, Gadamer und Vogler und den psychiatrischen Arbeiten von Schipperges, Kisker, Lauter, Bochnik oder Emrich zeigen sich in der Medizin bzw. Psychiatrie im Bereich der Philosophie und Anthropologie allerdings nur wenige Weiterentwicklungen (vgl. Blankenburg, 1983; Schmidt-Degenhard, 2003).

Es ist daher an der Zeit, dass auch die psychologischen Fächer der Medizin wieder intensiv darstellen, dass das (auch leibliche) personale Selbst den individuellen Menschen ausmacht (Fuchs, 2000), dass „Menschen nicht Gehirne ohne Körper sind“ und dass sie in eine Umwelt eingebettet sind („Ökologie des Gehirns“, Fuchs, 2005; „Ökologie der Person“, Tretter, 2008).

Der dieser ganzheitsorientierten Sichtweise entgegenlaufende Trend zum Reduktionismus und dem Isolieren des zu untersuchenden Phänomens, wie er auch von der Hirnforschung praktiziert wird, spiegelt sich auch darin, dass die traditionelle Diskussion des Leib-Seele-Problems sich heute zunehmend nur mehr als Gehirn-Geist- Debatte darstellt. Dieser Diskurs findet auch hauptsächlich nur zwischen Hirnforschung und Philosophie statt. Durch die massenmedial sensationell dargestellten Befunde der Gehirnforschung wird dabei auch in der Öffentlichkeit ein großes Interesse ausgelöst.

Durch den, im Vergleich zu Philosophie, scheinbar privilegierten Zugang der Hirnforschung zum Geistigen kann das klassische Leib-Seele-Thema auf die Gehirn-Geist-Debatte komprimiert werden, so als gäbe es bereits Gehirne ohne Körper. Die Hirnforschung hat damit die Philosophie ein wenig überrollt, und erst allmählich scheinen sich die Positionen wieder eigenständiger und wirksamer zu artikulieren (Bennet & Hacker, 2006; Sturma, 2006; Janich, 2009).

Um diese Diskussion zu intensivieren und konstruktiver zu gestalten, sind allerdings einige institutionelle Veränderungen vor allem in der Philosophie sinnvoll, wenngleich in vielerlei Hinsicht nur eine Aktualisierung klassischer Arbeitsansätze erforderlich erscheint. Vor allem aufgrund der Entwicklung der Wissenschaften, wie insbesondere der Psychologie und Systemforschung und selbstverständlich der Neurobiologie, scheint es nämlich sinnvoll zu sein, ein eigenes inter- und transdisziplinär fundiertes Gebiet einer „Neurophilosophie“ zu etablieren."



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.